Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwei Betriebsübergänge. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Ersterwerber
Leitsatz (redaktionell)
Der Widerspruch gegen einen Betriebsübergang kann nicht einem früheren Arbeitgeber gegenüber erklärt werden sondern nur gegenüber dem bisherigen oder dem neuen Betriebsinhaber.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 6 S. 2
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Urteil vom 16.05.2013; Aktenzeichen 3 Sa 278/12) |
ArbG Gera (Urteil vom 25.06.2012; Aktenzeichen 1 Ca 213/12) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 16. Mai 2013 – 3 Sa 278/12 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Frage, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis nach mehreren Betriebsübergängen und einem Widerspruch der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses besteht.
Die Klägerin war zum 1. September 1992 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten getreten. Zuletzt arbeitete sie bei der Beklagten, einem bundesweit tätigen Telekommunikationsunternehmen, in der K (K) S in G.
Der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin ging am 1. September 2007 von der Beklagten auf die V GmbH (V) über. Darüber war die Klägerin durch ein Unterrichtungsschreiben der V vom 26. Juli 2007 informiert worden. Die Klägerin erhob damals keinen Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Sie arbeitete nach dem Betriebsübergang für die V weiter.
Mit Schreiben vom Oktober 2008 wurde die Klägerin darüber informiert, dass eine T G GmbH (T) den Betrieb G am 1. Dezember 2008 übernehmen werde. Diesem weiteren Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die T widersprach die Klägerin nicht. Sie unterschrieb sodann am 22. Dezember 2009 einen ihr von T vorgelegten neuen Arbeitsvertrag, demzufolge sich ihre Arbeitsbedingungen ab dem 1. Januar 2010 verschlechterten.
Mit Urteil vom 26. Mai 2011 (– 8 AZR 18/10 –) entschied der Senat zu einem wortgleichen Unterrichtungsschreiben der V, ebenfalls vom 26. Juli 2007, aber ein anderes Arbeitsverhältnis betreffend, dass die Unterrichtung fehlerhaft war.
Mit Anwaltsschreiben vom 6. Oktober 2011 ließ die Klägerin gegenüber der Beklagten dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V, der am 1. September 2007 stattgefunden hatte, widersprechen.
Mit einem weiteren Schreiben vom 6. Oktober 2011, gerichtet an die T, erklärte die Klägerin die Anfechtung des Arbeitsvertrags vom 22. Dezember 2009.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, am 6. Oktober 2011 noch dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die V im Sommer 2007 widersprechen gekonnt zu haben. Die damalige Unterrichtung über den Betriebsübergang sei fehlerhaft gewesen und habe die Monatsfrist zum Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB nicht in Gang gesetzt.
Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2014 hat die Klägerin im Revisionsverfahren die Behauptung vortragen lassen, sie habe dem zweiten Betriebsübergang wirksam widersprochen, bevor sie den Widerspruch zum ersten Betriebsübergang erklärte. Insoweit behauptet sie, dass auch bei der Unterrichtung zum zweiten Betriebsübergang Fehler gemacht worden seien. Sie ist zudem der Auffassung, in Ansehung der EU-Richtlinie vom 12. März 2001 (RL 2001/23/EG) müsse der Senat den „Sachverhalt” dem EuGH vorlegen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass zwischen den Parteien über den 1. September 2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.
Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass die Klägerin jedenfalls ein etwa noch bestehendes Recht zum Widerspruch verwirkt habe. Von einem verwirklichten Zeitmoment sei unproblematisch auszugehen. Mit dem von der Klägerin bei T abgeschlossenen Arbeitsvertrag habe sie zudem auch das Umstandsmoment verwirklicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Einen wirksamen Widerspruch gegen den früheren Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V konnte die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis mittlerweile mit T bestand, nicht mehr einlegen, § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein etwa noch bestehendes Recht zum Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf V habe die Klägerin am 6. Oktober 2011 verwirkt gehabt. Nach mehr als vier Jahren sei das Zeitmoment erfüllt. Durch den Abschluss des neuen Arbeitsvertrags mit T sei auch das Umstandsmoment erfüllt, da damit das Arbeitsverhältnis auf eine völlig neue rechtliche Grundlage gestellt worden sei. Auf die Anfechtung dieses Arbeitsvertrags könne sich die Klägerin nicht berufen, da ihr ein Anfechtungsgrund nicht zur Verfügung stehe und der Vertrag einer Inhaltskontrolle standhalte. Das Wissen über den Vertragsabschluss sei der Beklagten zuzurechnen.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I. Das Widerspruchsrecht gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübergang ist in der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen (ABl. EG L 82 vom 22. März 2001 S. 16) nicht geregelt. Es ist jedoch in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt (EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 30 ff. mwN, Slg. 1992, I-6577). Der Inhalt dieses Rechts ist unionsrechtlich nicht ausgestaltet; die Rechtsfolgen eines Widerspruchs für das Arbeitsverhältnis richten sich nach nationalem Recht (EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 37, aaO). Für die Voraussetzungen des Widerspruchsrechts ergibt sich nichts anderes. Zudem verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten schon nicht, die Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer für den Fall vorzusehen, dass der Arbeitnehmer sich frei dafür entscheidet, den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen (EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 35, aaO). Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis zwischen dem Veräußerer und dem Widersprechenden geschieht (EuGH 7. März 1996 – C-171/94 und C-172/94 – [Merckx, Neuhuys] Rn. 35, Slg. 1996, I-1253; 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 35, aaO). Geht es somit um die Frage eines möglichen Widerspruchs gegen frühere Betriebsübergänge oder um die Frage, ob ein Widerspruch nach Ablauf der Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB noch erklärt werden kann oder ob diese Frist überhaupt zu laufen begonnen hat, so geht es nicht um die Frage unionsrechtlich geregelter Unterrichtungen. Für ein an den EuGH zu richtendes Vorabentscheidungsersuchen besteht kein Anlass.
II. Der Widerspruch vom 6. Oktober 2011 gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am 1. September 2007 erfolgte nicht gemäß § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB gegenüber dem „neuen Inhaber” (im Oktober 2011 T) oder „dem bisherigen Arbeitgeber” (im Oktober 2011 V), sondern gegenüber der Beklagten als einer früheren Arbeitgeberin. Eine solche Widerspruchsmöglichkeit besteht nach dem Gesetz nicht.
1. Nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB ist der Widerspruch gegenüber zwei Personen möglich: gegenüber dem „bisherigen Arbeitgeber” oder dem „neuen Inhaber”. Ein Widerspruchsrecht gegenüber einem ehemaligen Arbeitgeber ist danach nicht gegeben (vgl. auch BAG 24. April 2014 – 8 AZR 369/13 –). „Bisheriger” Arbeitgeber in der Situation, in der sich die Klägerin im Oktober 2011 nach zwei Betriebsübergängen befand, wäre im Sinne des Gesetzes die V gewesen. „Bisher/ig” bedeutet: „bis jetzt” (Brockhaus-Wahrig Deutsches Wörterbuch S. 703 [1980]); „von einem unbestimmten Zeitpunkt an bis zum heutigen Tag” (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. S. 607); „bislang/bis jetzt/bis heute/bis dato/bis zum heutigen Tage/bis zur jetzigen Stunde” (Knaurs Lexikon der sinnverwandten Wörter S. 116). Bezogen auf einen Betriebsübergang ist der „bisherige Arbeitgeber” derjenige, der vor dem aktuellen Arbeitgeber den Betrieb innehatte. Seit dem letzten Betriebsübergang ist die T „neue Inhaberin” iSd. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB, da sie bei diesem zweiten Betriebsübergang den Betrieb erworben hat. Zur Beklagten steht die Klägerin im Zeitpunkt der Erklärung ihres Widerspruchs nicht mehr in einer, auch nicht in einer durch § 613a Abs. 6 BGB vermittelten arbeitsrechtlichen oder sonstigen vertragsrechtlichen Beziehung. Die Beklagte war bei Zugang des Widerspruchs nicht „bisherige” Arbeitgeberin, sondern hatte diese Eigenschaft am 1. Dezember 2008 durch den Betriebsübergang von V auf T (an V) – also lange vor dem Widerspruch – verloren. V verlor durch diesen zweiten Betriebsübergang ihren Status als „neue Inhaberin” und wurde zur „bisherigen Arbeitgeberin”. Die Erklärung im Oktober 2011 gegenüber der Beklagten als einer früheren Arbeitgeberin ging damit ins Leere.
Auch systematische Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass der Widerspruch nur gegenüber dem „bisherigen” Arbeitgeber oder „dem neuen Inhaber”, den letzten Übergang des Arbeitsverhältnisses betreffend, erklärt werden kann (näher BAG 24. April 2014 – 8 AZR 369/13 – Rn. 19 ff.).
2. Dies entspricht der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7760 S. 20) für das Widerspruchsrecht. Mit der Würde des Menschen, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 1, 2 und 12 GG) wäre es unvereinbar, wenn ein Arbeitnehmer verpflichtet würde, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat (BAG 22. April 1993 – 2 AZR 50/92 –; ebenso zu der Richtlinie 2001/23/EG: EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 32, Slg. 1992, I-6577; vgl. auch Art. 1 und Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). Bezogen auf den Widerspruch vom 6. Oktober 2011 gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am 1. September 2007 von der Beklagten zur V kann es insofern nur auf eine Arbeitspflicht der Klägerin für die V ankommen. Eine solche bestand jedoch am 6. Oktober 2011 nicht mehr, da das Arbeitsverhältnis infolge des weiteren Betriebsübergangs seit dem 1. Dezember 2008 mit der T bestand.
III. Die Klägerin kann sich vorliegend nicht darauf berufen, auch „dem zweiten Betriebsübergang wirksam widersprochen (zu haben), bevor sie den Widerspruch zum ersten Betriebsübergang erklärte”. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin dem erneuten Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von V auf die T nicht widersprochen hat. Diese Feststellung durch das Berufungsgericht hat die Klägerin im Revisionsverfahren mit keiner Verfahrensrüge angegriffen, weswegen sie den Senat bindet (§ 559 Abs. 2 ZPO). Soweit die Klägerin nunmehr – unsubstanziiert – das Gegenteil behauptet, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, den der Senat nicht berücksichtigen darf (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies gilt auch für die Behauptung der Klägerin, ein solcher Widerspruch sei noch möglich gewesen, weil eine fehlerhafte Unterrichtung auch zum zweiten Betriebsübergang die Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Lauf gesetzt habe.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Hauck, Breinlinger, Winter, N. Reiners, Andreas Henniger
Fundstellen
Haufe-Index 7711134 |
AP 2015 |