Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuschuß zum Mutterschaftsgeld; Rechtsmißbräuchliche Wahl der Steuerklassenkombination
Leitsatz (redaktionell)
Auch die erstmalige Wahl einer Steuerklassenkombination nach der Eheschließung kann in Bezug auf den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld rechtsmißbräuchlich sein.
Orientierungssatz
1. Anhaltspunkte für Rechtsmißbrauch liegen dann vor, wenn die Steuerklassenkombination offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entspricht. Die neu eingetragenen Steuerklassen entsprechen dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten, wenn sie den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug zur Folge haben. Sie entsprechen insbesondere dann offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten, wenn die Eheleute für die anspruchsberechtigte Ehefrau trotz deren geringeren Bruttoverdienstes die Steuerklasse III und für den Ehemann trotz dessen höheren Bruttoverdienstes die Steuerklasse V wählen.
2. Die Absicht, eine Steuerrückzahlung zu erreichen, stellt keinen sachlichen Grund für eine dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne offensichtlich nicht entsprechende Wahl der Steuerklassenkombination dar.
Normenkette
BGB § 242; AFG § 113; MuSchG § 14; EStG § 39 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 14.09.1990; Aktenzeichen 11 Sa 463/90) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 08.02.1990; Aktenzeichen 14 Ca 9231/89) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, wie der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld zu berechnen ist.
Die Klägerin und ihr Ehemann sind bei der Beklagten beschäftigt. Die Heirat fand am 16. Mai 1989 statt. Am 29. September 1989 wurde ihr Kind geboren. Die Schutzfristen vor und nach der Niederkunft dauerten vom 10. August 1989 bis zum 23. November 1989. Im Anschluß daran nahm die Klägerin Erziehungsurlaub.
Beide Ehegatten waren zum Zeitpunkt der Eheschließung in Lohnsteuerklasse I eingereiht. Mit Wirkung ab 1. Mai 1989 wählten sie die Steuerklasse III für die Klägerin und V für den Ehemann. Die Klägerin verdiente zuletzt monatlich 3.300,-- DM brutto. Ihr Ehemann erhielt im Juni 1989 4.155,-- DM brutto.
Während der Schutzfristen vor und nach der Geburt zahlte die Beklagte der Klägerin einen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 41,90 DM pro Kalendertag. Diesen errechnete sie auf der Basis des Nettoverdienstes, den die Klägerin im Bezugszeitraum bei Einreihung in die Lohnsteuerklasse IV erzielt hätte. Für die Zeit ab November 1989 wählten die Eheleute die Steuerklassenkombination V für die Klägerin und III/1 für ihren Ehemann.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, bei der Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld sei das von ihr aufgrund der Steuerklasse III tatsächlich erzielte Nettoarbeitsentgelt zugrunde zu legen. Dabei ergebe sich ein Zuschuß in Höhe von 49,09 DM pro Kalendertag. Die Klägerin begehrt im vorliegenden Verfahren Zahlung des Differenzbetrages zum gezahlten Zuschuß in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 828,45 DM.
Sie hat vorgetragen: Sie und ihr Ehemann hätten wegen der Eheschließung ohnehin eine andere Lohnsteuerklasse eintragen lassen müssen. Bei der Wahl der Steuerklasse III für sie und der Steuerklasse V für ihren Ehemann sei auch die Überlegung maßgebend gewesen, für das Jahr 1990, in dem wegen des Erziehungsurlaubs nur noch ein Ehepartner verdiene, eine höhere Steuerrückzahlung vom Finanzamt zu erreichen und auf jeden Fall Steuernachzahlungen zu vermeiden. Diese Wahl sei nicht rechtsmißbräuchlich. Nach dem Sinn des § 14 MuSchG solle die individuelle wirtschaftliche Situation vor Beginn der Schutzfristen aufrechterhalten bleiben, gleichgültig, ob sie außenstehenden Dritten vernünftig oder geboten erscheine. Die insoweit bestehende Dispositionsfreiheit der Eheleute verbiete eine gerichtliche Überprüfung. Die Eheleute dürften nicht gezwungen werden, ihre Vermögensdispositionen preiszugeben. Auch die erneute Steuerklassenänderung im November 1989 könne nicht zur Annahme des Rechtsmißbrauchs führen. Da im November 1989 nur noch ihr Ehemann berufstätig gewesen sei, habe die dann vorgenommene Einstufung und die Eintragung des Kindes auf der Lohnsteuerkarte des Ehemanns erfolgen müssen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 828,45 DM
netto nebst 4 % Zinsen seit dem 21. Dezember 1989
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Aufgrund der Bruttoverdienste der Eheleute sei nach der Eheschließung nur die Wahl der Steuerklasse IV sowohl für die Klägerin als auch für ihren Ehemann sinnvoll gewesen. Regelmäßig treffe bei dieser Steuerklassenkombination die Besteuerung zu, so daß es zu keinen Nachforderungen des Finanzamtes komme. Die davon abweichende Wahl der Steuerklassen durch die Klägerin und ihren Ehemann sei nur deshalb erfolgt, um das Nettogehalt der Klägerin zu erhöhen und um sodann einen höheren Zuschuß zum Mutterschaftsgeld geltend zu machen. Damit habe die Klägerin rechtsmißbräuchlich gegenüber der Beklagten gehandelt, was auch durch den erneuten Wechsel der Steuerklassen im November 1989 bestätigt werde. Daher sei sie berechtigt gewesen, bei der Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld eine Einstufung in Steuerklasse IV zugrunde zu legen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht der von ihr begehrte höhere Zuschuß zum Mutterschaftsgeld nicht zu. Ihr Verlangen, den Zuschuß nach dem in den Monaten Mai bis Juli 1989 erzielten Nettoverdienst zu berechnen, ist rechtsmißbräuchlich.
1. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG erhalten Frauen, die Anspruch auf Mutterschaftsgeld haben, für die Zeit der Schutzfristen vor und nach der Niederkunft einen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen 25,-- DM und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt. Das durchschnittliche kalendertägliche Arbeitsentgelt ist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 MuSchG aus den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten oder - bei wöchentlicher Abrechnung - aus den letzten 13 Wochen vor Beginn der Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG zu berechnen.
a) In seinem Urteil vom 22. Oktober 1986 (BAGE 53, 217 = AP Nr. 5 zu § 14 MuSchG 1968 = SAE 1988, 66) hat der Senat den Grundsatz aufgestellt, daß die nach § 14 MuSchG anspruchsberechtigte Frau rechtsmißbräuchlich handele, wenn sie durch Änderung von steuerlichen Merkmalen (Steuerklasse, Freibeträge) die Höhe der ihr im Bezugszeitraum zufließenden Nettovergütung allein des halb beeinflusse, um einen höheren Zuschuß des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld zu erlangen.
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt: Die Klägerin habe zwar mit ihrer - im Laufe des Kalenderjahres erfolgten - Änderung ihr steuerrechtlich offenstehende Möglichkeiten wahrgenommen. Gleichwohl könne sie sich darauf gegenüber dem Arbeitgeber nicht berufen, wenn die Änderung der Steuermerkmale ohne sachlichen Grund nur deshalb erfolgt sei, um den Nettoverdienst im Bezugszeitraum im Hinblick auf die Zuschußpflicht des Arbeitgebers zu erhöhen. Dieser könne dann die vor der Änderung maßgebliche Steuerklasse zugrunde legen. Die für die Dauer der Schutzfrist vorgesehenen Leistungen (Mutterschaftsgeld und Zuschuß zum Mutterschaftsgeld) sollten die Frau während der Beschäftigungsverbote vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahren. Diesem Schutzzweck des Gesetzes widerspräche es, wenn die Frau durch die ihr steuerrechtlich offenstehenden Möglichkeiten, den Nettoverdienst des Bezugszeitraums zu erhöhen, durch Mutterschaftsgeld und den Zuschuß des Arbeitgebers höhere Einkünfte zur Verfügung hätte, als dies ohne die Beschäftigungsverbote der Fall wäre. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Frau nur deshalb, um einen höheren Nettoverdienst im Bezugszeitraum und damit einen höheren Zuschuß des Arbeitgebers zu erlangen, die ihr steuerrechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt habe. Wäre ohne den Anspruch nach § 14 MuSchG die Änderung der steuerlichen Merkmale nicht erfolgt, dann hätte die Frau ohne die Beschäftigungsverbote den Nettolohn nach den vorher bestehenden steuerlichen Merkmalen weiterbezogen. Nur diese Rechtsstellung wolle ihr § 14 MuSchG erhalten. Auch § 200 Abs. 1 RVO, der den Anspruch auf Mutterschaftsgeld von einer bestimmten Mindestdauer der Versicherungspflicht oder des Arbeitsverhältnisses abhängig macht, beruhe auf dem Gedanken, ungerechtfertigten Bezug von Mutterschaftsgeld zu verhindern. Das Fehlen einer ausdrücklichen Mißbrauchsklausel in § 14 MuSchG stehe der Anwendung von § 242 BGB nicht entgegen. Äußerungen der Bundesregierung auf entsprechende Anfragen im Bundestag seien nicht maßgeblich. Weiter hat der Senat in diesem Zusammenhang auf § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG verwiesen, wonach ein Steuerklassenwechsel von Ehegatten für die Berechnung des Arbeitslosengeldes dann unmaßgeblich ist, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprechen.
b) In seinem Urteil vom 16. Dezember 1987 (- 5 AZR 367/86 - EEK III/086) hat der Senat diese Grundsätze auch auf einen Fall angewandt, in dem die Eheleute eine den Verhältnissen ihrer monatlichen Arbeitslöhne nicht entsprechende andere Steuerklassenkombination zum Jahresbeginn gewählt hatten. Zusätzlich hat der Senat auf § 112 Abs. 2 Satz 3 und 4 AFG (eingefügt durch Art. 1 Nr. 31 Buchst. a) des Gesetzes zur Ergänzung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und zum Schutze der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch - Achtes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes - vom 14. Dezember 1987 (BGBl I S. 2602) verwiesen, wonach der Berechnungszeitraum für das Arbeitslosengeld i.S. von § 111 Abs. 1 AFG, der grundsätzlich die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate umfaßt, auf die letzten 12 Monate erstreckt wird, wenn das Arbeitsentgelt im letzten Jahr vor dem Ende des Bemessungszeitraums außergewöhnlich gestiegen ist. Auch diese Regelung dient der Verhinderung von Manipulationen zur Erlangung höherer sozialer Leistungen.
c) Instanzgerichte und Literatur sind dem Senat ganz überwiegend gefolgt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. September 1988 - 7 Sa 290/88 - sowie LAG München, Urteil vom 13. März 1990 - 2 Sa 916/90 - LAGE Nr. 4 und 5 zu § 14 MuSchG; Knorr, SAE 1988, 68; Krause, SAE 1988, 131; Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand: Januar 1990, § 14 Anm. 13; Meisel/Sowka, Mutterschutz, 3. Aufl., § 14 MuschG Rz 9 ff.; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, Stand: Juni 1991, § 14 MuSchG Rz 34; a.A. Weber, Anm. zu BAG AP Nr. 5 zu § 14 MuSchG 1968). An dieser Rechtsprechung wird festgehalten.
2. Zu Recht haben die Vorinstanzen die dargestellten Grundsätze auch auf den Streitfall angewandt, in dem die Änderung der Steuerklassen aus Anlaß der Eheschließung erfolgte.
a) Auch die erstmalige Wahl einer Steuerklassenkombination nach der Eheschließung kann in Bezug auf den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld rechtsmißbräuchlich sein. Es besteht kein Anlaß, Eheleuten kurz nach der Eheschließung die Wahl einer bestimmten Steuerklassenkombination zu Lasten des Arbeitgebers zu erlauben, länger Verheirateten dagegen zu verbieten. Es ist demnach zu fragen, ob die Wahl der Steuerklassenkombination rechtsmißbräuchlich ist. Auf Anlaß und Zeitpunkt der Wahl - zu Beginn oder im Laufe des Kalenderjahres, unmittelbar vorausgegangene oder schon lange zurückliegende Eheschließung - kommt es nicht an. Rechtsmißbräuchlich ist die Wahl der Steuerklassen regelmäßig dann, wenn sie ohne sachlichen Grund nur deshalb erfolgte, um im Hinblick auf die Zuschußpflicht des Arbeitgebers einen höheren Nettoverdienst zu erzielen, als er sich bei sonst vernünftiger Wahl der Steuerklassen ergeben würde.
In der Regel werden sich Ehegatten für die Steuerklassenkombination entscheiden, bei der die Summe der laufenden Lohnsteuerabzüge am geringsten ist. Das Bundesfinanzministerium gibt regelmäßig Empfehlungen zur Steuerklassenwahl für Arbeitnehmer/Ehegatten. Aus den darin enthaltenen Tabellen ergeben sich Anhaltspunkte für die günstigste Steuerklassenkombination.
Zur Konkretisierung des Rechtsmißbrauchs ist § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG heranzuziehen. Anhaltspunkte für Rechtsmißbrauch liegen demnach dann vor, wenn die Steuerklassenkombination offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entspricht. Die neu eingetragenen Steuerklassen entsprechen dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten, wenn sie den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug zur Folge haben (BSG Urteil vom 11. Februar 1988 - 7 RAr 4/87 - SozR 4100 Nr. 7 zu § 113 AFG). Sie entsprechen insbesondere dann offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten, wenn die Eheleute für die anspruchsberechtigte Ehefrau trotz deren geringeren Bruttoverdienstes die Steuerklasse III und für den Ehemann trotz dessen höheren Bruttoverdienstes die Steuerklasse V wählen.
b) Allerdings liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 52, 227; BSG Urteile vom 25. August 1987 - 7 RAr 70/86 - und vom 26. September 1989 - 11 RAr 63/88 - SozR 4100 Nr. 6, 10 zu § 113 AFG) ein Steuerklassenwechsel im Sinne des § 113 Abs. 2 AFG nicht vor bei der erstmaligen Steuerklassenwahl von Ehegatten und der Steuerklassenwahl zu Beginn des Jahres. Dies steht jedoch - wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben - der Annahme des Rechtsmißbrauchs nicht entgegen. Denn es geht nicht um eine analoge Anwendung von § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG im Arbeitsrecht, sondern um eine Konkretisierung des Rechtsmißbrauchstatbestandes (§ 242 BGB).
Im übrigen sprechen für die unterschiedliche Ausformung der Mißbrauchstatbestände im Sozialrecht und im Arbeitsrecht gute Gründe. Nach der Zweckbestimmung des Arbeitslosengeldes, das ausgefallenen Lohn ersetzen soll, besteht die Notwendigkeit zu schneller Berechnung und Auszahlung dieser Leistung. Zudem handelt es sich um einen Massentatbestand. Daher müssen auch die Mißbrauchstatbestände klar und eindeutig gefaßt werden, damit sie in der Verwaltungspraxis handhabbar sind. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß die Verhinderung von Mißbräuchen infolge höheren Verwaltungsaufwandes mehr kostet als sie einbringt. Dem trägt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 113 Abs. 2 AFG Rechnung (vgl. BSG Urteile vom 26. September 1989 - 11 RAr 63/88 - und vom 27. September 1989 - 11 RAr 57/88 - SozR 4100 Nr. 10, 11 zu § 113 AFG). Im Arbeitsrecht besteht für eine gleichermaßen starre Typisierung des Mißbrauchstatbestandes keine Notwendigkeit. Hier mag der Arbeitgeber selbst entscheiden, ob er den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld schematisch nach dem tatsächlich im Bezugszeitraum erzielten Nettoverdienst errechnet oder ob er sich auf Rechtsmißbrauch beruft und damit kompliziertere Berechnungen in Kauf nimmt.
3. Im vorliegenden Fall ist Rechtsmißbrauch zu bejahen. Die gewählte Steuerklassenkombination entsprach offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten. Diese hatten für die anspruchsberechtigte Ehefrau trotz deren geringeren Bruttoverdienstes die Steuerklasse III gewählt.
Zur subjektiven Seite des Rechtsmißbrauchs hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, es sei davon auszugehen, daß die Wahl dieser Steuerklasse ohne sachlichen Grund nur deshalb erfolgt sei, um den Nettoverdienst im Bezugszeitraum im Hinblick auf die Zuschußpflicht des Arbeitgebers zu erhöhen. Ihre Behauptung, die Klägerin und ihr Ehemann hätten damals für das Jahr 1990 eine Steuerrückzahlung erreichen wollen, sei schon deshalb nicht überzeugend, weil die Eheleute bereits im November 1989 ihre Steuerklassen erneut geändert hätten, und zwar anders als im Mai 1989 den Einkommensverhältnissen entsprechend. Die darin liegende Tatsachenfeststellung ist für das Revisionsgericht nach § 561 Abs. 2 ZPO bindend, da zulässige und begründete Revisionsangriffe gegen diese Feststellung nicht erhoben worden sind.
Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung - genauer: die Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme (§ 286 Abs. 1 ZPO) - ist durch das Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar, nämlich nur auf die Wahrung der Voraussetzungen und Grenzen von § 286 ZPO. Das bedeutet: Der erkennende Senat kann lediglich überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt hat, ob es alle erhobenen Beweise gewürdigt hat und ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen die Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ist (BAG Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 AZR 146/82 - AP Nr. 2 zu § 21 MTL II; BAG Urteil vom 25. Februar 1987 - 4 AZR 240/86 - AP Nr. 81 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
Eine ausdrückliche Verfahrensrüge nach § 286 ZPO hat die Klägerin nicht erhoben. Sie hat aber geltend gemacht, die nach Ablauf der Schutzfristen vorgenommene Änderung der Steuerklassen (III für den Ehemann) könne nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden. Diese Änderung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, da sie, die Klägerin, mangels Einkommens nicht mehr in Steuerklasse III habe bleiben können. Damit erhebt sie erkennbar die Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe § 286 Abs. 1 ZPO dadurch verletzt, daß es die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung unzulässigerweise zu ihrem Nachteil berücksichtigt habe. Die Rüge hat jedoch keinen Erfolg. Nach § 38 b Satz 1 Nr. 3 a, aa EStG gehören in die Steuerklasse III verheiratete Arbeitnehmer, wenn der Ehegatte keinen Arbeitslohn bezieht. Diese Voraussetzungen waren für die Klägerin und ihren Ehemann schon seit dem Beginn der Schutzfristen vor und nach der Geburt und auch während des Erziehungsurlaubs gegeben. Gleichwohl konnte der Ehemann der Klägerin entgegen der Auffassung der Revision in Lohnsteuerklasse V bleiben. Dies ergibt sich aus § 39 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 EStG, wonach der Arbeitnehmer nur bei zu Beginn des Kalenderjahres bestehender, also anfänglicher Unrichtigkeit, nicht aber bei nachträglicher Unrichtigkeit verpflichtet ist, die Ein tragung der Steuerklasse und des Familienstandes ändern zu lassen (vgl. dazu auch BSGE 52, 227, 229). Das Landesarbeitsgericht konnte demnach die Änderung der Steuerklassenkombination ab November 1989 zu Lasten der Klägerin berücksichtigen.
Im übrigen wäre das Ergebnis auch dann kein anderes, wenn man die Steuerklassenänderung ab November 1989 außer Betracht ließe. Wählen Eheleute in Kenntnis der Methode zur Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld für den Bezugszeitraum eine Steuerklassenkombination, die offensichtlich nicht dem Verhältnis ihrer monatlichen Arbeitslöhne entspricht, so ist die Berufung darauf gegenüber dem Arbeitgeber in aller Regel rechtsmißbräuchlich, und zwar auch dann, wenn sich die dadurch regelmäßig erreichte Steuerrückzahlung im kommenden Jahr als erwünschte (Neben-)Folge darstellt. Die Absicht, eine Steuerrückzahlung zu erreichen, stellt keinen sachlichen Grund für eine dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne offensichtlich nicht entsprechende Wahl der Steuerklassenkombination dar.
4. Da das Verlangen der Klägerin rechtsmißbräuchlich ist, war die Beklagte berechtigt, den Zuschuß auf der Basis des Nettoverdienstes zu berechnen, den die Klägerin bei Einreihung in die Steuerklasse IV erzielt hätte.
Dr. Thomas Dr. Olderog Dr. Reinecke
Dr. Schlemmer Hecker
Fundstellen
BB 1992, 353 |
BB 1992, 353-354 (LT1) |
DB 1992, 787-789 (LT1) |
DStR 1992, 957-957 (T) |
EBE/BAG 1992, 23-24 (LT1) |
FamRZ 1992, 429 (L) |
ARST 1992, 103-105 (LT1) |
DOK 1993, 144 (K) |
EEK, III/109 (ST1-3) |
NZA 1992, 411 |
NZA 1992, 411-413 (LT1) |
RdA 1992, 63 |
USK, 9187 (LT) |
WzS 1992, 219 (L) |
ZAP, EN-Nr 392/92 (S) |
ZTR 1992, 115-115 (LT1) |
AP § 14 MuSchG 1968 (LT1), Nr 10 |
AR-Blattei, ES 1220 Nr 95 (LT1) |
EzA § 14 MuSchG, Nr 10 (LT1) |
EzBAT § 8 BAT Zuschuß zum Mutterschaftsgeld, Nr 12 (LT1) |