Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung überzahlter Krankenbezüge
Orientierungssatz
- Eine ärztliche Arbeitsfähigkeitsbescheinigung bindet die Gerichte für Arbeitssachen sachlich in entsprechender Weise wie ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG.
- Die Rückzahlungspflicht nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT ist nicht auf überzahlte Krankenbezüge beschränkt, sondern erfasst auch “sonstige überzahlte Bezüge”. Der Rückzahlungsanspruch aus der tarifvertraglich fingierten Vorschussvereinbarung setzt voraus, dass der Vorschuss nicht “verdient” worden ist.
Normenkette
BAT § 71 Abs. 2; BGB §§ 297, 615; EFZG § 5
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 17.08.2005; Aktenzeichen 9 Sa 90/05) |
ArbG Regensburg (Urteil vom 01.12.2004; Aktenzeichen 6 Ca 3256/03 S) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 17. August 2005 – 9 Sa 90/05 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Krankenbezügen und Arbeitsvergütung nach rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Kläger ist Träger einer Sparkasse. Der 1958 geborene Beklagte war beim Kläger seit 1975 beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 20. Januar 1978 ist die Geltung des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) vereinbart. Der Beklagte war zuletzt als Gebietsdirektor gegen einen monatlichen Arbeitsverdienst von 3.638,51 Euro brutto tätig.
Der Beklagte leidet seit längerer Zeit an einer langsam zunehmenden Muskelschwäche im Beckengürtel- und Beinbereich (spinale Muskelatrophie).
Zum 1. Januar 2002 entzog der Kläger dem Beklagten die bis dahin wahrgenommenen Arbeitsaufgaben und übertrug ihm neue Tätigkeiten. Nachdem der Beklagte hiergegen im ersten Rechtszug erfolgreich geklagt hatte, sprach der Kläger vorsorglich eine Änderungskündigung aus, gegen die der Beklagte gleichfalls Klage erhob. In dem ersten Rechtsstreit schlossen die Parteien in umgekehrter Parteirolle vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Januar 2003 einen gerichtlichen Vergleich. Darin ist vereinbart:
“1. Das Arbeitsverhältnis hat durch ordentliche betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung vom 28.06.2002 mit Ablauf des 31.12.2002 geendet.
2. Der Beklagte zahlt an den Kläger ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Kur des Klägers, somit ab 8.08.2002, bis 31.12.2002 Arbeitsvergütung in Höhe von
EUR 3.678,39 (in Worten: EUR dreitausendsechshundertachtundsiebzig 39/100) brutto/voller Kalendermonat
zuzüglich der Sonderzuwendung gemäß Zuwendungstarifvertrag zuzüglich 14. Gehalt sowie pauschale Aufwandsentschädigung für das Jahr 2002 in Höhe von insgesamt noch
EUR 2.000,-- (in Worten: EUR zweitausend).
Vorstehende Zahlungen stehen unter der Bedingung, dass der Kläger der S… eine ärztliche Bescheinigung vorlegt, dass seit 8.08.02 (nach Beendigung der Kur des Klägers) Arbeitsfähigkeit des Klägers besteht.
3. …
4. Der Beklagte zahlt an den Kläger eine soziale Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß der §§ 9, 10 KSchG, § 3 Nr. 9 EStG in Höhe von
EUR 50.000,-- (in Worten: EUR fünfzigtausend).
5. …
6. Damit besteht zwischen den Parteien Einigkeit, dass aus ihrem Arbeitsvertrag und seiner Beendigung keinerlei weitere finanzielle Ansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund, mehr gegeneinander bestehen.
Hiervon nicht erfasst werden Ansprüche der Parteien aus weitergehenden Verträgen (etwaige Darlehensverträge u.a.).
Hiervon ebenfalls unberührt bleiben die Ansprüche des Klägers aus der betrieblichen Altersversorgung (Zusatzversorgung).
…”
Nach Abschluss des Vergleichs legte der Beklagte dem Kläger eine Bescheinigung seines Hausarztes Dr. W… vom 10. Januar 2003 vor. Danach hat der Hausarzt den Beklagten nach Beendigung der Kur am 8. August 2002 untersucht und ab diesem Tage Arbeitsfähigkeit festgestellt.
In Erfüllung des gerichtlichen Vergleichs leistete der Kläger dem Beklagten Ende Januar 2003 folgende Bruttobeträge:
für August |
2.896,67 Euro |
für September |
3.638,51 Euro |
für Oktober |
3.638,51 Euro |
für November |
3.638,51 Euro |
für Dezember (einschl. 13. und 14. Gehalt sowie pauschaler Aufwands- entschädigung) |
12.821,37 Euro |
Mit Bescheid vom 27. März 2003 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Rentenbewilligung erfolgte rückwirkend zum 1. Mai 2002.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2003 forderte der Kläger den Beklagten zur Erstattung der Gehaltszahlungen für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Dezember 2002 auf. Die vom Kläger erklärte Anfechtung des Vergleichs vom 9. Januar 2003 blieb erfolglos (Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 19. Februar 2004 – 4 Sa 1187/03 –).
Der Beklagte war vom 14. November 2001 bis zum 9. Juni 2002 arbeitsunfähig krank gewesen. Er erhielt vom Kläger nach Maßgabe des BAT für die Dauer von 26 Wochen bis zum 14. Mai 2002 Krankenbezüge. Auf den Zeitraum vom 1. bis zum 14. Mai 2002 entfiel dabei ein Betrag iHv. 1.800,45 Euro brutto. Für die Zeit vom 10. bis zum 25. Juni 2002 zahlte der Kläger dem Beklagten 1.940,54 Euro brutto, nachdem der Kläger die vom Beklagten am 10. Juni 2002 angebotene Arbeitsleistung abgelehnt hatte. Vom 26. Juni bis 7. August 2002 nahm der Bekalgte an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teil. Im Juli 2002 erhielt der Beklagte 295,53 Euro brutto. Nach Beendigung der Kur lehnte der Kläger am 8. August 2002 ein Arbeitsangebot des Beklagten ab.
Mit seiner am 25. August 2003 erhobenen Klage verlangt der Kläger vom Beklagten die Rückzahlung der dem Beklagten für die Monate Mai bis Dezember 2002 gezahlten Bruttovergütungen abzüglich einer von der BfA an den Kläger für Mai 2002 geleisteten Erstattung iHv. 661,55 Euro.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die erhaltene Vergütung zurückzuzahlen, weil er weder Arbeitsleistungen erbracht noch Anspruch auf Krankenbezüge gehabt habe. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 10. Januar 2003 sei sachlich unzutreffend. Das ergebe sich aus der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Kurklinik vom 7. August 2002, die – insoweit unstreitig – bei der Entlassung des Beklagten aus der Rehabilitationsmaßnahme ausgestellt und dem Kläger erst nach Abschluss des Vergleichs vorgelegt wurde.
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch erheblich, beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 30.008,54 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juli 2003 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, er sei vom 10. Juni 2002 bis zum Beginn der Rehabilitationsmaßnahme am 26. Juni 2002 und nach deren Ende vom 8. August 2002 bis zum 31. Dezember 2002 arbeitsfähig gewesen. Während der Rehabilitationsmaßnahme habe er vom Kläger nur eine Aufzahlung auf das Krankengeld und Urlaubsgeld erhalten. Die Arbeitsfähigkeit nach dem Kuraufenthalt sei durch die vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Hausarztes nachgewiesen. Rückerstattungsansprüche des Klägers seien durch die Abgeltungsklausel im Vergleich vom 9. Januar 2003 ausgeschlossen. Durch die Zahlungen des Klägers sei er nicht mehr bereichert.
Das Arbeitsgericht hat zu der Behauptung des Beklagten, er sei vom 8. August bis zum 31. Dezember 2002 arbeitsfähig gewesen, den Hausarzt des Beklagten und den Chefarzt der Rehabilitationsklinik als sachverständige Zeugen Beweisfragen schriftlich beantworten lassen. Es hat daraufhin die Arbeitsfähigkeit des Beklagten für nicht erwiesen erachtet und der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO). Der Senat ist an einer eigenen Sachentscheidung gehindert, weil das Landesarbeitsgericht notwendige Feststellungen nicht getroffen hat (§ 563 Abs. 3 ZPO).
I. Der Rückforderungsanspruch des Klägers kann aus § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT folgen. Nach dieser Bestimmung werden Krankenbezüge nicht über den Zeitpunkt hinaus gezahlt, von dem an der Angestellte Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Überzahlte Krankenbezüge und sonstige überzahlte Bezüge gelten als Vorschüsse auf die zustehenden Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Insoweit gehen die Ansprüche des Angestellten auf den Arbeitgeber über.
1. Mit der in § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT enthaltenen Vorschussfiktion berücksichtigen die Tarifvertragsparteien, dass der Rentenversicherungsträger oft zu einem viele Monate zurückliegenden Zeitpunkt den Eintritt einer Erwerbsminderung anerkennt und von diesem Zeitpunkt an die Rentenversicherungsleistung erbringt. Der arbeitsunfähige Angestellte soll in diesem Fall nicht neben dem Rentenanspruch den Anspruch auf Krankenbezüge behalten (BAG 30. September 1999 – 6 AZR 130/98 – AP BAT § 71 Nr. 1, zu 1a der Gründe; 29. Juni 2000 – 6 AZR 50/99 – AP BAT § 37 Nr. 11, zu B II 1b der Gründe). Deshalb endet der Anspruch auf Krankenbezüge und sonstige Bezüge an dem Tag, der im Bescheid des Rentenversicherungsträgers als der Tag bezeichnet ist, von dem an die Versicherungsleistung erstmals gewährt wird. Unbedeutend ist, wann der Rentenbescheid erstellt wird, dem Empfänger zugegangen ist oder der Angestellte die erste Rentenzahlung erhalten hat.
2. Liegen die Voraussetzungen des § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 1 Buchst. b BAT vor, verlieren überzahlte Krankenbezüge und sonstige überzahlte Bezüge ihre Arbeitsentgelteigenschaft. Da der Rückforderungsanspruch auf Tarifvertrag und nicht auf den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) beruht, kann sich der Angestellte nicht nach § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Das gesetzliche Bereicherungsrecht findet neben § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT keine Anwendung (BAG 30. September 1999 – 6 AZR 130/98 – AP BAT § 71 Nr. 1, zu 1c der Gründe).
3. Die Rückzahlungspflicht nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT ist nicht auf überzahlte Krankenbezüge beschränkt, sondern erfasst auch “sonstige überzahlte Bezüge”. Nach Wortlaut und Zweck der Regelung entsteht der Rückzahlungsanspruch aus der tarifvertraglich fingierten Vorschussvereinbarung, wenn feststeht, dass der Vorschuss nicht “verdient” worden ist (BAG 30. September 1999 – 6 AZR 130/98 – AP BAT § 71 Nr. 1, zu 1b der Gründe). Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung für die vom Arbeitgeber geleistete Arbeitsvergütung erbracht und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert hat. Dagegen fehlt es am Merkmal der Überzahlung iSv. § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT, wenn die Parteien die Arbeitspflicht des Angestellten einvernehmlich aufgehoben haben.
4. Der Rückzahlungsanspruch ist auf die geleistete Bruttovergütung gerichtet (zur Lohnsteuer BAG 15. März 2000 – 10 AZR 101/99 – BAGE 94, 73, 79; zu den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung BAG 29. März 2001 – 6 AZR 653/99 – AP SGB IV § 26 Nr. 1 = EzA BGB § 812 Nr. 7).
II. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze gilt für die vom Kläger geltend gemachten Rückzahlungsansprüche Folgendes:
1. Der Kläger kann vom Beklagten die für die Zeit vom 1. bis zum 14. Mai 2002 geleisteten Krankenbezüge zurückverlangen, wenn dieser Anspruch nicht von der zu Ziff. 6 des Vergleichs vom 9. Januar 2003 vereinbarten Ausgleichsklausel erfasst ist.
a) Der Kläger hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts seinen diesbezüglichen Rückzahlungsanspruch schlüssig dargelegt. Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe den Vortrag des Klägers zur Anspruchshöhe nicht vollständig berücksichtigt. Danach belaufen sich die vom Kläger für diesen Zeitraum geleisteten Krankenbezüge auf 1.800,45 Euro brutto. Auf diesen Betrag lässt sich der Kläger die von der BfA erstatteten 661,55 Euro anrechnen. Er verlangt die Zahlung von 1.138,90 Euro brutto. Die Krankenbezüge wurden überzahlt, weil dem Beklagten ab dem 1. Mai 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde. Mit der rückwirkenden Rentenbewilligung durch Bescheid der BfA vom 27. März 2003 ist der Anspruch auf Krankenbezüge ab dem 1. Mai 2002 entfallen. Die vom Kläger bezahlten Krankenbezüge sind gem. § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT als Vorschüsse auf die Rentenleistungen zu behandeln.
b) Ob der Rückzahlungsanspruch von der Ausgleichsklausel zu Ziff. 6 des Vergleichs vom 9. Januar 2003 erfasst wird, kann der Senat nicht entscheiden. Nach dieser Regelung besteht zwischen den Parteien Einigkeit, dass aus ihrem Arbeitsvertrag und seiner Beendigung keine weiteren finanziellen Ansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund, mehr gegeneinander bestehen. Der Beklagte hat in den Vorinstanzen geltend gemacht, die Klausel stehe den erhobenen Ansprüchen entgegen. Die Vorinstanzen sind dem nicht nachgegangen und haben die Ausgleichsklausel nicht ausgelegt. Dies wird nachzuholen sein. Dabei ist zunächst der übereinstimmende Parteiwille maßgeblich. Lässt sich ein übereinstimmender Wille nicht feststellen, sind die Erklärungen der Vertragspartner jeweils aus der Sicht des Erklärungsempfängers gem. § 157 BGB so auszulegen, wie er sie nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte und musste. Dabei sind alle den Parteien erkennbaren Begleitumstände, die für den Erklärungsinhalt von Bedeutung sein können, zu berücksichtigen. Hierzu gehören insbesondere die Entstehungsgeschichte, das Verhalten der Parteien nach Vertragsschluss, der Zweck des Vertrags und die bei Vertragsschluss vorliegende Interessenlage. Dabei wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass Ausgleichsklauseln in Vergleichen im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen sind. Die Parteien wollen in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig ob sie bei Vergleichsschluss daran dachten oder nicht (vgl. BAG 19. November 2003 – 10 AZR 174/03 – AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 50 = EzA BGB 2002 § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 2). Andererseits werden von Ausgleichsklauseln regelmäßig solche Forderungen nicht erfasst, die objektiv außerhalb des von den Parteien Vorgestellten liegen und bei Vergleichsabschluss subjektiv unvorstellbar waren (BAG 17. April 1970 – 1 AZR 302/69 – AP BGB § 133 Nr. 32). Hier könnte die Auslegung der Ziff. 6 des Vergleichs ergeben, dass nur Ansprüche erfasst werden sollten, die zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bereits entstanden waren. Dann wäre erheblich, dass der Rückzahlungsanspruch des Klägers aus § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT frühestens mit Erlass des Rentenbescheids vom 27. März 2003 entstanden ist (vgl. BAG 30. September 1999 – 6 AZR 130/98 – AP BAT § 71 Nr. 1, zu 1b der Gründe).
2. Das Landesarbeitsgericht hat den vom Kläger für die Zeit vom 10. bis zum 25. Juni 2002 geltend gemachten Rückzahlungsanspruch zu Unrecht mit der Begründung verneint, nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT könnten nur überzahlte Krankenbezüge zurückgefordert werden. Damit hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet, dass nach dieser Bestimmung auch sonstige überzahlte Bezüge zurückgefordert werden können.
a) Ob es sich bei der vom Kläger für die Zeit vom 10. bis zum 25. Juni 2002 erbrachten Zahlung um sonstige überzahlte Bezüge iSv. § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT handelt, kann vom Senat auf Grund der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden. Das Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob sich der Kläger überhaupt im Annahmeverzug befand. Denkbar ist auch, dass die Parteien die Arbeitspflicht des Beklagten ab dem 10. Juni 2002 bis zum Beginn der Rehabilitationsmaßnahme einvernehmlich aufgehoben hatten oder der Kläger dem Beklagten bis dahin weiteren Urlaub gewährt hatte (vgl. BAG 14. März 2006 – 9 AZR 11/05 –; Senat 6. September 2006 – 5 AZR 703/05 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). In diesen Fällen läge keine Überzahlung vor, weil die Pflicht zur Arbeitsleistung des Beklagten einvernehmlich suspendiert worden wäre. Das Landesarbeitsgericht wird durch sachdienliche Hinweise (§ 139 Abs. 1 ZPO) auf ergänzenden Parteivortrag hinzuwirken haben.
b) Sollte sich der Kläger in der Zeit vom 10. bis zum 25. Juni 2002 im Annahmeverzug befunden haben, wird das Landesarbeitsgericht die vom Kläger gerügte Leistungsfähigkeit (§ 297 BGB) des Beklagten in diesem Zeitraum aufzuklären haben. An der Leistungsfähigkeit des Beklagten bestanden entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts im Hinblick auf die vorangegangene über sechs Monate andauernde Arbeitsunfähigkeit des Beklagten, die von der Rehabilitationsklinik nach Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme festgestellte Arbeitsunfähigkeit sowie der zum 1. Mai 2002 rückwirkend erfolgten Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung begründete Zweifel. Das Landesarbeitsgericht wird diese Umstände bei der neuen Verhandlung zu beachten haben und gem. § 139 Abs. 1 ZPO auf konkreten Vortrag des Beklagten zu seiner Leistungsfähigkeit in der Zeit vom 10. bis zum 25. Juni 2002 hinzuwirken haben (vgl. Senat 5. November 2003 – 5 AZR 562/02 – AP BGB § 615 Nr. 106 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 2). War der Beklagte leistungsunfähig, bestand kein Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung. Die vom Kläger für diesen Zeitraum erbrachten Zahlungen wären dann sonstige überzahlte Bezüge iSv. § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT.
c) Auch wenn an sich ein Rückzahlungsanspruch des Klägers hinsichtlich der für diese Zeit geleisteten Bezüge bestünde, bleibt zu prüfen, ob der Anspruch von der zu Ziff. 6 des Vergleichs vom 9. Januar 2003 vereinbarten Ausgleichsklausel erfasst wird. Dabei wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Kläger im Falle des Annahmeverzugs bei fehlender Leistungsfähigkeit des Beklagten iSv. § 297 BGB schon vor der rückwirkenden Rentenbewilligung einen Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB hatte, während der Rückzahlungsanspruch aus § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT erst mit der Rentenbewilligung entstanden ist.
3. Ob der Kläger die für Juli 2002 geleisteten 295,53 Euro zurückverlangen kann, bedarf weiterer Aufklärung. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Anspruch nicht behandelt und keine Feststellungen zum Zahlungszweck getroffen.
4. Das Landesarbeitsgericht hat mit unzutreffender Begründung den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung der für die Zeit vom 8. August bis zum 31. Dezember 2002 geleisteten Bezüge verneint.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, nach der zu Ziff. 2 des Vergleichs vom 9. Januar 2003 getroffenen Vereinbarung habe der Beklagte nur eine ärztliche Bescheinigung über die ab 8. August 2002 bestehende Arbeitsfähigkeit vorlegen müssen. Die objektive Arbeitsfähigkeit des Beklagten sei nicht erforderlich gewesen. Etwas anderes hätte nur dann gegolten, wenn die Bescheinigung der Arbeitsfähigkeit auf den ersten Blick erkennbar grob unrichtig wäre und ihre Berücksichtigung Treu und Glauben widersprechen würde. Dies hat das Landesarbeitsgericht verneint.
b) Diese Auslegung des Vergleichs hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Vorliegend kann offenbleiben, ob der gerichtliche Vergleich vom 9. Januar 2003 überhaupt nichttypische Erklärungen enthält, deren Auslegung in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar ist, ob das Landesarbeitsgericht gegen die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB, Erfahrungssätze und Denkgesetze verstoßen hat, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen wurden. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.
bb) Das Landesarbeitsgericht haftet bei seiner Auslegung des Vergleichs weitgehend am Wortlaut der Vereinbarung und dem Interesse des Beklagten an einer einfachen Herbeiführung des Bedingungseintritts. Die Interessenlage des Klägers bleibt unberücksichtigt, wenn das Landesarbeitsgericht ausführt, Bedingung des Vergleichs sei lediglich die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit dieser Bescheinigung. Vom Landesarbeitsgericht wird kein Grund angeführt, warum der Kläger auf die Überprüfung der Richtigkeit der vorgelegten Bescheinigung hätte verzichten wollen. Angesichts der erheblichen Zahlungspflichten, die sich für den Kläger aus der bescheinigten Arbeitsfähigkeit ergeben, kann nicht ohne konkrete Anhaltspunkte angenommen werden, dem Kläger komme es auf die inhaltliche Richtigkeit der Bescheinigung nicht an. Solche Anhaltspunkte liegen nicht vor. Der Kläger hat seit dem 8. August 2002 Vergütungszahlungen verweigert und wiederholt ärztliche Bescheinigungen sowie die Vorlage der Entlassungsbescheinigung gefordert. Dem ist der Beklagte nicht nachgekommen und hat sogar eine betriebsärztliche Untersuchung abgelehnt. Die Parteien haben mit dem Vergleich auch keine sofortige Gesamtbereinigung ihrer langjährigen Streitigkeiten herbeigeführt, denn die Zahlungspflicht des Klägers für die Zeit vom 8. August bis zum 31. Dezember 2002 ist gerade nicht abschließend geregelt worden. Gegen die Annahme eines nur auf offenbare Fehlerhaftigkeit beschränkten Überprüfungsspielraums spricht des Weiteren, dass sich die Parteien nicht auf einen bestimmten Arzt als vertrauenswürdigen Sachverständigen geeinigt, sondern nur die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung vorgesehen haben. Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen konnte der Beklagte die Vereinbarung redlicherweise nur so verstehen, dass es dem Kläger auf die tatsächlich bestehende Arbeitsfähigkeit und nicht auf “das Blatt Papier” ankam.
c) Die Überprüfung der Richtigkeit der vom Beklagten vorgelegten Arbeitsfähigkeitsbescheinigung hat unter entsprechender Anwendung der Grundsätze zu erfolgen, die zur Überprüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG entwickelt worden sind (dazu ErfK/Dörner 6. Aufl. § 5 EFZG Rn. 32 ff.). Das bedeutet, dass der Beklagte mit der Vorlage der Bescheinigung seines Hausarztes vom 10. Januar 2003 zunächst die Arbeitsfähigkeit ab dem 8. August 2002 nachgewiesen hat. Der Kläger musste daraufhin begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung aufzeigen, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern. Dem ist der Kläger nachgekommen. Der Kläger hat dargelegt, erst nach Abschluss des Vergleichs erfahren zu haben, dass der Beklagte nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme als arbeitsunfähig aus der Kurklinik entlassen und ihm rückwirkend zum 1. Mai 2002 Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt wurde. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Rehabilitationsklinik vom 7. August 2002 hat der Beklagte dem Kläger erst nach Übergabe der Arbeitsfähigkeitsbescheinigung des Hausarztes vom 10. Januar 2003 vorgelegt. Deshalb hat der Beklagte nunmehr zu beweisen, dass er in der Zeit vom 8. August bis zum 31. Dezember 2002 tatsächlich arbeitsfähig war. Das Arbeitsgericht hat hierzu Beweis erhoben. Die schriftlichen Aussagen des Chefarztes der Kurklinik und des Hausarztes des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht bislang nicht gewürdigt. Das wird nachzuholen sein. Gegebenenfalls wird das Landesarbeitsgericht die sachverständigen Zeugen zu laden haben, um Unklarheiten in der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch Nachfragen aufklären zu können.
5. Auf einen Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB kann sich der Beklagte nicht berufen (vgl. oben zu I 2 der Gründe).
6. Der etwaige Rückzahlungsanspruch des Klägers ist nicht nach § 70 BAT verfallen. Nach dieser Vorschrift verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Die Ausschlussfrist begann frühestens mit Zustellung des Rentenbescheids an den Beklagten zu laufen. Deshalb hat die dem Beklagten am 25. August 2003 zugestellte Klage die Ausschlussfrist gewahrt.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Kremser, Wolf
Fundstellen
Haufe-Index 1644358 |
DB 2007, 1313 |