Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung als Verstoß gegen Benachteiligungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber kann eine Maßnahme im Sinne von § 612a BGB sein, wenn ihr tragender Beweggrund eine zulässige Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer ist (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 26. Mai 1983 - 2 AZR 477/81 - BAGE 43, 13 = AP Nr 34 zu § 613 a BGB.
2. Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Gewährung von Vorruhestandsgeld gestellt hat, nur deshalb, um den Eintritt des Vorruhestandes zu verhindern, so liegt eine Maßregelung nach § 612a BGB vor. Auf andere Gründe, die eine Kündigung an sich gerechtfertigt hätten, kann der Arbeitgeber sich nicht berufen, wenn er diese Gründe nicht zum Anlaß einer Kündigung genommen hätte, sofern der Arbeitnehmer den Antrag auf Vorruhestand nicht gestellt hätte.
Normenkette
TVG § 1; VRG § 7; BGB § 612a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten und um Leistungen nach dem Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 (im folgenden VRTV 84).
Der am 21. Februar 1926 geborene Kläger, verheiratet, war innerhalb der letzten 15 Jahre 120 Monate in Baugewerbebetrieben, seit Mai 1975 bei der Beklagten als Maurer tätig. Sein Bruttolohn betrug zuletzt 3.000,-- DM monatlich. Der Inhaber der Beklagten beschäftigte bis Ende Februar 1985 mindestens zwei Arbeitnehmer. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Hamburg vom 17. April 1985 ist festgestellt: "Die Parteien erklären übereinstimmend, daß die Beklagte regelmäßig weniger als 5 Arbeitnehmer beschäftigt." Seit August oder September 1984 war neben dem Kläger noch ein Maurer B bei der Beklagten tätig, der ungefähr 51 Jahre alt ist.
Der Kläger stellte im Januar 1985 einen Antrag auf Gewährung von Vorruhestandsgeld nach dem VRTV 84, der zwischen den Parteien Anwendung findet. Die hier maßgebenden Tarifvorschriften lauten wie folgt:
§ 2
Anspruchsvoraussetzungen
(1) Anspruch auf Vorruhestandsgeld entsteht unter
den Voraussetzungen des Abs. 2
im Jahr 1985 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr
1928 geboren sind,
im Jahr 1986 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr
1929 geboren sind,
im Jahr 1987 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr 1930
geboren sind,
im Jahr 1988 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr 1931
geboren sind,
ab dem 1. Januar 1989 für Arbeitnehmer, die vor diesem
Zeitpunkt das 58. Lebensjahr vollendet haben.
(2) Voraussetzung für den Anspruch auf Vorruhestandsgeld
ist, daß der Arbeitnehmer
a) das 58. Lebensjahr vollendet hat,
b) innerhalb der letzten 15 Jahre vor Beginn des Vorruhestandes
eine Wartezeit von 120 Monaten zurückgelegt
hat; als Wartezeit gelten alle Zeiten der Tätigkeit
und eines Lehr-(Ausbildungs-) oder Anlernverhältnisses
in Betrieben des Baugewerbes, ferner Zeiten der
nachgewiesenen Krankheit oder Arbeitslosigkeit oder
einer baufachbezogenen Berufsförderung nach dem
Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zur Vermeidung von
Arbeitslosigkeit
bis zu insgesamt 30 Monaten und Tätigkeitszeiten
gemäß § 5 Abs.7 TVAA,
c) ...
d) dem Betrieb (Unternehmen) unmittelbar vor Beginn des
Vorruhestandes ununterbrochen mindestens zwölf Monate
angehört hat; die Betriebszugehörigkeit gilt als ununterbrochen,
wenn die Unterbrechung nicht vom Arbeitnehmer
veranlaßt wurde und nicht länger als sechs Monate
gedauert hat; Unterbrechungszeiten bleiben unberücksichtigt.
§ 4
Beginn des Vorruhestandes und Einspruchsrecht
(1) Der Vorruhestand kann nur am Ersten eines Kalendermonats
beginnen, frühestens am Ersten des auf die
Vollendung des 58. Lebensjahres folgenden Monats.
(2) Die Zahlung von Vorruhestandsgeld ist unter Angabe des
gewünschten Beginns des Vorruhestandes schriftlich beim
Arbeitgeber zu beantragen. Der Vorruhestand beginnt
frühestens drei Monate nach Zugang des Antrags.
(3) Der Arbeitgeber ist berechtigt, den Beginn des Vorruhestandes
durch schriftlichen Einspruch gegenüber dem
Arbeitnehmer hinauszuschieben, längstens um sechs
Monate, gerechnet vom Zeitpunkt des beantragten Beginns
des Vorruhestandes an. Sind die Voraussetzungen des
§ 2 Abs. 2 zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt, so
beginnt die aufschiebende Wirkung des Einspruchs, sofern
der Arbeitnehmer seinen Antrag aufrechterhält, zu
dem Zeitpunkt, in welchem die Voraussetzungen des § 2
Abs. 2 erfüllt sind. Der Einspruch bedarf keiner Begründung.
Das Recht zum Einspruch erlischt, wenn dieser
dem Arbeitnehmer nicht spätestens einen Monat vor dem
gemäß Abs. 2 beantragten Beginn des Vorruhestandes zugegangen
ist.
(4) Während der Zeit, um die der Beginn des Vorruhestandes
durch den Einspruch des Arbeitgebers hinausgeschoben
wird, kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber
nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.
§ 8
Erlöschen und Ruhen des Anspruchs
(1) Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt mit Ablauf
des Kalendermonats vor dem Monat, von dem an der
ausgeschiedene Arbeitnehmer Altersruhegeld vor Vollendung
des 65.Lebensjahres oder eine andere der in § 2
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Abs. 2 VRG genannten Leistungen
beanspruchen kann, spätestens mit Ablauf des
Kalendermonats, in dem der ausgeschiedene Arbeitnehmer
das 65.Lebensjahr vollendet. Stirbt der ausgeschiedene
Arbeitnehmer, so erlischt der Anspruch mit Ablauf
des Sterbemonats.
....
§ 10
Ausgleichsregelung
(1) Die als Gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien
bestehende Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes
VVaG, Wiesbaden, erstattet dem Arbeitgeber auf
Antrag und Nachweis monatlich die von ihm erbrachten
Vorruhestandsleistungen (§§ 5, 7).
.....
Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß dem Kläger im Falle der Anwendung des VRTV 84 ein monatliches Vorruhestandsgeld von 2.705,85 DM brutto zusteht abzüglich von wöchentlich 342,-- DM netto.
Die Beklagte hat bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes Schulden in Höhe von mehreren tausend Deutsche Mark.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe dem Inhaber der Beklagten in seiner - des Klägers - Wohnung den Antrag auf Vorruhestandsgeld am 16. Januar 1985, zwei Tage vor der Kündigung, überreicht. Die Kündigung der Beklagten sei nach § 4 Abs. 4 VRTV 84 und nach § 7 des Gesetzes zur Förderung von Vorruhestandsleistungen vom 13. April 1984 (VRG) unwirksam. Die Beklagte habe seinerzeit regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, seine gegenteilige Erklärung zu Protokoll am 17. April 1985 sei irrtümlich erfolgt. Der Inhaber der Beklagten habe ihm Anfang Januar 1985 gesagt, man werde über den Winter kommen, im Anschluß an die Winterzeit sei genügend Fugenarbeit vorhanden.
Darüber hinaus verstoße die Kündigung gegen das Maßregelungsverbot und sei treu- und sittenwidrig. Die Beklagte habe sie nur ausgesprochen, um den Eintritt in den Vorruhestand zu verhindern. Da die Beklagte hohe Schulden bei der Zusatzversorgungskasse habe, habe sie befürchtet, die Zusatzversorgungskasse werde die an ihn zu zahlenden Vorruhestandsbezüge nicht erstatten, sondern mit Forderungen gegen die Beklagte verrechnen.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom
18. Januar 1985 zum 28. Februar 1985 nicht beendet
worden sei, sondern durch Eintritt in den Vorruhestand
mit Wirkung vom 1. Mai 1985 als beendet gelte,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.705,85 DM
brutto monatlich vom 1. Mai 1985 an abzüglich
wöchentlich 342,-- DM netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei durch gesetzliche oder tarifliche Bestimmungen nicht ausgeschlossen, der Kläger falle nicht in den Bereich des Kündigungsschutzgesetzes, sie sei ein Kleinbetrieb mit regelmäßig weniger als fünf Arbeitnehmern. Der Kläger habe dies auch zu Protokoll zugestanden und könne diese Erklärung nicht widerrufen.
Einen Antrag des Klägers auf Zahlung von Vorruhestandsgeld habe sie nicht erhalten. Die Kündigung sei wegen Auftragsmangels erfolgt, weil am 15. Januar 1985 ein Auftrag vom Dezember 1984 in Höhe von 150.000,-- DM zurückgezogen worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und der Streitverkündete Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat beide Berufungen zurückgewiesen. Die Beklagte erstrebt mit der Revision die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung sei weder wegen Verstoßes gegen § 7 VRG noch wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 VRTV 84 unwirksam. Sofern gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG der erste Abschnitt des KSchG auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien keine Anwendung finden sollte, sei die Kündigung entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte ihre Fürsorgepflicht verletzt habe. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung des KSchG vorliegen, könne dahinstehen. Die Kündigung sei jedenfalls gemäß § 242 BGB unwirksam, denn sie sei zur Unzeit erfolgt. Nach der Aussage der Zeugin M stehe fest, daß die Beklagte nur gekündigt habe, um den Eintritt des Klägers in den Vorruhestand zu verhindern. Der Kläger habe an einem Mittwoch im Januar 1985 dem Inhaber der Beklagten eine Durchschrift des Antrages auf Zahlung von Vorruhestandsgeld übergeben. Am nächsten Tag habe der Inhaber der Beklagten den Antrag abgelehnt und gegenüber der Ehefrau des Klägers erklärt, daß er das nicht unterschreiben werde, die Innung habe ihm gesagt, er sei schön blöd, 2.500,-- DM für einen Mann zu zahlen, von dem er nichts hätte, er solle ihren Mann rausschmeißen. Selbst wenn dies noch nicht überzeugungskräftig wäre, so spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß die Kündigung nur erfolgt sei, weil der Kläger einen Antrag auf Zahlung von Vorruhestandsgeld gestellt habe. Dies zeige der zeitliche Zusammenhang. Soweit der Beklagte behauptet habe, aus Arbeitsmangel gekündigt zu haben, weil er am 15. Januar 1985 einen Auftrag von 150.000,-- DM verloren habe, spreche gegen die Richtigkeit dieses Vortrages, daß der Kläger bereits seit der 2. Hälfte Dezember 1984 Schlechtwettergeld bezogen und dies bis 28. Februar 1985 erhalten hätte, wenn ihm nicht vorher sein Resturlaub gewährt worden wäre und weiterhin, daß die Beklagte mit einer besseren Auftragslage nach den Wintermonaten habe rechnen können. So sei ihr auch im März 1985 ein neuer Auftrag über Rohbauarbeiten im Wert von 140.000,-- DM erteilt worden. Der Inhaber der Beklagten habe auch bei den Gesprächen mit dem Kläger nicht auf den Auftragswegfall hingewiesen, ebenso habe der Zeuge B keine Angaben machen können, wann genau er vom Vertrag zurückgetreten sei.
Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, sie müsse trotz Bestehens einer tariflichen Ausgleichskasse Eigenleistungen erbringen, weil ihr Vorruhestandsleistungen an den Kläger wegen einer zu erwartenden Aufrechnung durch die Zusatzkasse nicht erstattet würden. Es liefe auf eine Tarifumgehung hinaus, wenn die Beklagte sich durch Kündigung tariflichen Pflichten entziehen könne. Die Kündigung sei auch aus den dargelegten Gründen wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB unwirksam. Die Beklagte habe mit der Kündigung auf die zulässige Geltendmachung von Rechten reagiert.
II. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis zutreffend. Die Kündigung der Beklagten ist nach § 134 in Verbindung mit § 612 a BGB unwirksam, weil sie die Reaktion der Beklagten darauf gewesen ist, daß der Kläger in zulässiger Weise von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, einen Antrag auf Gewährung von Vorruhestandsgeld zu stellen. Es ist deswegen unerheblich, ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien das KSchG anzuwenden ist und in diesem Falle die Kündigung zumindest auch wegen fehlerhafter sozialer Auswahl nach § 1 KSchG sozialwidrig wäre.
1. Nach § 612 a BGB (Maßregelungsverbot) darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht deswegen benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.
a) Unabhängig davon, ob das KSchG anwendbar ist oder nicht, kann die Wirksamkeit einer Kündigung unter Anwendung derjenigen allgemeinen Rechtsvorschriften überprüft werden, deren Regelungsgehalt nicht in Vorschriften des KSchG erfaßt und abschließend geregelt ist. Vor dem Inkrafttreten des § 612 a BGB haben Schrifttum und Rechtsprechung Fälle der vorliegenden Art unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen (§ 138 BGB) oder der treuewidrigen (§ 242 BGB) Kündigung geprüft, wobei die Sitten- oder Treuewidrigkeit nicht auf Umstände gestützt werden konnte, die in den Schutzbereich des KSchG fallen (vgl. KR-Friedrich, 2. Aufl., § 13 KSchG Rz 118, 232, 233 m.w.N.).
b) Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit kann nur in besonders krassen Fällen erhoben werden. § 138 BGB verlangt die Einhaltung des "ethischen Minimums". Sittenwidrig ist eine Kündigung deswegen nur dann, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht, wie insbesondere Rachsucht oder Vergeltung, oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (BAG Urteil vom 19. Juli 1973 - 2 AZR 464/72 - AP Nr. 32 zu § 138 BGB; BAGE 24, 292 = AP Nr. 1 zu § 13 KSchG 1969; BAGE 24, 438 = AP Nr. 2 zu § 134 BGB; KR-Friedrich, aa0, § 13 KSchG Rz 123, 124 m. w.N.; vgl. im übrigen - auch zur treuewidrigen Kündigung -: Galperin, BB 1966, 1458; Knigge, BB 1980, 1272; Röhsler, DB 1969, 1147).
c) Demgegenüber betrifft die treuewidrige Kündigung im Rahmen einer Interessenabwägung auch weitergehende Umstände. Eine Kündigung kann gegen § 242 BGB verstoßen, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfaßt sind, Treu und Glauben verletzt (BAGE 44, 201 = AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972). Dazu gehören insbesondere Tatbestände, bei denen zwar kein verwerfliches Motiv des Handelnden vorzuliegen braucht, aber das formale Ergebnis der Rechtsanwendung Treu und Glauben widerspricht.
d) In der seit dem 21. August 1980 geltenden Vorschrift des § 612 a BGB wird ein Sonderfall der Sittenwidrigkeit, die Kündigung als Maßregelung erfaßt (vgl. KR-Friedrich, aaO, § 13 KSchG Rz 141 a).
aa) Die Vorschrift des § 612 a BGB enthält keine konkreten Abwägungskriterien. Liegen ihre Voraussetzungen vor, dann ist bereits eine rechtsgeschäftliche Maßnahme des Arbeitgebers als gesetzwidrige Reaktion auf eine zulässige Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer nach § 134 BGB nichtig (KR-Friedrich, aaO; Palandt/Putzo, BGB, 45. Aufl., Erl. zu § 612 a; Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz 1985, Rz 187; Schleicher, AR-Blattei, Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis II, D VIII). Zu den wegen einer gesetzwidrigen Maßregelung nichtigen Maßnahmen kann auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber gehören (KR-Friedrich, aaO; MünchKomm-Schaub, BGB, 2. Aufl., Ergänzungsband, § 612 a Rz 8; Schleicher, aaO; LAG Hamm Urteil vom 15. Januar 1985 - 7 (5 ) Sa 1430/84 - LAGE § 20 BetrVG 1972 Nr. 5).
TEXTbb) Wie sich aus der Fassung der Tatbestandsmerkmale in Verbindung mit der gesetzlichen Überschrift von § 612 a BGB ergibt, erfordert die Benachteiligung bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht notwendig einen konkreten Bezug zu anderen Arbeitnehmern. Eine Benachteiligung i.S. des § 612 a BGB ist vielmehr auch dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber einer zulässigen Rechtsausübung eines Arbeitnehmers mit einer Vereinbarung oder einer Maßnahme begegnet, die der Arbeitgeber gegenüber dem Betroffenen oder gegenüber einem anderen, in seiner Rechtsstellung und Funktion vergleichbarem Arbeitnehmer, der die ihm zustehenden Rechte nicht ausgeübt hat, nicht vorgenommen hätte. Ob eine Maßregelung wegen einer zulässigen Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten vorliegt, richtet sich bei einer Kündigung nach den gleichen Grundsätzen, die der Senat für das Verbot der Kündigung wegen des Betriebsüberganges nach § 613 a Abs. 4 BGB aufgestellt hat (vgl. dazu BAGE 43, 13, 21 = AP Nr. 34 zu § 613 a BGB; Urteil vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 530/82 - AP Nr. 40 zu § 613 a BGB). Eine Kündigung wegen einer zulässigen Rechtsausübung liegt demgemäß dann vor, wenn die Rechtsausübung für die Kündigung nicht nur in irgendeiner Weise auch ursächlich und nicht nur deren äußerer Anlaß, sondern für die Kündigung der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv gewesen ist. Wenn der Kündigungsentschluß des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen ist, dann deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlaß zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluß nicht kausal ausgewirkt hat und deswegen als bestimmendes Motiv für die Kündigung ausscheidet (BAG Urteil vom 31. Januar 1985, aaO). Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende Kündigung kann daher auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte. Während das KSchG auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung und nicht auf den Beweggrund der Kündigung durch den Arbeitgeber abstellt und deswegen das Nachschieben materieller Kündigungsgründe - unbeschadet betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften - insoweit zulässig ist, schneidet § 612 a BGB - ebenso wie § 613 a Abs. 4 BGB - die Kausalkette für andere Gründe ab, die den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers nicht bestimmt haben. Daraus folgt, daß er andere Umstände, die er ohne die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers nicht zum Anlaß für eine Kündigung genommen hätte, nicht zur Begründung der Kündigung anführen kann. Kausal für die Kündigung ist dann vielmehr allein der ausschließliche Beweggrund der unzulässigen Benachteiligung gewesen. Nur dann, wenn das Motiv des Arbeitgebers nicht ausschließlich durch einen vom Gesetz ausgeschlossenen Kündigungsgrund bestimmt worden ist, stellt sich die vom Senat im Urteil vom 31. Januar 1985 (aaO) noch nicht abschließend beantwortete und auch vorliegend nicht entscheidungserhebliche Frage, ob das Benachteiligungsverbot auch dann eingreift, wenn bei mehreren Kündigungsgründen die Maßregelung (bzw. bei § 613 a Abs. 4 BGB die Kündigung wegen des Betriebsübergangs) für den Arbeitgeber zwar nicht das alleinige, aber das wesentliche Motiv gewesen ist.
cc) Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, trifft den Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß er wegen seiner Rechtsausübung von der Beklagten durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist (MünchKomm-Schaub, aaO, Rz 11; Soergel/Kraft, BGB, 11. Aufl., Nachtrag, § 612 a Rz 6). Die Beweiserleichterung des § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB kann auf § 612 a BGB nicht übertragen werden (MünchKomm-Schaub, aaO; Soergel/Kraft, aaO; Pfarr/Bertelsmann, aaO, Rz 188; Pfarr, BlStSozArb 1980, 23). Es ist allerdings zu erwägen, ob insoweit zugunsten des Arbeitnehmers der Beweis des ersten Anscheins eingreifen kann. Das wird zwar im Schrifttum überwiegend angenommen (vgl. Knigge, BB 1980, 1272, 1276; MünchKomm-Schaub, aaO; Schleicher, aaO), aber es ist im einzelnen noch ungeklärt, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen diese Beweiserleichterung dem Arbeitnehmer zugute kommen kann (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 15. Januar 1985, aaO). Diese Frage braucht vorliegend wegen der vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend geklärt zu werden (vgl. unten zu 3 a der Gründe).
2. Beide Vorinstanzen sind im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die Kündigung weder gegen Kündigungsverbote nach dem VRG und dem VRTV 84 verstößt noch diese Vorschriften die Anwendung von § 612 a BGB ausschließen.
a) Nach § 4 Abs. 4 VRTV 84 ist die ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nur während der Zeit, um die der Beginn des Vorruhestandes durch seinen Einspruch nach § 4 Abs. 3 VRTV 84 hinausgeschoben wird, ausgeschlossen. Ansonsten sind ordentliche Kündigungen möglich, wie sich aus § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 VRG ergibt (vgl. Grüner/Dalichau, VRG, Stand 1. April 1987, § 7 Erl. II). Eine gesetzliche Regelung, wie bei der sozialen Auswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung zu verfahren ist, hätte sich erübrigt, wenn bereits bei Vorliegen von Tatsachen, die zum Eintritt in den Vorruhestand berechtigen, eine betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen wäre. Allerdings ist nach § 7 Abs. 1 Halbsatz 1 VRG die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer nach Vollendung des 58. Lebensjahres gegenüber seinem Arbeitgeber berechtigt ist, Vorruhestandsgeld zu beanspruchen, nicht als ein die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber bedingender Grund i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG anzusehen (vgl. Pröbsting, VRG, S. 54; Grüner/Dalichau, aaO, § 7 Erl. I; KR-Becker, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 227 zu Art. 6 § 5 RRG 1972). § 7 VRG enthält jedoch keinen generellen eigenständigen Sozialwidrigkeitstatbestand. Der Bezug auf § 1 Abs. 2 KSchG umfaßt die dort genannten Voraussetzungen, d.h. Alter und Anspruchsvoraussetzungen sind unter einen der Gründe des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu subsumieren. Ebenso ist kein Raum für eine restriktive Auslegung in dem Sinn, daß § 7 VRG den § 1 Abs. 2 KSchG nur insoweit erfasse, als von der Anspruchsberechtigung noch kein Gebrauch durch Antragstellung gemacht worden ist. Wenn schon im Zeitpunkt der Anspruchsberechtigung die Sozialwidrigkeit i.S. des KSchG begründet werden kann, dann auch in dem nach Ausübung der Anspruchsberechtigung.
b) Eine Anspruchsberechtigung des Klägers ist vorliegend gegeben. Das VRG selbst räumt dem Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Vorruhestandsgeld ein, es steckt im Zusammenhang mit frei zu vereinbarenden tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen nur einen Mindestrahmen für die soziale Absicherung ab. Die Regelung in § 2 VRTV 84 gibt dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluß eines Aufhebungsvertrages (§ 3 VRTV 84), den der Arbeitgeber nach § 4 Abs. 3 VRTV 84 lediglich längstens um sechs Monate hinausschieben kann (vgl. Pröbsting, aaO, S. 1, 2; Grüner/Dalichau, aaO, Einführung S. 5, 13, 33). Die Auffassung der Revision, der Kläger habe keinen Rechtsanspruch, ist somit unzutreffend. Der Anspruch setzt allerdings - wie auch sonst - das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen voraus, wozu nach § 2 Abs. 2 d VRTV 84 eine Betriebszugehörigkeit unmittelbar vor Beginn des Vorruhestandes gehört. Fraglich kann nur sein, ob bei Vorliegen der zeitlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Erhalt der Betriebszugehörigkeit besteht. Das ist nur hinsichtlich der personenbedingten Kündigung in § 7 VRG teilweise angesprochen.
Es ist demgemäß auch in diesem Zusammenhang unerheblich, ob das KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar ist.
3. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist die Revision aufgrund des vom Landesarbeitsgericht festgestellten und für den Senat bindenden Sachverhalts unbegründet.
a) Die Revision hat gegen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe dem Kläger nur gekündigt, um seinen Eintritt in den Vorruhestand zu verhindern, keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben.
aa) Der Vorwurf der Revision, das Landesarbeitsgericht sei nicht auf die Aussage des Zeugen B eingegangen, ist schon deswegen unbegründet, weil es wegen der von der Zeugin M bekundeten Begründung der beabsichtigten Kündigung durch den Inhaber der Beklagten, aus der das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler den allein tragenden Beweggrund hergeleitet hat, unerheblich ist, ob die Beklagte wegen der Stornierung eines Auftrages durch den Zeugen B an sich auch wegen Arbeitsmangels hätte kündigen können. Dieses Motiv ist für den Kündigungsentschluß der Beklagten nach der nicht nur möglichen, sondern naheliegenden und deswegen bindenden Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht jedenfalls nicht kausal geworden. Das hat das Landesarbeitsgericht u.a. rechtsfehlerfrei daraus hergeleitet, daß der Inhaber der Beklagten in dem von der Zeugin M bekundeten Gespräch nicht auf die Auftragslage als Grund für die beabsichtigte Kündigung hingewiesen hat. Im übrigen hat selbst die Beklagte nicht behauptet, sich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vor oder nach der Kündigung auf diesen Beweggrund für die Kündigung berufen zu haben. Die schlechte Auftragslage hat die Beklagte vielmehr erst nach Klagerhebung in der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 17. April 1985 geltend gemacht.
Das Landesarbeitsgericht hat zudem in Rahmen seiner insoweit fehlerfreien Hilfserwägung dargelegt, weshalb die Aussagen der Zeugin M mit denen des Zeugen B zu vereinbaren sind. So hat es darauf verwiesen, der Kläger habe bereits seit der zweiten Hälfte Dezember 1984 Schlechtwettergeld bezogen und dieses auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 28. Februar 1985 erhalten, wenn ihm nicht vorher sein Resturlaub gewährt worden wäre. Die Beklagte habe zudem mit einer besseren Auftragslage nach den Wintermonaten rechnen können. Der Zeuge B habe auch keine Angaben darüber machen können, wann genau er nach dem 6. Januar 1985 einvernehmlich vom Vertrag mit der Beklagten zurückgetreten sei.
bb) Auch die weiteren von der Revision gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts erhobenen Verfahrensrügen, insbesondere gegen die Wertung der Aussage der Zeugin M , greifen nicht durch. Das hat der Senat eingehend geprüft, sieht allerdings insoweit gemäß § 565 a ZPO von einer näheren Begründung ab.
b) Wie die rechtliche Würdigung des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts ergibt, ist die vom Kläger angegriffene Kündigung nach § 134 in Verbindung mit § 612 a BGB nichtig und seine Zahlungsklage begründet.
aa) Die Beklagte hat die Kündigung "nur", d.h. ausschließlich deswegen erklärt, weil der Kläger Vorruhestandsgeld beantragt hat. Es geht damit um eine nach ihrem tragenden Beweggrund unzulässige Maßregelungskündigung. Da dieser Tatbestand neuerdings in § 612 a BGB konkretisiert wird, geht diese Vorschrift als lex specialis insoweit der allgemeineren Regelung der sittenwidrigen Kündigung in § 138 BGB vor. Es besteht deswegen kein Anlaß, mit dem Berufungsgericht zusätzlich noch zu prüfen, ob die Kündigung unter dem Gesichtspunkt der "Kündigung zur Unzeit" auch schon nach früherem Recht als sittenwidrig i.S. des § 138 BGB zu beurteilen gewesen wäre.
Die Beklagte kann ihr Verhalten auch nicht durch besondere Umstände rechtfertigen. Ihre den Tatbestand der Sondernorm des § 612 a BGB ausfüllende Maßregelungskündigung war rechtswidrig. Die Verschuldung der Beklagten gegenüber der Zusatzversorgungskasse, die vorliegend dazu führen kann, daß die Zusatzversorgungskasse der Beklagten deren Leistungen wegen Verrechnung mit Beitragsrückständen nicht ersetzt, ist kein zulässiger rechtfertigender Grund für ihr Bestreben, durch die Kündigung den Eintritt des Klägers in den Vorruhestand zu verhindern. Ihr Verzug mit Beitragsleistungen gegenüber der Zusatzversorgungskasse kann sich insoweit für sie nicht als rechtlicher Vorteil auswirken.
bb) Die Beklagte ist demgemäß auch zu Recht verurteilt worden, dem Kläger Vorruhestandsgeld in der zugesprochenen Höhe zu leisten, wobei der Anspruch des Klägers nach § 8 VRTV 84 spätestens mit Ablauf des Kalendermonats erlischt, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr vollendet, im Falle seines Todes mit Ablauf des Sterbemonats. Nach dem Vortrag der Parteien ist nicht davon auszugehen, daß der Kläger bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht berechtigt war, wegen Arbeitslosigkeit vorgezogenes Altersruhegeld zu beanspruchen, und deswegen bereits ein Erlöschenstatbestand nach § 8 Abs. 1 VRTV 84 vorgelegen hat. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht 63 Jahre alt, so daß § 1248 RVO ebenfalls nicht anwendbar ist. Treten künftig Erlöschenstatbestände ein, dann kann die Beklagte im Wege der Vollstreckungsabwehrklage vorgehen, wenn der Kläger im Widerspruch zur materiellen Rechtslage aus dem Urteil vollstrecken sollte.
III. Die Revision war demgemäß mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Hillebrecht Dr. Weller Ascheid
Schulze Dr. Roeckl
Fundstellen
BAGE 55, 190-202 (LT1-2) |
BAGE, 190 |
DB 1987, 2525-2526 (LT1-2) |
AiB 1988, 93-94 (LT1-2) |
NZA 1988, 18-19 (LT1-2) |
RdA 1987, 382 |
RzK, I 8l Nr 7 (LT1-2) |
AP § 612a BGB (LT1-2), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 1020 Nr 287 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 1750 Nr 2 (LT1-2) |
AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 287 (LT1-2) |
AR-Blattei, Vorruhestand Entsch 2 (LT1-2) |
EzA § 612a BGB, Nr 1 (LT1-2) |