Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl. Anfechtung. Änderung der Wählerliste
Leitsatz (amtlich)
Die Ausübung des Wahlrechts bei der Betriebsratswahl setzt nach § 2 Abs. 3 WO die Eintragung in die Wählerliste voraus. Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 WO sind Änderungen und Ergänzungen der Wählerliste nur bis zum Tag vor Beginn der Stimmabgabe zulässig, nicht jedoch am Wahltag selbst. Wird die Wählerliste durch den Wahlvorstand noch am Wahltag um bislang nicht aufgeführte wahlberechtigte Arbeitnehmer ergänzt und nehmen diese Arbeitnehmer an der Wahl teil, kann dies die Anfechtung der Wahl rechtfertigen, wenn dadurch das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte.
Orientierungssatz
1. Wird eine Betriebsratswahl nach § 19 BetrVG beim Arbeitsgericht angefochten, muss innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ein Sachverhalt dargelegt werden, der Anlass zur Ansicht des Antragstellers geben kann, es sei bei der Wahl gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden. Ist das erfolgt, können weitere Anfechtungsgründe nachgeschoben werden. Anderenfalls ist die Wahlanfechtung unzulässig.
2. Die Ausübung des Wahlrechts setzt nach § 2 Abs. 3 WO die Eintragung in die Wählerliste voraus. Wahlberechtigte, die nicht in die Wählerliste aufgenommen sind, können daher an der Stimmabgabe nicht teilnehmen.
3. Änderungen und Ergänzungen der Wählerliste sind nach § 4 Abs. 3 Satz 2 WO nur bis zum Tag vor Beginn der Stimmabgabe zulässig, nicht jedoch am Wahltag selbst. § 4 Abs. 3 Satz 2 WO ist eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG.
4. Ergänzt der Wahlvorstand am Wahltag die Wählerliste um bislang nicht gelistete wahlberechtigte Arbeitnehmer und nehmen diese Arbeitnehmer an der Wahl teil, kann dies die Anfechtung der Wahl rechtfertigen, wenn dadurch das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte.
Normenkette
BetrVG § 19 Abs. 1-2; Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (WO) § 2 Abs. 3; Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (WO) § 4 Abs. 1; Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (WO) § 4 Abs. 2 S. 1; Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (WO) § 4 Abs. 3 S. 2; ArbGG § 83 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 10. März 2015 – 6 TaBV 64/14 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die zu 1. bis 3. beteiligten wahlberechtigten Arbeitnehmer machen die Unwirksamkeit der am 10. März 2014 im Betrieb der zu 5. beteiligten Arbeitgeberin durchgeführten Betriebsratswahl geltend, aus der der zu 4. beteiligte, aus elf Mitgliedern bestehende Betriebsrat hervorging.
Der zur Durchführung der Wahl bestellte Wahlvorstand hatte im Wahlausschreiben vom 23. Januar 2014 ua. darauf hingewiesen, dass bis zum 7. Februar 2014 schriftlich Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt werden könne, sollte diese für fehlerhaft gehalten werden. Auf der ausliegenden Wählerliste waren die Arbeitnehmer G, W und K bis zum Wahltag nicht aufgeführt. Der seit dem 18. Juni 2011 beschäftigte Arbeitnehmer G war dem Wahlvorstand von der Arbeitgeberin in Beantwortung einer am 24. September 2013 zum Zweck der Erstellung der Wählerliste erfolgten Nachfrage nach dem damaligen Beschäftigtenstand nicht mitgeteilt worden. Der dem Betrieb seit dem 1. September 2009 angehörende Arbeitnehmer W war zunächst bis zum 7. Februar 2014 befristet beschäftigt. Mit Wirkung zum 8. Februar 2014 schloss er einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Arbeitgeberin ab. Den Arbeitnehmer K hatte die Arbeitgeberin zum 1. Dezember 2013 neu eingestellt, ohne diesen dem Wahlvorstand nachzumelden. Einspruch gegen die Wählerliste wurde nicht erhoben.
Am Wahltag erschienen die Arbeitnehmer G, W und K zur Wahl. Der Wahlvorstand berichtigte die Wählerliste daraufhin handschriftlich und nahm die drei Arbeitnehmer in die Wählerliste auf. Diese nahmen an der Wahl teil.
Am 11. März 2014 wurde das Wahlergebnis bekannt gemacht. Von 350 abgegebenen Stimmen entfielen auf die Liste „ASA” 33 Stimmen, auf die Liste „H” 140 Stimmen, auf die Liste „Standort S” 141 Stimmen und auf die „Alternative Liste” 33 Stimmen. Drei Stimmen waren ungültig. Das führte zu einer Sitzverteilung von fünf Betriebsratssitzen für die Liste „Standort S”, vier Sitzen für die Liste „H” und je einem Sitz für die beiden anderen Listen.
Am 24. März 2014 haben die Beteiligten zu 1. bis 3. (Antragsteller) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts die Wahl angefochten. Dem Protokoll der Geschäftsstelle wurde eine tabellarische Auflistung der Antragsteller über Verstöße gegen Wahlvorschriften beigefügt. Die Antragsteller haben ua. geltend gemacht, es sei unzulässig gewesen, noch am Tag der Stimmabgabe Änderungen an der Wählerliste vorzunehmen. Außerdem sei die Wählerliste nicht durchgehend bis zum Abschluss der Stimmabgabe einsehbar gewesen. Wahlberechtigte Mitarbeiter seien zudem zu Unrecht als leitende Angestellte angesehen und deshalb rechtswidrig nicht zur Wahl zugelassen worden. Durch diese Wahlfehler habe das Wahlergebnis beeinflusst werden können.
Die Antragsteller haben beantragt
festzustellen, die Betriebsratswahl vom 10. März 2014 für unwirksam zu erklären.
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben den Standpunkt eingenommen, die Antragsteller seien nicht anfechtungsberechtigt, weil sie keinen Einspruch gegen die Wählerliste erhoben hatten. Die gerügten Verstöße gegen Wahlvorschriften lägen zudem nicht vor. Insbesondere stelle die Aufnahme der drei nicht erfassten wahlberechtigten Arbeitnehmer in die Wählerliste noch am Wahltag keinen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften dar. Der Wahlvorstand habe damit eine notwendige und auch zu diesem Zeitpunkt noch zulässige Berichtigung eines Wahlrechtsverstoßes nach § 19 Abs. 1 BetrVG vorgenommen.
Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrags. Die Antragsteller beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Wahlanfechtungsantrag zu Recht stattgegeben.
I. Der Wahlanfechtungsantrag ist zulässig. Mit dem Antrag „festzustellen, die Betriebsratswahl vom 10. März 2014 für unwirksam zu erklären” haben die Antragsteller die Wahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG angefochten, auch wenn sie nach dem Antragswortlaut nicht den gebotenen Gestaltungsantrag auf Erklärung der Unwirksamkeit der Wahl, sondern einen Feststellungsantrag gestellt haben. Der Antrag ist entsprechend auszulegen (vgl. BAG 26. Oktober 2016 – 7 ABR 4/15 – Rn. 12; 13. Oktober 2004 – 7 ABR 6/04 – zu B I der Gründe, BAGE 112, 180).
II. Der Antrag ist begründet. Die am 10. März 2014 durchgeführte Betriebsratswahl ist unwirksam.
1. Nach § 19 BetrVG können mindestens drei Wahlberechtigte die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.
2. Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind erfüllt.
aa) Die drei Antragsteller sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs und damit nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Dass sich unter ihnen ein gewähltes Betriebsratsmitglied befindet, steht der Anfechtungsberechtigung nicht entgegen. Auch als gewählt festgestellte Mitglieder des Betriebsrats können als wahlberechtigte Arbeitnehmer die Anfechtung betreiben (vgl. etwa Fitting 28. Aufl. § 19 Rn. 29).
bb) Der Anfechtungsberechtigung steht nicht entgegen, dass die Antragsteller keinen Einspruch gegen die Wählerliste eingelegt hatten. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Anfechtungsberechtigung überhaupt von einem rechtzeitigen Einspruch des anfechtenden Arbeitnehmers gegen die Richtigkeit der Wählerliste nach § 4 Abs. 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Dezember 2001 (Wahlordnung – WO) abhängen kann (ablehnend wohl BAG 29. März 1974 – 1 ABR 27/73 – zu II 4 c der Gründe, BAGE 26, 107; offengelassen von BAG 14. November 2001 – 7 ABR 40/00 – zu B II 2 der Gründe sowie BAG 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B II 5 b der Gründe, BAGE 72, 161 zu § 4 WO 1953). Das Anfechtungsrecht könnte aufgrund eines unterbliebenen Einspruchs gegen die Richtigkeit der Wählerliste allenfalls insoweit ausgeschlossen sein, als es um Verstöße gegen Wahlvorschriften geht, die im Wege des Einspruchs gegen die Wählerliste geltend gemacht werden können, dh. Verstöße gegen das Wahlrecht und die Wählbarkeit (BAG 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B II 5 b der Gründe, aaO). Einen solchen Verstoß gegen das Wahlrecht oder die Wählbarkeit machen die Antragsteller lediglich insoweit geltend, als sie rügen, wahlberechtigte Mitarbeiter seien zu Unrecht als leitende Angestellte angesehen und deshalb rechtswidrig nicht zur Wahl zugelassen worden. Die weiteren gerügten Verstöße gegen Wahlvorschriften konnten mit einem Einspruch gegen die Wählerliste nach § 4 Abs. 1 WO nicht geltend gemacht werden. Das gilt für den Einwand der Antragsteller, die Wahl sei unwirksam, da die Wählerliste nicht durchgehend bis zum Abschluss der Stimmabgabe einsehbar gewesen sei. Auch soweit sie sich gegen die am Wahltag vorgenommenen Änderungen der Wählerliste wenden, kann ein fehlender Einspruch der Wahlanfechtung nicht entgegenstehen. Die Antragsteller rügen insoweit nicht die Unrichtigkeit der Wählerliste, sondern die am Wahltag vorgenommene Berichtigung der Wählerliste. Zudem war die Einspruchsfrist (§ 4 Abs. 1 WO) zum Zeitpunkt der Berichtigung der Wählerliste bereits abgelaufen. War jemand nicht in der Lage, vor der Wahl Einspruch gegen die Wählerliste einzulegen, kann dies nicht dazu führen, dass er die Wahl nachträglich nicht mehr anfechten kann (BAG 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B II 5 b der Gründe, aaO).
cc) Die zweiwöchige Anfechtungsfrist ist gewahrt.
(1) Die Antragsteller haben die Betriebsratswahl mit ihrer am 24. März 2014 beim Arbeitsgericht zu Protokoll erklärten Antragsschrift nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 11. März 2014 fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten.
(2) Die Antragsteller haben den Wahlanfechtungsantrag innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist hinreichend begründet.
(a) Ein Antragsteller im Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG hat innerhalb der Anfechtungsfrist nicht nur die Erklärung der Unwirksamkeit der Betriebsratswahl zu beantragen, sondern hierzu auch eine Begründung vorzutragen. Das folgt schon aus § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, wonach die Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Ist innerhalb der Anfechtungsfrist eine hinreichende Begründung erfolgt, können weitere Anfechtungsgründe nachgeschoben werden. Das Gericht ist dann auch gehalten, von Amts wegen allen für eine Wahlanfechtung in Betracht kommenden Wahlverstößen nachzugehen, die sich aus dem Vortrag der Beteiligten ergeben (BAG 3. Juni 1969 – 1 ABR 3/69 – zu II der Gründe, BAGE 22, 38; vgl. auch BAG 18. Juli 2012 – 7 ABR 21/11 – Rn. 22). Eine innerhalb der Anfechtungsfrist erklärte Anfechtung ohne Begründung genügt nicht. Die Anforderungen an die Begründung dürfen im Hinblick darauf, dass das Gericht im Beschlussverfahren den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG von Amts wegen zu erforschen hat, nicht überspannt werden (Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 19 Rn. 94). Erforderlich und ausreichend ist es, wenn innerhalb der Anfechtungsfrist ein betriebsverfassungsrechtlich erheblicher Grund vorgetragen wird, der möglicherweise die Anfechtung rechtfertigt (vgl. BAG 29. März 1974 – 1 ABR 27/73 – zu II 3 der Gründe, BAGE 26, 107; 3. Juni 1969 – 1 ABR 3/69 – zu II der Gründe, aaO; 24. Mai 1965 – 1 ABR 1/65 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 17, 165; Fitting 28. Aufl. § 19 Rn. 36; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 19 Rn. 94; Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 19 Rn. 57). Der Antragsteller muss innerhalb der Anfechtungsfrist einen Sachverhalt darlegen, der einen Anlass zu seiner Ansicht geben kann, es sei bei der Wahl gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts verstoßen worden (BAG 3. Juni 1969 – 1 ABR 3/69 – zu II der Gründe, aaO).
(b) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der innerhalb der Zweiwochenfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärten Wahlanfechtung. Die Antragsteller haben die gerügten Wahlfehler darin zwar ohne detaillierte Sachverhaltsangaben nur in aufgelisteten Punkten zusammengefasst angegeben. Gleichwohl enthalten die Ausführungen Vortrag zu betriebsverfassungsrechtlich erheblichen Gründen, die möglicherweise die Anfechtung rechtfertigen. Das gilt jedenfalls für die in der Antragsschrift in den Punkten Nr. 2 und 3 monierten Verstöße. Danach haben die Antragsteller gerügt, die Wählerliste und der Abdruck der Wahlordnung seien nicht bis zum Abschluss der Stimmabgabe einsehbar gewesen und die Wählerliste sei nicht aktualisiert worden. Bei diesen Angaben handelt es sich nicht lediglich um Rechtsbehauptungen, sondern um – wenn auch oberflächliche – Sachverhaltsangaben. Zudem sind für die Begründung des Wahlanfechtungsantrags ergänzend die weiteren Sachverhaltsangaben zu berücksichtigen, die die Antragsteller in der dem Protokoll der Geschäftsstelle beigefügten tabellarischen Aufstellung gemacht haben. Diese Angaben enthalten – wie sich aus der Bezugnahme in dem Protokoll der Geschäftsstelle ergibt – eigenen schriftsätzlichen Vortrag zur Begründung des Wahlanfechtungsantrags. Es handelt sich nicht lediglich um Anlagen, die nur zur Erläuterung eines schriftsätzlichen Vortrags dienen (vgl. dazu BAG 16. Mai 2012 – 5 AZR 347/11 – Rn. 29, BAGE 141, 330). In der Aufstellung führen die Antragsteller ua. aus, die Arbeitnehmer G und W seien zur Wahl erschienen und nicht auf der Wählerliste gelistet gewesen, sie seien durch den Wahlvorstand handschriftlich zur Wählerliste hinzugeschrieben und zur Wahl zugelassen worden. Diese den Wahlanfechtungsantrag begründenden Ausführungen genügen insgesamt, um die Ansicht der Antragsteller, es sei gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts verstoßen worden, zu stützen.
b) Auch die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung liegen vor. Der Wahlvorstand hat gegen § 4 Abs. 3 Satz 2 WO und damit gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren verstoßen, indem er noch am Wahltag die Wählerliste handschriftlich um die drei bis dahin nicht aufgeführten Arbeitnehmer G, W und K ergänzt hat. Dieser Verstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
aa) Nach § 2 Abs. 3 WO steht das aktive und passive Wahlrecht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu, die in die Wählerliste eingetragen sind. Einsprüche gegen die Richtigkeit der Wählerliste können nach § 4 Abs. 1 WO nur vor Ablauf von zwei Wochen nach Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand schriftlich eingelegt werden. Über Einsprüche hat der Wahlvorstand nach § 4 Abs. 2 Satz 1 WO unverzüglich zu entscheiden. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 WO soll der Wahlvorstand die Wählerliste auch nach Ablauf der Einspruchsfrist auf ihre Vollständigkeit hin überprüfen. Aus dieser Regelung folgt eine auch nach Ablauf der Einspruchsfrist bestehende Pflicht des Wahlvorstands, die Richtigkeit der Wählerliste zu überprüfen (vgl. zu § 4 Abs. 3 WO 1953 BAG 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B III 2 b der Gründe, BAGE 72, 161). Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 WO kann jedoch nach Ablauf der Einspruchsfrist die Wählerliste nur bei Schreibfehlern, offenbaren Unrichtigkeiten, in Erledigung rechtzeitig eingelegter Einsprüche oder bei Eintritt von Wahlberechtigten in den Betrieb oder bei Ausscheiden aus dem Betrieb bis zum Tag vor dem Beginn der Stimmabgabe berichtigt oder ergänzt werden. Bei der Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 WO handelt es sich um eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG (vgl. Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 19 Rn. 13 mwN; zu § 4 Abs. 3 WO 1953 BAG 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B III 2 b der Gründe, aaO).
bb) Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 WO sind Änderungen der Wählerliste bei Vorliegen eines der genannten Änderungsgründe (Schreibfehler, offenbare Unrichtigkeit, Erledigung rechtzeitig eingelegter Einsprüche, Eintritt oder Ausscheiden von Wahlberechtigten) nur bis zum Tag vor Beginn der Stimmabgabe, nicht aber danach zulässig (vgl. etwa Fitting 28. Aufl. § 4 WO 2001 Rn. 15; DKKW/Homburg 15. Aufl. § 4 WO 2001 Rn. 28; HWGNRH/Huke/Nicolai 9. Aufl. § 4 WO Rn. 49; Kreutz/Jacobs GK-BetrVG 10. Aufl. § 4 WO Rn. 19; Forst in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 4 WO 2001 Rn. 13). Entgegen der mit der Rechtsbeschwerde vom Betriebsrat vertretenen Ansicht bezieht sich die in § 4 Abs. 3 Satz 2 WO geregelte zeitliche Begrenzung „bis zum Tage vor dem Beginn der Stimmabgabe”) nicht lediglich auf den Eintritt oder das Ausscheiden von Wahlberechtigten mit der Folge, dass Änderungen der Wählerliste auch am Wahltag noch zulässig wären. Zwar ließe sich das Verständnis des Betriebsrats mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 2 WO vereinbaren. Dagegen sprechen jedoch Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 Satz 2 WO sowie systematische Erwägungen.
(1) Durch die Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 WO soll verhindert werden, dass Veränderungen der Wählerliste am Wahltag zu Wahlmanipulationen missbraucht werden (vgl. nur Kreutz/Jacobs GK-BetrVG 10. Aufl. § 4 WO Rn. 19; Forst in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 4 WO 2001 Rn. 13). Da von der Eintragung in die Wählerliste die Ausübung des Wahlrechts abhängt, würde die Ausdehnung der Berichtigungsmöglichkeiten Wahlmanipulationen erleichtern (vgl. BAG 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B III 2 b der Gründe, BAGE 72, 161). Es soll daher bereits zu Beginn des Wahltags Klarheit darüber bestehen, wer zur Stimmabgabe berechtigt ist. Dadurch ist zudem gewährleistet, dass sich die Aufgaben des Wahlvorstands am Wahltag auf die Durchführung der Wahl selbst konzentrieren, ohne mit ggf. streitigen Fragen der Wahlberechtigung belastet zu sein, deren vorherige Klärung durch einen Einspruch gegen die Wählerliste oder Hinweise auf deren Unrichtigkeit möglich gewesen wäre. Die Erreichung dieses Regelungszwecks wäre nicht gewährleistet, wenn Änderungen der Wählerliste auch noch am Wahltag zulässig wären. Dem steht entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht entgegen, dass eine Manipulation der Wählerliste ohnehin zu jedem Zeitpunkt verboten und deshalb eine Untersagung von Eingriffen in die Wählerliste am Wahltag zur Vermeidung von Missbrauch nicht erforderlich ist. Bei einem Ausschluss von Änderungen der Wählerliste am Wahltag sind Wahlmanipulationen jedenfalls dadurch erschwert, dass die Unzulässigkeit der Änderung feststeht und der Wahlvorstand nicht bei Erscheinen angeblich wahlberechtigter, aber nicht auf der Wählerliste genannter Personen kurzfristig und ohne die Möglichkeit näherer Nachprüfung entscheiden muss, ob die behauptete Wahlberechtigung besteht.
(2) Diese Sichtweise wird durch systematische Erwägungen bestätigt. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum Änderungen der Wählerliste zur Erledigung rechtzeitig eingelegter Einsprüche oder zur Korrektur von Schreibfehlern und offenbaren Unrichtigkeiten grundsätzlich noch am Wahltag zulässig sein sollten, beim Eintritt oder Austritt von Wahlberechtigten aber nur dann, wenn der Ein- oder Austritt bis zum Tag vor dem Beginn der Stimmabgabe erfolgt ist. Ließe § 4 Abs. 3 Satz 2 WO Änderungen der Wählerliste auch am Wahltag grundsätzlich noch zu, um Einschränkungen der Ausübung des Wahlrechts zu verhindern, wäre es vielmehr konsequent, solche Änderungen gleichermaßen bei einem Eintritt oder Ausscheiden am Wahltag zu ermöglichen. Für das vom Betriebsrat vertretene Verständnis der Regelung spricht auch nicht, dass ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften eine Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG dann nicht rechtfertigt, wenn der Verstoß im Laufe des Wahlverfahrens rechtzeitig berichtigt worden ist. Zwar folgt daraus, dass das Gesetz Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften für berichtigungsfähig hält. Die Berichtigung hat allerdings ihrerseits unter Beachtung der Vorgaben des Gesetzes und der WO zu erfolgen.
(3) Die vom Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat geäußerte Auffassung, seine Sichtweise werde durch § 6 Abs. 3 der Verordnung zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (WODrittelbG) bestätigt, überzeugt nicht. Zwar trifft es zu, dass § 6 Abs. 3 WODrittelbG weder den Änderungsgrund des Eintritts und Ausscheidens aus dem Betrieb noch eine § 4 Abs. 3 Satz 2 WO vergleichbare zeitliche Begrenzung erwähnt. Die Regelungen der WODrittelbG enthalten allerdings im Hinblick auf die Möglichkeiten zur Änderung der Wählerliste ein in sich geschlossenes Regelwerk, das sich von den entsprechenden Vorschriften der WO BetrVG unterscheidet. So hat der Wahlvorstand nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 WODrittelbG etwa gerade im Fall des Ausscheidens oder Eintritts eines Arbeitnehmers in den Betrieb die Wählerliste ohne Einschränkungen unverzüglich zu ändern oder zu berichtigen.
cc) Die Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 WO ist von der Verordnungsermächtigung in § 126 BetrVG gedeckt. Nach § 126 Nr. 1 und Nr. 2 BetrVG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ua. ermächtigt, Rechtsverordnungen über die Vorbereitung der Wahl, insbesondere die Aufstellung der Wählerlisten und über die Frist für die Einsichtnahme in die Wählerlisten und die Erhebung von Einsprüchen gegen sie zu erlassen. Mit § 4 Abs. 3 Satz 2 WO wird nicht das Wahlrecht nach § 7 BetrVG eingeschränkt, was von der Ermächtigung nicht gedeckt wäre. Die Eintragung in die Wählerliste ist keine zusätzliche materielle Voraussetzung der Wahlberechtigung, sondern lediglich förmliche Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts (vgl. etwa Raab GK-BetrVG 10. Aufl. § 7 Rn. 120). Die Eintragung oder Nichteintragung in die Wählerliste hat deshalb keine materiell konstitutive Bedeutung für die Wahlberechtigung und wirkt sich daher auf den Regelungsgehalt des § 7 BetrVG nicht aus (Fitting 28. Aufl. § 7 Rn. 92; Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 7 Rn. 57). Das aktive Wahlrecht hängt ausschließlich davon ab, ob die Voraussetzungen des § 7 BetrVG erfüllt sind. Ist dies nicht der Fall, begründet die Eintragung in die Wählerliste nicht die Wahlberechtigung. Sind die Voraussetzungen des § 7 BetrVG erfüllt, ist der Arbeitnehmer auch dann wahlberechtigt, wenn er nicht in die Wählerliste eingetragen ist. Die fehlende Eintragung hindert ihn lediglich, sein Wahlrecht auszuüben. Für die Frage, ob die Wahl nach § 19 BetrVG wegen Verstoßes gegen wesentliche Vorschriften des Wahlrechts angefochten werden kann, kommt es auf die materielle Wahlberechtigung nach § 7 BetrVG zum Zeitpunkt der Wahl an (vgl. Raab GK-BetrVG 10. Aufl. § 7 Rn. 120).
dd) Die Änderung der Wählerliste noch am Wahltag war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
(1) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis weder ändern noch beeinflussen konnte. Dabei ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (st. Rspr., vgl. etwa BAG 18. Juli 2012 – 7 ABR 21/11 – Rn. 30 mwN).
(2) Im Streitfall ist nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis ohne den Verstoß anders ausgefallen wäre. Nach § 2 Abs. 3 WO steht das Recht zur Ausübung des materiellen Wahlrechts nur Arbeitnehmern zu, die in die Wählerliste eingetragen sind. Wäre die Änderung der Wählerliste am Wahltag unterblieben, hätten die drei nachträglich aufgenommenen Arbeitnehmer ihr Wahlrecht nicht ausüben können. Das hätte aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls zu einem anderen Wahlergebnis führen können. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die drei der Wählerliste nachträglich hinzugefügten Arbeitnehmer die Liste „Standort S” gewählt haben, die 141 Stimmen erhalten hat. Ohne die drei Stimmen wären auf diese Liste nur 138 Stimmen entfallen. Das hätte nach dem in § 15 WO festgelegten Höchstzahlverfahren zu einer anderen Sitzverteilung geführt, da in diesem Fall auf die Liste „Standort S” nur vier Betriebsratssitze und auf die Liste „H” fünf Betriebsratssitze entfallen wären.
Unterschriften
Gräfl, M. Rennpferdt, Waskow, Kley, Auhuber
Fundstellen
Haufe-Index 10951367 |
BAGE 2017, 256 |
BB 2017, 2300 |
DB 2017, 7 |