Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Beweislastverteilung bei befristeten Arbeitsverhältnissen; hier: Dauer der Befristung
Leitsatz (redaktionell)
Bei einem Streit über die Dauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat derjenige die Befristungsdauer zu beweisen, der sich auf die frühere Vertragsbeendigung beruft.
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.08.1993; Aktenzeichen 15 Sa 444/93) |
ArbG Duisburg (Entscheidung vom 18.02.1993; Aktenzeichen 4 Ca 2287/92) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Dauer der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger war bei der Beklagten vom 26. August 1992 bis zum 31. August 1992 als Kraftfahrer beschäftigt. Anschließend arbeitete er dort vom 2. September 1992 bis zum 4. September 1992. In der Zeit vom 7. September 1992 bis zum 14. September 1992 erkrankte er arbeitsunfähig. Die Beklagte wies die eingereichte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Begründung zurück, der Kläger sei lediglich bis 4. September 1992 aushilfsweise bei ihr beschäftigt gewesen.
Der Kläger trägt vor, mit der Beklagten sei am 2. September 1992 ein bis zum 30. September 1992 befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart worden.
Der Kläger hat zuletzt in der Berufungsinstanz beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen
den Parteien nicht zum 4. September 1992 beendet
worden sei, vielmehr über den 4. September 1992
bis zum 30. September 1992 fortbestanden habe.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sei bis zum 4. September 1992 befristet gewesen. Dem Kläger sei nur in Aussicht gestellt worden, bei Bedarf erneut für sie tätig zu werden. Ein Bedarfsfall habe sich nach dem 4. September 1992 nicht mehr ergeben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hin hat das Landesarbeitsgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klage stattgegeben. Durch gerichtlichen Teilvergleich vom 11. Juni 1993 hatte sich die Beklagte zuvor verpflichtet, für den Fall des rechtskräftigen Obsiegens des Klägers mit seinem Feststellungsbegehren dem Kläger eine Lohnabrechnung zu erteilen und den sich zu dessen Gunsten ergebenden Betrag für die Zeit vom 5. September 1992 bis 30. September 1992 an ihn unter Berücksichtigung etwaiger Forderungsübergänge an die Krankenkasse oder die Bundesanstalt für Arbeit auszuzahlen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Auffassung vertreten, die Beklagte trage die Beweislast für die von ihr behauptete Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 4. September 1992.
1. Das Landesarbeitsgericht hat sich allerdings nicht zu den prozessualen Voraussetzungen der von dem Kläger erhobenen Feststellungsklage geäußert. Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung, wonach ein mit der Beklagten begründetes Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 1992 bestanden hat. Dieser Klageantrag ist im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Auch wenn der Kläger davon abgesehen hat, einzelne Vertragsinhalte in seinen Antrag aufzunehmen, spricht nach dem vorliegenden Sachverhalt nichts dafür, daß nach einer Entscheidung über die begehrte Feststellung ein weiterer Streit über sonstige Vertragsinhalte entsteht. Das genügt den Bestimmtheitsanforderungen einer allgemeinen Feststellungsklage (BAG Urteile vom 29. Juli 1976 - 3 AZR 7/75 - AP Nr. 41 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag und vom 12. Oktober 1979 - 7 AZR 960/77 - AP Nr. 48 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, m.w.N.).
2. Das Rechtsschutzinteresse i.S. d. § 256 Abs. 1 ZPO ist auch nicht deswegen entfallen, weil der Kläger eine ausschließlich vergangenheitsbezogene Feststellung begehrt. Eine derartige Feststellungsklage ist nur zulässig, wenn sich aus dem Klageziel noch Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben können (BAG Urteil vom 8. Dezember 1992 - 9 AZR 113/92 - AP Nr. 19 zu § 256 ZPO 1977, m.w.N.). Vorliegend hat die begehrte Feststellung unmittelbare Auswirkungen auf finanzielle Ansprüche des Klägers. Denn die Beklagte hat sich durch gerichtlichen Teilvergleich vom 11. Juni 1993 verpflichtet, im Falle des Obsiegens des Klägers eine Lohnabrechnung vorzunehmen und den sich zu seinen Gunsten ergebenden Betrag an ihn auszuzahlen. Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte bei positiver Beurteilung der Feststellungsklage sich nicht an den Vergleich halten werde, sind nicht ersichtlich. Der Kläger war daher auch aus Gründen der Prozeßökonomie nicht gehalten, eine Leistungsklage zu erheben.
3. Das Berufungsgericht hat an Hand der durchgeführten Beweisaufnahmen nicht feststellen können, ob die Parteien bei Abschluß des Arbeitsvertrages am 2. September 1992 eine Befristung bis zum 4. September 1992 oder eine solche bis zum 30. September 1992 vereinbart haben. Diese Feststellungen sind für den Senat bindend. Sie sind mit Revisionsrügen nicht angegriffen worden (§ 561 Abs. 2 ZPO).
4. Die Beweislast dafür, welchen Beendigungszeitpunkt die Arbeitsvertragsparteien vereinbart haben, wird von dem Landesarbeitsgericht der Beklagten auferlegt, die jedoch den Beweis für ihre Behauptung, das Arbeitsverhältnis sei auf den 4. September 1992 befristet gewesen, schuldig geblieben ist. Gegen diese vom Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Beweislastverteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, bei einem Streit über das Vorliegen eines befristeten Arbeitsverhältnisses trage diejenige Partei die Beweislast, die sich auf eine durch Fristablauf ergebende Beendigung des Arbeitsverhältnisses berufe. Daraus lasse sich der allgemeine Grundsatz ableiten, wonach diejenige Partei beweisbelastet sei, deren Vorbringen sich auf die Verringerung oder den Ausschluß weitergehender Rechte richte. Demzufolge müsse eine kürzere Befristung als vom Arbeitnehmer behauptet durch den Arbeitgeber bewiesen werden.
a) Nach allgemeinen Beweisgrundsätzen hat diejenige Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes zu beweisen. Den Anspruchsteller trifft die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, der Antragsgegner muß den Beweis für rechtshemmende, rechtshindernde oder rechtsvernichtende Tatsachen erbringen (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 286 Rz 40 ff.; Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl., S. 98 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 351 f.; BGH Urteil vom 15. November 1990 - I ZR 22/89 - NJW 1991, 1054). Die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung legt derjenigen Partei die Beweislast für eine Befristung des Arbeitsvertrages auf, die sich auf eine durch Fristablauf ergebende Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruft (KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 620 BGB Rz 239; MünchKomm-Schwerdtner, 2. Aufl., § 620 BGB Rz 85; RGRK-Dörner, 12. Aufl., § 620 BGB Rz 171; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl., Bd. 1, § 620 BGB Rz 3; Leser, BB 1965, 1151 ff.; LAG Düsseldorf Urteil vom 10. Juli 1958 - 7 Sa 260/58 - BB 1958, 1132; LAG Köln Urteil vom 23. März 1988 - 7 Sa 1349/87 - LAGE § 620 BGB Nr. 13; LAG Hamm Urteil vom 5. März 1990 - 19 Sa 1696/89 - LAGE § 620 Nr. 19). Diese Ansicht wird zum Teil damit begründet, daß unbefristete Arbeitsverhältnisse die Regel seien und eine Vermutung für den Abschluß eines Arbeitsvertrages auf unbestimmte Zeit bestehe (KR-Hillebrecht, aa0; LAG Köln Urteil vom 23. März 1988, aa0; LAG Düsseldorf Urteil vom 10. Juli 1958, aa0). Mit dieser, aus dem Regeltatbestand des unbefristeten Arbeitsverhältnisses folgenden Vermutung läßt sich eine Beweislastregelung zu Ungunsten derjenigen Partei, die sich auf eine vorzeitige Vertragsbeendigung beruft, indes nicht rechtfertigen, wenn die Arbeitsvertragsparteien von vornherein ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart haben und lediglich Streit über die Dauer der Befristung besteht.
b) Der Arbeitsvertrag ist ein gegenseitiger auf Dauer angelegter Austauschvertrag, durch den sich der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeit im Dienst des Arbeitgebers und der Arbeitgeber zur Zahlung einer Vergütung verpflichtet (BAG Urteil vom 17. Juli 1958 - 2 AZR 312/57 - AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lohnanspruch; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Bd. I, S. 161 ff.; RGRK-Schliemann, 12. Aufl., § 611 BGB Rz 791). Beruft sich eine Partei auf die Befristung des Arbeitsverhältnisses, stellt sie mit diesem Vorbringen weder den Abschluß noch den Inhalt des Arbeitsvertrages in Abrede. Sie macht geltend, das Arbeitsverhältnis habe zu dem von ihr behaupteten Zeitpunkt durch Fristablauf geendet. Das hat zur Folge, daß die wechselseitigen vertraglichen Hauptpflichten erlöschen (§ 163 BGB in Verb. mit § 158 Abs. 2 BGB). Insoweit handelt es sich um eine dem materiellen Recht folgende, rechtsvernichtende Einwendung gegenüber dem Recht der anderen Vertragspartei auf Fortdauer des Arbeitsverhältnisses (Baumgärtel, aaO; Dörner, aa0; LAG Hamm Urteil vom 5. März 1990, aa0, m.w.N.; Leser, aa0, S. 1153 f.). In Anwendung allgemeiner Beweisgrundsätze hat dann die Partei das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen darzulegen und im Bestreitensfall unter Beweis zu stellen, die sich auf die für sie günstigere Rechtsfolge des Erlöschens der Vertragspflichten beruft. Diese Beweislastverteilung gilt unabhängig davon, wer im konkreten Fall der Anspruchsgegner ist. Sie wird im Regelfall den Arbeitgeber treffen (Baumgärtel, aa0; Reinecke, Die Beweislastverteilung im bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, S. 184), für dessen Beweisbelastung auch sachliche Gründe sprechen. Der Arbeitgeber kann eher als ein Arbeitnehmer eine durch die Mündlichkeit des Vertragsabschlusses hervorgerufene non-liquet-Situation vermeiden, indem er auf einer schriftlichen Dokumentation des Vertragsabschlusses besteht. Darüber hinaus stehen ihm häufig im Wege des Zeugenbeweises diejenigen Arbeitnehmer zur Verfügung, die für ihn die Vertragsverhandlungen geführt oder in seinem Auftrag den Vertrag abgeschlossen haben.
c) Der für den Streit über die Vereinbarung einer Befristung entwickelte Beweisgrundsatz gilt auch in den Fällen, in denen nicht die Befristung als solche, sondern allein deren Dauer zwischen den Arbeitsvertragsparteien streitig ist. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Auch bei einem befristeten Arbeitsverhältnis handelt es sich nach dem Grundgedanken des § 620 BGB um ein durch Dienstvertrag begründetes Dauerschuldverhältnis, das durch Zeitablauf endet (Dörner, aa0, § 620 BGB Rz 1). Der dagegen vorgebrachte Einwand einer kürzeren Vertragsdauer berührt weder das Zustandekommen des Vertrages noch seinen Inhalt. Vielmehr beruft sich der Antragsgegner auf die Beendigung vertraglicher Pflichten zu einem Zeitpunkt, für den der Antragsteller noch von deren Fortgeltung ausgeht. Der Einwand einer kürzeren Befristung ist damit rechtsvernichtender Natur. Es hat nach allgemeinen Beweisgrundsätzen derjenige die Beweislast zu tragen, der sich auf die vorzeitigere Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruft.
Demzufolge hat die Beklagte die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf den 4. September 1992 zu beweisen. Diesen Beweis konnte sie nach der für den Senat bindenden Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts nicht führen. Dementsprechend hatte das Landesarbeitsgericht der Feststellungsklage im Rahmen des gestellten Antrages stattzugeben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Weller Steckhan Schmidt
Johannsen Kordus
Fundstellen
BB 1995, 467 |
BB 1995, 467-468 (LT1) |
DB 1995, 980-981 (LT1) |
NJW 1995, 2941 |
NJW 1995, 2941-2942 (LT) |
EBE/BAG 1995, 45-46 (LT1) |
ARST 1995, 138-140 (LT1) |
NZA 1995, 780 |
VersorgW 1995, 190 (T) |
AP § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag (LT1), Nr 165 |
AR-Blattei, ES 380 Nr 6 (LT1) |
EzA-SD 1995, Nr 5, 5-6 (LT1) |
EzA § 620 BGB, Nr 128 (LT1) |
MDR 1995, 504-505 (LT) |