Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratstätigkeit. Erforderlichkeit von Arbeitsbefreiung. Gewerkschaft
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Prüfung der Frage, ob die Versäumung der Arbeitszeit zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, steht dem Betriebsrat als Gremium und dem einzelnen Betriebsratsmitglied ein Beurteilungsspielraum zu. Ob die Arbeitsbefreiung überhaupt der Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats dient, ist hingegen eine Rechtsfrage, die allein nach objektiven Maßstäben zu beurteilen ist. Ein Vergütungsanspruch besteht jedoch nur dann nicht, wenn bei verständiger Würdigung erkennbar ist, dass es sich bei der Tätigkeit nicht mehr um die Wahrnehmung gesetzlicher Aufgaben des Betriebsrats handelt.
- Die Teilnahme an Veranstaltungen von Gewerkschaftern gehört in der Regel – soweit nicht in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen etwas anderes bestimmt ist oder es sich um Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG handelt – nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats. Der Betriebsrat kann zwar im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit Gespräche mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften führen. Aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergibt sich aber kein eigenständiges Recht der Gewerkschaften, aus eigenem Antrieb an betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten mitzuwirken.
- Die Teilnahme an einer Zusammenkunft von Betriebsratsmitgliedern eines Unternehmens zum Erfahrungs- und Informationsaustausch sowie zur Absprache eines koordinierten Vorgehens auf Einladung der Gewerkschaft ohne konkreten betrieblichen Anlass ist zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats nicht erforderlich.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 2; BGB § 611
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. Mai 2005 – 13 Sa 2307/04 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit ihrer Teilnahme an einem von der Gewerkschaft ver.di initiierten “A”.
Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit zahlreichen Filialen im gesamten Bundesgebiet. Die Klägerin ist nicht freigestelltes Mitglied des Betriebsrats, der auf der Grundlage eines nach § 3 BetrVG abgeschlossenen Tarifvertrags gebildet wurde und für annähernd 70 Filialen im Bezirk D… zuständig ist. Nach einer Gesamtbetriebsvereinbarung finden in den einzelnen Bundesländern zweimal jährlich Regionalversammlungen der Betriebsräte statt. Im Jahr 2003 wurden die Regionalversammlungen am 18. Februar und am 11. September durchgeführt. Außerdem erfolgt mindestens einmal jährlich eine bundesweite Betriebsräteversammlung.
Am 8. Dezember 2003 nahm die Klägerin zusammen mit der teilweise freigestellten Betriebsratsvorsitzenden W… an dem sog. “A” in D… teil. Es handelte sich um die vierte derartige Veranstaltung im Jahr 2003. Hierzu hatte die Gewerkschaft ver.di Betriebsratsmitglieder aus Betrieben der Beklagten in Nordrhein-Westfalen eingeladen. Die Gewerkschaft ver.di stellte die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung und übernahm die anfallenden Konferenz- und Reisekosten. Die ursprüngliche Tagesordnung enthielt folgende Angaben:
“1. Die bisher erstellten Musterbetriebsvereinbarungen NRWErfahrungen, Verhandlungsstände, Änderungs- bzw. Ergänzungsbedarf
2. Berichte aus den BR-Gremien zu dringenden aktuellen Problemen – Wo drückt der Schuh (besonders)?
3. Musterbetriebsvereinbarung Arbeitszeit
Bitte dazu vorbereitend die beiliegenden bisherigen Betriebsvereinbarungen lesen
4. Mitteilungen, Anregungen, Fragen, Wünsche (“Verschiedenes”; ua. Kalender und Terminplanung 04).
Ihr seht, wir haben diesmal eine überschaubare Tagesordnung. Ich erwarte allerdings, dass der TOP 3 so hohen Informations- und Diskussionsbedarf beinhaltet, dass nicht gewährleistet ist, dass wir am 8.12. komplett durchkommen. Ggf. wird auch in der ersten Sitzung 04 diese Problematik wiederum aufgerufen.”
Später wurde die Tagesordnung folgendermaßen ergänzt:
“a) Einstellung nach § 100 BetrVG
b) Besetzung der Geschäftsstellen nach Überfällen
c) Mehrstundenregelung bei Pyrotechnik-Verkauf
d) Mehrstundenregelung bei Pyrotechnik-Schulung
e) Aktuelle Seminarteilnahmen
f) Fehlen der kompletten Unterlagen bei Vorlage zu Personalanträgen
g) Fehlende Nachricht über vollzogene Einstellungen.”
Die Beklagte zahlte der Klägerin für die Zeit ihrer Teilnahme an dem “A” am 8. Dezember 2003 kein Arbeitsentgelt. Dieses macht die Klägerin in unstreitiger Höhe von 95,52 Euro brutto nebst Zinsen mit der vorliegenden Klage geltend.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre Teilnahme an der Veranstaltung sei erforderliche Betriebsratsarbeit gewesen. Dort seien Themen diskutiert worden, die für alle Betriebe des Unternehmens von Bedeutung gewesen seien. Außerdem seien mitbestimmungspflichtige Sachverhalte erörtert worden, die insbesondere in den Betrieben in Nordrhein-Westfalen zu regeln gewesen seien. Das gelte für die Musterbetriebsvereinbarung gemäß TOP 3, für die Mehrstundenregelung im Zusammenhang mit der Schulung und dem Verkauf von Pyrotechnik (TOP c und d der Ergänzung der Tagesordnung) sowie für die Themen Kameraüberwachung, Besetzung der Geschäftsstellen nach Überfällen, unzureichende Unterrichtung bei personellen Einzelmaßnahmen und Seminarteilnahmen. Es sei auch abgesprochen worden, welche Themen vom Gesamtbetriebsrat weiterverfolgt werden sollten. Angesichts der Filialstruktur im Unternehmen der Beklagten und der Vielzahl gleichgelagerter individualund kollektivrechtlicher Probleme seien Absprachen und Koordinationen der Betriebsräte geboten. Dazu seien Zusammenkünfte wie diejenige vom 8. Dezember 2003 erforderlich, um den jeweiligen Handlungsbedarf zu ermitteln und gemeinsame Strategien zu entwickeln. Neben einer Diskussion habe eine “koordinierende Gruppenrechtsberatung”, dh. eine gemeinschaftliche rechtliche Beratung mit dem zuständigen Gewerkschaftssekretär, stattgefunden.
Die Klägerin hat beantragt,
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 95,52 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Klägerin stehe für den 8. Dezember 2003 keine Vergütung zu, da ihre Teilnahme an dem “Arbeitskreis Schlecker” keine erforderliche Betriebsratsarbeit gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat für den 8. Dezember 2003 keinen Vergütungsanspruch nach § 611 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG, da ihre Teilnahme an dem “A” zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats nicht erforderlich war. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 611 BGB iVm. § 37 Abs. 6 Satz 1, § 37 Abs. 2 BetrVG, da es sich bei dem “A” nicht um eine Schulungs- oder Bildungsveranstaltung gehandelt hat.
I. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Zahlung von Vergütung für den 8. Dezember 2003 nach § 611 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG.
1. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und so weit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Der Anspruch auf Vergütungsfortzahlung setzt daher voraus, dass das Betriebsratsmitglied während der Zeit der Arbeitsbefreiung gesetzliche Aufgaben des Betriebsrats wahrnimmt. Außerdem muss die Arbeitsbefreiung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich sein.
Die Prüfung der Frage, ob die Versäumung der Arbeitszeit zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, obliegt sowohl dem Betriebsrat als Gremium als auch dem einzelnen Betriebsratsmitglied. Ihnen steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Sie dürfen die Frage der Erforderlichkeit allerdings nicht allein nach ihrem subjektiven Ermessen beantworten, sondern müssen die Interessen des Betriebs einerseits und des Betriebsrats und der Belegschaft andererseits gegeneinander abwägen (st. Rspr. vgl. etwa BAG 15. März 1995 – 7 AZR 643/94 – BAGE 79, 263 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 105 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 124, zu II 1b der Gründe). Fasst der Betriebsrat als Gremium den Beschluss, dass das Betriebratsmitglied eine bestimmte Aufgabe wahrnehmen soll, entbindet dies das Betriebsratsmitglied nicht von einer selbständigen Überprüfung der Rechtslage hinsichtlich des Bestehens einer Betriebsratsaufgabe und deren Erforderlichkeit (st. Rspr. vgl. etwa BAG 6. August 1981 – 6 AZR 505/78 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 73, zu II 2b der Gründe; 31. August 1994 – 7 AZR 893/93 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 98 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 33, zu 2b der Gründe).
Ob die Arbeitsbefreiung überhaupt der Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats dient, ist eine Rechtsfrage, die allein nach objektiven Maßstäben zu beurteilen ist (BAG 11. August 1993 – 7 AZR 619/92 –, zu 3 der Gründe; 10. August 1994 – 7 ABR 35/93 – NZA 1995, 796, zu B I 1 der Gründe; 31. August 1994 – 7 AZR 893/93 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 98 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 33, zu 2c der Gründe). Ein Beurteilungsspielraum besteht insoweit nicht (aA Richardi/Thüsing BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn. 15; GK-BetrVG/Weber 8. Aufl. § 37 Rn. 21). Auch ein entschuldbarer Irrtum des Betriebsratsmitglieds darüber, ob eine von ihm wahrgenommene Tätigkeit zu den Aufgaben des Betriebsrats gehört, kann grundsätzlich einen Vergütungsanspruch nach § 611 BGB, § 37 Abs. 2 BetrVG nicht begründen (BAG 11. August 1993 – 7 AZR 619/92 – aaO; aA wohl Fitting BetrVG 23. Aufl. § 37 Rn. 33; DKK/Wedde BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn. 24). Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat und auch das einzelne Betriebsratsmitglied eigenverantwortlich über die Ausübung der Betriebsratstätigkeit entscheiden. Deshalb kann nicht jede Verkennung der objektiven Rechtslage, insbesondere bei schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen, nachteilige Auswirkungen für das betreffende Betriebsratsmitglied haben. Das ist nur dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung erkennbar ist, dass es sich bei der Tätigkeit nicht mehr um die Wahrnehmung gesetzlicher Aufgaben des Betriebsrats handelt (BAG 31. August 1994 – 7 AZR 893/93 – aaO).
Die Aufgaben des Betriebsrats ergeben sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz und anderen Gesetzen (zB § 17 Abs. 2 und 3 KSchG, § 93 SGB IX, §§ 9, 11 ASiG), ggf. auch aus Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen. Danach gehören zu den Aufgaben des Betriebsrats insbesondere die Teilnahme an Betriebsratssitzungen (§§ 29, 30 BetrVG), die Abhaltung von Sprechstunden (§ 39 BetrVG), die Teilnahme an Betriebs- und Abteilungsversammlungen (§ 43 BetrVG), Betriebsräteversammlungen (§ 53 BetrVG), Besprechungen und Verhandlungen mit dem Arbeitgeber oder mit Behörden, sowie in erster Linie die Wahrnehmung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte (vgl. dazu BAG 10. August 1994 – 7 ABR 35/93 – NZA 1995, 796, zu B I 1c der Gründe). Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Aufgaben innerhalb oder außerhalb des Betriebs wahrzunehmen sind (GK-BetrVG/Weber 8. Aufl. § 37 Rn. 24; Fitting BetrVG 23. Aufl. § 37 Rn. 27; DKK/Wedde BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn. 17).
Nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats gehört in der Regel – soweit nicht in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen etwas anderes bestimmt ist – die Teilnahme an Veranstaltungen von Gewerkschaften mit Ausnahme von Schulungs- und Bildungsveranstaltungen iSv. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG (vgl. GK-BetrVG/Weber 8. Aufl. § 37 Rn. 29; wohl auch Fitting BetrVG 23. Aufl. § 37 Rn. 31; aA DKK/Wedde BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn. 24). Der Betriebsrat kann jedoch im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) Gespräche mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften führen (GK-BetrVG/Weber 8. Aufl. § 37 Rn. 29; Fitting BetrVG aaO; Richardi/Thüsing BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn. 16; DKK/Wedde aaO, § 37 Rn. 18). Aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergibt sich allerdings kein eigenständiges Recht der Gewerkschaften, aus eigenem Antrieb an betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten mitzuwirken (GK-BetrVG/Kraft/Franzen aaO, § 2 Rn. 21). Soweit den Gewerkschaften vom Gesetz keine eigenständigen betriebsverfassungsrechtlichen Rechte eingeräumt werden (vgl. insoweit zB § 14 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Satz 6, Abs. 2, § 17 Abs. 3, Abs. 4, § 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 Satz 2, § 19 Abs. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 31, § 35 Abs. 1, § 43 Abs. 4, §§ 46, 48 BetrVG), können Gewerkschaften im betriebsverfassungsrechtlichen Bereich grundsätzlich nur auf Wunsch eines der Betriebspartner, in der Regel des Betriebsrats, tätig werden (GK-BetrVG/Kraft/Franzen aaO, § 2 Rn. 22; Fitting BetrVG aaO, § 2 Rn. 53). Der Betriebsrat kann bei der Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben Vertreter einer Gewerkschaft zur Unterstützung und Beratung hinzuziehen, wenn er dies für sachdienlich und geboten hält. Ob sich der Betriebsrat im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten gewerkschaftlicher Unterstützung bedienen will, hat der Betriebsrat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (GK-BetrVG/Kraft/Franzen aaO, § 2 Rn. 24).
Ebenfalls nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats zählen grundsätzlich Informationsveranstaltungen mit Betriebsräten anderer Betriebe. Ausgenommen hiervon sind Betriebsräteversammlungen gemäß § 53 BetrVG oder Zusammenkünfte aus einem konkreten betrieblichen Anlass (vgl. dazu GKBetrVG/ Weber 8. Aufl. § 37 Rn. 31; Fitting BetrVG 23. Aufl. § 37 Rn. 30). Ein solcher Anlass kann zB vorliegen, wenn in einem Unternehmen ein Kompetenzstreit zwischen den einzelnen Betriebsräten und dem Gesamtbetriebsrat besteht und die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer derartigen Zusammenkunft der Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats dient (BAG 10. August 1994 – 7 ABR 35/93 – NZA 1995, 796).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei einen Vergütungsanspruch der Klägerin für den 8. Dezember 2003 verneint. Das Landesarbeitsgericht ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin ihre Teilnahme an dem “A” zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats nicht für erforderlich halten durfte.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, sämtliche in der Tagesordnung und der Ergänzung hierzu genannten Themen beträfen mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten, die innerhalb der einzelnen Betriebe zu regeln seien. Ein etwaiger betriebsübergreifender Koordinationsbedarf sei im Rahmen des § 50 BetrVG vom Gesamtbetriebsrat zu decken, ggf. nach konkreten Vorbesprechungen einzelner oder aller örtlichen Betriebsräte. Im Übrigen habe jeder einzelne Betriebsrat bei den mindestens einmal jährlich einzuberufenden Betriebsräteversammlungen nach § 53 BetrVG und bei den zweimal jährlich stattfindenden Regionalversammlungen die Möglichkeit, Gespräche und Diskussionen zur Abstimmung und Koordinierung der Interessen der einzelnen Betriebsräte zu führen. Auch zum Zwecke einer “koordinierenden Gruppenrechtsberatung” habe es nicht der Teilnahme der Klägerin an der Veranstaltung vom 8. Dezember 2003 bedurft. Soweit Rechtsberatung benötigt werde, könne der jeweilige Betriebsrat Vertreter von Gewerkschaften zu Gesprächen innerhalb des Betriebs hinzuziehen, ggf. könnten auch einzelne Betriebsratsmitglieder einen Gewerkschaftssekretär oder einen Rechtsanwalt aufsuchen. In Anbetracht dieser Möglichkeiten bedürfe es keiner zusätzlichen Veranstaltung der hier in Rede stehenden Art. Außerdem habe die Klägerin nicht dargelegt, weshalb es erforderlich gewesen sei, dass sie neben der teilweise freigestellten Betriebsratsvorsitzenden an dem “Arbeitskreis Schlecker” teilgenommen habe.
b) Diese Beurteilung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Bei dem Begriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung nicht nur dem Betriebsrat und dem Betriebsratsmitglied, sondern auch dem Gericht der Tatsacheninstanz ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Anwendung des Rechtsbegriffs durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt wurde und ob die Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalls vollständig, ohne inneren Widerspruch und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgenommen worden ist (st. Rspr. vgl. etwa BAG 10. August 1994 – 7 ABR 35/93 – NZA 1995, 796, zu B I 2a der Gründe mwN).
bb) Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand. Das Landesarbeitsgericht hat die für die Prüfung der Erforderlichkeit maßgebenden Umstände umfassend und widerspruchsfrei ohne Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze gewürdigt. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht weder seinen Prüfungsmaßstab oder den Begriff der Erforderlichkeit verkannt, noch hat es unternehmens- oder betriebsspezifische Tatsachen oder Denkgesetze bei seiner Würdigung missachtet.
Dem Betriebsratsmitglied steht zwar bei der Prüfung der Frage, ob die Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung einer Betriebsratsaufgabe erforderlich ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Dabei hat das Betriebsratsmitglied aber nicht nur die Interessen des Betriebsrats, sondern auch diejenigen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Von diesem Prüfungsmaßstab ist das Landesarbeitsgericht ersichtlich ausgegangen und hat unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls festgestellt, dass die Klägerin ihre Teilnahme an dem “A” am 8. Dezember 2003 zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats nicht für erforderlich halten durfte. Dabei hat das Landesarbeitsgericht zu Recht berücksichtigt, dass auch bei der in dem Unternehmen der Beklagten bestehenden Betriebsstruktur mit Regionalbetriebsräten nach § 3 BetrVG die Mitbestimmungsrechte grundsätzlich von den einzelnen Betriebsräten auf betrieblicher Ebene wahrzunehmen sind. Die zur Aufgabenerfüllung des Betriebsrats erforderlichen Informationen hat ihm der Arbeitgeber zu erteilen. Hierauf besteht ein gesetzlicher Anspruch des Betriebsrats (vgl. dazu etwa § 80 Abs. 2, § 90, § 92 Abs. 1, § 99 Abs. 1, § 100 Abs. 2, § 102 Abs. 1, § 111 BetrVG). Der Betriebsrat kann zwar das Gespräch mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften suchen oder an einer Zusammenkunft mit Betriebsräten anderer Betriebe des Arbeitgebers teilnehmen, sofern er dies aus einem konkreten betrieblichen Anlass für erforderlich hält. Um eine derartige Zusammenkunft handelte es sich jedoch bei der Veranstaltung vom 8. Dezember 2003 nicht. Der “A” fand nicht auf Initiative eines oder mehrerer im Unternehmen der Beklagten bestehenden Betriebsräte aus einem konkreten betrieblichen Anlass unter Hinzuziehung eines Gewerkschaftsbeauftragten statt, sondern auf Einladung der Gewerkschaft. Die Gewerkschaft übernahm die Kosten der Tagung sowie die Reisekosten der teilnehmenden Betriebsratsmitglieder. Sie gab auch die Tagesordnung nebst Ergänzung bekannt. Die Zusammenkunft fand auch nicht aus einem konkreten betrieblichen Anlass wegen eines von einem oder mehreren Betriebsräten festgestellten Koordinationsbedarfs in einer bestimmten mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit statt. Vielmehr hatte die Gewerkschaft selbst die Veranstaltung Monate im Voraus und ohne konkreten betrieblichen Anlass festgelegt, was sich daraus ergibt, dass der Betriebsrat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den Beschluss über die Teilnahme der Klägerin an der Veranstaltung vom 8. Dezember 2003 bereits am 5. August 2003 gefasst hatte, als eine Tagesordnung noch nicht vorlag.
Bei dem Treffen wurden zwar Gespräche über mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten geführt, die die Betriebe und die Betriebsräte, aus denen sich der Teilnehmerkreis zusammensetzte, gleichermaßen betrafen. Hierbei sollten Informationen ausgetauscht und Absprachen über ein koordiniertes Vorgehen der Betriebsräte bei der Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten getroffen werden. Es ist jedoch nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht dargelegt, dass dies zur Erfüllung einer konkreten betriebsverfassungsrechtlichen Aufgabe des Betriebsrats erforderlich war und es hierzu der Teilnahme an dem “A” bedurfte. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz regelmäßig auf betrieblicher Ebene vollzieht. Zur Ausübung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte ist der von der Belegschaft des Betriebs gewählte Betriebsrat zuständig. Handelt es sich um Angelegenheiten, die das gesamte Unternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und die nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können, ist die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben (§ 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Nach § 58 BetrVG kommt ggf. eine Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats in Betracht. Eine Zusammenarbeit und einen Meinungsaustausch der Betriebsräte eines Unternehmens sieht das Gesetz nur in Form von Betriebsräteversammlungen (§ 53 BetrVG) vor, um die es sich im Streitfall jedoch nicht handelte. Dem von der Klägerin geltend gemachten, auf der Betriebsstruktur bei der Beklagten beruhenden Bedürfnis des Betriebsrats nach Informationsaustausch, Koordination und Absprachen mit anderen Betriebsräten hinsichtlich der Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten wird im Unternehmen der Beklagten nicht nur durch die gesetzlich vorgesehenen, mindestens einmal jährlich einzuberufenden Betriebsräteversammlungen nach § 53 BetrVG Rechnung getragen, sondern insbesondere durch die zweimal jährlich stattfindenden Regionalversammlungen. Mit dem Einwand, bei diesen Veranstaltungen sei für derartige Angelegenheiten keine Zeit, verkennt die Klägerin, dass es Sache der beteiligten Betriebsräte ist, die Regionalversammlungen so zu gestalten, dass ein Erfahrungs- und Informationsaustausch stattfinden und ggf. in Angelegenheiten, die mehrere Betriebe gleichermaßen betreffen, ein koordiniertes Vorgehen abgesprochen werden kann. Hierzu kann bei Bedarf auch ein Gewerkschaftssekretär zur Unterstützung und Beratung, ggf. auch zur Rechtsberatung, hinzugezogen werden. Soweit im Einzelfall außerhalb der Betriebsräteversammlungen und der Regionalversammlungen von einzelnen Betriebsräten Bedarf an betriebsübergreifenden Absprachen über konkrete, in mehreren Betrieben anstehende mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten gesehen wird, können sie hierzu erforderlichenfalls aus aktuellem Anlass eine entsprechende Zusammenkunft, ggf. unter Hinzuziehung eines Gewerkschaftsbeauftragten, einberufen. Um eine derartige Zusammenkunft handelte es sich jedoch bei dem am 8. Dezember 2003 veranstalteten “A” nicht.
In Anbetracht dieser Umstände konnte auch die Klägerin bei sorgfältiger Prüfung der Rechtslage ihre Teilnahme an dem “A” am 8. Dezember 2003 zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats nicht für erforderlich halten. Dies gilt unabhängig von den vorstehenden Ausführungen insbesondere auch deshalb, weil bereits die Betriebsratsvorsitzende an der Veranstaltung teilgenommen hat. Es ist nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht dargelegt worden, weshalb zur Deckung des behaupteten Informations-, Koordinations- und “koordinierten Rechtsberatungsbedarfs” des Betriebsrats die Teilnahme von zwei Betriebsratsmitgliedern an dem “A” am 8. Dezember 2003 erforderlich gewesen sein soll. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte in der Vergangenheit für Zeiten der Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern am “A” Vergütungsfortzahlung geleistet hat. Denn die Beklagte hat bereits mit Schreiben vom 29. September 2003 die Erforderlichkeit der vorangegangenen Veranstaltung vom 1. Oktober 2003 in Abrede gestellt und am 5. Dezember 2003 telefonisch erklärt, dass sie für die Teilnahme an dem “A” am 8. Dezember 2003 keine Vergütungsfortzahlung leisten werde.
II. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 611 BGB iVm. § 37 Abs. 6 Satz 1, § 37 Abs. 2 BetrVG. Bei dem “A” handelte es sich nicht um eine Schulungs- oder Bildungsveranstaltung iSv. § 37 Abs. 6 BetrVG. Gegenteiliges macht auch die Revision nicht geltend.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Koch, M. Zwisler, R. Schiller
Fundstellen