Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahl der Lohnsteuerklasse bei Pfändung verschleierten Arbeitseinkommens
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Schuldner vor der Pfändung eine ungünstigere Steuerklasse in Gläubigerbenachteiligungsabsicht gewählt, so kann er bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags schon im Jahr der Pfändung so behandelt werden, als sei sein Arbeitseinkommen gemäß der günstigeren Steuerklasse zu versteuern. Wählt der Schuldner nach der Pfändung eine ungünstigere Steuerklasse oder behält er diese für das folgende Kalenderjahr bei, so gilt dies auch ohne Gläubigerbenachteiligungsabsicht schon dann, wenn für die Wahl objektiv kein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist. Der Gläubigerschutz erfordert, dass Schuldnereinkommen dem Gläubigerzugriff nicht durch unlautere Manipulationen entzogen und das der Pfändung unterliegende Nettoarbeitseinkommen nicht ohne sachlichen Grund durch die Wahl einer dem Schuldner ungünstigen Steuerklasse zum Nachteil des Gläubigers verkürzt wird.
Im Streitfall war die Lohnsteuerklasse IV während der Arbeitnehmertätigkeit der Ehefrau gerechtfertigt.
Orientierungssatz
1. Die Pfändung verschleierten Arbeitseinkommens wirkt grundsätzlich nicht zurück und erfasst damit nicht bis zur Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses fiktiv aufgelaufene Lohn- oder Gehaltsrückstände.
2. Die Begriffe der unverhältnismäßig geringen Vergütung und der angemessenen Vergütung in § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO sind unbestimmte Rechtsbegriffe, bei deren Anwendung dem Landesarbeitsgericht ein Beurteilungsspielraum zukommt.
3. Bei der Berechnung des unpfändbaren Teils der fiktiven Arbeitsvergütung ist nicht stets die vom Schuldner gewählte Steuerklasse zu Grunde zu legen, sondern diejenige, die der Schuldner ohne die Pfändung sinnvollerweise gewählt hätte.
4. Hat eine Person, welcher der Schuldner auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt leistet, eigene Einkünfte, ist diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des fiktiven Arbeitseinkommens nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn dies das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach § 850c Abs. 4 ZPO bestimmt hat.
Normenkette
ZPO §§ 850a, 850b, 850c, 850e Nr. 3 S. 1, § 850h; GG Art. 103 Abs. 1; BGB § 1360 S. 1, § 1360a Abs. 1; EStG § 38b
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 23. Januar 2007 – 13 Sa 953/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung verschleierten Arbeitseinkommens.
Die Klägerin betreibt ein Wellpappenwerk. Der Schuldner war bis Mitte des Jahres 2002 bei einer monatlichen Bruttovergütung iHv. 5.100,00 Euro Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Klägerin. Im zeitlichen Zusammenhang mit seinem Ausscheiden bei der Klägerin wurde die Firma I… C… (IC) gegründet. Diese verarbeitet Wellpappe und handelt mit ihr. Inhaberin der IC war bis zum 31. Januar 2006 die Beklagte zu 1). Diese ist die Tochter des Schuldners. Seit dem 1. Februar 2006 ist die Beklagte zu 2) Inhaberin der IC. Die Beklagte zu 2) ist die Ehefrau des Schuldners.
Gemäß einem Versäumnisurteil des Landgerichts Hannover vom 23. Oktober 2003 hat der Schuldner 158.070,74 Euro nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen. Nach einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hannover vom 21. November 2003 hat die Klägerin einen Anspruch gegen den Schuldner auf Zahlung von 6.281,00 Euro nebst Zinsen. Ein über das Vermögen des Schuldners eröffnetes Insolvenzverfahren endete ohne Restschuldbefreiung im Oktober 2005. Im Anhörungstermin vom 15. April 2005 gab der Schuldner vor dem Insolvenzgericht ua. zu Protokoll, er habe von Mai 2002 bis November 2003 wöchentlich 20 Stunden kaufmännische Tätigkeiten für die Firma seiner Tochter ausgeführt und nach der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit im Juni 2004 30 Stunden in der Woche gearbeitet. Am 3. Januar 2005 schlossen die IC und der Schuldner einen unbefristeten Aushilfsarbeitsvertrag und vereinbarten als Gegenleistung für die Tätigkeit des Schuldners als “Aushilfe” im Umfang von monatlich 72 Stunden einen Monatslohn iHv. 400,00 Euro brutto. Seit Oktober 2006 erhält der Schuldner ein Bruttomonatsgehalt iHv. 1.400,00 Euro. In der Lohnsteuerkarte des Schuldners für das Jahr 2006 war die Steuerklasse V eingetragen.
Die Klägerin hat mit einem der Beklagten zu 1) am 9. November 2005 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hameln vom 4. November 2005 wegen eines ihr nach dem Versäumnisurteil des Landgerichts Hannover vom 23. Oktober 2003 zustehenden Teilbetrags iHv. 50.000,00 Euro Forderungen und Rechte des Schuldners gegen die IC auf Zahlung des Arbeitseinkommens (Geschäftsführergehalt) einschließlich der Nachforderungsansprüche des Schuldners und des nach ortsüblichen Sätzen zu berechnenden Geldwertes von Sachbezügen in Höhe einer angemessenen Vergütung nach § 850h Abs. 2 ZPO gepfändet. Ein weiterer Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hameln vom 21. November 2006 wegen des Restbetrags über 145.855,62 Euro ist der Beklagten zu 2) noch im November 2006 zugestellt worden.
Die Klägerin ist der Ansicht, als Gegenleistung für die Tätigkeit des Schuldners bei der IC sei bei Berücksichtigung seiner wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden ein monatliches Bruttogehalt iHv. 3.000,00 Euro angemessen. Darüber hinaus sei ein geldwerter Vorteil iHv. monatlich 260,00 Euro netto zu berücksichtigen. Der Schuldner nutze einen PKW der IC auch privat. Er erledige alle kaufmännischen Tätigkeiten und leite die IC de facto. Die Beklagte zu 1) habe für die IC keine nennenswerte Tätigkeit ausgeübt. Sie habe studiert und aushilfsweise im Gaststättengewerbe gearbeitet. Die Beklagte zu 2) sei für die IC nicht tätig gewesen, sondern sei als tätigkeitslose Prokuristin stattlich vergütet worden. Bei der Berechnung des Pfändungsbetrags seien keine Unterhaltsleistungen des Schuldners zu berücksichtigen. Die Fiktion des § 850h Abs. 2 ZPO erstrecke sich nicht darauf, dass der Schuldner Unterhaltsansprüche erfüllt hätte, wenn der Drittschuldner ihm statt der unverhältnismäßig geringen eine angemessene Vergütung gezahlt hätte. Der Berechnung des Pfändungsbetrags sei die Steuerklasse III zu Grunde zu legen, weil diese sinnvollerweise von einem Arbeitnehmer gewählt worden wäre. Dies gelte auch für die Zeit bis zum 31. Januar 2006, während der die Beklagte zu 2) bei der IC beschäftigt gewesen sei. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hameln vom 4. November 2005 habe rückwirkend Ansprüche auf angemessene Vergütung ab Mai 2002 erfasst. Rückständige Ansprüche aus verschleiertem Arbeitseinkommen seien jedenfalls dann pfändbar, wenn der Drittschuldner keines besonderen Schutzes bedürfe. Diese Voraussetzung sei erfüllt. Die Beklagten hätten bei der Verschleierung des Arbeitseinkommens kollusiv mit dem Schuldner zusammengewirkt.
Die Klägerin hat vor dem Landesarbeitsgericht zuletzt beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 29.478,80 Euro nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 420,00 Euro seit dem 1. Juni 2002, 1. Juli 2002, 1. August 2002, 1. September 2002, 1. Oktober 2002, 1. November 2002, 1. Dezember 2002, 1. Januar 2003, 1. Februar 2003, 1. März 2003, 1. April 2003, 1. Mai 2003, 1. Juni 2003, 1. Juli 2003, 1. August 2003, 1. September 2003, 1. Oktober 2003, 1. November 2003 und 1. Dezember 2003 sowie auf weitere jeweils 1.093,00 Euro seit dem 1. Juli 2004, 1. August 2004, 1. September 2004, 1. Oktober 2004, 1. November 2004, 1. Dezember 2004 und 1. Januar 2005 sowie auf weitere jeweils 1.086,00 Euro seit dem 1. Februar 2005, 1. März 2005, 1. April 2005, 1. Mai 2005, 1. Juni 2005 und 1. Juli 2005 sowie auf weitere jeweils 1.047,40 Euro seit dem 1. August 2005, 1. September 2005, 1. Oktober 2005, 1. November 2005, 1. Dezember 2005, 1. Januar 2006 und 1. Februar 2006 zu zahlen,
2. die Beklagte zu 2) weiterhin zu verurteilen,
an die Klägerin 7.331,80 Euro nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 1.047,40 Euro seit dem 1. März 2006, 1. April 2006, 1. Mai 2006, 1. Juni 2006, 1. Juli 2006, 1. August 2006 und 1. September 2006 zu zahlen,
3. die Beklagte zu 2) weiterhin zu verurteilen,
an die Klägerin für die Monate ab September 2006 jeweils am 1. des Folgemonats monatlich weitere 1.047,40 Euro nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Fälligkeit zu zahlen, solange das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten zu 2) und dem Schuldner besteht, begrenzt auf einen Gesamtbetrag iHv. 127.541,94 Euro.
Für den Fall, dass der Antrag zu 1. nicht begründet sein sollte, hat die Klägerin bezüglich des Antrags zu 3. hilfsweise beantragt, die Zahlungsverpflichtung auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 157.019,94 Euro zu begrenzen.
Für den Fall, dass die gemäß den Anträgen zu 2. und 3. zu zahlenden Monatsbeträge auf weniger als 1.047,40 Euro festgesetzt werden sollten, hat die Klägerin hilfsweise beantragt, die Begrenzung der Gesamtzahlungen gemäß dem Antrag zu 3. um die Summe der Differenzen zu erhöhen.
Die Beklagten haben zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, selbst wenn gemäß der Behauptung der Klägerin davon ausgegangen würde, dass der Schuldner kaufmännischer Leiter der IC und quasi deren “Geschäftsführer” gewesen sei, wäre für seine Tätigkeit angesichts der wirtschaftlichen Lage der IC und auf Grund der ehelichen Beziehung zwischen dem Schuldner und der Beklagten zu 2) jedenfalls keine über 2.500,00 Euro liegende Bruttomonatsvergütung angemessen gewesen. Bei der Anwendung des § 850h Abs. 2 ZPO erhöhten Naturalleistungen den pfändbaren Betrag nicht. Eine Pfändung rückständiger Ansprüche aus § 850h Abs. 2 ZPO sei ausgeschlossen. Erst mit der Pfändung würden Ansprüche des Gläubigers gegen den Drittschuldner begründet.
Das Arbeitsgericht hat ein Bruttomonatsgehalt iHv. 3.000,00 Euro als angemessene Vergütung des Schuldners angenommen und der Klage deshalb teilweise stattgegeben. Soweit die Klägerin Ansprüche aus verschleiertem Arbeitseinkommen für die Zeit vor November 2005 geltend gemacht und die Berücksichtigung des geldwerten Vorteils des Schuldners wegen der Nutzung eines PKWs der IC zu privaten Zwecken beansprucht hat, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert. Es hat seiner Entscheidung ein monatliches Bruttogehalt iHv. 2.500,00 Euro als angemessene Vergütung des Schuldners zu Grunde gelegt, ist bei der Berechnung des fiktiven Nettoentgelts für die Monate November 2005 bis Januar 2006 von der Steuerklasse IV ausgegangen und hat bei der Ermittlung des pfändbaren Betrags eine Unterhaltspflicht des Schuldners gegenüber der Beklagten zu 2) angenommen. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und für die Klägerin die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihre Klageansprüche weiter. Die Beklagten beantragen, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht teilweise abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der am 9. November 2005 der Beklagten zu 1) zugestellte Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hameln vom 4. November 2005 habe verschleiertes Arbeitseinkommen nicht rückwirkend für den Anspruchszeitraum Mai 2002 bis Oktober 2005, sondern erst ab November 2005 erfasst. Die dem Schuldner von den Beklagten gezahlte Vergütung sei unverhältnismäßig gering iSv. § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO. Für die Tätigkeit des Schuldners als kaufmännischer Leiter der IC sei angesichts seiner wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden eine monatliche Bruttovergütung iHv. 2.500,00 Euro angemessen. Bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung des Schuldners sei davon auszugehen, dass dieser als Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin eine monatliche Vergütung iHv. 5.100,00 Euro erhalten habe. Allerdings sei der Schuldner nicht mehr Vertretungsorgan einer juristischen Person, sondern Angestellter der IC. Bereits deshalb sei ein erheblicher Abzug von dem Geschäftsführergehalt zu machen. Zu berücksichtigen sei auch die wirtschaftliche Situation der IC. Werde diese und die Teilzeittätigkeit des Schuldners berücksichtigt, sei eine monatliche Bruttovergütung iHv. 2.500,00 Euro angemessen. Der geldwerte Vorteil iHv. monatlich 260,00 Euro auf Grund der Nutzung eines Firmenfahrzeugs auch für private Zwecke erhöhe die fiktive Vergütung nicht. Bei der Berechnung des fiktiven Nettoentgelts für die Monate November 2005 bis Januar 2006 sei die Steuerklasse IV und ab Februar 2006 die Steuerklasse III zu Grunde zu legen. Bei der Pfändung fiktiven Arbeitseinkommens sei nicht die vom Schuldner tatsächlich gewählte Steuerklasse maßgebend, sondern diejenige, die ein Arbeitnehmer sinnvollerweise gewählt hätte. Dies sei für die Monate November 2005 bis Januar 2006 die Steuerklasse IV. In diesen Monaten seien der Schuldner und die Beklagte zu 2) bei der Beklagten zu 1) beschäftigt gewesen. Ab Februar 2006 sei die Beklagte zu 2) selbständig gewesen, so dass die günstigere Steuerklasse III sinnvollerweise zu wählen war. Die Unterhaltsverpflichtung des Schuldners gegenüber der Beklagten zu 2) sei bei der Ermittlung der pfändbaren Beträge zu berücksichtigen. Unterhaltsfreibeträge könnten nach § 850c Abs. 2 ZPO zwar nur berücksichtigt werden, wenn tatsächlich Unterhalt gewährt werde. Bei der Pfändung fiktiver Arbeitsvergütung sei im Gegensatz zur Pfändung realer Arbeitsvergütung aber nicht auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, sondern darauf, dass der Schuldner seinen Unterhaltsverpflichtungen nachgekommen wäre, wenn er die nach § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO angemessene Vergütung erhalten hätte. Die Beklagte zu 1) hafte als Firmeninhaberin, die Beklagte zu 2) als Betriebsübernehmerin gemäß § 613a BGB.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
1. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin für die Zeit vor der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Hameln vom 4. November 2005 für die Monate Mai 2002 bis Oktober 2005 fiktive Arbeitsvergütung beansprucht hat.
a) Entgegen der Ansicht der Klägerin und der von einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung (Uhlenbruck in Uhlenbruck InsO 12. Aufl. § 35 Rn. 58; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 66. Aufl. § 850h Rn. 10 und Stein/Jonas/Brehm 22. Aufl. § 850h ZPO Rn. 35 und Rn. 42 für den Fall, dass der Pfändungsbeschluss Rückstände erfasst) wirkt die Pfändung verschleierter Arbeitsvergütung nicht für die Vergangenheit und erfasst damit nicht fiktiv aufgelaufene Lohn- oder Gehaltsrückstände (BAG 12. März 2008 – 10 AZR 148/07 – mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Eine Pfändung von fiktiven Rückständen lässt sich mit dem Sinn und Zweck des § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO und einem Vergleich zu der Pfändung realer Lohn- oder Gehaltsansprüche nicht in Einklang bringen. § 850h Abs. 2 ZPO schützt das Interesse des Vollstreckungsgläubigers an der Durchsetzung seiner Forderung gegen einen Schuldner, der für einen Dritten arbeitet oder sonst Dienste leistet, ohne eine entsprechende angemessene Vergütung zu erhalten. Die Vorschrift behandelt diesen Dritten beim Vollstreckungszugriff des Gläubigers so, als ob er dem Schuldner zu einer angemessenen Vergütung verpflichtet sei. Dieser Vollstreckungszugriff ist auch dann möglich, wenn der Schuldner und der Dritte nicht in der Absicht gehandelt haben, den Schuldner einem Vollstreckungszugriff des Gläubigers zu entziehen.
b) War dies der Fall, bezweckt die Fiktion des § 850h Abs. 2 ZPO entgegen der Auffassung der Klägerin allerdings auch keine weitergehende Begünstigung des Gläubigers. Zu dessen Gunsten sollen mit der Fiktion eines angemessenen Arbeitseinkommens nur annähernd jene Verhältnisse geschaffen werden, wie er sie im Falle der Vollstreckung in regulär an den Schuldner entrichtete Vergütung vorfände. Nur vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass nicht nur bei der Pfändung realen Arbeitseinkommens, sondern auch bei der Pfändung fiktiver Arbeitsvergütung nach der Rechtsprechung und der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur nicht die angemessene Bruttovergütung, sondern nur die Nettovergütung als pfändbar angesehen wird, die Pfändungsschutzvorschriften (§§ 850a, 850b, 850c ZPO) zu beachten sind und dem Gläubiger somit nur der pfändbare Teil der fiktiven Nettovergütung zusteht (BAG 12. März 2008 – 10 AZR 148/07 – mwN). Denn der Drittschuldner muss von der fiktiven Vergütung weder Steuern noch Sozialversicherungsbeiträge abführen und der Schuldner bedarf mangels eines Anspruchs auf die fiktive Vergütung keines Pfändungsschutzes. Für die Frage, ob der Klägerin fiktive Arbeitsvergütung für vor der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Hameln vom 4. November 2005 liegende Zahlungszeiträume zusteht, ist deshalb ohne Bedeutung, ob ihre Behauptung zutrifft, der Schuldner und die Beklagten hätten bei der Verschleierung der Arbeitsvergütung kollusiv zusammengewirkt.
2. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur angemessenen Vergütung sind frei von Rechtsfehlern.
a) Die Begriffe der unverhältnismäßig geringen Vergütung und der angemessenen Vergütung in § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO sind unbestimmte Rechtsbegriffe. Bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs kommt dem Landesarbeitsgericht ein Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann nur überprüfen, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist, bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind oder das Ergebnis widersprüchlich ist (st. Rspr. vgl. BAG 12. März 2008 – 10 AZR 148/07 –; 13. November 2007 – 9 AZR 36/07 – NZA 2008, 314; 6. September 2007 – 2 AZR 722/06 – NZA 2008, 219; 6. Juni 2007 – 4 AZR 505/06 – ZTR 2008, 156, jeweils mwN).
b) Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Begründung des Landesarbeitsgerichts stand. Es hat den Sachverhalt in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst mit Recht auf die übliche Vergütung für die Tätigkeit des Schuldners abgestellt (BAG 12. März 2008 – 10 AZR 148/07 –; 24. Mai 1965 – 3 AZR 287/64 – BAGE 17, 172). Es ist davon ausgegangen, dass der Schuldner kaufmännischer Leiter der IC und seine monatliche Vergütung unverhältnismäßig gering iSv. § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO ist. Bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung hat das Landesarbeitsgericht berücksichtigt, dass der Schuldner als Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin eine monatliche Vergütung iHv. 5.100,00 Euro erhalten hat. Es hat dann rechtsfehlerfrei angenommen, dass diese Vergütung nicht als übliche Vergütung herangezogen werden darf, weil der Schuldner nicht mehr Gesellschafter und Vertretungsorgan einer juristischen Person, sondern Angestellter der IC ist. Die Klägerin greift diese Erwägungen des Landesarbeitsgerichts auch nicht mit Revisionsrügen an, wenn sie die angemessene Vergütung des Schuldners bei einer monatlichen Arbeitszeit von durchschnittlich 160 Stunden auf 4.000,00 Euro bemisst und dabei zu Grunde legt, dass der Schuldner bei ihr eine monatliche Vergütung iHv. 5.100,00 Euro bezogen hat.
bb) Rechtlich fehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht bei der Bemessung der Vergütung gemäß § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO fallbezogen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der IC Rücksicht genommen. Entgegen der Rüge der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dadurch verletzt, dass es die Klägerin nicht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es die von den Beklagten eingereichte Gewinn- und Verlustrechnung der IC für das Kalenderjahr 2004 berücksichtigen wird. Das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG verlangt grundsätzlich nicht, dass ein Gericht vor seiner Entscheidung auf eine Rechtsauffassung hinweist, die es seiner Entscheidung zu Grunde legen will (BVerfG 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188, 190). Allerdings kann dies im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG in besonderen Fällen geboten sein (BVerfG 8. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 – BVerfGE 96, 189, 204). Gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstößt es, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG 7. Oktober 2003 – 1 BvR 10/99 – BVerfGE 108, 341, 345 f.). Dies kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen. Mit der Berücksichtigung der Gewinn- und Verlustrechnung musste die Klägerin allerdings auch ohne einen richterlichen Hinweis rechnen. § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO ordnet die Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Drittschuldners ausdrücklich an. Dass für diese die Gewinn- und Verlustrechnung ohne Bedeutung ist, durfte ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht annehmen.
cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht bei der Bemessung der Vergütung nicht nur die Art der Tätigkeit des Schuldners, sondern auch deren zeitlichen Umfang von wöchentlich 30 Stunden berücksichtigt und ist dann zu dem Ergebnis gekommen, zu Gunsten der Klägerin sei als Gegenleistung für die Tätigkeit des Schuldners als kaufmännischer Leiter der IC eine monatliche Bruttovergütung iHv. 2.500,00 Euro als vereinbart anzusehen. Diese Vergütung entspräche bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden einem monatlichen Bruttogehalt iHv. 3.333,33 Euro.
dd) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, der pfändbare Betrag erhöhe sich auf Grund der Privatnutzung eines PKWs der IC durch den Schuldner um den geldwerten Vorteil iHv. monatlich 260,00 Euro netto. Es trifft zwar zu, dass nach § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO Geld- und Naturalleistungen zusammenzurechnen sind, wenn der Schuldner neben seinem in Geld zahlbaren Einkommen auch Naturalleistungen erhält. Allerdings handelt sich bei der nach § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO nur im Verhältnis zwischen dem Drittschuldner und dem Gläubiger geschuldeten fiktiven Vergütung nicht um zahlbares Einkommen des Schuldners iSv. § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO. Würde gemäß der Ansicht der Klägerin ein dem Schuldner vom Drittschuldner gewährter geldwerter Vorteil nicht nur bei der Berechnung des pfändbaren realen Arbeitseinkommens, sondern auch bei der Ermittlung des höheren pfändbaren fiktiven Arbeitseinkommens berücksichtigt, bewirkte dies im Ergebnis eine Erhöhung der fiktiven angemessenen Vergütung iSv. § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO um einen Teil des realen Arbeitseinkommens.
3. Die Berechnung des Pfändungsbetrags durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Klägerin rügt ohne Erfolg, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Fiktion des § 850h Abs. 2 ZPO erstrecke sich darauf, dass der Schuldner Unterhaltsansprüche erfüllt hätte, wenn der Drittschuldner ihm statt der unverhältnismäßig geringen eine angemessene Vergütung gezahlt hätte. Es trifft zwar zu, dass nach § 850c ZPO bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens Unterhaltspflichten des Schuldners auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung nur dann zu berücksichtigen sind, wenn der Schuldner tatsächlich Unterhalt gewährt. Wenn jedoch zu Gunsten des Gläubigers mit der Fiktion eines angemessenen Arbeitseinkommens des Schuldners annähernd jene Verhältnisse geschaffen werden sollen, wie sie der Gläubiger im Falle der Vollstreckung in regulär an den Schuldner entrichtete Vergütung vorfände, ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht bei der Berechnung des pfändbaren Teils des fiktiven Arbeitseinkommens fallbezogen angenommen hat, der Schuldner hätte der Beklagten zu 2) Unterhalt geleistet, wenn er nicht eine unverhältnismäßig geringe, sondern eine angemessene Vergütung erhalten hätte. Nach § 1360 Satz 1 BGB sind die Ehegatten einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Der angemessene Unterhalt der Familie umfasst alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen. Eigene Einkünfte der Beklagten zu 2) schließen die Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des fiktiven Arbeitseinkommens nicht von vornherein aus. Hat eine Person, welcher der Schuldner auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, eigene Einkünfte, so kann das Vollstreckungsgericht allerdings auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt (§ 850c Abs. 4 1. Halbsatz ZPO). An einer solchen Entscheidung des Vollstreckungsgerichts fehlt es.
b) Die Klägerin rügt auch erfolglos, der Berechnung des Pfändungsbetrags sei auch für die Zeit bis zum 31. Januar 2006 nicht die Steuerklasse IV, sondern die Steuerklasse III zu Grunde zu legen.
aa) Hat der Schuldner vor der Pfändung eine ungünstigere Steuerklasse in Gläubigerbenachteiligungsabsicht gewählt, so kann er bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags schon im Jahre der Pfändung so behandelt werden, als sei sein Arbeitseinkommen gemäß der günstigeren Steuerklasse zu versteuern. Wählt der Schuldner nach der Pfändung eine ungünstigere Steuerklasse oder behält er diese für das folgende Kalenderjahr bei, so gilt dies auch ohne Gläubigerbenachteiligungsabsicht schon dann, wenn für die Wahl objektiv kein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist (BGH 4. Oktober 2005 – VII ZB 26/05 – NJW-RR 2006, 569). Der Gläubigerschutz, dem § 850h ZPO dient, erfordert, dass Schuldnereinkommen dem Gläubigerzugriff nicht durch unlautere Manipulationen entzogen und das der Pfändung unterliegende Nettoarbeitseinkommen nicht ohne sachlichen Grund durch die Wahl einer dem Schuldner ungünstigen Steuerklasse zum Nachteil des Gläubigers verkürzt wird.
bb) Eine unlautere Manipulation liegt nicht vor, wenn bei der Ermittlung des fiktiven Nettoarbeitseinkommens des Schuldners im Anspruchszeitraum November 2005 bis Januar 2006 die Steuerklasse IV zu Grunde gelegt wird. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war die Beklagte zu 2) und Ehefrau des Schuldners in diesen Monaten als kaufmännische Angestellte bei der IC tätig und bezog von dieser ein monatliches Bruttogehalt iHv. 4.200,00 Euro. Sie erhielt damit nicht nur eine höhere Vergütung als der Schuldner. Ihre Vergütung war auch höher als das fiktive Arbeitseinkommen des Schuldners. Die Wahl der Steuerklasse III für den Schuldner und der Steuerklasse V für die Beklagte zu 2) wäre damit nicht sinnvoll gewesen.
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Schwitzer, Mehnert
Fundstellen
Haufe-Index 2010623 |
BFH/NV Beilage 2008, 325 |
DB 2008, 2088 |