Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Änderung der Rechtsprechung
Orientierungssatz
1. Eine Divergenz kann nur zu einer früheren Entscheidung des Bundesarbeitsarbeitsgerichts oder eines anderen der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte bestehen. Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt der Verkündung des Berufungsurteils. Deshalb ist eine nach Verkündung, aber vor Zustellung des Berufungsurteils ergangene Entscheidung nicht divergenzfähig.
2. Die Anfrage eines Senats des Bundesarbeitsgerichts nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ist hinsichtlich der beabsichtigten Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung keine divergenzfähige Entscheidung iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.
Normenkette
ArbGG § 45 Abs. 3 S. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72a Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 07.04.2017; Aktenzeichen 3 Sa 1129/16) |
ArbG Wiesbaden (Teilurteil vom 17.06.2016; Aktenzeichen 8 Ca 844/15) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. April 2017 – 3 Sa 1129/16 – wird als unzulässig verworfen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 12.406,44 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten – soweit für die Beschwerde von Belang – über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das Arbeitsgericht hat insoweit die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG.
1. Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Divergenzbeschwerde gehört, dass der Beschwerdeführer einen abstrakten Rechtssatz aus der anzufechtenden Entscheidung sowie einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte anführt und darlegt, dass das anzufechtende Urteil auf dieser Abweichung beruht (BAG 15. August 2012 – 7 AZN 956/12 – Rn. 2 mwN). Nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG müssen diese Voraussetzungen in der Begründung der Beschwerde dargelegt und die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, bezeichnet werden. Allein die Darlegung einer fehlerhaften Rechtsanwendung bzw. fehlerhaften oder unterlassenen Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der im Gesetz genannten Gerichte reicht zur Begründung einer Divergenzbeschwerde nicht aus (BAG 17. Januar 2012 – 5 AZN 1358/11 – Rn. 4 mwN).
2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Die Klägerin zeigt nicht auf, dass das Landesarbeitsgericht auf der in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Seite 38 des Berufungsurteils einen eigenen Rechtssatz zur Verbindlichkeit unbilliger Weisungen aufgestellt und sich nicht nur der von ihm zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Februar 2012 (– 5 AZR 249/11 – Rn. 24, BAGE 141, 34) angeschlossen und diese auf den Streitfall angewendet hat. Übernimmt das Landesarbeitsgericht lediglich Rechtssätze des Bundesarbeitsgerichts, ist seine Entscheidung nicht divergenzfähig (BAG 18. Januar 2001 – 2 AZN 1001/00 –). In einem solchen Falle ist durch die Nichtzulassung der Revision die Rechtseinheit nicht gefährdet. Soweit die Rechtsprechung der Senate des Bundearbeitsgerichts voneinander abzuweichen droht, ist für die Verhinderung solcher Divergenzen ein besonderes Verfahren in § 45 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG vorgesehen (BAG 28. April 1998 – 9 AZN 227/98 – zu II 2 a der Gründe, BAGE 88, 296).
b) Darüber hinaus ist die angezogene Entscheidung (BAG 14. Juni 2017 – 10 AZR 330/16 (A) –) nicht divergenzfähig.
aa) Abweichen iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG kann nur eine spätere Entscheidung von einer früheren (BAG 17. Januar 2012 – 5 AZN 1358/11 – Rn. 5; hM, vgl. nur GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 72 Rn. 24; ErfK/Koch 17. Aufl. § 72 ArbGG Rn. 9, jeweils mwN). Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf den Zeitpunkt der Zustellung, sondern den der Verkündung des Berufungsurteils an. Denn die Zulassung der Revision ist nach § 72 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG in den Urteilstenor aufzunehmen, so dass grundsätzlich spätestens bei der Verkündung des Urteils das Landesarbeitsgericht über das Vorliegen eines Zulassungsgrundes entschieden haben muss. Nur wenn eine Entscheidung über die Zulassung unterbleibt, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden, § 72 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 64 Abs. 3a Satz 2 ArbGG. Eine nachträgliche Zulassung der Revision wegen einer späteren Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kennt das Gesetz nicht.
bb) Außerdem ist die in Beschlussform gegossene Anfrage nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG keine endgültige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und enthält hinsichtlich der beabsichtigten Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung noch keine die Landesarbeitsgerichte iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG „bindenden” Rechtssätze (vgl. – für den Vorlagebeschluss an den Großen Senat – BAG 20. August 1986 – 8 AZN 244/86 – zu II 2 der Gründe, BAGE 52, 394; ErfK/Koch 17. Aufl. § 72 ArbGG Rn. 7; GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 72 Rn. 23; GK-ArbGG/Mikosch Stand September 2017 § 72 Rn. 33; GWBG/Benecke ArbGG 8. Aufl. § 72 Rn. 23). Denn der anfragende Senat kann von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Rechtssätze erst aufstellen, wenn der angefragte Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht festhält oder der Große Senat die Rechtsfrage im Sinne des anfragenden Senats beantwortet hat.
III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.
Unterschriften
Linck, Weber, Biebl
Fundstellen
Haufe-Index 11394926 |
BB 2018, 244 |