Leitsatz (redaktionell)
1. Die in BetrVG § 103 Abs 1 geforderte Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Arbeitgeberkündigung gegenüber den dort genannten besonders geschützten Personen, insbesondere gegenüber einem Betriebsratsmitglied, ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Sie muß ausnahmslos vor Anspruch der Kündigung vorliegen. Gleiches gilt für die durch Gerichtsentscheidung gemäß BetrVG § 103 Abs 2 ersetzte Zustimmung. Die nachträgliche, dh nach der Kündigungserklärung erteilte Zustimmung ist rechtlich bedeutungslos; zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung kann der Arbeitgeber die Ersetzung der Zustimmung nicht beantragen.
2. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung nach BetrVG § 103 Abs 2 sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, die erst im Lauf des Beschlußverfahrens bekannt werden oder entstehen, sofern der Arbeitgeber zuvor vergeblich beim Betriebsrat beantragt hat, wegen dieser nachgeschobenen Gründe die Zustimmung zur Kündigung zu erteilen.
3. Der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung ist begründet, wenn die Kündigung aus wichtigem Grund nach BGB § 626 gerechtfertigt ist. Für die Entscheidung des Arbeitsgerichts kommt es nicht darauf an, ob der Betriebsrat bei seinem ablehnenden Beschluß einen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum überschritten hat. Das Arbeitsgericht hat eine Rechtsentscheidung zu treffen, die praktisch den Kündigungsschutzprozeß vorwegnimmt.
4. Die Ausschlußfrist des BGB § 626 Abs 2 gilt auch im Regelungsbereich des BetrVG § 103. Die Frist beginnt wie auch sonst mit der Kenntnis des Arbeitgebers von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Innerhalb der Frist muß der Arbeitgeber jedenfalls die Zustimmung gemäß BetrVerfG § 103 Abs 1 beantragen. Ob er innerhalb der Frist bei Verweigerung der Zustimmung auch noch das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung einleiten muß, bleibt unentschieden. Das ist aber dann entbehrlich, wenn der Arbeitgeber im bereits anhängigen Beschlußverfahren weitere Kündigungsgründe nachschiebt.
5. Pflichtverletzungen, die ein Mitglied des Betriebsrats im Rahmen seiner Betriebsratstätigkeit begeht, rechtfertigen die außerordentliche Kündigung und damit auch die Ersetzung der Zustimmung gemäß BetrVG § 103 Abs 2 nur dann, wenn das Betriebsratsmitglied auch gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis schwer verstoßen hat, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (Fortführung der bisherigen einschlägigen Rechtsprechung, zuletzt ausführlich in BAG 1969-10-23 2 AZR 127/69 = BAGE 22, 178 = AP Nr 19 zu § 13 KSchG).
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 17.01.1974; Aktenzeichen 7 TaBV 6/73) |
Fundstellen
Haufe-Index 437444 |
BAGE 26, 219-235 (LT1-5) |
BAGE, 219 |
BB 1974, 1578 |
DB 1974, 2310 |
NJW 1975, 181 |
BetrR 1975, 253-263 (LT1-5) |
ARST 1975, 20 |
SAE 1975, 213 |
WM IV 1975, 40 |
AP § 103 BetrVG 1972 (LT1-5), Nr 1 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung IX Entsch 20 (LT1-5) |
AR-Blattei, ES 530.9 Nr 20 (LT1-5) |
ArbuR 1974, 312 |
EzA § 103 BetrVG 1972, Nr 6 |
MDR 1975, 258 |
PraktArbR BetrVG §§ 102-105, Nr 91 |
Belling / Luckey 2000, 454 |