Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeiner Feststellungsantrag. doppelte Rechtshängigkeit. Streitgegenstand. Begrenzung des Streitgegenstands durch Vortrag der Parteien und Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Zivilprozeßrecht
Leitsatz (amtlich)
Von einem – neben dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 KSchG gestellten – allgemeinen Feststellungsantrag sind Kündigungen des Arbeitgebers nicht erfaßt, die nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht ausgesprochen werden und vom Arbeitnehmer mit einer gesonderten Kündigungsschutzklage angegriffen werden.
Orientierungssatz
- Der Arbeitnehmer kann neben einer gegen eine Kündigung nach § 4 KSchG gerichteten Klage eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungsendtermin hinaus erheben und damit zwei selbständige prozessuale Ansprüche geltend machen.
- Der Streitgegenstand des allgemeinen Feststellungsantrags umfaßt jedoch keine Sachverhalte, die sich erst nach der letzten mündlichen Verhandlung zutragen und die deshalb auch nicht von den Parteien zur Stützung ihrer Anträge vorgetragen sein können.
- Will der Kläger nach erstinstanzlicher Abweisung des allgemeinen Feststellungsantrags als unzulässig weitere Beendigungstatbestände zum Gegenstand seines allgemeinen Feststellungsantrags machen, so muß er sie in den Rechtsstreit zumindest durch ergänzenden Tatsachenvortrag einführen. Die Einlegung der Berufung reicht nicht aus.
Normenkette
KSchG § 4; ZPO a.F. § 261 Abs. 3 Nr. 1; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. September 2001 – 16 Sa 1915/00 – wird auf Kosten des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage im Umfang der Revisionseinlegung als unzulässig abgewiesen wird.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Wirksamkeit der von der Schuldnerin am 10. November 2000 ausgesprochenen Kündigung und über einen vom Kläger gestellten Antrag auf Feststellung des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger trat 1985 in die Dienste der Schuldnerin, die ein Unternehmen der Textilindustrie betrieb. Er war dort zuletzt als Arbeiter beschäftigt. Der Stundenlohn betrug 19,87 DM brutto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden.
Die Schuldnerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26. April 2000 zum 30. Juni 2000 und berief sich auf nach ihrer Auffassung zu hohe Krankheitszeiten des Klägers.
Mit der am 5. Mai 2000 vor dem Arbeitsgericht erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend gemacht und neben einem Kündigungsschutzantrag nach § 4 KSchG und einem Antrag auf Weiterbeschäftigung beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen zu 1.) und 2.) erkannt und die Klage im übrigen abgewiesen, weil dem allgemeinen Feststellungsantrag das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse fehle.
Das auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30. August 2000 ergangene Urteil des Arbeitsgerichts wurde am selben Tage verkündet. Nachdem es den Prozeßbevollmächtigten beider Parteien am 8. November 2000 zugestellt worden war, kündigte die Schuldnerin mit Schreiben vom 10. November 2000, das dem Kläger am gleichen Tage zuging, das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 2001.
Mit einer am 5. Dezember 2000 beim Arbeitsgericht R… (– 1 Ca 1600/00 –) eingegangenen und der Beklagten am 8. Dezember 2000 zugestellten Klage stellte der Kläger folgende Anträge:
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Schuldnerin vom 10. November 2000 nicht beendet wird.
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
- Falls der Kläger mit dem Feststellungsantrag zu 1. obsiegt, wird beantragt, die Schuldnerin zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen als Spinnereiarbeiter weiterzubeschäftigen.
Einen Hinweis auf die vorausgegangene Kündigung enthielt die Klageschrift nicht. Im Gütetermin vom 31. Januar 2001 wurde das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits über die Kündigung vom 5. Mai 2000 ausgesetzt.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 30. August 2000 hatten der Kläger und die Schuldnerin am 6. Dezember 2000 Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift des Klägers, in der die Kündigung vom 10. November 2000 nicht erwähnt ist, wurde der Schuldnerin am 18. Dezember 2000 zugestellt. Mit der am 5. Januar 2001 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufungsbegründung hat sich der Kläger erstmals im vorliegenden Verfahren gegen die Kündigung vom 10. November 2000 gewandt. Die Berufungsbegründung wurde der Schuldnerin am 12. Januar 2001 zugestellt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, das Arbeitsgericht habe seinen Antrag auf Feststellung des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Kündigung vom 10. November 2000 sei unwirksam, was er auch im vorliegenden Rechtsstreit geltend machen könne.
Der Kläger hat zuletzt – soweit im Revisionsverfahren von Interesse – beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 10. November 2000 nicht beendet wird und
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
Die Schuldnerin hat um Klageabweisung gebeten. Sie hält die gegen die Kündigung vom 10. November 2002 gerichtete Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit für unzulässig. Überdies fehle es am erforderlichen Feststellungsinteresse, weil der Kläger die Kündigung vom 10. November gesondert angegriffen habe. In der Sache sei die Kündigung gerechtfertigt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen des Klägers und der Schuldnerin zurückgewiesen, diejenige des Klägers mit der Maßgabe, daß die Kündigung vom 10. November 2000 das Arbeitsverhältnis der Parteien erst zum 31. Mai 2001 beendet habe, weil die tarifliche Abkürzung der Kündigungsfrist verfassungswidrig sei. Mit der vom Landesarbeitsgericht für beide Parteien zugelassenen, jedoch nur vom Kläger eingelegten Revision macht dieser weiterhin die Unwirksamkeit der Kündigung vom 10. November 2000 geltend und begehrt Feststellung des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses. Am 1. Oktober 2002 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt; er hat den Rechtsstreit gem. § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO aufgenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, weil die Klage im Umfang der Revisionseinlegung unzulässig ist.
- Das Landesarbeitsgericht hat die Klage, auch soweit sie sich gegen die Kündigung vom 10. November 2000 richtet, für zulässig gehalten. Ihre Unzulässigkeit ergebe sich nicht aus der anderweitigen Rechtshängigkeit. Bei Erhebung der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht R… am 5. Dezember 2000 sei im vorliegenden Verfahren der allgemeine Feststellungsantrag bereits rechtshängig gewesen und habe die Kündigung vom 10. November 2000 erfaßt. Die Klage vor dem Arbeitsgericht R… sei also später rechtshängig geworden. Ob der allgemeine Feststellungsantrag zunächst unzulässig gewesen sei, könne dahin stehen, da jedenfalls nachträglich die Zulässigkeit eingetreten sei. Das Feststellungsinteresse im vorliegenden Rechtsstreit sei auch nicht mit Erhebung der anderweitigen Klage am 5. Dezember 2000 entfallen. Denn die anderweitige Klage sei nicht innerhalb der Frist des § 4 KSchG erhoben worden. Die Klage sei allerdings im wesentlichen unbegründet, weil die Kündigung vom 10. November 2000 das Arbeitsverhältnis aufgelöst habe, wenn auch erst zum 31. Mai 2001.
Dem folgt der Senat nur insoweit, als die Klage abgewiesen worden ist. Ob die Klage begründet wäre, muß dahinstehen. Die Klage ist unzulässig. Ihr steht das von Amts wegen zu beachtende Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit entgegen (BAG 16. August 1990 – 2 AZR 113/90 – AP BGB § 611 Treuepflicht Nr. 10 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 38).
Unterschriften
Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Niebler, Pitsch
Fundstellen
Haufe-Index 893416 |
BAGE 2004, 84 |
DB 2003, 780 |
NJW 2003, 1412 |
EBE/BAG 2003, 45 |
ARST 2003, 213 |
EWiR 2003, 835 |
NZA 2003, 684 |
SAE 2003, 275 |
ZTR 2003, 251 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 11 |
EzA |
MDR 2003, 521 |
ArbRB 2003, 109 |