Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung wegen Verspätungen
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Arbeitnehmer besteht weder eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht noch eine entsprechende Obliegenheit, gegen die Richtigkeit einer Abmahnung gerichtlich vorzugehen.
2. Hat der Arbeitnehmer davon abgesehen, die Berechtigung einer Abmahnung gerichtlich überprüfen zu lassen, so ist er grundsätzlich nicht daran gehindert, die Richtigkeit der abgemahnten Pflichtwidrigkeiten in einem späteren Kündigungsschutzprozeß zu bestreiten.
Orientierungssatz
Ordentliche Kündigung eines Fernmeldehandwerkers wegen häufiger Verspätungen nach Abmahnungen; Frage, ob der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß die abgemahnten Pflichtwidrigkeiten auch dann noch bestreiten kann, wenn er gegen die Abmahnung nicht gerichtlich vorgegangen ist.
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 14.03.1985; Aktenzeichen 4 Sa 3/85) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 02.10.1984; Aktenzeichen 53 Ca 16/84) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Juni 1984 zum 31. Dezember 1984 rechtswirksam beendet worden ist.
Der etwa 32-jährige Kläger war bei der Beklagten seit 1971 als Auszubildender und seit April 1974 als Fernmeldehandwerker beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis fanden vereinbarungsgemäß die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung.
Der Kläger war ab dem Jahr 1981 in einer Arbeitsgruppe tätig, die an verschiedenen Dienststellen in den Bezirken Kreuzberg, Tempelhof, Britz, Rudow und Lichtenrade eingesetzt wurde. Die einzelnen Gruppen hatten sich zunächst innerhalb von fünfzehn Minuten, später innerhalb von fünf Minuten nach ihrem Dienstbeginn um 7.00 Uhr bei der Dienststelle am M (oder L) Damm telefonisch zu melden. Seinen dort tätigen Vorgesetzten fiel der Kläger seit August 1981 wegen häufiger verspäteter telefonischer Rückmeldungen auf.
Die Beklagte rügte den verspäteten Dienstantritt mit Schreiben vom 2. August 1982, das dem Kläger am 6. September 1982 ausgehändigt worden ist. Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut:
„Sie nahmen im Dezember 1981 an 9 Tagen verspätet Ihre Arbeit auf. Ausnahmsweise ließen wir es bei einem Lohnabzug für insgesamt 5 Stunden bewenden. Sie wurden jedoch darauf hingewiesen, daß Sie sich künftig in jeder Hinsicht tadelsfrei zu führen haben.
Trotz mehrfacher Ermahnungen nahmen Sie erneut in den Monaten Januar bis Juli 1982 an 19 Tagen Ihre Arbeit verspätet auf. Es handelt sich hierbei im Einzelfall um Verspätungen zwischen 20 Minuten und mehr als 3 Stunden.
Durch Ihr Verhalten haben Sie beharrlich gegen die Ihnen nach dem Arbeitsvertrag obliegenden Pflichten verstoßen. Sie werden daher letztmalig ermahnt, Ihre Arbeit pünktlich aufzunehmen.
Für die Monate Juni/Juli 1982 werden wir für die versäumten Zeiten Lohnabzug veranlassen.
Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, daß Sie bei weiteren Verspätungen mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen (Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Kündigung) zu rechnen haben.”
In der Folgezeit kam es erneut zu verspäteten telefonischen Rückmeldungen des Klägers. Wegen verspäteten Dienstantritts wurde dem Kläger mehrfach der Lohn gekürzt, was dieser jeweils unwidersprochen hinnahm.
Im November 1983 leitete die Beklagte das Anhörungsverfahren beim Personalrat hinsichtlich der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses ein. Mit Schreiben vom 10. Februar 1984, das dem Kläger am 15. Februar 1984 ausgehändigt wurde, wies die Beklagte ihn auf weitere Verspätungen hin und brachte zum Ausdruck, daß sie das Kündigungsverfahren weiterbetreiben werde.
Auch nach diesem Zeitpunkt kam es wieder zu verspäteten fernmündlichen Meldungen des Klägers. Mehrfache Lohnabzüge nahm der Kläger widerspruchslos hin. Der Kläger gestand zu, am 30. März und 2. April 1984 jeweils eine Stunde zu spät gekommen zu sein, da er verschlafen habe.
Mit Schreiben vom 24. und 27. April 1984 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen ständigen Zuspätkommens zum 30. September 1984.
Am 10. und 11. Mai 1984 meldete sich der Kläger erneut um etwa eine Stunde verspätet bei seiner ständigen Dienststelle.
Die vom Kläger gerichtlich angegriffene erste Kündigung nahm die Beklagte – wegen Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens – mit Schreiben vom 22. Juni 1984, das dem Kläger am 26. Juni 1984 ausgehändigt worden ist, wieder zurück und sprach gleichzeitig eine erneute Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1984 aus. Dieser Kündigung hatte der örtliche Personalrat mit Schreiben vom 22. Juni 1984 ausdrücklich zugestimmt.
Der Kläger hat bezüglich der zweiten Kündigung die ursprüngliche Kündigungsschutzklage erweitert und in dem Verhandlungstermin vom 24. Juli 1984 seine Klage gegen die erste Kündigung zurückgenommen.
Zur Begründung seines Klagebegehrens hat der Kläger in den Vorinstanzen ausgeführt, die Beklagte könne sich auf die von ihr gefertigte Aufstellung über die jeweiligen Fehlzeiten vom 17. Juli 1984 nicht berufen, weil deren Richtigkeit nicht nachprüfbar sei. Die ausgesprochenen Abmahnungen und die vorgenommenen Lohnabzüge habe er hingenommen, weil ihm Widerspruch sinnlos erschienen sei.
Soweit es tatsächlich zu verspäteten telefonischen Meldungen gekommen sei, habe sich die Beklagte dies selbst zuzuschreiben. Sie habe den Arbeitsbeginn auf 7.00 Uhr am jeweiligen Einsatzort festgesetzt, ohne zu berücksichtigen, daß die Einsatzorte verschieden weit vom Wohnsitz der Arbeitnehmer entfernt gelegen hätten und die Anfahrtswege auf eigene Kosten und ohne Anrechnung auf die Dienstzeit hätten zurückgelegt werden sollen, was vertraglich nicht festgelegt worden sei. Die Beklagte habe auch willkürlich den Zeitpunkt für die telefonische Meldung von 7.15 Uhr auf 7.05 Uhr und sogar auf 7.00 Uhr vorverlegt. Diese Zeiten seien nicht immer einzuhalten gewesen, da am jeweiligen Arbeitsplatz um 7.00 Uhr die Außentür bisweilen noch verschlossen gewesen sei und er vor dem jeweiligen Dienstgebäude habe warten müssen, wenn der diensthabende Kollege ihm nicht gleich geöffnet habe, weil er nicht anwesend oder auf Kontrollgang gewesen sei. Außerdem sei weitere Zeit verstrichen, bis er sich umgezogen und sich einen Schlüssel für den Dienstraum mit Telefonanschluß besorgt habe. In Fällen, in denen das Telefon bei der Beklagten besetzt gewesen sei, seien zusätzliche Verzögerungen eingetreten. Die anzurufende Telefonnummer sei gegen 7.00 Uhr häufig besetzt gewesen, da mit den Anrufen teilweise auch Arbeitsanweisungen und Informationen über den Arbeitseinsatz verbunden gewesen seien. Allein diese organisatorischen Gründe hätten „Fehlzeiten” von ca. fünf bis 32 Minuten ergeben.
Die Beklagte könne sich nur auf Fehlzeiten berufen, die nach dem 27. April 1984 aufgetreten seien, weil nur diese Gegenstand des Anhörungsverfahrens beim Personalrat gewesen seien, nicht dagegen die gerügten verspäteten Arbeitsantritte seit dem Jahr 1981.
Am 10. Mai 1984 sei er eine Stunde zu spät erschienen, weil er wegen heftiger Magenschmerzen in der Nacht nicht habe schlafen können und deshalb morgens verschlafen habe. Am 11. Mai 1984 sei er pünktlich erschienen, jedoch habe ihm niemand geöffnet. Ein Kollege habe erst einen Schlüssel besorgen müssen, wodurch eine Fehlzeit von einer Stunde entstanden sei. Nach seiner Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz (am 28. Mai 1984) sei es zu keinen relevanten Verspätungen mehr gekommen.
Der Kläger hat beantragt, festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die weitere Kündigung vom 22. Juni 1984 – zugegangen am 22. Juni 1984 (richtig: 26. Juni 1984) – nicht aufgelöst ist, sondern über den 31. Dezember 1984 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, daß die Kündigung wegen der häufigen Verspätungen des Klägers aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sei. Durch die häufigen verspäteten Dienstantritte des Klägers sei die ordnungsgemäße Abwicklung des Dienstbetriebes außerordentlich belastet worden, weil jedesmal bei den Vorgesetzten und Mitarbeitern Ungewißheit über die Einteilung des täglichen Arbeitspensums entstanden sei. Auch sei der Betriebsfrieden hierdurch empfindlich gestört worden.
Bei pünktlichem Dienstantritt sei der Einlaß am Einsatzort gewährleistet gewesen, denn um 7.00 Uhr sei immer jemand anwesend gewesen, um die Tür zu öffnen. Der Kläger habe nicht auf Kollegen warten müssen, um eingelassen zu werden, vielmehr hätten seine Kollegen auf ihn warten und sich auf seine Unpünktlichkeit einrichten müssen, um ihm auch nach 7.00 Uhr Einlaß in das Dienstgebäude zu gewähren. Den Mitarbeitern, die in der gleichen Situation wie der Kläger gewesen seien, sei es regelmäßig gelungen, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen. Bei einem auf 7.00 Uhr festgesetzten Arbeitsbeginn hätte der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits arbeitsbereit sein müssen. Deshalb könne er sich nicht darauf berufen, für das Anlegen der Arbeitskleidung Zeit benötigt zu haben. Ferner hätten sich auch keine nennenswerten Verzögerungen bei der Entgegennahme der Telefonate ergeben können, denn es hätte sich jeweils nur ein Mitarbeiter dreier verschiedener Bautrupps melden müssen. Bei lediglich drei kurzen Telefonaten habe es so gut wie keine zeitliche Verzögerung gegeben. Aufgrund der tarifvertraglichen Regelung in § 18 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1 TV Arb sei bei Arbeiten außerhalb der ständigen Dienststelle der Arbeiter arbeitszeitrechtlich so gestellt, wie wenn er die Arbeit an der ständigen Dienststelle aufzunehmen oder zu beenden hätte. Unterschiedlich weite Anfahrtswege zu den Einsatzorten seien nicht als Arbeitszeit anzuerkennen, es sei denn, daß sie ausgehend von der ständigen Dienststelle zu einem Einsatzort oder zwischen mehreren Einsatzorten anfielen.
In den Fällen seiner aktenkundigen Anhörung habe der Kläger nie auf die vermeintlichen organisatorischen Hinderungsgründe hingewiesen, sondern jeweils zugegeben, verschlafen zu haben.
Die Vorgesetzten des Klägers hätten stets korrekt vermerkt, wann sich dieser telefonisch gemeldet habe. Der eigenen telefonischen Meldungen des Klägers habe es nur deshalb bedurft, weil er aufgrund seiner Verspätungen nicht in das seine Arbeitsgruppe betreffende Telefonat habe einbezogen werden können.
Selbst nach Zugang der ersten Kündigung habe der Kläger sein Verhalten nicht geändert und dadurch seine Uneinsichtigkeit zum Ausdruck gebracht.
Der Personalrat sei über den gesamten Kündigungssachverhalt informiert worden, soweit dies nicht bereits im Rahmen der ersten Kündigung erfolgt sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger die Klage um den Vergütungsanspruch für den Monat Januar 1985 erweitert.
Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Hinsichtlich des in der Berufungsinstanz erstmals geltend gemachten Zahlungsantrags hat es die Klage abgewiesen.
Mit der vom Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 21. August 1985 zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz gestellten Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Kläger könne sich auf die Unrichtigkeit der mit den Schreiben vom 2. August 1982 und 10. Februar 1984 gerügten Verspätungen nicht mehr berufen, weil er diese Abmahnungen nicht innerhalb eines zumutbaren Zeitraums angegriffen habe. Es hat außerdem den Begriff des „Beginns der Arbeitszeit” verkannt, indem es maßgeblich auf den erfolgreichen Anruf des Klägers in der ständigen Dienststelle abgestellt hat.
Aus diesen Gründen fehlen – soweit der Kläger Verspätungen nicht ausdrücklich zugestanden hat – für das Revisionsgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen über Häufigkeit und Umfang des verspäteten Dienstantritts des Klägers, so daß dem Senat eine abschließende Entscheidung über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung nicht möglich ist.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat die von der Beklagten erklärte ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für sozial gerechtfertigt angesehen und seinen Standpunkt im wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger seien durch mindestens zwei schriftliche Abmahnungen vom 2. August 1982 und 10. Februar 1984 erhebliche Fehlzeiten durch häufige verspätete Arbeitsaufnahme vorgehalten und ihm für den Wiederholungsfall die Kündigung angedroht worden; ferner habe die Beklagte für die versäumten Stunden Lohnabzüge vorgenommen. Der Kläger habe hiergegen keine Gegenvorstellungen erhoben.
Der Arbeitnehmer sei berechtigt, gegen Abmahnungen notfalls klageweise vorzugehen und deren Entfernung aus den Personalakten zu erzwingen. Hieraus folge aber auch die Pflicht, dies zu tun, falls er sie nicht gegen sich gelten lassen wolle. Greife der Arbeitnehmer eine Abmahnung nicht an, könne er sich später im Kündigungsschutzprozeß nicht auf die Unrichtigkeit der in ihnen abgemahnten Verhaltensverstöße berufen.
Es sei deshalb davon auszugehen gewesen, daß der Kläger in dem in beiden Abmahnungsschreiben angegebenen Umfang verspätet am Arbeitsplatz erschienen sei. Schließlich habe der Kläger auch zugestanden, sich am 10. Mai 1984 am Arbeitsplatz mit einer Stunde Verspätung eingefunden und am 11. Mai 1984 mit einer Stunde Verspätung den ihm auferlegten Telefonanruf mit seiner ständigen Dienststelle geführt zu haben.
Die Beklagte sei auch aus personalvertretungsrechtlichen Gründen nicht gehindert, sich auf sämtliche Verspätungen zu berufen, denn dadurch, daß sie die am 27. April 1984 ausgesprochene Kündigung wegen formeller Mängel zurückgezogen habe, seien die für die erste Kündigung maßgebenden Gründe nicht etwa gegenstandslos geworden. Nach dem Wortlaut des Kündigungsschreibens seien die nach Ausspruch der ersten Kündigung vorgekommenen Verspätungen lediglich ergänzend zur Begründung angeführt worden. Die früheren Verspätungen seien auch Gegenstand des Mitbestimmungsverfahrens gewesen.
Die Vielzahl der verspäteten Dienstantritte und das Ausmaß der dadurch versäumten Arbeitszeit seien derart schwerwiegend, daß hierin eine nachhaltige Störung des Arbeitsablaufs gesehen werden müsse. Da der Kläger in einer Arbeitsgruppe tätig gewesen sei, hätten seine Verspätungen den verspäteten Arbeitsbeginn auch der anderen Arbeitnehmer zur Folge gehabt. Dies habe zu einer Störung des Betriebsfriedens führen müssen, weil die übrigen Gruppenmitglieder jeweils auf den Kläger hätten warten müssen.
Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, eine fehlerhafte Organisation der Beklagten habe die Verspätungen verursacht. Es hätten sich zwar sämtliche Mitglieder seiner Arbeitsgruppe telefonisch in der ständigen Dienststelle melden müssen; bei pünktlichem Eintreffen aller Gruppenmitglieder hätte dies in einem Telefonat erledigt werden können. Sei am Einsatzort nicht gleich geöffnet worden, hätte dies der Kläger sogleich gegenüber der Beklagten bemängeln müssen und sich hierbei auf die übrigen Arbeitskollegen berufen können, die dann in derselben Lage gewesen wären.
Vor allem verkenne der Kläger, daß der Arbeitnehmer zu dem vertraglich festgelegten Arbeitsbeginn einsatzfähig und einsatzbereit am Arbeitsplatz zu erscheinen habe. Zeiten, die durch das Öffnen der Tür und das Aufsuchen des Telefons regelmäßig angefallen seien, hätte er so kalkulieren müssen, daß sie noch vor dem Arbeitsbeginn gelegen hätten. Der Kläger habe demzufolge nicht erst um 7.00 Uhr am Einsatzort erscheinen dürfen, sondern hätte einige Minuten vorher dort eintreffen müssen, um rechtzeitig telefonieren zu können.
Der Kläger könne nicht damit gehört werden, die Beklagte hätte die verschieden langen Entfernungen zwischen seinem Wohnsitz und den einzelnen Einsatzorten bei der Festsetzung der Arbeitszeit berücksichtigen müssen. Aus § 18 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1 des TV Arb ergebe sich, daß der Arbeiter bei direkter Anfahrt des Einsatzortes arbeitszeitrechtlich so zu behandeln sei, als habe er die Arbeit an der ständigen Dienststelle aufzunehmen oder zu beenden. Wenn dem Arbeiter gestattet oder aufgetragen worden sei, die Arbeit unmittelbar an der Arbeitsstelle anzutreten, ohne vorher seine ständige Dienststelle aufzusuchen, habe bei Arbeitsbeginn der Arbeitsantritt am Einsatzort zu erfolgen. Der Kläger habe seit Jahren gewußt, daß mit seiner Tätigkeit eine derartige Arbeitszeitregelung verbunden sei. Dadurch, daß er sie hingenommen habe, habe er sich damit einverstanden erklärt.
Der Kläger könne seine Verspätungen nicht mit nächtlichen Erkrankungen rechtfertigen, denn er habe nicht vorgetragen, diese seien in jedem der angeführten Verspätungsfälle aufgetreten. Im übrigen hätte er als Entschuldigung für sein Verhalten ein Attest vorlegen müssen.
Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen und Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – insbesondere der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers – sei die Beklagte berechtigt gewesen, sich vom Kläger durch Kündigung zu trennen. Immerhin sei der Kläger bereits seit 1982 abgemahnt worden und schulde auch nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit ein vertragsgerechtes Arbeitsangebot.
II.
Diesen Ausführungen kann weder im Ergebnis noch in der Begründung gefolgt werden.
1. Zwar ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer Nachprüfung im Revisionsverfahren nur in beschränktem Maße zugänglich; denn bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und ob es sie widerspruchsfrei gewürdigt hat (st. Rspr. des BAG, vgl. BAGE 42, 151, 157 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe; BAGE 45, 146, 151 = AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I der Gründe; jeweils m.w.N.). Selbst unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabes hält das angefochtene Urteil der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.
2. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ausgangspunkt darin zu folgen, daß wiederholte Verspätungen des Arbeitnehmers nach vorheriger Abmahnung an sich geeignet sind, eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial zu rechtfertigen (vgl. KR-Becker, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 254 m.w. N.).
Durch das unpünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz verletzt der Arbeitnehmer schuldhaft seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, die Arbeit mit Beginn der betrieblichen Arbeitszeit aufzunehmen, wenn dies auf einem vorwerfbaren Verhalten des Arbeitnehmers beruht, dieser also die Verspätung zu vertreten hat. Ob das Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Einzelfall geeignet ist, einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung zu bestimmen (vgl. BAG Urteil vom 2. November 1961 - 2 AZR 241/61 - BAGE 11, 357 = AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung), ist unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände durch eine umfassende Abwägung der gegenseitigen Interessen zu ermitteln (vgl. KR-Becker, aaO, Rz 230 m.w.N.).
3. Rechtsfehlerhaft ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, der Kläger könne sich im Kündigungsschutzprozeß nicht auf die Unrichtigkeit der in den Schreiben vom 2. August 1982 und 10. Februar 1984 abgemahnten Verspätungen berufen, da er gegen diese Abmahnungen nicht, was seine Pflicht gewesen wäre, – notfalls klageweise – vorgegangen sei, sondern sogar Lohneinbehalte unwidersprochen hingenommen habe. Bereits aus diesem Grunde ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit wegen der noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen über das genaue Ausmaß der Verspätungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Das Landesarbeitsgericht ist ohne nähere Sachprüfung von der Richtigkeit der abgemahnten Verspätungen ausgegangen. Es hat demnach Verspätungen an neun Tagen im Monat Dezember 1981 in einem Umfang von mehr als fünf Stunden, an 19 Tagen in den Monaten Januar bis Juli 1982 zwischen jeweils 20 Minuten und drei Stunden und an 34 Tagen in den Monaten Dezember 1983 bis Februar 1984 in einem Gesamtumfang von elf Stunden und 39 Minuten seiner kündigungsrechtlichen Würdigung zugrundegelegt. Es fehlen tatsächliche Feststellungen darüber, wie häufig und in welchem zeitlichen Umfang der Kläger vor dem 10. Februar 1984 zu spät gekommen ist. Da allein die vom Kläger zugestandenen Verspätungen am 30. März, 2. April und 10. Mai 1984 unter Berücksichtigung seiner Betriebszugehörigkeit eine ordentliche Kündigung nicht rechtfertigen, war der Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).
a) Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, daß ein Arbeitnehmer zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, gegen eine Abmahnung gerichtlich vorzugehen. Aus dem Umstand, daß dem Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung sowie auf Entfernung des Abmahnungsschreibens aus den Personalakten zusteht (vgl. etwa BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu I 3 a der Gründe, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt; BAG Urteil vom 12. Juni 1986 - 6 AZR 559/84 -, unveröffentlicht, zu I der Gründe), kann nicht gefolgert werden, daß er hierzu auch verpflichtet sei. Für einen Arbeitnehmer besteht weder eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht noch eine entsprechende Obliegenheit, gegen eine Abmahnung klageweise vorzugehen. Sieht der Arbeitnehmer davon ab, die Berechtigung einer Abmahnung gerichtlich klären zu lassen, so ist es ihm unbenommen, in einem späteren Kündigungsschutzprozeß die Richtigkeit der abgemahnten Pflichtwidrigkeiten zu bestreiten. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, die Richtigkeit der zwar abgemahnten, aber vom Arbeitnehmer bestrittenen Pflichtwidrigkeiten zu beweisen (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG).
Seine gegenteilige Rechtsansicht stützt das Landesarbeitsgericht zu Unrecht auf die in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 8. August 1968 - 2 AZR 348/67 - AP Nr. 57 zu § 626 BGB, vom 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - AP Nr. 62 zu § 626 BGB, vom 29. Juli 1976 - 3 AZR 50/75 - AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung und vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung). In diesen Urteilen hat das Bundesarbeitsgericht bei bestimmten Fallkonstellationen lediglich auf das Erfordernis einer vorherigen vergeblichen Abmahnung für eine Kündigung abgestellt, nicht jedoch auf das Erfordernis eines vorherigen Abmahnungsprozesses für einen späteren Kündigungsschutzprozeß. Allerdings findet die Rechtsansicht des Landesarbeitsgerichts in neueren Entscheidungen einiger Instanzgerichte (vgl. LAG Frankfurt am Main vom 22. Dezember 1983 - 12 Sa 542/83 - DB 1984, 1355; ArbG Berlin vom 8. Oktober 1984 - 30 Ca 158/84 - DB 1985, 1140), die teilweise auch in der Literatur Zuspruch gefunden haben (vgl. Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 92; Becker-Schaffner, DB 1985, 650, 654; Hunold, BB 1986, 2050, 2054), eine Stütze.
b) Dieser Auffassung kann aus den folgenden Gründen nicht gefolgt werden:
Zwar können nicht nur Ansprüche, sondern auch andere Rechtspositionen (vgl. BAG Urteil vom 9. Juli 1958 - 2 AZR 438/56 - BAGE 6, 165, 166 f. = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Verwirkung, zu III der Gründe; Soergel/Teichmann, BGB, 11. Aufl., § 242 Rz 335; jeweils m.w.N.), worunter auch prozessuale Rechte fallen (vgl. BAG Urteil vom 11. November 1982 - 2 AZR 552/81 - AP Nr. 71 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu B II 3 b der Gründe; Senatsurteil vom 26. Juni 1985 - 7 AZR 215/84 - n. v., zu II 1 der Gründe; Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl., vor § 128 Rz 13; jeweils m.w.N.), der Verwirkung unterliegen. Ob zu diesen verwirkbaren prozessualen Rechten im Einzelfall auch die Befugnis zum substantiierten Bestreiten des gegnerischen Sachvortrags und das Anbieten von Gegenbeweismitteln zählen kann, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Um den im Kündigungsschutzprozeß darlegungs- und beweispflichtigen Arbeitgeber (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG) vor einem unredlichen Verhalten des Arbeitnehmers zu schützen, bedarf es in der Regel keines Zurückgreifens auf das Rechtsinstitut der Verwirkung. Bei arglistigem Verhalten des Prozeßgegners bieten die §§ 427, 444 ZPO der beweisbelasteten Partei die Möglichkeit erleichterter Beweisführung. Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen haben Rechtsprechung und Lehre den das gesamte Beweisverfahren beherrschenden Grundsatz abgeleitet, daß die Beweisführung dem Gegner nicht in arglistiger Weise erschwert oder gar vereitelt werden darf (vgl. BGH NJW 1963, 389 f.; Zöller/Stephan, aaO, Anm. zu § 427 und vor § 284 Rz 21, jeweils m.w.N.). Ergibt sich dies aus dem bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigenden vorprozessualen bzw. prozessualen Verhalten des Gegners, so kommt es zu einer Umkehr der Beweislast (vgl. Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO, 19. Aufl., § 282 Anm. IV 7 b m.w.N.). Nach Zöller (aaO, vor § 284 Rz 21) kann die redliche beweisbelastete Partei in diesem Fall von der Notwendigkeit (weiteren) Beweises enthoben werden. Nach der Ansicht von Egon Schneider (Beweis und Beweiswürdigung, 3. Aufl., S. 36 f.) wird dem Gegner des Beweisführers untersagt, sich auf die Beweislücke zu berufen, weil er sich andernfalls mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen würde – Gedanke des venire contra factum proprium -, so daß im Rahmen konkreter Beweissituationen auch Verwirkungsgesichtspunkte zum Tragen kommen (vgl. hierzu Soergel/Teichmann, BGB, 11. Aufl., § 242 Rz 312 ff., 332 ff., 336). Daneben können bei Unzumutbarkeit der Beweisführung zugunsten der beweisbelasteten Partei die Regeln des „Anscheinsbeweises” bzw. die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO in erweitertem Umfang zur Anwendung kommen (vgl. Zöller/Stephan, aaO, vor § 284 Rz 22, § 286 Rz 16; Schneider, aaO, S. 85).
Mit diesem zivilprozessualen Instrumentarium kann einer – in den Fällen der vorliegenden Art unter Umständen auftretenden – Verschlechterung der Darlegungs- und Beweissituation des Arbeitgebers jedenfalls dann entgegengewirkt werden, wenn sie vom abgemahnten Arbeitnehmer in unredlicher Weise (mit-) verursacht worden ist. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer mündlich oder schriftlich erklärt hat, gegen die Richtigkeit der abgemahnten Pflichtwidrigkeiten in tatsächlicher Hinsicht keine Einwendungen erheben zu wollen, und der Arbeitgeber deshalb davon abgesehen hat, entsprechende Beweismittel zu sichern. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Richtigkeit der abgemahnten Pflichtwidrigkeiten befragen und dessen Reaktionen (z. B. Bestreiten oder Zugeständnis) bei der Sicherung seiner Beweismittel berücksichtigen kann. Das bloße Untätigbleiben des Arbeitnehmers gegenüber einer Abmahnung stellt noch kein unredliches vorprozessuales Verhalten dar. Dies gilt ebenso, wenn der Arbeitnehmer lediglich durch seine Unterschrift auf dem Abmahnungsschreiben zum Ausdruck gebracht hat, von den abgemahnten Pflichtwidrigkeiten Kenntnis genommen zu haben. Auch die Nichterhebung einer auf die Rücknahme der Abmahnung gerichteten Klage kann nicht als ein unredliches vorprozessuales Verhalten des Arbeitnehmers gewertet werden. Anders als in den Fällen, in denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Kündigung, Befristung, auflösender Bedingung u.ä. in Betracht kommt (vgl. hierzu BAG Urteile vom 2. November 1961 - 2 AZR 66/61 - BAGE 11, 353 = AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung, vom 7. März 1980 - 7 AZR 177/78 - AP Nr. 54 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag und vom 11. November 1982 - 2 AZR 552/81 - AP Nr. 71 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu B II 3 b der Gründe; KR-Friedrich, 2. Aufl., § 13 KSchG Rz 304 ff., m.w.N.), ist der Arbeitnehmer bei einer Abmahnung nicht aufgrund gesetzlicher Regelungen gehalten, eine alsbaldige gerichtliche Klärung herbeizuführen. Eine den §§ 4, 7 KSchG entsprechende Regelung hat der Gesetzgeber für die Abmahnung nicht vorgesehen. Aus der Befugnis, eine schriftliche Abmahnung außerhalb eines Kündigungsschutzprozesses gerichtlich überprüfen zu lassen, kann weder eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht noch eine Obliegenheit des Arbeitnehmers hergeleitet werden, gegen eine Abmahnung gerichtlich vorzugehen. Eine derartige Wertung entspricht auch nicht der Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien. Abgesehen davon, daß es ungewiß ist, ob eine Abmahnung jemals kündigungsschutzrechtliche Bedeutung erlangen wird, hätte die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zur Folge, daß bestehende Arbeitsverhältnisse durch kündigungsschutzrechtlich gebotene gerichtliche Auseinandersetzungen über die Berechtigung von Abmahnungen belastet würden. Für Arbeitnehmer können derartige Prozesse dazu führen, daß der Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse zumindest faktisch gefährdet wird. Auch der Arbeitgeber hat in der Regel kein Interesse daran, daß die Berechtigung von Abmahnungen bereits vor Durchführung eines Kündigungsschutzprozesses gerichtlich überprüft wird. Neben dem erheblichen Zeit- und Personalaufwand, der mit der Durchführung eines derartigen Rechtsstreits in der Regel verbunden ist, besteht die Gefahr, daß sich aus einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Berechtigung von Abmahnungen negative Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ergeben.
Im Hinblick auf die eindeutige gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa BAG Urteil vom 12. August 1976 - 2 AZR 237/75 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; BAG Urteil vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 525/83 - unveröff., zu A II 3 c cc der Gründe) bedarf es auch nicht eines nur verbalen oder schriftlichen Protestes gegen die ausgesprochene Abmahnung, um den Arbeitgeber auf die Risiken hinsichtlich seiner Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozeß aufmerksam zu machen. Aus dem bloßen Untätigbleiben des Arbeitnehmers kann noch kein rechtlich schützenswertes Vertrauen des Arbeitgebers erwachsen, die für die Kündigung relevanten Umstände würden in einem späteren Kündigungsschutzprozeß tatsächlich unstreitig bleiben. Vielmehr bedarf es für das Eingreifen zivilprozessualer Darlegungs- und Beweislastregeln wegen treuwidrigen vorprozessualen Verhaltens des Arbeitnehmers zusätzlicher Umstände, die einen besonderen Vertrauenstatbestand beim Arbeitgeber gesetzt und ihn veranlaßt haben, prozessual relevante Dispositionen zu treffen, indem er etwa eine Beweissicherung unterlassen oder präsente Beweismittel wieder vernichtet hat.
c) Im Streitfall hat die Beklagte nicht dargelegt, daß sie aufgrund des vorprozessualen Verhaltens des Klägers dazu veranlaßt worden ist, die erforderliche Beweissicherung vorzunehmen. Sie hat vielmehr für die Richtigkeit der von ihr listenmäßig erfaßten Verspätungen des Klägers Beweis durch Zeugenvernehmung angetreten. Diese Beweise hat das Landesarbeitsgericht wegen der von ihm vertretenen Rechtsauffassung bislang nicht erhoben. Bereits aus diesem Grund war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
III.
Für das erneute Berufungsverfahren gibt der Senat folgende Hinweise:
1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, daß der Arbeitszeitbeginn von 7.00 Uhr auch dann für den Kläger maßgeblich gewesen ist, wenn ihm gestattet worden war, die Arbeit unmittelbar an der jeweiligen Arbeitsstelle anzutreten.
Die Arbeitszeit beginnt gemäß § 18 Abschnitt I Unterabschnitt A Abs. 6 Unterabs. 1 Halbsatz 1 TV Arb bei der ständigen Dienststelle oder, wenn dem Arbeiter von der Stelle, die ihm den Arbeitsauftrag erteilt hat, gestattet worden ist, die Arbeit unmittelbar an der Arbeitsstelle anzutreten oder zu beenden, ohne die ständige Dienststelle aufzusuchen, an der Arbeitsstelle selbst (§ 18 Abschnitt I Unterabschnitt A Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1 TV Arb). Demnach hatte sich der Kläger pünktlich um 7.00 Uhr an der jeweiligen Arbeitsstelle einzufinden, denn die Beklagte hatte ihm gestattet, dort seine Arbeit anzutreten. Vom Kläger selbst wird nicht vorgetragen, daß er dem Wunsch der Beklagten, die Arbeitsstelle unmittelbar aufzusuchen, widersprochen hat. Unbeachtlich ist deshalb der Hinweis der Revision auf die Verfügung des Bundespostministers zu § 18 Abschnitt I Unterabschnitt A Abs. 6 TV Arb (BPMVfg III E 8 8641-3 vom 12. August 1971), wonach aus dem Wort „gestattet” keine Weisungsbefugnis der Dienststelle hergeleitet werden kann. Diese Verfügung besagt nämlich lediglich, daß das Direktionsrecht nicht gegen den Willen des Arbeitnehmers für diesen verbindlich ausgeübt werden kann.
2. Das Landesarbeitsgericht wird entgegen seinen bisherigen Ausführungen zu berücksichtigen haben, daß bereits das Eintreffen des Klägers an der konkreten Arbeitsstelle und nicht erst der Eingang seines Telefonanrufs bei der ständigen Dienststelle den Arbeitszeitbeginn markiert.
Insofern wird das Landesarbeitsgericht zu ermitteln haben, bei welchen Verspätungen dem Kläger der Zugang zur Arbeitsstelle nur mit Verzögerung ermöglicht worden ist und welche Zeit normalerweise zwischen dem Betreten des Dienstgebäudes und dem Eingang des Telefonanrufs bei der ständigen Dienststelle vergangen ist. Diese Zeiten sind von den behaupteten Fehlzeiten abzuziehen. Sollten hierbei Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten für die Beklagte auftreten, wird das Landesarbeitsgericht gegebenenfalls zu prüfen haben, ob der Kläger durch bestimmte vorprozessuale Handlungsweisen die Darlegungs- und Beweissituation der Beklagten in treuwidriger Weise beeinträchtigt hat.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Roeper, Dr. Becker, Neumann, Stappert
Fundstellen
BB 1987, 1741 |
BB 1987, 1741-1743 (LT1-2) |
DB 1987, 1494-1495 (LT1-2) |
NJW 1987, 2462 |
BetrR 1987, 439-444 (LT1-2) |
Stbg 1988, 124-124 (T) |
BehindR 1988, 68-72 (LT1-2) |
JR 1987, 528 |
NZA 1987, 518-520 (LT) |
RzK, I 1 Nr 18 (LT1-2) |
AP, Verhaltensbedingte Kündigung (LT1-2) |
AR-Blattei, Abmahnung Entsch 16 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 20 Nr 16 (LT1-2) |
DÖD 1987, 238-240 (LT1-2) |
EzA, Abmahnung Nr 5 (LT1-2) |
EzBAT, Verhaltensbedingte Kündigung Nr 12 (LT1-2) |
PersV 1991, 232 (K) |