Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizeitgutschrift für Krankheitszeiten
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Freizeitgutschrift nach § 16 Ziff. 1 Satz 1 RTV für die deutsche Binnenschiffahrt setzt tatsächliche Bordanwesenheit des Besatzungsmitglieds voraus.
Normenkette
TVG § 1 Auslegung; RTV für die deutsche Binnenschiffahrt (Güter- und Fahrgastschiffahrt) vom 14. November 1989 §§ 16, 18, 8, 2; BGB § 616
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 22.10.1992; Aktenzeichen 12 Sa 1002/92) |
ArbG Duisburg (Urteil vom 22.04.1992; Aktenzeichen 1 Ca 230/92) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 22. Oktober 1992 – 12 Sa 1002/92 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 28. Juli bis zum 13. August 1991 eine Freizeitgutschrift zu gewähren ist.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 27. Februar 1968 als Schiffsführer im Angestelltenverhältnis tätig. Die Beklagte betreibt eine Reederei und beschäftigt regelmäßig etwa 290 Arbeitnehmer. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Rahmentarifvertrag für die deutsche Binnenschiffahrt (Güter- und Fahrgastschiffahrt) vom 14. November 1989 (RTV) anzuwenden. Dessen § 16 Ziff. 1 Satz 1 bestimmt:
Freie Tage – Anspruch und Gewährung
- In allen Betriebsformen wird für jeden Kalendertag, an dem ein Arbeitnehmer zur Besatzung des Schiffes gehört und der einen Entgeltanspruch begründet – unabhängig von der Dauer der täglichen Einsatzzeit – eine Freizeitgutschrift von 0,4 freien Tagen gewährt.
Weiter heißt es in
§ 8
Monatsgrundvergütung
- …
- …
- Mit der Monatsgrundvergütung sind ferner die im Kalendermonat durch Bordanwesenheit erworbenen und auch gehaltenen freien Tage bezahlt.
Der Kläger war vom 28. Juli bis zum 13. August 1991 arbeitsunfähig krank. Nach dem Dienstplan war er für die Zeit vom 28. Juli bis zum 17. August zum Dienst auf dem Schiff “R…” vorgesehen. Infolge der Arbeitsunfähigkeit konnte er seinen Dienst nicht antreten. Er hielt sich auch nicht an Bord des Schiffes auf. Die Beklagte lehnte für die Zeit seiner Krankheit die Gewährung einer Freizeitgutschrift nach § 16 Ziff. 1 des RTV ab. Das hält der Kläger nicht für gerechtfertigt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm die Freizeitgutschrift von 0,4 Tagen je Kalendertag auch für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit gewähren. Seine Anwesenheit an Bord des Schiffes sei dafür nicht Voraussetzung. § 16 Ziff. 1 RTV verlange nur, daß der Arbeitnehmer zur Besatzung des Schiffes gehöre. Hierzu reiche die dienstplanmäßige Zuteilung aus.
Eine Beschränkung des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf den Tagessatz unter Ausschluß des Freizeiterwerbs sei mit § 616 BGB unvereinbar. Die Vergütung für 6,8 freie Tage pro Monat sei nach § 5 Ziff. 3 RTV in der Monatsgrundvergütung enthalten. Der Freizeiterwerb sei damit Vergütungsbestandteil.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Freizeitgutschrift von 6,8 freien Tagen zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.135,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 8. Oktober 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, zur Besatzung eines Schiffes im Sinne von § 16 Ziff. 1 RTV gehöre nur der Arbeitnehmer, der sich zu Einsatz- und Arbeitszwecken auf dem Schiff aufhalte. Dem stehe nicht entgegen, daß § 16 Ziff. 1 RTV neben der Zugehörigkeit zur Besatzung die Begründung eines Entgeltanspruchs voraussetze. Der Arbeitnehmer könne sich auch an Bord aufhalten, ohne einen Entgeltanspruch zu haben. Weiter werde nach § 16 Ziff. 1 RTV die Freizeitgutschrift unabhängig von der Dauer der täglichen Einsatzzeit gewährt. Damit werde ausdrücklich auf den konkreten Einsatz der Besatzung an Bord abgehoben. Schließlich spreche § 8 Ziff. 3 RTV von den durch Bordanwesenheit erworbenen Tagen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger sein Klageziel mit dem neu gefaßten Hauptantrag weiterverfolgt, die Beklagte zu verurteilen, ihm auf seinem Zeitkonto 6,8 freie Tage gutzuschreiben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Freizeitgutschrift zu Recht verneint.
I. Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ist § 16 Ziffer 1 Satz 1 RTV für die deutsche Binnenschiffahrt. Eine Auslegung dieser Tarifnorm nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck führt zu dem Ergebnis, daß die Entstehung eines Anspruchs auf Freizeitgutschrift die tatsächliche Bordanwesenheit des Arbeitnehmers voraussetzt.
1. Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizupflichten, daß bereits der Wortlaut der Tarifnorm dafür spricht, eine Freizeitgutschrift sei nur bei tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung an Bord zu gewähren. § 16 Ziffer 1 RTV verlangt, daß der Arbeitnehmer “zur Besatzung des Schiffes gehört”. Das ist aber nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer sich tatsächlich an Bord aufhält. Ist der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung dienstplanmäßig eingeteilt, ist seine Zugehörigkeit zur Besatzung des Schiffes lediglich geplant, aber noch nicht verwirklicht. Denn ob er später tatsächlich zur Schiffsbesatzung gehört, zeigt sich erst beim Einsatz, wenn er an Bord anwesend ist. Die sprachliche Formulierung deutet damit darauf hin, daß die Tarifvertragsparteien auf den tatsächlichen Einsatz an Bord abstellen wollten. Der wegen seiner Arbeitsunfähigkeit bordabwesende Arbeitnehmer gehört in diesem Sinne nicht zur Besatzung. Seine vorherige dienstplanmäßige Einteilung kann daran nichts ändern.
2. Weiter gewährt § 16 Ziffer 1 RTV die Freizeitgutschrift unabhängig von der Dauer der täglichen Einsatzzeit. Eine tägliche Einsatzzeit des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers gibt es jedoch nicht. Es kann hierbei auch nicht auf die geplante Einsatzzeit abgestellt werden. Denn nach § 2 Ziffer 2 Abs. 2 RTV teilt der Dienstvorgesetzte den Besatzungsmitgliedern die Einsatzzeit spätestens am Vortage bis zum Arbeitsschluß mit. Für nicht an Bord anwesende Besatzungsmitglieder erfolgt demnach keine Regelung der täglichen Einsatzzeit.
3. Das Besatzungsmitglied hat für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit keinen “Entgeltanspruch” im Sinne des § 16 Ziffer 1 RTV. Dies ergibt sich besonders aus einem Vergleich mit der Formulierung in § 18 RTV. Dort wird der Anspruch auf Vergütung während der Arbeitsunfähigkeit, eines Kuraufenthalts oder des Urlaubs als “Entgeltfortzahlungsanspruch” bezeichnet. Wenn § 16 Ziffer 1 RTV dagegen die Begründung eines Entgeltanspruchs verlangt, dann wird deutlich, daß die Tarifvertragsparteien zwischen der Entgeltzahlung und der Entgeltfortzahlung unterscheiden wollten. § 16 Ziffer 1 RTV setzt für den Erwerb der Freitzeitgutschrift die Begründung von Entgeltansprüchen im dargelegten Sinne voraus. Die Begründung von Entgeltfortzahlungsansprüchen, z. B. wegen Arbeitsunfähigkeit, soll dem nicht gleichstehen.
Ferner führt Bordanwesenheit nicht ohne weiteres zur Entstehung eines Entgeltanspruchs. Zwar erwirbt das bordanwesende Besatzungsmitglied einen Entgeltanspruch, wenn es die geschuldete Arbeitsleistung erbringt. Die besondere Erwähnung des Entgeltanspruchs in § 16 Ziffer 1 Satz 1 RTV stellt aber klar, daß ein Besatzungsmitglied die Freizeitgutschrift nicht allein wegen seiner Bordanwesenheit verlangen kann. Trotz Bordanwesenheit kommt es nicht zur Entstehung eines Entgeltanspruchs, wenn das Besatzungsmitglied z. B. vertragswidrig keine Arbeitsleistung erbringt oder aber aus bestimmten Gründen keine Arbeitsleistung schuldet.
4. Besonders geregelt wird in § 16 Ziffer 3 RTV die Freizeitgutschrift für den Einsteige- und den Aussteigetag. Ein solches Ein- und Aussteigen findet beim arbeitsunfähigen bordabwesenden Besatzungsmitglied jedoch nicht statt. Daß es sich bei den Ein- und Aussteigetagen auch nicht um die nur im Dienstplan vorgesehenen Tage handelt, ergibt sich aus § 16 Ziffer 3 Abs. 3 RTV. Danach richtet sich die Vergütung an diesen Tagen jeweils nach den persönlichen Einsatzzeiten des Arbeitnehmers an Bord. Solche persönlichen Einsatzzeiten an Bord können bei Bordabwesenheit nicht festgestellt werden.
5. Das bisherige Auslegungsergebnis findet sich an anderer Stelle des Tarifvertrages bestätigt. So stellt § 8 Ziffer 3 RTV klar, daß mit der monatlichen Grundvergütung die im Kalendermonat durch Bordanwesenheit erworbenen und auch gehaltenen freien Tage bezahlt sind. Die Tarifvertragsparteien sind damit schon nach dem Wortlaut der Tarifnorm davon ausgegangen, daß freie Tage durch Bordanwesenheit erworben werden. § 8 RTV steht auch im Regelungszusammenhang mit § 16 RTV; er soll sicherstellen, daß die erworbenen und gehaltenen freien Tage vergütungsneutral sind. Sie werden mit der tariflichen Monatsgrundvergütung abgegolten. Die Regelung des § 16 RTV soll gewährleisten, daß die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit nicht durch eine längere Einsatzzeit auch über das Wochenende hinaus erhöht wird. Für jeweils fünf Arbeitstage sollen zwei freie Tage erworben werden.
6. Die Revision führt aus, in § 17 Ziffer 7 RTV hätten die Tarifvertragsparteien den Urlaubsanspruch von zuvor 30 Urlaubstagen pro Jahr auf 42 Kalendertage erhöht, weil sie für jeden urlaubsbedingten Tag der Bordabwesenheit einen Freizeitausgleich von 0,4 Tagen hätten normieren wollen. Auch der urlaubsabwesende Arbeitnehmer befinde sich nicht an Bord. Es zeige sich daher der Wille der Tarifvertragsparteien, die Freizeitgutschrift auch für Tage der Bordabwesenheit zu gewähren. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Tarifvertragsparteien haben die Umstellung von Urlaubstagen auf Kalendertage lediglich rechnerisch nachvollzogen. Urlaubstage werden nur für die Tage gewährt, an denen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung schuldet. Muß der Arbeitgeber tariflich Urlaub an Kalendertagen gewähren, gilt jeder in den Urlaubszeitraum fallende Kalendertag als Urlaubstag. Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer an diesem Tag ohne die Urlaubsgewährung gearbeitet hätte. Die Tarifvertragsparteien haben den Urlaubsanspruch folglich nur rechnerisch erhöht, damit die Umstellung von Urlaubs- auf Kalendertage nicht zu einer Kürzung der Urlaubsdauer führt.
II. Diese Auslegung des § 16 RTV verstößt nicht gegen die gesetzlichen Vorschriften zur Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfalle (§ 616 BGB, § 63 HGB, § 133c GewO, § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind kollektive Regelungen, die für solche Tage kein Zeitguthaben entstehen lassen, an denen der Arbeitnehmer tatsächlich nicht arbeitet und lediglich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat, zulässig (BAGE 66, 338, 353 = AP Nr. 98 zu § 1 TVG Metallindustrie, zu III 4b der Gründe; BAGE 57, 88, 93 f. = AP Nr. 54 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG, zu I 2b der Gründe). Die gesetzliche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle sichert nur die Vergütung des Arbeitnehmers, nicht aber die Nutzung seiner Freizeit (BAGE 49, 273, 279 = AP Nr. 13 zu § 17 BAT, zu III 2a der Gründe).
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Dr. Müller, Arntzen
Fundstellen
BB 1994, 76 |
NZA 1994, 178 |