Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungerechtfertigte Bereicherung. Aufrechnung
Orientierungssatz
Im Arbeitsverhältnis ist eine Aufrechnung auch dann formlos möglich, wenn für die Geltendmachung der Gegenforderung zur Wahrung einer Ausschlussfrist ein Schriftformerfordernis besteht.
Normenkette
BGB §§ 387, 812, 818; SGB IV § 28g
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Arbeitsentgelt.
Die Beklagte ist eine Evangelische Stiftung privaten Rechts, die dem Diakonischen Werk angeschlossen ist. Die Klägerin ist bei der Beklagten als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag in der für die Angestellten der Evangelischen Kirche von Westfalen geltenden Fassung (BAT-KF) Anwendung. Die Klägerin ist bei der Kirchlichen Versorgungskasse Rheinland-Westfalen für eine betriebliche Altersversorgung zusatzversichert.
Die Kirchlichen Zusatzversorgungskassen lösten mit Wirkung vom 1. Januar 2002 das Prinzip der abschnittsgedeckten Umlagefinanzierung durch ein Kapitaldeckungssystem ab. Während die Umlagen zu dem früheren System steuer- und sozialversicherungspflichtig waren, gilt dies für die Beiträge zu dem kapitalgedeckten Betriebsrentensystem nicht. Die der Umstellung zugrunde liegenden Satzungsänderungen erfolgten für die einzelnen Kirchlichen Zusatzversorgungskassen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der zweiten Jahreshälfte 2002.
Die Kirchliche Zusatzversorgungskasse Darmstadt beauftragte im Sommer 2002 den Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht III der Universität M…, Professor Dr. S…, mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Rückerstattung von Sozialversicherungsbeiträgen, die auf die Umlagen zu den Kirchlichen Zusatzversorgungskassen für die Zeit nach dem rückwirkenden In-Kraft-Treten des kapitalgedeckten Betriebsrentensystems am 1. Januar 2002 bis zum jeweiligen In-Kraft-Treten der Satzungsänderungen gezahlt wurden. Das Gutachten vom 9. August 2002 kam zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich eine Erstattungsmöglichkeit bestehe. Für jeden der Leistungsbereiche sei allerdings zu prüfen, ob ein Ausschlusstatbestand wegen empfangener Leistungen bestehe. Der einzelne Arbeitgeber sei nur hinsichtlich des von ihm zu tragenden Beitragsteils anspruchsberechtigt. Der andere Beitragsteil stehe dem Arbeitnehmer zu.
Nachdem dieses Gutachten der Beklagten vorlag, erstattete sie ihren Mitarbeitern mit dem Novembergehalt 2002 die von ihr für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2002 abgeführten Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge, die auf die Umlage zur Kirchlichen Zusatzversorgungskasse zu entrichten waren. Deswegen erhielt die Klägerin im November 2002 einmalig 521,77 Euro brutto entsprechend 105,29 Euro netto ausbezahlt. Hierzu war in der Gehaltsabrechnung als “Bezug” angegeben: “Bruttounwirksam Vers-Anteil-ZVK”.
Nachdem die Sozialversicherungsträger eine Erstattung der Beiträge mit der Begründung abgelehnt hatten, in abgewickelte Versicherungsverhältnisse könne nicht mehr rückwirkend eingegriffen werden, und hiervon rund eine Million bei kirchlichen Arbeitgebern beschäftigte Arbeitnehmer betroffen waren, kam es am 15. Juli 2003 zu einer Besprechung zwischen Vertretern der Sozialversicherungsträger sowie der Evangelischen und der Katholischen Kirche und ihrer Verbände. Dabei einigten sich die Besprechungsteilnehmer darauf, dass nur die Beiträge erstattungsfähig seien, die nach dem 1. Juli 2002 abgeführt wurden. Das Besprechungsergebnis wurde von den zuständigen Gremien der Besprechungsteilnehmer im August 2003 genehmigt.
In der Abrechnung für den Monat November 2003 brachte die Beklagte vom Nettoarbeitsentgelt der Klägerin einen Betrag in Höhe von 63,72 Euro netto in Abzug. In der Abrechnung heißt es hierzu: “Bruttounwirksam RR-SVErstattu 21202 gilt bis 31.12.2002 … 313,09”.
Nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer am 9. Februar 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage von der Beklagten die Zahlung von 63,72 Euro netto verlangt. Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte sei zum Einbehalt dieses Betrags nicht berechtigt gewesen.
Die Klägerin hat, soweit in der Revision noch von Interesse, beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 63,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 25. Februar 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei durch die im November 2002 erfolgte Zahlung in Höhe eines Teilbetrags von 63,72 Euro netto ungerechtfertigt bereichert, weil für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2002 kein Anspruch auf Rückerstattung geleisteter Sozialversicherungsbeiträge bestehe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Nettoentgeltanspruch der Klägerin für November 2003 ist in Höhe von 63,72 Euro durch Aufrechnung erloschen.
I. Die Beklagte konnte von der Klägerin gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB Zahlung von 63,72 Euro netto verlangen.
1. Der Betrag von 63,72 Euro netto entspricht dem Anteil der mit der Novemberabrechnung 2002 von der Beklagten geleisteten Nettozahlung iHv. 105,29 Euro, der auf die Monate Januar bis Juni 2002 entfällt.
2. Die Klägerin hat durch die von der Beklagten im November 2002 geleistete Zahlung einen Betrag iHv. 63,72 Euro netto ohne rechtlichen Grund erlangt (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Beklagte hat in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2002 zur umlagefinanzierten Zusatzversorgung vom laufenden Arbeitsentgelt der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Die Sozialversicherungsträger haben eine Erstattung der geleisteten Beiträge für diesen Zeitraum abgelehnt. Die Klägerin hat bislang keinen Erstattungsanspruch gegen einen Träger der Sozialversicherung geltend gemacht. Damit bestand für die von der Beklagten in der Erwartung einer Beitragserstattung im November 2002 geleistete Zahlung in Höhe eines Teilbetrags von 63,72 Euro netto kein rechtlicher Grund. Die Klägerin hatte der Beklagten deshalb gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB diesen rechtsgrundlos erhaltenen Betrag herauszugeben.
3. Der Bereicherungsanspruch der Beklagten ist nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen.
a) Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung. Nicht ausreichend ist die Kenntnis der Tatsachen aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt. Der Leistende muss wissen, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Er hat aus den ihm bekannten Tatsachen eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung zu ziehen, wobei allerdings eine entsprechende “Parallelwertung in der Laiensphäre” genügt (Senat 9. Februar 2005 – 5 AZR 175/04 – AP BGB § 611 Lohnrückzahlung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1, zu III 2a der Gründe; BGH 7. Mai 1997 – IV ZR 35/96 – NJW 1997, 2381, 2382, zu II 4a der Gründe).
b) Vorliegend war der Beklagten zum Zeitpunkt der Leistung zwar bekannt, dass die Einzugsstelle über die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge noch keine Entscheidung getroffen hatte. Die Beklagte ging jedoch auf Grund des von Prof. Dr. S… erstatteten Rechtsgutachtens davon aus, die Einzugsstelle werde die Beiträge erstatten. Unter Berücksichtigung dessen hat sich die Beklagte nicht widersprüchlich verhalten, wenn sie trotz der fehlenden Entscheidung der Einzugsstelle der Klägerin bereits eine Zahlung in Höhe der erwarteten Beitragserstattung leistete. Die Beklagte hatte zum Zeitpunkt der Leistung keine positive Kenntnis davon, dass die Einzugsstelle die Beiträge für das erste Halbjahr 2002 nicht erstatten würde.
4. Ob neben dem Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB auch die Voraussetzungen einer unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 684 Satz 1 BGB vorliegen, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Im Falle einer unberechtigten Übernahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag hat der Geschäftsführer nach § 684 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Die Verweisung auf die §§ 812 ff. BGB hat den Zweck, den Umfang der Herausgabepflichten zu begrenzen, so dass nicht geprüft zu werden braucht, ob die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt sind (BGH 14. Juni 1976 – III ZR 81/74 – WM 1976, 1056, 1060, zu V der Gründe). Ob diese Rechtsfolgenverweisung auch § 814 BGB erfasst (so Soergel/Beuthien BGB 12. Aufl. § 684 Rn. 2), kann letztlich dahinstehen, denn der Bereicherungsanspruch ist vorliegend nach § 814 BGB nicht ausgeschlossen.
5. Die Klägerin hat nicht die Einwendung des Wegfalls der Bereicherung erhoben. Der Bereicherte hat die Voraussetzungen des § 818 Abs. 3 BGB darzulegen und zu beweisen, weil es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt (Senat 9. Februar 2005 – 5 AZR 175/04 – AP BGB § 611 Lohnrückzahlung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1, zu III 4a bb der Gründe).
6. Dem Bereicherungsanspruch der Beklagten steht § 28g SGB IV nicht entgegen.
a) Nach § 28g SGB IV hat der Arbeitgeber gegen den Beschäftigten einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (zur Rechtsnatur dieses Anspruchs: BSG 29. Juni 2000 – B 4 RA 57/98 R – BSGE 86, 262, 268, zu Teil B 1 der Gründe; von BAG GS 7. März 2001 – GS 1/00 – BAGE 97, 150, 159, zu III 3c der Gründe offen gelassen). Dieser Anspruch kann nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden. Ein unterbliebener Abzug darf nur bei den drei nächsten Lohn- und Gehaltszahlungen nachgeholt werden, danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Die Beschränkung des Erstattungsanspruchs des Arbeitgebers auf das Lohnabzugsverfahren und die Begrenzung der Nachholmöglichkeiten haben den Zweck, den Arbeitnehmer vor einer Aufhäufung der von ihm zu erstattenden Beitragsanteile und vor einer künftigen Erstattungsklage zu bewahren. Im laufenden Arbeitsverhältnis soll der Arbeitnehmer darauf vertrauen können, dass seine Entgeltansprüche für die Zukunft nicht mit Abzügen belastet werden, die weiter zurückliegende Abrechnungsperioden betreffen. Das Nachholverbot bezweckt allerdings nicht den Schutz des Arbeitnehmers vor verspäteter Lohnzahlung (Senat 15. Dezember 1993 – 5 AZR 326/93 – BAGE 75, 225, 230 f., zu II 3 der Gründe).
b) § 28g SGB IV ist vorliegend nicht anwendbar. Die Beklagte hat die Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt und den von der Klägerin zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags vom Arbeitsentgelt abgezogen. Hieran hat sich durch die Zahlung der Beklagten vom November 2002 nichts geändert, denn die Einzugsstelle hat der Beklagten keine zuvor abgeführten Beiträge erstattet.
7. Der Anspruch der Beklagten aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht nach § 70 BAT-KF verfallen. Nach dieser Bestimmung verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Der Zahlungsanspruch war erst fällig, als das Besprechungsergebnis vom 15. Juli 2003 durch die Gremien der Beteiligten im August 2003 genehmigt wurde. Ab diesem Zeitpunkt musste die Beklagte davon ausgehen, dass vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2002 die Beitragspflicht zu den geleisteten Beiträgen für die kirchliche Zusatzversorgungskasse fortbestand. Erst auf Grund dieses Besprechungsergebnisses war für die Beklagte erkennbar, dass ihre Erwartung einer Erstattung der Beiträge durch die Einzugsstelle enttäuscht wurde und sie der Klägerin einen Teil der Zahlung vom November 2002 rechtsgrundlos geleistet hatte. Dabei ist unerheblich, ob das Besprechungsergebnis der Schriftform des § 56 SGB X genügt. Entscheidend für die Fälligkeit des Bereicherungsanspruchs der Beklagten ist, dass die Sozialversicherungsträger erst in dieser Besprechung vom 15. Juli 2003 die Erstattung der vor dem 1. Juli 2002 auf die Beiträge zur Kirchlichen Zusatzversorgungskasse geleisteten Sozialversicherungsbeiträge endgültig ablehnten. Damit ist die in der Abrechnung für November 2003 erfolgte Aufrechnung der Beklagten unabhängig davon, ob die Klägerin die Abrechnung Ende November oder erst Anfang Dezember 2003 erhalten hat, innerhalb der Ausschlussfrist erfolgt.
II. Die Nettoentgeltforderung der Klägerin für November 2003 ist gem. § 389 BGB durch Aufrechnung in Höhe der Klageforderung erloschen.
1. Die Beklagte hat mit einer fälligen Nettoforderung gegen eine fällige Nettoforderung der Klägerin die Aufrechnung erklärt (§ 387 BGB). Die Erklärung der Aufrechnung (§ 388 BGB) ist hinreichend konkret in der Abrechnung für November 2003 erfolgt. Dem Hinweis in der Abrechnung konnte die Klägerin entnehmen, dass sich die Aufrechnung auf die 2002 erfolgte Zahlung bezieht.
2. Die Aufrechnung war formlos möglich. Das tarifliche Schriftformerfordernis für die Geltendmachung der Forderung steht dem nicht entgegen (Schaub/Koch ArbRHdb. 11. Aufl. § 87 Rn. 13; ErfK/Preis 6. Aufl. §§ 194-218 BGB Rn. 71; aA LAG Düsseldorf 6. Januar 1971 – 2 Sa 424/70 – DB 1971, 1015). Die Aufrechnung führt nach § 389 BGB unmittelbar zum Erlöschen der Forderungen. Die Aufrechnung dient nicht dem Zweck, dem Schuldner Klarheit über das Erfüllungsverlangen zu verschaffen, sondern ist Surrogat der Erfüllung.
III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, R. Rehwald, Dombrowsky
Fundstellen
Haufe-Index 1497565 |
DB 2006, 1165 |
NWB 2006, 1911 |
FA 2006, 336 |
NZA 2006, 1064 |
ZTR 2006, 319 |
ZTR 2006, 434 |
EzA-SD 2006, 6 |
ZMV 2006, 164 |
NJOZ 2006, 3373 |