Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe
Leitsatz (redaktionell)
Überreicht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Kündigungsschreiben in einem verschlossenen Briefumschlag, gibt dieser den ungeöffneten Brief jedoch wieder zurück, weil der Arbeitgeber keine Angaben über den Inhalt des Schreibens machen will, ist die Kündigungserklärung als Erklärung unter Anwesenden zugegangen. Das gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber den Brief ausdrücklich zurückverlangt.
Normenkette
BGB §§ 130, 623; ZPO § 114
Tenor
Der Antrag des Antragstellers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin G für das Revisionsverfahren zu gewähren, wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Der Antragsteller begehrt für die Durchführung seiner Revision die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die beklagte Stadt und Antragsgegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) betreibt u.a. einen Betrieb für Beschäftigungsförderung. Der Kläger und Antragsteller (im Folgenden: Antragsteller) war seit dem 1. September 2001 im Rahmen einer Maßnahme nach dem Bundesozialhilfegesetz befristet bis zum 31. August 2002 bei der Antragsgegnerin beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien war ua. eine Probezeit von drei Monaten und eine Kündigungsfrist außerhalb der Probezeit von vier Wochen zum Monatsende geregelt.
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2001 wollte die Antragsgegnerin das Arbeitsverhältnis des Antragstellers zum 31. Oktober 2001 kündigen. Eine Zustellung des Kündigungsschreibens durch einen Kurier scheiterte am Nachmittag des 17. Oktober 2001. Der Personalchef der Antragsgegnerin suchte deshalb am 17. Oktober 2001 den Kläger gegen 19.00 Uhr in seiner Wohnung auf und übergab ihm vor dessen Tür einen verschlossenen Briefumschlag, aus dem als Absender im Adressenfeld die Antragsgegnerin erkennbar war. Der Antragsteller lehnte die Unterzeichnung einer Empfangsbescheinigung ab, weil der Personalchef sich weigerte, zum Inhalt des Schreibens Angaben zu machen. Der Antragsteller gab das Schreiben an den Personalchef zurück, der es wieder mitnahm. Nachdem die Antragsgegnerin den Antragsteller bei der Krankenkasse abgemeldet und dies dem Sozialamt mit Schreiben vom 1. November 2001 mitgeteilt hatte, hat sich der Antragsteller gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit seiner beim Arbeitsgericht am 16. November 2001 eingegangenen Klage gewandt. Er hat die Ansicht vertreten, das Arbeitsverhältnis könne nicht wirksam beendet worden sein, da er noch keine Kündigung erhalten habe. Er habe die Annahme des Schreibens am 17. Oktober 2001 nicht verweigert. Er habe es nur abgelehnt, ohne Angaben über den Inhalt des Briefes den Empfang des Schreibens zu bestätigen. Daraufhin habe der Personalchef, den er persönlich nicht kenne, den verschlossenen Briefumschlag wieder herausverlangt. Er habe deshalb keine Möglichkeit gehabt, von dem Inhalt des Briefes Kenntnis zu nehmen. Der Antragsteller hat beantragt festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis – auch über den 31. Oktober 2001 hinaus – unverändert fortbesteht.
Die Antragsgegnerin hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, der Antragsteller habe die Annahme des Briefes verweigert, ihn von sich aus dem Personalchef mit dem Bemerken zurückgegeben, er werde ihn nicht annehmen und damit letztlich den Zugang des Kündigungsschreibens unberechtigt vereitelt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Antragstellers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision, für deren Durchführung er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, verfolgt der Antragsteller sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag des Antragstellers, ihm Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Revision zu bewilligen, war zurückzuweisen. Die Revision des Antragstellers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolgt (§ 114 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat in der Sache zu Recht die Klage abgewiesen. Dem Antragsteller ist nämlich das Kündigungsschreiben vom 17. Oktober 2001 gegen 19.30 Uhr zugegangen.
1. Nach § 623 BGB bedarf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Wird die schriftliche Kündigungserklärung dem Erklärungsempfänger übergeben, so liegt nach ganz herrschender Meinung eine Erklärung unter Anwesenden vor (vgl. beispielsweise KR-Friedrich 6. Aufl. § 4 KSchG Rn. 101; Becker/Schaffner BB 1998, 422, 422).
Unter Anwesenden geht eine verkörperte Kündigungserklärung dem Erklärungsempfänger zu, wenn das Kündigungsschreiben übergeben, d.h. in seinen Herrschaftsbereich gelangt ist (MünchKommBGB/Einsele 4. Aufl. § 130 Rn. 27; Erman/Palm BGB 10. Aufl. § 130 Rn. 17; Soergel/Hefermehl BGB 13. Aufl. § 130 Rn. 20; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts 8. Aufl. § 26 Rn. 28; Hübner Allgemeiner Teil des BGB 2. Aufl. Rn. 734; Schreiber Jura 2002, 249, 251; KR-Friedrich 6. Aufl. § 4 KSchG Rn. 101; BGH 15. Juni 1998 – II ZR 40/97 – NJW 1998, 3344). Der Zugang ist erfolgt, wenn der Erklärungsempfänger die tatsächliche Verfügungsgewalt über das die Erklärung enthaltene Schriftstück erlangt hat (so schon RG 27. Oktober 1905 – VII 7/05 – RGZ 61, 414, 415). Dabei kommt es, was das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, nur auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme und nicht darauf an, ob der Erklärungsempfänger vom Inhalt der Erklärung tatsächlich Kenntnis genommen, dh. sie gelesen hat (BAG 16. Februar 1983 – 7 AZR 134/81 – AP BGB § 123 Nr. 22; BGH 21. Februar 1996 – IV ZR 297/94 – NJW-RR 1996, 641, 642; MünchKommBGB/Einsele 4. Aufl.; Erman/Palm § 130 Rn. 17; Soergel/Hefermehl § 126 Rn. 21). Deshalb wird regelmäßig der Zugang der Kündigungserklärung zu bejahen sein, wenn dem Erklärungsempfänger das Kündigungsschreiben übergeben und ausgehändigt worden ist (Schreiber Jura 2002, 249, 251; MünchKommBGB/Einsele § 130 Rn 27; Schaub/Linck Arbeitsrechts-Handbuch 10. Aufl. § 123 Rn. 16; ErfK/Müller-Glöge 4. Aufl. § 620 BGB Rn. 54; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 210). Der Kündigungsempfänger kann den Zugang nicht dadurch verzögern und gar verhindern, dass er den Brief nicht öffnet und nicht liest (KR-Friedrich § 4 KSchG Rn. 101; Schaub/Linck § 123 Rn. 16; ErfK/Müller-Glöge aaO; Stahlhacke/Preis/Vossen aaO; BAG 16. Februar 1983 aaO; BGH 21. Februar 1996 aaO).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der Revisionsbegründung des Antragstellers ist nicht erkennbar, dass sein Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
a) Der Antragsteller erhielt am 10. Oktober 2001 gegen 19.00 Uhr vom Personalchef der Antragsgegnerin unstreitig einen verschlossenen Briefumschlag. Das Landesarbeitsgericht hat für das Revisionsverfahren bindend – und vom Antragsteller nicht hinreichend mit Revisionsrügen angegriffen – festgestellt, dass der Umschlag das Schreiben vom 17. Oktober 2001 enthielt.
b) Für den Zugang der verkörperten Kündigungserklärung unter Anwesenden ist es nicht erforderlich, dass der Antragsteller das Kündigungsschreiben tatsächlich gelesen oder von dessen Inhalt tatsächlich Kenntnis genommen hat. Ausreichend ist, dass er die Möglichkeit hatte, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Dies war unstreitig der Fall. Ihm ist der Brief übergeben worden, er hatte ihn tatsächlich in seinen Händen und hätte ihn ohne weiteres öffnen und sich vom Inhalt des Briefes Kenntnis verschaffen können.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Personalchef der Antragsgegnerin den Umschlag unstreitig – ungeöffnet – zurückerhalten hat. Denn die Kündigungserklärung der Antragsgegnerin war dem Antragsteller – was das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat – bereits mit der Übergabe des Briefes und der Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Antragstellers über den Briefumschlag zugegangen und konnte vom Personalchef der Antragsgegnerin aus Rechtsgründen auch gar nicht mehr „zurückgenommen” werden (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies gilt selbst dann, wenn der Personalchef den Brief – was zwischen den Parteien streitig ist – ausdrücklich zurückverlangt haben sollte.
d) Da das Kündigungsschreiben hiernach dem Antragsteller am 17. Oktober 2001 wirksam zugegangen war, hat die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgemäß beendet. Dementsprechend bietet die vom Antragsteller verfolgte Kündigungsschutzklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert
Fundstellen