Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Streikteilnahme nach Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Beteiligt sich ein außerordentlich gekündigter Arbeitnehmer an einem Streik, steht ihm für diese Zeit auch dann kein Annahmeverzugslohn zu, wenn in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird. Wer streikt, ist nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB.
Orientierungssatz
1. Beteiligt sich ein Arbeitnehmer nach einer – wie sich später in einem Kündigungsschutzprozess herausstellt – unwirksamen außerordentlichen Kündigung an einem im Betrieb des Arbeitgebers geführten Streik, steht ihm für die Dauer der Teilnahme an dem Arbeitskampf keine Vergütung aus Annahmeverzug zu. Die Streikbeteiligung manifestiert fehlenden Leistungswillen, der nach § 297 BGB den Annahmeverzug ausschließt.
2. Während ein Arbeitnehmer, der sich in zulässiger Weise aus dem betrieblichen Zeiterfassungssystem abgemeldet hat und im Anschluss daran in Freizeit befindet, nicht im Rechtssinne streiken kann, ist dies einem unwirksam außerordentlich gekündigten Arbeitnehmer möglich. Nach objektiver Rechtslage befindet er sich in dieser Zeit nicht in Freizeit.
Normenkette
BGB § 615 S. 1, § 296; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. Mai 2011 – 8 Sa 155/11 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über Annahmeverzugsansprüche während eines Arbeitskampfes.
Rz. 2
Die nicht tarifgebundene Beklagte beschäftigt etwa 45 Arbeitnehmer. Ende März 2010 forderte die tarifzuständige Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sie zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrags auf. Am 8. April 2010 wurde eine Tarifkommission gewählt und zeitgleich die Durchführung einer Betriebsratswahl vorbereitet. Am Folgetag kündigte die Beklagte der Klägerin und weiteren Mitgliedern der Tarifkommission ordentlich zum 30. Juni 2010 und stellte sie von der Arbeit frei. Am 12. April 2010 erteilte sie der Klägerin ein Hausverbot.
Rz. 3
Der Bundesvorstand der IG BAU genehmigte am 12. April 2010 die Durchführung einer Urabstimmung im Betrieb der Beklagten und die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen. Am folgenden Tag teilte sie der Beklagten mit, 95,5 % der organisierten Beschäftigten hätten sich für einen Streik ausgesprochen. Sie forderte die Beklagte deshalb auf, ihr bis 10:00 Uhr schriftlich mitzuteilen, dass sie Tarifgespräche anbiete, ansonsten beginne um 10:01 Uhr ein unbefristeter Streik. Nachdem diese die gesetzte Frist verstreichen ließ, rief die IG Bau die Belegschaft der Beklagten zum Streik auf.
Rz. 4
Mit Schreiben vom 22. April 2010, das der Klägerin am 24. April 2010 zuging, kündigte die Beklagte der Klägerin sowie weiteren Arbeitnehmern fristlos. Die hiergegen sowie gegen die zuvor erklärte ordentliche Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklagen hatten, ebenso wie die der anderen gekündigten Beschäftigten Erfolg. Das Arbeitsgericht stellte durch Urteil vom 14. Juli 2010 die Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen fest. Der Streik wurde daraufhin – ohne Tarifabschluss – beendet.
Rz. 5
Mit ihrer Klage hat die Klägerin Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 25. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 verlangt. Sie hat gemeint, sie habe sich nach der fristlosen Kündigung nicht mehr rechtswirksam am Streik beteiligen, sondern nur noch mit den Streikenden solidarisch erklären können. Sie hätte allerdings auch dann gestreikt, wenn sie nicht außerordentlich gekündigt worden wäre.
Rz. 6
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.320,00 Euro brutto abzüglich durch die Bundesagentur für Arbeit geleisteter 1.927,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
Rz. 7
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Rz. 8
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen.
Rz. 10
I. Die Klägerin hat nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Rz. 11
1. Aufgrund der rechtskräftig festgestellten Unwirksamkeit der gegenüber der Klägerin erklärten Kündigungen steht fest, dass zwischen den Parteien im streitgegenständlichen Zeitraum vom 24. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis bestand.
Rz. 12
2. Die Beklagte kam durch den Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 22. April 2010 an sich in Annahmeverzug. Da in der Kündigung zugleich die Erklärung der Beklagten lag, sie werde die Leistung nicht annehmen, bedurfte es keines Angebots der Klägerin, §§ 295, 296 Satz 1 BGB (st. Rspr., zuletzt BAG 16. Mai 2012 – 5 AZR 251/11 – Rn. 12, NZA 2012, 971).
Rz. 13
3. Dem Anspruch auf Verzugslohn nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB steht jedoch entgegen, dass die Klägerin in der Zeit, für die sie Annahmeverzugsvergütung verlangt, nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB war.
Rz. 14
a) Nach dieser Bestimmung kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Neben der (tatsächlichen oder rechtlichen) Leistungsfähigkeit umfasst § 297 BGB auch die nicht ausdrücklich genannte Leistungswilligkeit. Dies folgt schon daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außerstande setzt, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Verzugszeitraums vorliegen müssen (BAG 22. Februar 2012 – 5 AZR 249/11 – Rn. 16, NZA 2012, 858).
Rz. 15
b) Danach war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht leistungswillig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) hat sie sich in der Zeit vom 24. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 an dem von der IG BAU geführten Streik beteiligt, indem sie sich ua. mit einer Streikweste als Streikposten vor dem Betrieb der Beklagten aufgestellt hat. Sie hat sich zudem durch die Veröffentlichung von Texten und Redebeiträgen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Streik betätigt und hierdurch ihre fehlende Arbeitsbereitschaft unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Denn Streik ist definitionsgemäß die kollektive Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung, um durch die daraus resultierenden wirtschaftlich schädlichen Folgen Druck auf die Arbeitgeberseite dahin auszuüben, in eine gewünschte tarifvertragliche Regelung einzuwilligen (BAG 26. Juli 2005 – 1 AZR 133/04 – zu II 2b bb der Gründe, BAGE 115, 247). Wer streikt, ist deshalb nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB.
Rz. 16
4. Soweit die Klägerin die Auffassung vertreten hat, sie sei nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte nicht mehr deren Arbeitnehmerin gewesen und habe deshalb nicht im Rechtssinne streiken können, verkennt sie die Folgen des aus ihrer Sicht erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses. Das Arbeitsverhältnis hat nach der dort getroffenen Feststellung des Arbeitsgerichts durch die jeweiligen Kündigungen nicht geendet, sondern im streitgegenständlichen Zeitraum fortbestanden. Hätte dagegen – wie die Klägerin meint – in der Zeit vom 24. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 kein Arbeitsverhältnis bestanden, stünde ihr ohnehin kein Anspruch auf Verzugslohn zu, da § 615 BGB nur den vertraglichen Vergütungsanspruch aufrechterhält (BAG 19. März 2008 – 5 AZR 429/07 – Rn. 13, BAGE 126, 198). Überdies hat ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil lediglich feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung (KR/Friedrich 9. Aufl. § 4 KSchG Rn. 17 mwN); es wird also hierdurch nicht rückwirkend für die Zeit nach dem Kündigungstermin bis zur Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozess ein Arbeitsverhältnis geschaffen, sondern nur dessen Fortbestehen festgestellt.
Rz. 17
5. Aus der von der Klägerin zur Begründung ihrer Rechtsauffassung angeführten Senatsentscheidung vom 26. Juli 2005 (– 1 AZR 133/04 – BAGE 115, 247) folgt kein anderes Ergebnis. In jenem Fall hatte sich ein Arbeitnehmer, bevor er an einer Streikkundgebung teilnahm, in zulässiger Weise aus dem betrieblichen Zeiterfassungssystem abgemeldet. Dies führte dazu, dass für diese Zeitdauer dem Arbeitszeitkonto auch keine Zeitgutschrift zugeführt wurde. Der Arbeitnehmer befand sich daher während der Teilnahme an der Streikkundgebung in Freizeit und konnte deshalb durch die Streikteilnahme keine Arbeitspflichten aufheben. Hier hat sich die Klägerin nicht in ihrer Freizeit an einem Streik beteiligt, sondern zu einer Zeit, während derer sie nach objektiver Rechtslage zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.
Rz. 18
II. Die Versagung der Annahmeverzugsvergütung begegnet keinen arbeitskampfrechtlichen Bedenken.
Rz. 19
1. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) des einzelnen Arbeitnehmers wird hierdurch nicht verletzt. Dieser kann durch tatsächlich gezeigte oder doch wenigstens erklärte Solidarität den Druck eines Streiks verstärken, indem er diesem hierdurch öffentliche Aufmerksamkeit verleiht (vgl. BAG 15. Januar 1991 – 1 AZR 178/90 – zu II 7 der Gründe, BAGE 67, 50).
Rz. 20
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die Kampfparität nicht dadurch beeinträchtigt, dass ein außerordentlich gekündigter und damit nicht beschäftigter Arbeitnehmer keinen satzungsrechtlichen Anspruch gegenüber der kampfführenden Gewerkschaft auf Streikbeihilfe hat, sondern nur eine geringere und zudem zurückzuzahlende Solidaritätsunterstützung verlangen kann. Hierbei handelt es sich um eine gewerkschaftsinterne Regelung, die für die Beurteilung der Kampfparität unerheblich ist.
Rz. 21
3. Schließlich führte es zu Wertungswidersprüchen, wenn der unwirksam gekündigte Arbeitnehmer während der aktiven Streikteilnahme Annahmeverzugsvergütung verlangen könnte, während seine nicht gekündigten, streikenden Kollegen keinen Entgeltanspruch haben (dazu BAG 26. Juli 2005 – 1 AZR 133/04 – Rn. 13, BAGE 115, 247). Beide Personengruppen befinden sich in der gleichen Situation, da sie nach objektiver Rechtslage in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis an einem Arbeitskampf teilnehmen. Da der ungekündigte Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einem Streik die gegenseitigen Hauptpflichten aufhebt und deshalb für die Zeit der Streikteilnahme seinen Vergütungsanspruch verliert, kann für den unwirksam gekündigten nichts anderes gelten.
Unterschriften
Schmidt, Koch, Linck, Rath, Olaf Kunz
Fundstellen
Haufe-Index 3469071 |
BB 2012, 1855 |
DB 2012, 16 |
DB 2012, 2817 |
DStR 2012, 12 |