Entscheidungsstichwort (Thema)
Inkongruente Deckung. Zahlung über Konto der Ehefrau. Insolvenzanfechtung. Bargeschäftsprivileg. Verhältnis zum Insolvenzgeldzeitraum
Orientierungssatz
1. Insolvenzgeld wird gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis gezahlt. Für das Bargeschäft sind dagegen nach der Rechtsprechung des Senats die letzten drei Monate der Arbeitsleistung vor der Entgeltzahlung maßgeblich. Diese unterschiedlichen Bezugspunkte führen dazu, dass eine Zahlung im Insolvenzgeldzeitraum nicht zwingend ein Bargeschäft ist und umgekehrt ein Bargeschäft auch außerhalb des Insolvenzgeldzeitraums vorliegen kann.
2. Die Anwendung des § 142 InsO ist entsprechend seinem Normzweck im Wege der teleologischen Reduktion auf kongruente Deckungen zu beschränken. Gerade bei inkongruenten Deckungshandlungen, die den Verdacht begründen, dass der Schuldner ungerechtfertigte Prioritäten setzen wollte, soll § 131 InsO eine erleichterte Anfechtung ermöglichen.
Normenkette
InsO §§ 129, 131 Abs. 1, 1 Nr. 2, § 142; SGB III § 165 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 29. Juli 2013 – 10 Sa 1111/12 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückzahlung des der Beklagten im Wege einer mittelbaren Zuwendung über das Konto der Ehefrau des späteren Schuldners gezahlten Nettoentgelts für März 2008 im Wege der Insolvenzanfechtung.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das auf Eigenantrag des Schuldners vom 13. Mai 2008 am 27. Juni 2008 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das am 20. Januar 2011 in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde. Die Beklagte war Arbeitnehmerin des Schuldners, der im Frühjahr 2008 noch ca. 20 weitere Arbeitnehmer beschäftigte.
Am 3. März 2008 leitete der frühere Geschäftspartner des Schuldners die Zwangsvollstreckung aus einem am 8. Februar 2008 geschlossenen Schuldanerkenntnis über 820.000,00 Euro, in dem sich der Schuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hatte, ein. Am 26. März 2008 wurde vom Geschäftskonto des Schuldners ein Betrag von 100.000,00 Euro mit dem Verwendungszweck „Löhne” auf ein privates Girokonto seiner Ehefrau überwiesen. Der Schuldner war nie Inhaber dieses Kontos und hatte seit Eröffnung im Jahr 1995 zu keiner Zeit Vollmacht über dieses Konto. Am 28. März 2008 überwies die Ehefrau des Schuldners ua. das Nettoentgelt der Beklagten für März 2008 von 1.290,66 Euro, das dieser am Ende des Monats März 2008 gutgeschrieben wurde.
Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 die Anfechtung der Zahlung des Entgelts für März 2008. Dieses Schreiben ging der Beklagten nicht zu. Am 30. Dezember 2011 beantragte der Kläger bei dem Arbeitsgericht Hannover den Erlass eines Mahnbescheids. Den Anspruch bezeichnete er wie folgt:
„Anspruch auf Rückgewähr auf Grund Insolvenzanfechtung des über das Konto der H M für den Monat März 2008 gezahlten Arbeitsentgeltes i. H. v. 1.290,66 EUR netto (vgl. Aufforderungsschr. v. 21.12.2011)”.
Das Arbeitsgericht erließ den Mahnbescheid zunächst nicht, weil die angegebene Adresse im Zuständigkeitsbezirk des Arbeitsgerichts Nienburg liegt. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 2012 innerhalb der gewährten Frist von einem Monat diese Bedenken unter Hinweis auf § 48 Abs. 1a ArbGG ausgeräumt hatte, erließ das Arbeitsgericht den Mahnbescheid am 12. Januar 2012. Dieser konnte unter der angegebenen Anschrift nicht zugestellt werden. Auf das ihm am 3. Februar 2012 zugegangene Schreiben des Arbeitsgerichts vom 25. Januar 2012 übermittelte der Kläger nach Einholen einer Auskunft des Einwohnermeldeamts am 13. Februar die Anschrift der Beklagten, unter der der Mahnbescheid am 16. Februar 2012 zugestellt wurde. Die Beklagte erhob am 23. Februar 2012 Widerspruch.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.290,66 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juni 2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Zahlung habe keine inkongruente Deckung bewirkt. Zudem habe der Kläger als vorläufiger Insolvenzverwalter den Arbeitnehmern erklärt, sie würden durch die geplante Betriebsfortführung keinen Schaden erleiden, weil sie über das Insolvenzgeld für drei Monate abgesichert seien. Diesen selbstgesetzten Vertrauenstatbestand habe er nicht durch die spätere Anfechtung torpedieren dürfen. Auch sei die Masse nicht geschmälert, sondern vermehrt worden, weil die Beklagte weitergearbeitet habe. Ohne die angefochtene Zahlung bzw. ohne das vom Kläger in Aussicht gestellte Insolvenzgeld hätte sie gekündigt. Die Beklagte hat Verjährungseinrede erhoben.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts konnte die Klage nicht abgewiesen werden. Auf der Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht entscheiden, ob der Anfechtungstatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt ist. Dazu bedarf es noch der Feststellung des Landesarbeitsgerichts, ob der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung zahlungsunfähig war. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
I. Der Kläger hat die mittelbar über das Konto der Ehefrau des Schuldners bewirkte Erfüllung des (Netto-)Entgeltanspruchs für März 2008 und damit eine Rechtshandlung des Schuldners angefochten. Anfechtungsgegnerin ist die Beklagte. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (– 6 AZR 869/13 – Rn. 12) ausgeführt.
II. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe das Entgelt für März 2008 auf dem erfolgten Zahlungsweg beanspruchen können, weil nur eine geringfügige, die Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigende Abweichung vorliege, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie trägt dem Grundgedanken des § 131 InsO nicht hinreichend Rechnung. Die Befriedigung erfolgte nicht in der geschuldeten Art und war damit inkongruent.
1. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat zunächst auf seine Ausführungen in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (– 6 AZR 869/13 – Rn. 14 bis 29).
2. Die Argumente der Beklagten geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten verlangt Inkongruenz nicht, dass der Schuldner einseitig die Erfüllungsart wechselt. Ausreichend ist bereits die nicht mehr verkehrsübliche Abweichung vom normalen Zahlungsweg (vgl. BGH 20. Januar 2011 – IX ZR 58/10 – Rn. 17). Eine solche liegt hier vor. Zwar trifft es zu, dass arbeitsvertraglich nicht festgelegt war, über welches Konto die Gehaltszahlung zu erfolgen hatte. Die Beklagte weist auch zu Recht darauf hin, dass Inkongruenz nicht schon dadurch begründet wird, dass das Entgelt überwiesen wird, also die Bank als Dritte eingeschaltet wird. Es mag auch sein, dass viele Ehegatten ein Konto führen, über das Zahlungen des anderen Ehegatten mit abgewickelt werden. Das ist hier jedoch nicht relevant. Die Erfüllung des Märzentgelts 2008 wäre nur kongruent gewesen, wenn sie über das Konto erfolgt wäre, über das nach einer anfechtungsfest getroffenen Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien die Gehaltszahlung im März 2008 üblicherweise vorzunehmen war. Das muss während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht stets dasselbe Konto und kann auch das Konto eines Dritten sein. Die Vereinbarung muss nicht ausdrücklich getroffen werden, sondern kann konkludent erfolgen (vgl. BAG 21. November 2013 – 6 AZR 159/12 – Rn. 16, BAGE 146, 323). Eine Vereinbarung mit dem Schuldner, wonach ihr Entgeltanspruch über das Konto von dessen Ehefrau zu erfüllen war, behauptet die Beklagte jedoch nicht. Sie hatte darum keinen Anspruch auf den vom Schuldner für das Entgelt für März 2008 gewählten Erfüllungsweg. Die Abweichung vom geschuldeten Erfüllungsweg entsprach auch nicht mehr der Verkehrssitte oder Handelsbräuchen. Insoweit wird auf die Ausführungen in der Entscheidung vom 13. November 2014 (– 6 AZR 869/13 – Rn. 17, 25) verwiesen.
b) Die Beklagte missversteht den Senat, wenn sie annimmt, er gehe davon aus, dass „Arbeitslohn im Drei-Monats-Zeitraum stets ein Bargeschäft” und damit nicht nach § 131 InsO anfechtbar sei. Er hat auch nicht angenommen, dass „im Insolvenzgeldzeitraum stets ein Bargeschäft vorliegt”. Anlass, auf die Kritik des Neunten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs an dieser Rechtsprechung (BGH 10. Juli 2014 – IX ZR 192/13 –) einzugehen, bietet der vorliegende Fall daher nicht.
aa) Insolvenzgeld wird für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis gezahlt (BAG 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 – Rn. 43). Für das Bargeschäft sind dagegen nach der Rechtsprechung des Senats die letzten drei Monate der Arbeitsleistung vor der Entgeltzahlung maßgeblich (seit BAG 6. Oktober 2011 – 6 AZR 262/10 – Rn. 17, BAGE 139, 235). Diese unterschiedlichen Bezugspunkte führen dazu, dass auch nach der Rechtsprechung des Senats eine Zahlung im Insolvenzgeldzeitraum nicht zwingend ein Bargeschäft ist und umgekehrt ein Bargeschäft auch außerhalb des Insolvenzgeldzeitraums vorliegen kann. Wäre die Zahlung zB am 27. März 2008 auf das für Dezember 2007 geschuldete Entgelt erfolgt, läge auch nach der Rechtsprechung des Senats hinsichtlich der vom 1. bis 26. Dezember 2007 erbrachten Arbeitsleistung kein Bargeschäft mehr vor, obwohl die Zahlung im Insolvenzgeldzeitraum, der sich vom 27. März 2008 bis einschließlich 26. Juni 2008 erstreckte (zur Fristberechnung Voelzke in Hauck/Noftz SGB III 2. Aufl. Stand Oktober 2014 K § 165 Rn. 91), vorgenommen worden wäre. Wäre die Zahlung am 26. März 2008 für das am 29. Februar 2008 fällige Entgelt für Februar 2008 erfolgt, läge dagegen nach der Rechtsprechung des Senats ebenso wie nach der des Neunten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH 10. Juli 2014 – IX ZR 192/13 –) zwar ein Bargeschäft vor. Die Zahlung wäre aber vor dem Insolvenzgeldzeitraum erfolgt.
bb) Die angefochtene Zahlung ist zwar Ende März 2008 auf das für diesen Monat geschuldete Entgelt erfolgt, so dass der für ein Bargeschäft notwendige enge zeitliche Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung gegeben ist. Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO kommt der Beklagten dennoch nicht zugute, weil die Leistung inkongruent war (st. Rspr. seit BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 38).
(1) Allerdings weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass sich dieses Verständnis des § 142 InsO aus dessen Wortlaut nicht unmittelbar erschließt. Gemäß § 142 InsO ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO gegeben sind. Danach scheint eine Anfechtung bei einem unmittelbaren und gleichwertigen Austausch von Leistung und Gegenleistung, wie er hier vorliegt, nur unter den Voraussetzungen des § 133 InsO möglich zu sein (HK-InsO/Kreft 7. Aufl. § 142 Rn. 8; Henckel in Jaeger InsO § 142 Rn. 8; Paulus FS G. Fischer 2008 S. 447, 453). Auch lag der erstmals in der Insolvenzordnung erfolgten Kodifizierung des von der Rechtsprechung entwickelten Bargeschäftsprivilegs die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, die Vorschrift entspreche dem geltenden Grundsatz, dass Bargeschäfte nicht der Anfechtung kongruenter und inkongruenter Deckung unterlägen, so dass eine Anfechtung eines solchen Geschäfts nur bei einer Absichtsanfechtung in Betracht komme (BT-Drs. 12/2443 S. 167 zu § 161 RegE unter Bezug auf § 148 RegE, in dem noch eine Absichtsanfechtung vorgesehen war; Zwanziger DB 2014, 2391). Mit dieser Annahme des Gesetzgebers hat sich der Neunte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seiner grundlegenden, noch zur Konkursordnung ergangenen Entscheidung vom 30. September 1993 (– IX ZR 227/92 – zu IV 2 a der Gründe, BGHZ 123, 320), an der er auch für § 142 InsO festgehalten hat (seit Urteil vom 7. März 2002 – IX ZR 223/01 – zu III 3 der Gründe, BGHZ 150, 122), nicht auseinandergesetzt. Er hat allein auf die Passage der amtlichen Begründung abgestellt, dass aus der Verknüpfung „für die” folge, dass Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung verknüpft sein müssten. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung möglich bleibt. Das Erfordernis einer Parteivereinbarung hat in § 142 InsO nur die Funktion, Leistung und Gegenleistung aufeinander zu beziehen. Auch eine Leistung, die nicht in jeder Hinsicht dem Vertragsinhalt entspricht, kann aber auf die Gegenleistung bezogen und gleichwertig sein. Sie ist dann „für sie” erbracht, wie es § 142 InsO voraussetzt (Henckel in Jaeger InsO § 142 Rn. 8).
(2) Die Anwendung des § 142 InsO ist jedoch entsprechend seinem Normzweck im Wege der teleologischen Reduktion auf kongruente Deckungen zu beschränken (vgl. HK-InsO/Kreft 7. Aufl. § 142 Rn. 9; ähnlich Henckel in Jaeger InsO § 142 Rn. 9 f.). Deshalb hat sich der Senat der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeschlossen und hält daran fest.
(a) Mit der teleologischen Reduktion, die zu den von Verfassungs wegen anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört (BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 33), wird der ausgehend vom Gesetzeszweck zu weit gefasste Wortlaut auf den Anwendungsbereich reduziert, der der ratio legis entspricht (Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3. Aufl. S. 210 f.; Kramer Juristische Methodenlehre 4. Aufl. S. 224 f.).
(b) Der Zweck des Bargeschäftsprivilegs gebietet die Beschränkung des § 142 InsO auf Fälle kongruenter Deckung. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist ausschlaggebender Grund für die von ihm als „Ausnahmeregelung” bezeichnete Bestimmung des § 142 InsO, dass der Schuldner, der sich in der Krise befindet, bei wirtschaftlicher Betrachtung vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen wäre, wenn selbst wertäquivalente Bargeschäfte angefochten werden könnten. Das soll das Bargeschäftsprivileg verhindern (BT-Drs. 12/2443 S. 167 zu § 161 RegE). Diesem eingeschränkten Zweck widerspräche es jedoch, wenn auch inkongruente Deckungen privilegiert wären. Es besteht kein Anlass, Handlungen des Schuldners, durch die er seine vertraglichen Verpflichtungen nicht in der geschuldeten Weise erfüllt, in der Krise zu begünstigen. Im Hinblick auf den die Insolvenzordnung beherrschenden Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, den § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO in die kritische Phase der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag vorverlagern (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 24), ist es, wie gerade der vorliegende Fall eindrücklich belegt, nicht gleichgültig, ob eine Deckung vereinbarungsgemäß gewährt wird oder nicht. Die Beklagte hatte zwar mit ihrer Arbeitsleistung im Wege der Vorleistung eine Gegenleistung erbracht, die in ihrem Wert der später erhaltenen Zahlung entsprach. Aus anfechtungsrechtlicher Sicht wurde sie durch die angefochtene Zahlung aber einseitig begünstigt, weil durch den gewählten Zahlungsweg der zur Befriedigung ihrer Forderung aufgewandte Betrag dem Zugriff anderer Gläubiger entzogen und erst so sichergestellt wurde, dass die Forderung überhaupt erfüllt werden konnte (vgl. insoweit zutreffend BGH 30. September 1993 – IX ZR 227/92 – zu IV 2 a der Gründe, BGHZ 123, 320). Gerade bei derartigen Handlungen, die den Verdacht begründen, dass der Schuldner ungerechtfertigte Prioritäten setzen wollte, soll § 131 InsO eine erleichterte Anfechtung ermöglichen (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 25; vgl. HK-InsO/Kreft 7. Aufl. § 142 Rn. 9).
3. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass sie erkannte, dass es sich bei der Zahlung des Nettoentgelts für März 2008 um eine Leistung des Schuldners handelte (vgl. zu diesem Erfordernis BAG 21. November 2013 – 6 AZR 159/12 – Rn. 13, BAGE 146, 323).
III. Die Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
1. Die Beklagte erlangte die inkongruente Deckung Ende März 2008 und damit im zweiten Monat vor dem am 13. Mai 2008 beim Insolvenzgericht eingegangenen Eigenantrag. Auch die erforderliche Gläubigerbenachteiligung iSd. § 129 InsO liegt vor. Das ergibt sich aus den Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (– 6 AZR 869/13 – Rn. 32 bis 39). Soweit die Beklagte geltend macht, die Masse sei nicht geschmälert, sondern bereichert worden, weil sie gekündigt hätte, wenn der Kläger sie im Insolvenzgeldzeitraum auf eine beabsichtigte Anfechtung hingewiesen hätte, beruft sie sich auf einen hypothetischen Geschehensablauf, der bei der objektiven Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich unbeachtlich ist.
2. Ohne Erfolg wendet die Beklagte auch Entreicherung ein. Als Anfechtungsgegnerin ist sie gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO unmittelbar der verschärften Haftung des § 819 Abs. 1 BGB unterworfen. Aufgrund dieser Rechtsfolgenverweisung ist der Rückzahlungsanspruch als rechtshängiger Anspruch zu behandeln. Auf Entreicherung kann sich die Beklagte darum nicht berufen (BAG 19. Mai 2011 – 6 AZR 736/09 – Rn. 21).
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger kein schutzwürdiges Vertrauen begründet, das der Anfechtung entgegenstünde.
a) Die von der Beklagten insoweit herangezogene Rechtsprechung (BGH 10. Januar 2013 – IX ZR 161/11 – Rn. 17 ff.) ist nicht einschlägig.
aa) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der vorläufige Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand gesetzt hat und der Empfänger der Leistung demzufolge nach Treu und Glauben damit rechnen durfte, ein nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu haben (zuletzt BGH 25. April 2013 – IX ZR 235/12 – Rn. 36). Das ist in der Regel dann der Fall, wenn der vorläufige Verwalter Verträgen vorbehaltlos zustimmt, die der Schuldner mit dem Gläubiger nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen geschlossen und in denen er im Zusammenhang mit an den Schuldner zu erbringenden Leistungen des Gläubigers Erfüllungszusagen für Altverbindlichkeiten gegeben hat. Wegen der Einbindung des vorläufigen Verwalters in den Vertragsschluss darf der Gläubiger davon ausgehen, die als Erfüllung geleisteten Zahlungen endgültig behalten zu dürfen (BGH 10. Januar 2013 – IX ZR 161/11 – Rn. 18; MünchKommInsO/ Kayser 3. Aufl. § 129 Rn. 46 bis 46c). Stimmt der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt dagegen Erfüllungshandlungen des Schuldners zu, die nicht im Zusammenhang mit neuen Vertragsschlüssen stehen, sondern mit denen dieser gesetzliche Ansprüche oder bereits bestehende Altverbindlichkeiten erfüllt, bleibt die Handlung im Allgemeinen anfechtbar (BGH 10. Januar 2013 – IX ZR 161/11 – Rn. 17).
bb) Die Beklagte macht geltend, der Kläger habe als vorläufiger Insolvenzverwalter behauptet, die Arbeitnehmer würden „durch die geplante Fortführung keinen Nachteil erleiden, da sie über das Insolvenzgeld für drei Monate gesichert seien”. Sie folgert daraus, sie habe darauf vertrauen dürfen, dass sie den ohne Mitwirkung des Klägers für März 2008 erhaltenen Lohn behalten dürfe. Sie leitet das schutzwürdige Vertrauen also nicht aus einer vom vorläufigen Insolvenzverwalter genehmigten Rechtshandlung des Schuldners, sondern aus einer eigenen Erklärung des Klägers her. Das könnte jedoch allenfalls – unter hier nicht dargelegten Umständen – eine persönliche Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründen (vgl. dazu BAG 25. Juni 2009 – 6 AZR 210/08 –), nicht aber die Anfechtbarkeit ausschließen.
b) Darüber hinaus steht die behauptete Erklärung des Klägers in keinem erkennbaren Zusammenhang mit einer berechtigten Annahme der Beklagten, das vor dem Eigenantrag vom Schuldner gezahlte Entgelt für März 2008 behalten zu dürfen. Die Beklagte erhielt unstreitig für ihre Weiterarbeit über eine Insolvenzgeldvorfinanzierung Entgelt und schöpfte dabei den Insolvenzgeldzeitraum aus. Mehr stellte der Kläger auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht in Aussicht.
4. Die Einrede der Verjährung (§ 146 Abs. 1 InsO iVm. § 214 Abs. 1, §§ 194 ff. BGB) hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 1 InsO, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB am 31. Dezember 2011 eintretende Verjährung wurde durch den Antrag auf Erlass des Mahnbescheids gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
a) Der durch die unrichtige Adressierung des Mahnantrags erforderliche Schriftwechsel zwischen Mahngericht und dem Kläger führte nicht zu einer rechtserheblichen Verzögerung der Zustellung. Zwar wurde der Mahnbescheid der Beklagten nicht mehr vor Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt. Die Zustellung erfolgte jedoch „demnächst” iSd. § 167 ZPO. Die Verzögerung der Zustellung durch die Angabe der unzutreffenden Anschrift der Beklagten ist dem Kläger nicht zuzurechnen. Das hat der Senat in seinen Entscheidungen vom 13. November 2014 (– 6 AZR 869/13 – Rn. 46 und – 6 AZR 870/13 – Rn. 17 bis 19) ausgeführt und nimmt darauf Bezug.
b) Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids war auch hinreichend individualisiert. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (– 6 AZR 869/13 – Rn. 48 bis 50) begründet.
5. Der Rückforderungsanspruch ist auch nicht verwirkt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 13. November 2014 (– 6 AZR 869/13 – Rn. 52 f.) verwiesen.
IV. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen zu der für § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erforderlichen und von ihm als streitig angesehenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners iSv. § 17 Abs. 2 InsO im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung getroffen. Dies wird es unter Beachtung der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG 6. Oktober 2011 – 6 AZR 262/10 – Rn. 23 ff., BAGE 139, 235; BGH 7. November 2013 – IX ZR 49/13 – Rn. 11; 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12 – Rn. 7 ff.) nachzuholen haben. Sollte es die Zahlungsunfähigkeit bejahen, wird es bei seiner Entscheidung über die Zinsen zu beachten haben, dass der Einwand des missbräuchlichen Verhaltens dem geltend gemachten Zinsanspruch nicht entgegensteht. Das bloße Ausschöpfen der Verjährungsfrist begründet keinen Rechtsmissbrauch (vgl. BAG 27. November 2008 – 6 AZR 632/08 – Rn. 29, BAGE 128, 317). Es wird weiter berücksichtigen müssen, dass der Rückgewähranspruch ab Insolvenzeröffnung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist. Nach der geltenden Rechtslage entsteht das Anfechtungsrecht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und wird zugleich der Rückgewähranspruch fällig, weil die Insolvenzanfechtung keiner gesonderten Erklärung bedarf (vgl. BGH 1. Februar 2007 – IX ZR 96/04 – Rn. 20, BGHZ 171, 38). Der Zinslauf des Zinsanspruchs (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) beginnt darum am Tag nach der Insolvenzeröffnung (st. Rspr. seit BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 39 f.).
Unterschriften
Fischermeier, Spelge, Krumbiegel, Sieberts, Steinbrück
Fundstellen
Haufe-Index 7560192 |
DStR 2015, 12 |