Entscheidungsstichwort (Thema)
Versetzung. Beschäftigungsanspruch. Verwirkung
Orientierungssatz
- Das Recht eines Arbeitnehmers, die Unwirksamkeit einer vom Arbeitgeber als Versetzung bezeichneten personellen Maßnahme geltend zu machen, unterliegt der Verwirkung. Das gilt auch für einen Anspruch, der sich auf die Beschäftigung an dem bis zur Versetzung zugewiesenen Arbeitsplatz richtet.
- Die Rechtsunwirksamkeit einer Versetzung kann durch Feststellungsklage iSv. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtlich geklärt werden. Der Arbeitnehmer kann außerdem durch Leistungsklage seinen Beschäftigungsanspruch verfolgen. Verbindet er die Leistungsklage mit einem Feststellungsantrag, so handelt es sich bei der Feststellungsklage regelmäßig um eine Zwischenfeststellungsklage iSv. § 256 Abs. 2 ZPO. Der Senat lässt offen, ob in einem solchen Fall die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. Prozessverwirkung mit der Folge der Unzulässigkeit der Feststellungsklage eingreift.
- Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte sein Recht über einen bestimmten Zeitraum hin nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage war (sog. Zeitmoment) und sich der Schuldner wegen dieser Untätigkeit des Berechtigten bei objektiver Beurteilung darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde, so dass ihm insgesamt deshalb dessen Befriedigung nicht zuzumuten ist (sog. Umstandsmoment).
- Zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung. Der erforderliche Zeitablauf kann umso kürzer sein, je gravierender die Umstände sind, und umgekehrt sind an diese Umstände desto geringere Anforderungen zu stellen, je länger der abgelaufene Zeitraum ist.
- Ob ein Anspruch verwirkt ist, hängt im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalls ab. Deren Feststellung und Würdigung ist vorrangig Sache des Tatrichters, der den vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu beurteilen hat. Sie ist in der Revisionsinstanz deshalb nur eingeschränkt nachprüfbar. Das Berufungsurteil kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das Tatsachengericht die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet hat, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird.
Normenkette
BGB § 242
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 22.03.2006; Aktenzeichen 6 Sa 1786/05) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 04.08.2005; Aktenzeichen 4 Ca 1354/05) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. März 2006 – 6 Sa 1786/05 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, als Service Manager am Dienstort D… beschäftigt zu werden oder ob dieser Anspruch mit der Zuordnung des Klägers zu dem Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb Vivento weggefallen ist.
Der 1958 geborene Kläger war seit 1973 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zunächst als Auszubildender, sodann als Fernmeldehandwerker. Zuletzt war er als Service Manager am Standort D… der Serviceniederlassung W… mit einem monatlichen Bruttoverdienst von ca. 3.300,00 Euro tätig. Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 29. September 1988 gelten die Bestimmungen des Tarifvertrags für die Angestellten der Deutschen Bundespost und der sonstigen Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.
Unter dem 29. Juni 2002 schloss die Beklagte mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di den Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio 2002), in Kraft getreten am 31. Juli 2002. Hintergrund war ein von der Beklagten geplanter erheblicher Personalabbau durch Rationalisierungsmaßnahmen. Hierzu enthielt § 3 TV Ratio 2002 detaillierte Regelungen zur Identifizierung der wegfallenden Arbeitsplätze, definiert nach Aufgabenträgernummern. Daran schloss sich nach § 4 TV Ratio 2002 das Clearingverfahren zur Auswahl des konkret betroffenen Arbeitnehmers an. Nach § 5 Abs. 1 TV Ratio 2002 wurde der nach diesen Bestimmungen identifizierte Arbeitnehmer in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (jetzt: Vivento) versetzt. Nach § 5 Abs. 2 TV Ratio 2002 hatte Vivento rechtzeitig die für die Vermittlung auf einen dauerhaften Arbeitsplatz erforderlichen Qualifizierungsprogramme zu erstellen und die entsprechenden Maßnahmen durchzuführen. Bis zur Weitervermittlung erfolgten nach § 5 Abs. 3 TV Ratio 2002 vorübergehende Beschäftigungen, auch in Form der Zeit- bzw. Leiharbeit iSd. AÜG, innerhalb und außerhalb des Konzerns der Deutschen Telekom AG. In § 7 TV Ratio 2002 heißt es ua.:
“§ 7 Gleichwertige und zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem Dauerarbeitsplatz
(1) Die Deutsche Telekom AG ist verpflichtet, den nach den §§ 3 und 4 identifizierten und von den Regelungen des § 5 erfassten Arbeitnehmern einen anderen gleichwertigen und zumutbaren Dauerarbeitsplatz innerhalb der Deutschen Telekom AG bzw. der Beteiligungsunternehmen nach Anlage 7 anzubieten (interne Vermittlung).
(2) Soweit dies nicht möglich ist, ist die Deutsche Telekom AG verpflichtet, dem betroffenen Arbeitnehmer einen anderen zumutbaren Dauerarbeitsplatz (interne Vermittlung) mit geringerer Bezahlung anzubieten. Davon betroffene Arbeitnehmer haben einen vorrangigen Anspruch auf unverzügliche Wiederverwendung auf einen gleichwertigen Dauerarbeitsplatz. Ein Arbeitsplatz mit geringerer Bezahlung ist ein Arbeitsplatz, der nicht gleichwertig im Sinne des Absatz 5 ist.
(3) Außerdem bietet die Deutsche Telekom AG diesen Arbeitnehmern auch zumutbare Dauerarbeitsplätze außerhalb der Deutschen Telekom AG bzw. der Beteiligungsunternehmen nach Anlage 7 an (externe Vermittlung).
…
(7) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, einen ihm angebotenen zumutbaren anderen Arbeitsplatz anzunehmen und sich ggf. einer Qualifizierungsmaßnahme zu unterziehen. Lehnt der Arbeitnehmer ein zumutbares Angebot oder eine Qualifizierungsmaßnahme bei der Deutschen Telekom AG bzw. einem Beteiligungsunternehmen nach Anlage 7 ab, so verliert er die Ansprüche aus diesem Tarifvertrag. Lehnt der Arbeitnehmer auch ein zweites zumutbares internes Vermittlungsangebot ab, so ist dies ein wichtiger Grund im Sinne des § 25 Absatz 4 und § 26 MTV, der zu einer Kündigung führen kann. Lehnt der Arbeitnehmer ein zweites externes zumutbares Angebot ab, so verliert er die Ansprüche aus diesem Tarifvertrag. Lehnt der Arbeitnehmer das dritte zumutbare externe Vermittlungsangebot ab, so ist dieses ein wichtiger Grund im Sinne des § 25 Absatz 4 und § 26 MTV, der zu einer Kündigung führen kann. Derartige Einzelfälle sind einer von der VQE festzulegenden Stelle mitzuteilen, die eine Regelung des Einzelfalles mit der Tarifvertragspartei oder einer von ihr bestimmten Stelle vor Ablauf der 2-Wochen-Frist herbeiführt.”
§ 7 Abs. 7 TV Ratio 2002 war nach § 5 Abs. 8 TV Ratio 2002 entsprechend anwendbar; betriebsbedingte Beendigungskündigungen waren nach § 11 Abs. 1 TV Ratio 2002 bis zum 31. Dezember 2004 ausgeschlossen.
Im Zuge des Auswahlverfahrens nach §§ 3, 4 TV Ratio 2002 wurde festgestellt, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz konkret verlieren werde. Zugleich richtete die Beklagte in dem Aufgabenbereich Service Operator mehrere neue gleichwertige Arbeitsplätze ein. Dem Kläger wurde ein solcher Arbeitsplatz angeboten. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2002 bat der Kläger um entsprechende Versetzung. Die Beklagte beantragte daraufhin schriftlich die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Versetzung. Diese wurde am 11. Dezember 2002 erteilt. Der Kläger wurde dennoch bis März 2003 in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich eingesetzt. Er lehnte den Wechsel auf den neuen Dauerarbeitsplatz als Service Operator ab und entschied sich für eine Versetzung zum Betrieb Vivento.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2003 teilte die Beklagte daraufhin dem Kläger mit, er werde mit Wirkung ab 1. Juni 2003 aus dienstlichen Gründen zur Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit Vivento versetzt und verwies auf § 5 TV Ratio 2002. Dort nahm der Kläger an mehreren Vermittlungsgesprächen und Qualifizierungsmaßnahmen teil. Im Übrigen erfolgten folgende vorübergehende Beschäftigungen:
14.07. – 31.12.2003 |
Technische Infrastruktur Niederlassung West |
13.04. – 04.06.2004 |
Technische Kundenniederlassung West |
03.08.04 – 21.01.05 |
V… T… S… GmbH & Co. KG (VTS) |
24.01. – 31.05.2005 |
VTS |
Mit seiner im März 2005 bei dem Arbeitsgericht erhobenen Klage hat der Kläger sich gegen seine Versetzung zum Betrieb Vivento gewandt. Diese sei rechtswidrig. Zugleich hat er seine Weiterbeschäftigung als Service Manager am Dienstort D… verlangt. Ihm sei unmittelbar nach der Versetzung noch nicht in vollem Umfang bewusst geworden, zu welchen gravierenden Einschnitten die Versetzung für sein künftiges Arbeitsverhältnis führe.
Während des arbeitsgerichtlichen Verfahrens hat der Kläger mit der Beklagten und der VTS einen dreiseitigen Vertrag zur Überleitung des mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses geschlossen. Danach ist der Kläger bei der VTS unbefristet beschäftigt; das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgehoben. Die Vereinbarung steht unter der auflösenden Bedingung des rechtkräftigen Obsiegens des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass die Versetzung des Klägers vom 8. Mai 2003 zum 1. Juni 2003 in den Betrieb Vivento rechtswidrig ist,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger – wie arbeitsvertraglich vereinbart – als Service Manager am Dienstort D… zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann das Recht auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO verwirken. Die Klage ist dann als unzulässig abzuweisen (vgl. BAG 2. November 1961 – 2 AZR 66/61 – BAGE 11, 353; 20. Mai 1988 – 2 AZR 711/87 – AP BGB § 242 Prozessverwirkung Nr. 5 = EzA BGB § 424 Prozessverwirkung Nr. 1; 24. Mai 2006 – 7 AZR 365/05 –). Ob dies auch dann gilt, wenn der Arbeitnehmer zugleich auf Leistung (hier: Beschäftigung) klagt und die Feststellungsklage als Zwischenfeststellungsklage iSv. § 256 Abs. 2 ZPO erhoben wird, kann dahinstehen. Die Klage ist jedenfalls als unbegründet abzuweisen (vgl. dazu BAG 12. Februar 2003 – 10 AZR 299/02 – BAGE 104, 324).
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage wegen Verwirkung abgewiesen. Die Unwirksamkeit einer Versetzung/einer Zuordnung müsse zwar nicht fristgebunden geltend gemacht werden. Die gesetzlichen Klagefristen in § 4 KSchG, §§ 17, 21 TzBfG ließen jedoch erkennen, dass Beendigungs- und Änderungstatbestände zeitnah geklärt werden sollen. Das erforderten ua. Planungs- und Rechtssicherheit des Arbeitgebers. Ein Zeitraum wie hier von annähernd zwei Jahren zwischen der Versetzung und der Zustellung der Klageschrift überschreite den denkbaren höchstmöglichen Rahmen. Wie bei den gesetzlich geregelten Beendigungs- und Änderungstatbeständen sei für den Beginn der Frist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Arbeitnehmer Kenntnis von der Versetzung erhalte. Die vom Kläger behauptete Zusicherung einer nur vorübergehenden Unterbringung im Betrieb Vivento verschiebe den Fristbeginn nicht. Unter Berücksichtigung der unmissverständlich erfolgten Zuordnungsentscheidung der Beklagten habe der Kläger eine solche Zusicherung allenfalls als eine ggf. fehlerhafte Wissenserklärung verstehen können. Vor der Klageerhebung habe der Kläger in keiner Weise zu erkennen gegeben, er sei mit der personellen Entscheidung der Beklagten nicht einverstanden und behalte sich eine Rechtsverfolgung vor. Diese Untätigkeit sei ihm zurechenbar. Die tatsächlichen und rechtlichen Folgen der Versetzung seien im Tarifvertrag unmissverständlich festgelegt. Auch das Umstandsmoment sei erfüllt. Objektiv habe der Kläger den Eindruck erweckt, er wolle sich nicht gegen die Zuordnung wenden. Trotz wiederholter Zuweisung anderer Arbeiten habe er seine Rechte nicht angemeldet, sondern sei den Weisungen der Beklagten gefolgt. Darauf habe die Beklagte vertrauen dürfen und auch tatsächlich vertraut. Die Versetzung sei in umfassende, mitbestimmte Änderungen der Beschäftigungssituation einer erheblichen Anzahl von Arbeitnehmern eingebettet gewesen. Ein Rückgängigmachen führe zu komplexen Rückwirkungen, die der Beklagten nicht zuzumuten seien.
2. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Der Kläger kann nicht (mehr) geltend machen, die im Mai 2003 erfolgte Zuordnung zu dem Vermittlungs- und Beschäftigungsbetrieb Vivento sei rechtsunwirksam. Er kann dementsprechend von der Beklagten nicht verlangen, auf seinem vor der Versetzung innegehabten Arbeitsplatz beschäftigt zu werden. Sein möglicherweise durch die Versetzung verletztes Recht auf vertragsgemäße Beschäftigung ist verwirkt. Ob die in § 5 Abs. 1 und Abs. 3 TV Ratio 2002 getroffene Regelung von der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Befugnis der Tarifvertragsparteien gedeckt ist, ist deshalb offen zu lassen.
a) Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung und mit dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens verwandt. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes (§ 242 BGB) und dient dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Mit der Verwirkung soll das Auseinanderfallen zwischen rechtlicher und sozialer Wirklichkeit beseitigt werden; die Rechtslage wird der sozialen Wirklichkeit angeglichen (st. Rspr. vgl. Senat 18. Februar 1992 – 9 AZR 118/91 – EzA BUrlG § 1 Verwirkung Nr. 1 mwN). Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte sein Recht über einen bestimmten Zeitraum hin nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage war (sog. Zeitmoment) und sich der Schuldner wegen dieser Untätigkeit des Berechtigten bei objektiver Beurteilung darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde, so dass ihm insgesamt deshalb dessen Befriedigung nicht zuzumuten ist (sog. Umstandsmoment). Zum Zeitablauf müssen deshalb besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts mit Treu und Glauben als unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (st. Rspr. vgl. BAG 25. April 2001 – 5 AZR 497/99 – BAGE 97, 326; Senat 28. Mai 2002 – 9 AZR 145/01 – EzA BGB § 242 Verwirkung Nr. 2). Zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung. Der erforderliche Zeitablauf kann umso kürzer sein, je gravierender die Umstände sind, und umgekehrt sind an diese Umstände desto geringere Anforderungen zu stellen, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (vgl. BGH 19. Oktober 2005 – XII ZR 224/03 – NJW 2006, 219; LAG Baden-Württemberg 11. Februar 1983 – 1 Sa 50/82 – AP BGB § 242 Verwirkung Nr. 40).
b) Der Verwirkung unterliegt grundsätzlich jeder Anspruch und jedes Recht. Dazu gehört auch das Recht des Arbeitnehmers, die Rechtsunwirksamkeit einer Versetzung geltend zu machen (vgl. BAG 19. November 2002 – 3 AZR 591/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie Nr. 18 = EzA TVG § 4 Papierindustrie Nr. 6). Der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebende Anspruch des Arbeitnehmers auf tatsächliche Beschäftigung an dem früheren Arbeitsplatz ist nicht ausgenommen.
c) Die Frage, ob ein Anspruch verwirkt ist, hängt im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalls ab. Deren Feststellung und Würdigung ist vorrangig Sache des Tatrichters, der den vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu beurteilen hat. Sie ist in der Revisionsinstanz deshalb nur eingeschränkt nachprüfbar. Das Berufungsurteil kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das Tatsachengericht die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet hat, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird (vgl. BGH 19. Oktober 2005 – XII ZR 224/03 – NJW 2006, 219).
d) Derartige revisionsrechtlich berücksichtigungsfähige Fehler des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger nicht aufgezeigt; sie sind auch nicht ersichtlich. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das Landesarbeitsgericht die Tatsache, dass sich der Kläger ausdrücklich für einen Wechsel zum Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb Vivento und gegen den ihm angebotenen Dauerarbeitsplatz entschieden hat, nicht näher gewürdigt hat. Das hätte möglicherweise zu der weitergehenden Prüfung Anlass gegeben, ob die Versetzung trotz des formularmäßigen Versetzungsschreibens einvernehmlich erfolgt ist. Die Rechte des Klägers sind jedenfalls der rechtsvernichtenden Einwendung der Verwirkung ausgesetzt.
aa) Das gilt zunächst hinsichtlich des Zeitmoments.
(1) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger nahezu zwei Jahre verstreichen lassen, ehe er mit seiner Klage gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht hat, er sei mit der Zuordnung zu Vivento nicht einverstanden. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dieser Zeitraum erfülle das Zeitmoment, hält sich in seinem Beurteilungsspielraum. Sie steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das das Zeitmoment in einem Fall bejaht hat, in dem ein Arbeitnehmer nach Zugang einer nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegenden Kündigung 22 Monate wartete, ehe er sich gegen deren Wirksamkeit gewandt hatte (BAG 2. Dezember 1999 – 8 AZR 890/98 – AP BGB § 242 Prozessverwirkung Nr. 6 = EzA BGB § 242 Prozessverwirkung Nr. 3).
(2) Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
Er meint, er habe abwarten dürfen, ob die Beklagte ihre “Selbstverpflichtung” gemäß § 7 TV Ratio 2002 erfülle, ihm also einen neuen Dauerarbeitsplatz anbiete und sich deshalb die Versetzung zum Betrieb Vivento tatsächlich nur als vorübergehend darstelle. Um diese Zeitspanne verschiebe sich der Beginn des Zeitmoments. Das gelte insbesondere deshalb, weil ihm von Vorgesetzten wiederholt zugesagt worden sei, die Zuordnung zu Vivento sei nur vorübergehend. Mit dieser Argumentation verkennt der Kläger, dass der für die Verwirkung maßgebliche Zeitraum beginnt, sobald er seine Rechte erkennen und sie der Beklagten gegenüber geltend machen konnte. Das war hier bereits im Mai 2003 der Fall, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Die mit der Zuordnung zu Vivento, der Versetzung iSv. § 5 Abs. 1 TV Ratio 2002, verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Folgen konnte der Kläger den tariflichen Vorschriften und dem Inhalt des Versetzungsschreibens entnehmen. Das gilt sowohl für die (endgültige) Entziehung des bisherigen Dauerarbeitsplatzes als auch für die (vorübergehende) Zuordnung zu Vivento bis zur Vermittlung eines anderen Dauerarbeitsplatzes.
Der Kläger übersieht ein Weiteres. Sein Einwand zielt letztlich nicht auf die Rechtsverbindlichkeit der zum 1. Juni 2003 erfolgten Versetzung. Er betrifft vielmehr die Vertragspflichten der Beklagten, die sich aus der Zuordnung zu dem Vermittlungsund Qualifizierungsbetrieb Vivento ergeben. Denn zum Angebot eines Dauerarbeitsplatzes iSv. § 7 TV Ratio 2002 war die Beklagte nur gegenüber den sog. Transfermitarbeitern verpflichtet. Enttäuscht wurde danach allenfalls die Erwartung des Klägers über die Zeitspanne, die von der Beklagten benötigt wurde, ehe sie ihm einen zumutbaren und gleichwertigen Arbeitsplatz iSd. Tarifvorschrift anbieten konnte.
Deshalb führen auch die vom Kläger behaupteten Zusagen von Vorgesetzten zu keinem anderen Ergebnis. Sie entsprachen der tariflichen Ausgangssituation. Die Auslegung des Landesarbeitgerichts, bei derartigen Zusagen habe es sich, die Wahrheit der Behauptung des Klägers unterstellt, allenfalls um “Wissenserklärungen” gehandelt, wird im Übrigen von der Revision nicht angegriffen.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat entgegen der Auffassung des Klägers auch das Umstandsmoment revisionsrechtlich rechtsfehlerfrei bejaht. Sein Vorbringen lässt nicht erkennen, dass es seinen Beurteilungsspielraum überschritten hätte. Mit dem alleinigen Einwand des Klägers, er sei den Weisungen der Beklagten lediglich nachgekommen, um arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, deshalb dürfe ihm daraus kein Nachteil erwachsen, hat sich bereits das Arbeitsgericht befasst, dessen Entscheidungsgründe sich das Landesarbeitsgericht ausdrücklich zu eigen gemacht hat. Zu Recht hat es ihn als unerheblich beurteilt. Für das Umstandsmoment kommt es nicht auf die Motive des Gläubigers an, weshalb er (mögliche) Rechte nicht wahrnimmt, sondern darauf, wie sein Verhalten vom Schuldner aufgefasst werden darf. Aus Sicht der Beklagten war die nahezu zweijährige widerspruchslose Kooperation des Klägers jedoch ein unmissverständliches Zeichen dafür, er habe ihre personelle Entscheidung hingenommen und werde diese nicht mehr angreifen.
3. Der Beschäftigungsantrag ist danach ebenfalls unbegründet. Da der Kläger sich nicht mit Erfolg gegen die Versetzung zum Betrieb Vivento wenden kann, ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auf Grund des dreiseitigen Vertrags aufgehoben. Die auflösende Bedingung – Obsiegen mit dem Feststellungsantrag 1 – ist nicht eingetreten.
III. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Krasshöfer, Reinecke, Kappes, Micha Heilmann
Fundstellen
Haufe-Index 1697475 |
DB 2007, 579 |