Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei Sonderbonus
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Gewährung von Sondervergütungen (§ 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG) wird nicht dadurch berührt, daß der Arbeitgeber bereits vor der Beteiligung des Betriebsrats Zahlungen erbringt, die er nicht mehr zurückfordern kann, so daß im Fall einer abweichenden Einigung mit dem Betriebsrat Kosten entstehen werden, die den ursprünglich vorgesehenen Dotierungsrahmen übersteigen.
2. Zahlt der Arbeitgeber einzelnen Arbeitnehmern Sonderzulagen mit der Begründung, die Lage auf dem Arbeitsmarkt veranlasse ihn dazu, so bleibt unklar, ob der Leistung eine mitbestimmungspflichtige Entscheidung (ein kollektiver Tatbestand) oder nur individuelle Lohngestaltung zugrunde liegt.
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 17.02.1993; Aktenzeichen 5 TaBV 49/92) |
ArbG Kiel (Entscheidung vom 25.09.1992; Aktenzeichen 3c BV 5/92) |
Gründe
A. Die Beteiligten streiten noch darüber, ob der Betriebsrat bei der Bezahlung eines "individuellen Sonderbonus" an einzelne Arbeitnehmer mitzubestimmen hat.
Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb in S etwa 320 Arbeitnehmer. Auf die Arbeitsverhältnisse wendet sie die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie in Schleswig-Holstein an. Neben der tariflichen Jahresend-Sonderzahlung gewährte die Arbeitgeberin nach Abstimmung mit dem Betriebsrat für das Jahr 1991 allen Arbeitern und Tarifangestellten einen "einmaligen Sonderbonus" von 217,00 DM. Darüber hinaus zahlte sie, ohne sich hierüber mit dem Betriebsrat zu verständigen, 10 Arbeitnehmern einen "individuellen Sonderbonus" in unterschiedlicher Höhe.
Im einzelnen waren für die Zahlung des "individuellen Sonderbonus" nach dem Vortrag der Arbeitgeberin folgende Erwägungen maßgeblich:
- bei Frau P , daß sie einen großen Einsatz gezeigt und
ihre Arbeitsaufgaben trotz der Arbeitsversäumnisse infolge
ihrer Betriebsratstätigkeit durch zügige Arbeitsweise stets
gut erledigt habe;
- bei Frau St , daß sie sich in ein neues Aufgabengebiet
überdurchschnittlich gut eingearbeitet habe;
- bei Frau Hü , daß sie Alleinerzieherin eines Kindes sei
und als Teilzeitkraft aus sozialen Erwägungen unterstüt-
zungsbedürftig erscheine;
- bei Herrn S , der für Personalcomputer zuständig
ist, dessen besonderer Einsatz;
- bei Herrn C dessen Doppelbelastung: Er ist Mitarbeiter
im Lager und hat zugleich beim Aufbau von Messeständen ge-
holfen;
- bei Herrn Hü , daß er als Leiter des Lagers die Packfeh-
lerrate spürbar gesenkt habe;
- bei Frau Mü , daß sie eine stetige Einsatzbereitschaft
gezeigt habe und als Alleinerzieherin eines Kindes aus so-
zialen Erwägungen unterstützungsbedürftig erscheine;
- bei Herrn W , daß er als Stellvertreter von Herrn Hü
ebenfalls überdurchschnittlich gute Arbeit geleistet habe
und förderungswürdig erscheine;
- bei Herrn H , daß er für das gesamte Messegeschäft
verantwortlich sei und aus arbeitsmarktpolitischen Gründen;
- bei Herrn M , daß er als Produktionsspezialist in West-
deutschland sehr gute Arbeit geleistet habe und ebenfalls
aus arbeitsmarktpolitischen Gründen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Zahlung des "individuellen Sonderbonus" sei nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Insoweit handele es sich um einen kollektiven Tatbestand, der die Strukturformen des Entgelts betreffe. Dies ergebe sich schon daraus, daß die Zahlung gleichzeitig mehrere Arbeitnehmer erhalten hätten. Auch die von der Arbeitgeberin für den Bonus angeführten Gründe bestätigten dessen kollektiven Bezug, denn sie setzten sämtlich einen Vergleich mit anderen Arbeitnehmern voraus. Weiter hat der Betriebsrat geltend gemacht, er habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung des von ihm beanspruchten Mitbestimmungsrechts. Zwar habe die Arbeitgeberin angekündigt, sie werde künftig einen "individuellen Sonderbonus" nicht mehr zahlen. Diese Absichtserklärung könne es aber nicht ausschließen, daß in Zukunft doch wieder Fallgestaltungen der gleichen Art aufträten. Das vorliegende Verfahren sei geeignet, für diesen Fall die zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen zu klären.
Der Betriebsrat hat, soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Interesse, beantragt
festzustellen, daß er mitzubestimmen hat bei der
Festlegung der Grundsätze für die Verteilung
eines "Sonderbonus", den die Arbeitgeberin im De-
zember 1991 angeblich im Hinblick auf sog. indi-
viduelle Eigenschaften an Teile ihrer Mitarbei-
ter/innen ausgeschüttet hat.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Nach ihrer Meinung fehlt für den Feststellungsantrag des Betriebsrats bereits das Rechtsschutzinteresse, weil es sich bei der Zahlung des "individuellen Sonderbonus" um einen 1991 bereits abgeschlossenen Vorgang handele, der sich nicht mehr wiederholen werde. Im übrigen sei dieser Vorgang auch nicht mitbestimmungspflichtig gewesen, denn insoweit sei es um die individuelle Lohngestaltung einzelner Arbeitnehmer gegangen, bei denen ein innerer Zusammenhang mit ähnlichen Regelungen für andere Arbeitnehmer nicht bestanden habe.
Das Arbeitsgericht hat den - in der ersten und zweiten Instanz auch auf ein Mitbestimmungsrecht bei der Zahlung des "einmaligen Sonderbonus" gerichteten - Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag, beschränkt auf den "individuellen Sonderbonus", weiter.
B. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zu der vom Betriebsrat begehrten Feststellung eines Mitbestimmungsrechts, soweit es um die Zahlung des "individuellen Sonderbonus" an Frau P , Frau St , Frau Hü , Herrn S , Herrn C , Herrn Hü , Frau Mü und Herrn W im Jahr 1991 geht. Auch in den Fällen von Herrn H und Herrn M kann mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung ein Mitbestimmungsrecht nicht verneint werden. Der Senat ist aber an einer abschließenden Entscheidung hierüber gehindert, weil es insoweit noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
Gegenstand der Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist der Antrag des Betriebsrats nur noch insoweit, wie die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der 1991 erfolgten Zahlung des "individuellen Sonderbonus" begehrt wird. Dagegen ist der Beschluß des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig geworden, soweit in ihm ein Mitbestimmungsrecht bei der Zahlung des "einmaligen Sonderbonus" verneint worden ist.
Ein Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber darüber, ob in einer bestimmten Angelegenheit ein Mitbestimmungsrecht besteht, kann mit einem Feststellungsantrag zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden. Der Betriebsrat hat das hierfür nach § 256 ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse, denn die Arbeitgeberin bestreitet das von ihm in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht. Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa deshalb entfallen, weil der "individuelle Sonderbonus" bereits gezahlt worden ist. Dies bedeutet nicht, daß Gegenstand des Feststellungsantrags ein in der Vergangenheit liegender abgeschlossener Vorgang wäre. Vielmehr nimmt der Betriebsrat das Recht in Anspruch, bei der Zuwendung des Sonderbonus jetzt noch mitzubestimmen. Ein solches Mitbestimmungsrecht kann grundsätzlich noch ausgeübt werden. Anders als beispielsweise bei der Anordnung von Überstunden kann im Fall von Zahlungen eine mitbestimmte Entscheidung auch noch nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit getroffen und durch Nachzahlungen vollzogen werden.
Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin steht dem nicht entgegen, daß die Ausübung des Mitbestimmungsrechts zu anderen als den von der Arbeitgeberin geleisteten Zahlungsbeträgen führen kann. In diesem Fall werden allerdings die von der Arbeitgeberin für den "individuellen Sonderbonus" zur Verfügung gestellten Mittel, über deren Bemessung sie mitbestimmungsfrei entscheiden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Senatsbeschluß vom 27. Oktober 1992 - 1 ABR 17/92 - AP Nr. 61 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.), nicht ausreichen, um auch die Ansprüche der nunmehr begünstigten Arbeitnehmer zu befriedigen. Es ist nämlich davon auszugehen, daß der Rückforderung von Zahlungen, die von der mitbestimmten Entscheidung über den Sonderbonus nicht mehr gedeckt sind, kaum überwindbare praktische und möglicherweise auch rechtliche Hindernisse entgegenstehen werden (vgl. Senatsurteil vom 11. August 1992 - 1 AZR 103/92 - AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A II der Gründe). Dies führt u.U. dazu, daß die Arbeitgeberin mit den für den Sonderbonus vorgesehenen Mitteln nicht auskommt, weil sie nun noch weitere Zahlungen leisten muß, die sich aus der mit dem Betriebsrat vereinbarten Verteilung ergeben. Im äußersten Fall kann sich dadurch der zur Befriedigung aller Ansprüche erforderliche finanzielle Aufwand verdoppeln, nämlich dann, wenn keiner der ursprünglichen Empfänger des Sonderbonus zum Kreise derjenigen gehört, die nach der mitbestimmten Entscheidung begünstigt sein sollen. Eine solche zusätzliche Belastung der Arbeitgeberin ist aber als Folge ihres rechtswidrigen Vorgehens allein ihr zuzurechnen. Hierin liegt keine Durchbrechung des Grundsatzes, daß der Betriebsrat bei der Festlegung des Dotierungsrahmens nicht mitzubestimmen hat. Ein Mitbestimmungsrecht kann in seinem Bestand und Umfang nicht davon abhängig sein, daß sich der Arbeitgeber betriebsverfassungskonform verhält. Vielmehr hat sich das Verhalten des Arbeitgebers nach den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes und damit auch nach den aus der Beachtung der Mitbestimmungsrechte folgenden Pflichten zu richten.
Danach kommt es für das Rechtsschutzinteresse nicht mehr auf die zwischen den Beteiligten umstrittene und vom Landesarbeitsgericht bejahte Frage an, ob der Antrag des Betriebsrats auch künftige Zahlungen vergleichbarer Art erfaßt und ob diese hinreichend wahrscheinlich sind.
II. Soweit es um die Zahlung des "individuellen Sonderbonus" an Frau P , Frau St , Frau Hü , Herrn S , Herrn C , Herrn Hü , Frau Mü und Herrn W geht, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu.
1. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG können alle vermögenswerten Leistungen des Arbeitgebers und damit auch alle übertariflich gezahlten Zulagen und Boni sein (vgl. BAGE 53, 42, 75 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, zu C IV 3 der Gründe). Gewährt der Arbeitgeber eine solche Leistung freiwillig, so wird hierdurch das Mitbestimmungsrecht nicht ausgeschlossen. Der Arbeitgeber ist lediglich frei in seiner Entscheidung darüber, ob er diese Leistung erbringt, welche Mittel er hierfür zur Verfügung stellt, welchen Zweck er mit ihr verfolgen will und wie der begünstigte Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll (BAGE 37, 206, 209 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie, zu B II 1 der Gründe). Gewährt er aber solche Leistungen, dann unterliegt im Rahmen dieser Vorgaben die Entscheidung darüber, nach welchen Kriterien sich die Berechnung der einzelnen übertariflichen Leistungen und ihre Höhe im Verhältnis zueinander bestimmen sollen, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats (z. B. Senatsbeschluß vom 27. Oktober 1992 - AP, aaO, zu B I 1 der Gründe).
Das Mitbestimmungsrecht erstreckt sich allerdings nur auf die Entscheidung kollektiver Regelungsfragen. Dagegen unterliegt die individuelle Lohngestaltung, die mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitsverhältnisses getroffen wird und bei der kein innerer Zusammenhang zur Entlohnung anderer Arbeitnehmer besteht, nicht der Mitbestimmung (BAG Beschluß des Großen Senats vom 3. Dezember 1991 - GS 2/90 - AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 3 b der Gründe). Dabei richtet sich die Abgrenzung zwischen den das Mitbestimmungsrecht auslösenden kollektiven Tatbeständen und Einzelfallgestaltungen danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht. Hierfür ist die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer nicht allein maßgeblich. Sie kann aber ein Indiz dafür sein, ob ein kollektiver Tatbestand vorliegt oder nicht. Es widerspräche nämlich dem Zweck des Mitbestimmungsrechts, wenn es dadurch ausgeschlossen werden könnte, daß der Arbeitgeber mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils "individuelle" Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung trifft, ohne sich zu allgemeinen Regeln bekennen zu wollen (Beschluß des Großen Senats, aaO, zu C III b dd der Gründe).
2. Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend die Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts erfüllt. Bei der Gewährung des "individuellen Sonderbonus" an die genannten acht Arbeitnehmer handelt es sich um einen kollektiven Tatbestand.
a) Im Fall von Frau P , Frau St , Herrn S , Herrn C , Herrn Hü und Herrn W hat die Arbeitgeberin mit dem Bonus besondere Leistungen honoriert; bei Frau Mü war neben sozialen Erwägungen ebenfalls die Leistung für die Zahlung des Bonus maßgeblich. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß die Arbeitgeberin insoweit bei den einzelnen Arbeitnehmern auf unterschiedliche Leistungen abgestellt hat. Sowohl großer Einsatz (Frau P , Herr S , Frau Mü ) als auch gute Einarbeitung (Frau St ), betriebliche Doppelbelastung (Herr C ), Senkung der Fehlerquote (Herr Hü ) und gute Arbeitsqualität sowie Förderungswürdigkeit (Herr W ) sind leistungsbezogene Kriterien.
Derartige Leistungsgesichtspunkte haben nach der Senatsrechtsprechung (z. B. Beschluß vom 27. Oktober 1992 - AP, aaO, zu B I 2 b aa der Gründe) typischerweise kollektiven Bezug. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt. Die Bemessung zusätzlicher Zahlungen nach der Qualität der Arbeitsleistung setzt stets eine irgendwie definierte Normal- oder Mindestleistung voraus, auf deren Grundlage erst festgestellt werden kann, ob und inwieweit eine Arbeitsleistung übertariflich zu vergütenden Wert hat. Im Rahmen der Prüfung, ob und ggf. in welcher Höhe einem Arbeitnehmer eine zusätzliche Zahlung gewährt werden soll, wird seine Leistung mit derjenigen anderer Arbeitnehmer verglichen. Auch im vorliegenden Fall hat die Arbeitgeberin durch die Gewährung des "individuellen Sonderbonus" und dessen Begründung zum Ausdruck gebracht, daß sie die Arbeitsleistung der begünstigten Arbeitnehmer höher einschätzt als diejenige der anderen Arbeitnehmer, die den Bonus nicht erhalten haben.
b) Auch die in den Fällen von Frau Hü und Frau Mü zur Begründung des Bonus angeführten sozialen Erwägungen haben kollektiven Bezug. Die aus der Stellung einer alleinerziehenden Mutter, im Fall von Frau Mü zusätzlich aus der Besonderheit einer Teilzeitbeschäftigung abgeleitete Notwendigkeit einer materiellen Unterstützung bezieht sich auf generelle Kriterien, die regelmäßig bei einer Mehrzahl von Arbeitnehmern in Betracht kommen und einen Vergleich mit der sozialen Lage anderer Arbeitnehmer erfordern.
c) Im Fall von Frau Mü beruht der Bonus sowohl auf sozialen als auch auf Leistungsgesichtspunkten. Da beide Kriterien kollektiven Bezug haben, ist es für den Bestand des Mitbestimmungsrechts hier ohne Bedeutung, welches Gewicht ihnen im Verhältnis zueinander beigemessen wurde.
III. Für die Entscheidung darüber, ob ein Mitbestimmungsrecht auch bei der Zahlung des Sonderbonus an Herrn H und Herrn M begründet ist, bedarf es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.
1. Im Fall von Herrn M hat die Arbeitgeberin die Gewährung des Bonus auf zwei Gründe gestützt: auf seine Leistung und auf "arbeitsmarktpolitische" Gründe. Da die Leistung als Abgrenzungskriterium kollektiven Bezug hat, folgt allein schon aus dieser Begründung die Mitbestimmungspflichtigkeit, es sei denn, der Leistungsbezug wäre im konkreten Fall so unbedeutend, daß Herr M unabhängig davon in den Genuß des Bonus gekommen wäre. Ob diese Voraussetzung hier vorliegt, kann anhand des festgestellten Sachverhalts nicht beurteilt werden. Auf diese Frage kommt es aber nur dann an, wenn sich ergeben sollte, daß die zusätzlich angeführten Arbeitsmarktgründe individueller Natur waren.
2. Bei Herrn H hat die Arbeitgeberin ausschließlich auf "arbeitsmarktpolitische" Gründe abgestellt. Was sie darunter versteht, ist unklar. Vermutlich soll damit nur gesagt werden, daß ihr Interesse an der Gewinnung oder Erhaltung der genannten Arbeitnehmer bei Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt die Gewährung einer Zulage erforderlich gemacht habe. Diese Begründung kann je nach den Gegebenheiten des Falles entweder ein kollektives Regelungsproblem i.S. des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG oder ein Problem individueller Lohngestaltung kennzeichnen.
Entgeltdifferenzierungen, mit denen der Arbeitgeber auf Gegebenheiten des Arbeitsmarktes reagiert, lassen sich nicht generell als kollektiver oder individueller Regelungsgegenstand einordnen. Sie können individuell bedingt sein, beispielsweise dann, wenn ein Arbeitnehmer nur gegen ein Gehalt, das über demjenigen vergleichbarer Arbeitskollegen liegt, zum Eintritt in den Betrieb oder zum Verbleib bereit ist und der Arbeitgeber ihn aus bestimmten Gründen keinesfalls verlieren will. Einem solchermaßen individuell ausgehandelten Gehalt fehlt der kollektive Bezug. Arbeitsmarktgesichtspunkte wirken sich aber nicht ausschließlich in dieser Weise aus. Sie spielen vielmehr in der Regel, allerdings mit unterschiedlichem Gewicht, eine Rolle auch bei der kollektiven Bestimmung des Arbeitsentgelts. Dies gilt schon für die Höhe der Tariflöhne und -gehälter und wird besonders deutlich an der weiten Verbreitung übertariflicher Arbeitsentgelte, die ganzen Belegschaften gezahlt werden. Die Notwendigkeit, durch Sonderzahlungen eine erwünschte Betriebsbindung herzustellen, ergibt sich keineswegs nur aus Anlaß individueller Forderungen, sondern vielfach als personalwirtschaftliches Erfordernis bezogen auf bestimmte Arbeitnehmergruppen oder gar ganze Belegschaften. Hier besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß die pauschale Berufung auf Arbeitsmarktgründe nicht ausreichen kann, um den individuellen Charakter des an die Arbeitnehmer H und M gezahlten Sonderbonus zu begründen. Vielmehr muß als individuelles Element hinzukommen, daß die Arbeitgeberin konkreten Anlaß zu der Befürchtung hatte, daß gerade diese Arbeitnehmer abwandern könnten, und daß bei ihnen ein ganz spezielles Bedürfnis bestand, sie an den Betrieb zu binden. Da das Landesarbeitsgericht, aus seiner Sicht folgerichtig, insoweit keine Feststellungen getroffen hat, wird es dies nachzuholen haben.
Dr. Dieterich Dr. Rost Dr. Wißmann
Dr. Stadler H. Blanke
Fundstellen
Haufe-Index 437003 |
BAGE 00, 00 |
BB 1995, 825 |
BB 1995, 825-827 (LT1-2) |
DB 1995, 680-682 (LT1-2) |
DStR 1995, 1121 (K) |
AiB 1995, 746-747 (LT1-2) |
BetrR 1995, 64-65 (LT1-2) |
BetrVG EnnR § 87 Abs 1, Nr 10 (21) (LT1-2) |
WiB 1995, 385-386 (LT) |
NZA 1995, 543 |
NZA 1995, 543-545 (LT1-2) |
AP § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung (LT1-2), Nr 69 |
AR-Blattei, ES 530.14.1 Nr 55 (LT1-2) |
EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, Nr 45 (LT1-2) |
VersR 1995, 323 (LT1-2) |