Entscheidungsstichwort (Thema)

Erschwerniszuschlag nach dem RTV für das Gebäudereinigerhandwerk

 

Leitsatz (amtlich)

Soweit der RTV für das Gebäudereinigerhandwerk als Beispiel für “Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung” die “Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie” anführt, kann nicht nach sog. “Schwarz-” oder “Weißkauen” unterschieden werden.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden in der Bundesrepublik Deutschland vom 8. Mai 1987 (RTV) i.d.F. vom 20. August 1987 § 25e

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 29.01.1992; Aktenzeichen 2 Sa 1230/91)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 13.09.1991; Aktenzeichen 3 Ca 3214/91)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 1992 – 2 Sa 1230/91 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines tariflichen Erschwerniszuschlags für den Monat Januar 1991.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Kauenwärter mit einem Stundenlohn von 11,26 DM brutto beschäftigt. Die Beklagte ist ein Reinigungsunternehmen mit etwa 3.000 Beschäftigten; sie betreut u.a. die Schachtanlage A…. Der Kläger ist auf dieser Schachtanlage zur Reinigung der Waschkauen und Toilettenanlagen eingesetzt.

Bei den Waschkauen werden sog. Schwarzkauen und Weißkauen unterschieden. In den Schwarzkauen entledigen sich die Bergleute nach der Arbeit ihrer Arbeitskleidung und duschen dort; anschließend ziehen sie in der Weißkaue ihre normale Straßenkleidung an. In beiden Kauen befinden sich Wasch – und Toilettenanlagen.

Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers findet der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden in der Bundesrepublik Deutschland vom 8. Mai 1987 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 20. August 1987 – erstmals kündbar zum 31. Dezember 1991 – Anwendung (RTV), der in § 25e bestimmt:

  • bei Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z.B. Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, sanitäre Anlagen in Werkstattbereichen, öffentliche Toilettenanlagen, die der Anlage nach öffentlichen Bedürfnisanstalten gleichkommen, Farbspritzanlagen (Spritzkabinen), Fahrbahnen und Werkhallen in Industriebereichen, Inspektionsgruben in Kraftfahrzeugbetrieben, Filteranlagen, Betriebsstätten der chemischen Industrie, in denen Farben, Säuren und Teerprodukte usw. hergestellt oder verarbeitet werden.

    Nicht gemeint sind typische Arbeiten der Unterhaltsreinigung in Werkstattbüros, -fluren und -treppen.”

Der Erschwerniszuschlag beträgt 15 % des jeweiligen Lohns des Tätigkeitsbereichs.

Die Beklagte hat dem Kläger im Monat Januar 1991 den Erschwerniszuschlag nur für die Arbeitsstunden bezahlt, in denen er Schwarzkauen gereinigt hat, nicht aber für Stunden, in denen er die Weißkauen geputzt hat.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe der Erschwerniszuschlag unabhängig davon zu, ob er zur Reinigung von Schwarz- oder Weißkauen eingesetzt sei, da der Verschmutzungsgrad in den Weißkauen sich nicht wesentlich von dem in den Schwarzkauen unterscheide. Dementsprechend mache auch der RTV keinen Unterschied zwischen Schwarz- und Weißkauen; der RTV unterstelle für die Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie generell, daß die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Verschmutzung vorlägen. Außerdem regele der RTV ausdrücklich, welche Reinigungsarbeiten nicht erfaßt sein sollten. Die Reinigung von Weißkauen sei aber nicht ausgenommen. Weißkauen seien zwar generell weniger verschmutzt als Schwarzkauen; die Toilettenanlagen, deren Reinigung einen Großteil der Arbeitszeit des Klägers einnähme, seien aber in den Weißkauen genauso verschmutzt wie in den Schwarzkauen. Statt der ihm danach für den Januar 1991 zustehenden Erschwerniszuschläge von 340, 53 DM habe er nur 169, -- DM erhalten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 171, 50 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit auf den sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, für die Reinigung der Weißkauen sei der Erschwerniszuschlag nicht zu zahlen, da bei den Weißkauen eine außergewöhnliche Verschmutzung im Tarifsinne nicht gegeben sei; in den Weißkauen fielen vielmehr “typische Arbeiten der Unterhaltsreinigung …” an, die der RTV von der Zuschlagspflicht ausnehme.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, da der Kläger nach § 25e des RTV die Zahlung des Erschwerniszuschlags auch für die Reinigung der sogenannten Weißkauen verlangen kann.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Anspruch des Klägers folge aus dem RTV für das Gebäudereinigerhandwerk. Danach sei der Erschwerniszuschlag zu zahlen bei Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung (§ 25e). Solche Arbeiten erbringe der Kläger auch mit der Säuberung der Weißkauen. In den Beispielen des § 25e RTV hätten die Tarifvertragsparteien erläutert, was unter Innenbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung zu verstehen sei und dabei u.a. die Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie genannt. Fügten Tarifvertragsparteien allgemein gefaßten Tätigkeitsmerkmalen konkrete Beispiele hinzu, seien die allgemeinen Merkmale als erfüllt anzusehen, wenn eine dem Beispiel entsprechende Tätigkeit ausgeübt werde, ohne daß die allgemeinen tariflichen Merkmale noch überprüft werden müßten. Vorliegend hätten die Tarifvertragsparteien als einen Innenbereich mit außergewöhnlicher Verschmutzung die Waschkauen in der Schwerindustrie ohne Unterscheidung nach Schwarz- oder Weißkauen angesehen. Diese Regelung erscheine auch nach dem Sinn und Zweck der Erschwerniszuschlagsregelung sinnvoll, da eine Einzelfallprüfung und eine “Atomisierung” des Arbeitsbereichs “Waschkauen” vermieden werde.

Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis und auch in der Begründung zuzustimmen.

II. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus § 25e des RTV für das Gebäudereinigerhandwerk hergeleitet. Ein Arbeitnehmer hat danach für die Zeit, in der er mit Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, wie z.B. der Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, beschäftigt wird, einen Anspruch auf Zahlung eines Erschwerniszuschlags von 15 % bezogen auf den jeweiligen Lohn des Tätigkeitsbereichs.

1. Der Kläger, auf dessen Arbeitsverhältnis der – auch allgemeinverbindliche – RTV aufgrund beiderseitiger Tarifbindung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung findet, erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25e RTV. Er ist als Kauenwärter zur Reinigung der Waschkauen in der Schachtanlage A… eingesetzt, also mit der Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie beschäftigt. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind unter Schwerindustrie die Industriebereiche zu verstehen, die sich mit der Rohstofförderung (z.B. Erze, Kohle, Erdöl) oder der Weiterverarbeitung von Rohstoffen (z.B. Stahl- und Walzwerke) befassen (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1983, Band 5), hierzu gehört der Bergbau. Als “Kaue” wird (neben dem Bauwerk über der Schachtöffnung eines Bergwerks) der Waschraum und die Garderobe der Bergleute bezeichnet (Brockhaus-Wahrig, aaO, Band 4), wobei der Begriff “Waschkaue” synonym verwendet wird. Unabhängig davon, ob er Schwarz- oder Weißkauen säubert, hat der Kläger daher nach § 25e RTV einen Anspruch auf Zahlung des Erschwerniszuschlags. Dies folgt aus der Auslegung des § 25e des RTV.

2. Bei der Tarifauslegung ist – entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung – zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist außerdem der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierbei ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben danach noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auch auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen werden, wobei es für die Gerichte eine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung dieser weiteren Auslegungsmittel nicht gibt (BAGE 46, 308, 313 ff. = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; dabei gebührt im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAGE 60, 219, 224 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation m.w.N.).

3. Nach dem Wortlaut des RTV ist der Erschwerniszuschlag zu zahlen “bei Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z.B. Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, …”. Daraus ergibt sich ohne weitere Einschränkung, daß die Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie das Tarifmerkmal “Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung” erfüllt. Das Bundesarbeitsgericht hat – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend anführt – in ständiger Rechtsprechung angenommen, die allgemeinen Tarifmerkmale seien erfüllt, wenn der Arbeitnehmer Tätigkeiten ausübt, die einem im Tarifvertrag konkret genannten Beispiel entsprechen (BAG Urteil vom 28. Januar 1987 – 4 AZR 258/87 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gebäudereinigung; Urteil vom 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – AP Nr. 134 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 18. Januar 1984 – 4 AZR 41/83 – AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Urteil vom 14. Mai 1986 – 4 AZR 134/85 – AP Nr. 119 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Es geht dabei davon aus, daß es einer besonderen Prüfung der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale – vorliegend der außergewöhnlichen Verschmutzung – insoweit nicht bedarf, weil die Tarifvertragsparteien durch die Benennung von Tätigkeitsbeispielen grundsätzlich verbindlich festlegen, daß diese Beispielstätigkeiten die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale ausfüllen.

4. Auf die Unterscheidung in sog. Schwarz- und Weißkauen – die die Tarifvertragsparteien ohnehin nicht vorgenommen haben – kann es daher vorliegend nicht ankommen. Die Tarifvertragsparteien haben in den Tätigkeitsbeispielen allgemein die “Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie” angeführt und damit auf eine weitere Differenzierung verzichtet. Da nach dem Sprachgebrauch unter “Waschkaue” die Garderobe der Bergleute verstanden wird, erfaßt der RTV mit diesem Tätigkeitsbeispiel auch die sog. “Weißkaue”. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Erstgerichts kommt es auf die Feststellung einer “außergewöhnlichen Verschmutzung” nicht an. Das maßgebliche Tätigkeitsbeispiel des RTV (§ 25e) – “Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie ” – enthält auch keinen unbestimmten Rechtsbegriff; es kann aus sich heraus ausgelegt werden.

5. Die vom Kläger vorgenommene Reinigung von Weißkauen in der Schachtanlage A… kann nicht – wie die Beklagte meint – als typische Unterhaltsreinigung im Sinne des § 25e RTV angesehen werden. Dies folgt schon daraus, daß der RTV die “Unterhaltsreinigung in Werkstattbüros, -fluren und -treppen …” aufzählt und vorliegend solche Arbeitsbereiche unstreitig nicht betroffen sind.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger daher zu Recht den Erschwerniszuschlag für Januar 1991 in der dem Betrag nach unstreitigen Höhe von 171, 50 DM brutto zugesprochen. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten kann keinen Erfolg haben.

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Plenge, Wolf

 

Fundstellen

Haufe-Index 848111

NZA 1994, 179

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