Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Schlägerei unter Arbeitskollegen als Kündigungsgrund
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 102
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 27.10.1994; Aktenzeichen 4 Sa 563/94) |
ArbG Bochum (Urteil vom 25.09.1991; Aktenzeichen 2 Ca 496/91) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Beklagten werden die Urteile des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. Oktober 1994 und vom 26. Februar 1996 – 4 Sa 563/94 – aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Revisionsverfahrens, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der 1937 geborene Kläger ist seit 1975 als Bandarbeiter im Getriebebau bei der Beklagten beschäftigt. Er ist verheiratet und einem Kind unterhaltspflichtig. Sein Monatslohn betrug zuletzt 3.390,00 DM brutto. Am 8. Februar 1991 verletzte der Kläger bei einer tätlichen Auseinandersetzung seinen Arbeitskollegen P. S., der nach dem Durchgangsarztbericht vom 8. Februar 1991 dabei eine Schädel-Jochbein-Prellung und eine Thoraxprellung erlitt und bis 1. März 1991 arbeitsunfähig war. Die Auseinandersetzung begann damit, daß der Kläger seinem Arbeitskollegen vorwarf, dieser hänge bereits vor Schichtbeginn so viele Teile an das Band, daß er, der Kläger, in Zeitdruck gerate, wenn er diese Teile bei Schichtbeginn vom Band abnehmen müsse. Dieser Vorwurf traf, wie der Kläger inzwischen eingeräumt hat, nicht zu. Anschließend entwickelte sich zwischen beiden Arbeitnehmern eine Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Arbeitnehmer P. S. dem Kläger gegenüber ein spanisches Schimpfwort gebraucht hat, das der Kläger als erhebliche Beleidigung empfand. Ob das beleidigende Wort allerdings fiel, bevor der Kläger mit seinen Tätlichkeiten begann, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 28. Februar 1991 ließ sich die Beklagte von ihrem Mitarbeiter M., der einen Teil der Auseinandersetzung gehört und gesehen hatte, dessen Beobachtungen schildern. Danach hat der Kläger den sich nicht wehrenden Arbeitnehmer P. S. zunächst mit einer Umhängetasche geschlagen, ihm dann zwei bis drei Fußtritte in den Unterleib und schließlich zahlreiche Schläge mit dem abgerissenen Riemen der Umhängetasche versetzt. Auch durch mehrfache Zurufe des Zeugen habe sich der Kläger nicht davon abhalten lassen, weiter auf seinen sich immer noch nicht zur Wehr setzenden Arbeitskollegen einzuschlagen. Am 1. März 1991 hörte die Beklagte den Kläger an, der die Tätlichkeiten im wesentlichen zugab und ausdrücklich erklärte, die Unstimmigkeiten mit seinem Arbeitskollegen seien nicht arbeitsplatzbezogen gewesen. Mit zwei Schreiben vom selben Tag hörte die Beklagte den in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat zu einer fristlosen und hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 1991 auszusprechenden Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat widersprach sowohl der fristlosen als auch der ordentlichen Kündigung im wesentlichen mit der Begründung, der Kollege P. S. hänge bewußt vor Schichtbeginn so viele Teile auf, daß der Kläger mit seinen Abhängearbeiten unter Zeitdruck gerate.
Mit Schreiben vom 8. März 1991, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos. Im Prozeß hat sich die Beklagte darauf berufen, diese Kündigung sei hilfsweise in eine fristgemäße Kündigung umzudeuten. Daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist, steht zwischen den Parteien inzwischen rechtskräftig fest (Senatsurteil vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Es geht im vorliegenden Verfahren deshalb nur noch darum, ob die Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1991 aufgelöst hat.
Der Kläger hält die fristgerechte Kündigung für sozialwidrig. Er hat behauptet, schon seit Jahren habe es zwischen ihm und seinem Arbeitskollegen P. S. Unstimmigkeiten gegeben. Er sei von diesem Kollegen wiederholt grundlos schikaniert und beleidigt, teilweise sogar tätlich angegriffen worden, ohne daß er diese Vorfälle seinen Vorgesetzten gemeldet habe. Es habe sich zwar inzwischen herausgestellt, daß der Vorwurf, den er am 8. Februar 1991 seinem Kollegen gegenüber erhoben habe, in der Sache nicht zugetroffen habe. Der Kollege habe ihm jedoch den wahren Sachverhalt nicht erklärt, sondern ihn durch ein übles Schimpfwort beleidigt. Wegen dieser Ehrverletzung sei er außer sich geraten und habe auf den Arbeitskollegen eingeschlagen, ohne daß er sich noch an Einzelheiten erinnern könne. Lediglich in dieser nicht durch ihn provozierten Ausnahmesituation habe er die Kontrolle über sich verloren. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte es genügt, wenn die Beklagte ihn auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt und von dem Arbeitnehmer P. S. getrennt hätte. Aufgrund des erstinstanzlichen Urteils sei er seit 1. Juli 1991 in einem anderen Werk tatsächlich weiterbeschäftigt worden, ohne daß es dort zu Streitigkeiten oder Reibereien zwischen ihm und seinen Arbeitskollegen gekommen sei.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 8. März 1991 zum 30. Juni 1991 nicht aufgelöst worden ist,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn tatsächlich weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, von langjährigen Spannungen zwischen dem Kläger und seinem Arbeitskollegen P. S. sei ihr nichts bekannt gewesen. Aus der am 10. April 1991 durchgeführten Anhörung dieses Arbeitnehmers ergebe sich, daß am 8. Februar 1991 die Beleidigungen allein vom Kläger ausgegangen seien. Als sich an diesem Tag beide Arbeitnehmer in der Waschkaue befunden hätten, sei plötzlich der Kläger hinter einem Spind hervorgekommen, habe seinen Arbeitskollegen beschimpft und ihm aus heiterem Himmel mehrere Schläge gegen den Kopf mit der Umhängetasche versetzt. S. sei in diesem Moment so verwirrt gewesen, daß er sich nicht gewehrt, sondern gegenüber dem Kläger das Schimpfwort verwandt habe. Trotz fehlender Gegenwehr habe der Kläger dann auf seinen Arbeitskollegen, der zuletzt am Boden gelegen habe, weiter eingeschlagen. Im Interesse des Betriebsfriedens sei es geboten gewesen, auf die brutalen Tätlichkeiten des Klägers mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu reagieren. Das Fehlverhalten des Klägers sei so schwerwiegend gewesen, daß dessen Versetzung nicht zumutbar gewesen sei. Wenn der Kläger während des laufenden Gerichtsverfahrens anderen Kollegen gegenüber nicht wieder tätlich geworden sei, so schließe dies eine Wiederholungsgefahr nicht aus. Auch angesichts der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers habe eine Abmahnung als angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten des Klägers nicht ausgereicht. Eine längere Betriebszugehörigkeit dürfe nicht dazu führen, daß der betreffende Arbeitnehmer es sich leisten könne, öfter und länger zuzuschlagen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht in einem ersten Revisionsverfahren (Urteil vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 –, a.a.O.) festgestellt, daß die fristlose Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis wegen Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht mit sofortiger Wirkung beendet hat, im übrigen (wegen der ordentlichen Kündigung) das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Durch das angefochtene Urteil vom 27. Oktober 1994 hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten, soweit die Sache wegen der ordentlichen Kündigung vom 8. März 1991 noch anhängig ist, zurückgewiesen. Durch Ergänzungsurteil vom 29. Februar 1996 hat das Landesarbeitsgericht sein Urteil um die fehlende Entscheidung über die Kosten des ersten Revisionsverfahrens ergänzt. Mit ihrer gegen beide Urteile eingelegten Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Soweit das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung für unwirksam erachtet hat, hält das Berufungsurteil der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 565 Abs. 1 ZPO), wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat, damit der Anspruch der Beklagten (BVerfG Beschluß vom 1. August 1996 – 1 BvR 121/95 – EzA-SD 1996 Nr. 18, 3) schon angesichts der verzögerten Sachbearbeitung durch das Landesarbeitsgericht nicht noch weiter geschmälert wird.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Fehlverhalten des Klägers rechtfertige keine ordentliche Kündigung, wenn man nur die dem Betriebsrat mitgeteilten Umstände, nicht jedoch die spätere Aussage des verletzten Arbeitskollegen des Klägers berücksichtige. Zwar würden durch Tätlichkeiten im Betrieb, die sogar zu Verletzungen von Arbeitnehmern führten, die Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt. Bis auf den Ausfall des Arbeitnehmers S. sei es jedoch durch das Fehlverhalten des Klägers zu keinen nennenswerten Betriebsablaufstörungen gekommen. Daß der Kläger der Beklagten zum Ersatz der an den Verletzten gezahlten Lohnfortzahlungskosten verpflichtet sei, spreche nicht für, sondern gegen die Kündigung. Der Kläger könne den Schaden nur dann begleichen, wenn er in Arbeit stehe. Wenn der Kläger nach der Kündigung mehrere Jahre lang auf einem anderen Arbeitsplatz ohne entsprechende Vorkommnisse weiterbeschäftigt worden sei, so spreche dies dafür, daß die Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung nicht von einer Wiederholungsgefahr hätte ausgehen dürfen. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß der Kläger seinen Arbeitskollegen keinesfalls unprovoziert angegriffen und zusammengeschlagen habe, sondern erst aufgrund einer schwerwiegenden und groben Beleidigung tätlich geworden sei. Angesichts der Gesamtumstände sei davon auszugehen, daß eine Versetzung des Klägers auf einen anderen Arbeitsplatz unter gleichzeitiger Abmahnung wegen der tätlichen Auseinandersetzung als angemessene Reaktion der Beklagten auf den Vorfall vom 8. Februar 1991 ausgereicht hätte.
II. Dem folgt der Senat nicht.
1. Den absoluten Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO, daß auch das zweite Berufungsurteil erst über ein Jahr nach seiner Verkündung zugestellt worden ist und damit als nicht mit Gründen versehen gilt, hat die Beklagte nicht gerügt.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. des BAG vgl. z.B. Urteil vom 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu I der Gründe und Urteil vom 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/90 – BAGE 67, 75, 79 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 1 der Gründe). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil nicht stand.
3. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, daß Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern einen ausreichenden Grund zumindest für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung darstellen können (Senatsurteil vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, mit zahlreichenden weiteren Nachweisen). Der tätliche Angriff auf einen Arbeitskollegen ist eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, daß die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen. Das Bestehen von Schadenersatzansprüchen ändert nichts daran, daß Vertragsstörungen eine ordentliche Kündigung rechtfertigen können. Der Arbeitgeber darf auch berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht. Insoweit handelt es sich noch um die Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat.
4. Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht sei mit der Begründung, der Betriebsrat sei zu der erst nach der Kündigung erfolgten Aussage des verletzten Arbeitnehmers nicht angehört worden, von einem falschen, zumindest unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muß der Arbeitgeber dem Betriebsrat nur die Kündigungsgründe mitteilen, die ihm bekannt sind und auf die er die Kündigung stützen will. Entscheidend sind die tatsächlich angestellten Überlegungen. Tatsachen, durch die ein bestimmter Sachverhalt erst kündigungsrechtlich relevant wird, können nur dann nachgeschoben werden, wenn sie im Zeitpunkt der Kündigung bereits vorlagen, dem Arbeitgeber jedoch nicht bekannt waren und der Betriebsrat erneut angehört wurde, bevor sie in den Kündigungsschutzprozeß eingeführt werden (Senatsurteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – BAGE 49, 39, 46 ff. = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972, zu B I 2 b der Gründe). Danach hatten bei der Prüfung der Rechtswirksamkeit der Kündigung nur die neuen Tatsachen unberücksichtigt zu bleiben, die die Beklagte durch die Aussage des verletzten Arbeitnehmers erfahren hatte, soweit dadurch der Sachverhalt erst kündigungsrechtlich relevant wurde. Es ist rechtsfehlerhaft, wenn das Landesarbeitsgericht demgegenüber allein auf die Einlassung des Klägers abstellt und dabei sogar noch die eigenen Ermittlungen des Betriebsrats mit einbezieht, die sich später größtenteils (bewußtes Aufhängen zahlreicher Teile durch den verletzten Arbeitnehmer vor Schichtbeginn) als unzutreffend herausgestellt haben und so nicht dem Kenntnisstand der Beklagten entsprachen. Der Betriebsrat war von der Beklagten darüber informiert, daß nach der Darstellung des Klägers die Streitigkeiten der beiden Arbeitnehmer nicht arbeitsplatzbezogen waren und daß der Kläger über von ihm behauptete frühere Vorkommnisse seinen Vorgesetzten nicht informiert hatte. Die Einlassung des Klägers über ein angeblich provozierendes Verhalten seines Arbeitskollegen bei der Arbeitsausführung hat der Kläger der Beklagten gegenüber bei seiner Anhörung nicht geäußert und auch im späteren Prozeßverlauf nicht mehr aufrechterhalten. Zu dem nach § 102 BetrVG verwertbaren Sachverhalt zählt es danach, daß der Kläger gegenüber seinem sich nicht wehrenden Arbeitskollegen tätlich wurde und diesen erheblich verletzte, obwohl er frühere Unstimmigkeiten nicht seinen Vorgesetzten gemeldet hatte und auch die von ihm später behaupteten arbeitsplatzbezogenen Differenzen zwischen beiden Arbeitnehmern nicht vorlagen. Neu und deshalb möglicherweise nicht verwertbar ist aus der späteren Aussage des verletzten Arbeitskollegen damit allein die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Beleidigung den Tätlichkeiten vorangegangen ist, wenn durch diese Tatsache der Sachverhalt erst kündigungsrechtlich relevant wird. Gerade von der Kündigungsrelevanz dieser Tatsache geht aber die Beklagte selbst nicht aus, wenn sie darauf abstellt, selbst eine beleidigende Äußerung des Arbeitnehmers P. S. hätte den Kläger nicht zu derart gravierenden Tätlichkeiten veranlassen dürfen.
5. Auch die weitere Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht die Regreßansprüche der Beklagten auf Rückzahlung der Lohnfortzahlungskosten bei der Interessenabwägung zugunsten des Klägers berücksichtigt, ist berechtigt. Schon in dem zurückverweisenden Urteil vom 31. März 1993 (– 2 AZR 492/92 –, a.a.O.) hat der Senat betont, das Bestehen von Schadenersatzansprüchen ändere nichts daran, daß Vertragsstörungen wie Tätlichkeiten gegenüber Arbeitskollegen eine ordentliche oder sogar eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können. Es ist allein Sache des Arbeitgebers, ob er in derartigen Fällen von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht oder von einer Kündigung absieht, um seine Schadenersatzansprüche besser realisieren zu können. Der Arbeitnehmer kann sich jedenfalls nicht darauf berufen, die Kündigung sei sozialwidrig, weil er nur bei einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses die berechtigten Schadenersatzansprüche des Arbeitgebers aus seinem bisherigen Arbeitseinkommen befriedigen könne. Würde man der Argumentation des Berufungsgerichts folgen, so müßte man einem Arbeitnehmer, der bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung einen Arbeitskollegen am Arbeitsplatz verletzt, nur raten, möglichst fest zuzuschlagen, weil mit einem Anstieg der Verletzungsfolgen und damit der Schadenersatzansprüche des Arbeitgebers die Gefahr, für sein Fehlverhalten kündigungsrechtlich zu Verantwortung gezogen zu werden, proportional abnehmen würde. Wem es gelingt, im Betrieb eine Fabrikhalle anzuzünden und dem Arbeitgeber dadurch einen Millionenschaden zu verursachen, der wäre dann praktisch unkündbar.
6. Auch die weitere Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft entscheidend darauf abgestellt, daß während der Weiterbeschäftigung des Klägers nach der Kündigung auf einem anderen Arbeitsplatz keine weiteren Tätlichkeiten vorgekommen seien, greift durch. Wie der Senat schon in dem zurückverweisenden Urteil vom 31. März 1993 (a.a.O.) ausgeführt hat, darf bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit einer fristgerechten Kündigung wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Arbeitskollegen nicht allein auf die Frage abgestellt werden, ob und ggf. wann der Arbeitgeber mit einem weiteren Angriff des betreffenden Arbeitnehmers auf diesen oder einen anderen Arbeitskollegen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen hat. Da der Arbeitgeber alle Arbeitnehmer seines Betriebes vor tätlichen Angriffen zu schützen hat, muß seine Reaktion auf eine Tätlichkeit im Betrieb geeignet sein, weitere derartige Vorfälle möglichst zu verhindern. Der Arbeitgeber darf deshalb auch berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht. Schon ein einmaliger tätlicher Angriff auf einen Arbeitskollegen kann deshalb eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, zu der Frage der Wiederholungsgefahr weitere Umstände vorzutragen. Abgesehen davon ist es auch unzutreffend, wenn das Landesarbeitsgericht allein daraus, daß der Kläger während des Weiterbeschäftigungszeitraums keine weiteren Tätlichkeiten begangen hat, auf eine fehlende Wiederholungsgefahr geschlossen hat. Der vom Landesarbeitsgericht gebildete Erfahrungssatz, bei einer derartigen verhaltensbedingten Kündigung zeige sich die Richtigkeit der vom Arbeitgeber angestellten Prognose über eine Wiederholungsgefahr daran, ob sich ein gleichartiges oder ähnliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers während des Weiterbeschäftigungszeitraums wiederhole, existiert nicht. Im vorliegenden Fall hat der Kläger einen sich nicht wehrenden Arbeitskollegen in derart massiver Weise tätlich angegriffen, daß die Beklagte auch unter Berücksichtigung des Wohlverhaltens des Klägers während des Weiterbeschäftigungszeitraums nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt durchaus zu der Annahme berechtigt war, ein derartiges Fehlverhalten des Klägers könne sich wiederholen, z.B. wenn sich der Kläger wiederum – zu Recht oder zu Unrecht – durch einen Kollegen bei seiner Arbeit schikaniert oder sonst provoziert fühle.
7. Das angefochtene Urteil unterliegt damit der Aufhebung und Zurückverweisung, damit die grundsätzlich der Tatsacheninstanz obliegende Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht ohne Beeinflussung durch die aufgezeigten Rechtsfehler entsprechend den Hinweisen in dem Senatsurteil vom 31. März 1993 (a.a.O.) vorgenommen werden kann.
III. Auch das Ergänzungsurteil, das sich nur über einen Teil der Kosten verhält, unterliegt damit der Aufhebung und Zurückverweisung.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Dr. Roeckl, Röder
Fundstellen