Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzurlaub für Schwerbehinderte. Geltendmachung
Leitsatz (redaktionell)
Zusatzurlaub für Schwerbehinderte muß, auch solange die Schwerbehinderteneigenschaft nicht behördlich festgestellt ist, in der im Gesetz oder Tarifvertrag vorgesehenen Weise geltend gemacht werden; andernfalls erlischt der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Urlaubsjahres. Eine "vorsorgliche" Geltendmachung genügt nicht.
Normenkette
BGB §§ 157, 249, 280, 284, 286-287; BUrlG §§ 5, 7; BGB § 133; SchwbG §§ 1, 3, 44; BAT § 47 Fassung: 1961-02-23
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 16.03.1984; Aktenzeichen 10 Sa 3/84) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 02.11.1983; Aktenzeichen 22 Ca 104/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für die Jahre 1980 und 1981 zusätzlicher Urlaub nach § 44 SchwbG zusteht.
Der Kläger ist seit 1951 bei dem beklagten Land als Angestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Mit Schreiben vom 2. Juni 1981 teilte der Kläger dem beklagten Land mit, daß er im Juni 1980 beim Versorgungsamt Berlin einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderung gestellt habe, über den noch nicht entschieden sei. Durch ein weiteres Schreiben vom 5. November 1982 wies der Kläger seine Arbeitgeberin erneut darauf hin, daß der Antrag noch nicht beschieden sei. Beide Schreiben enthielten den Zusatz:
"Vorsorglich mache ich den bei Eintritt der
Schwerbeschädigung für mich entstehenden Zu-
satzurlaub geltend."
Durch Bescheid vom 28. Februar 1983 wurde der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung, dem 9. Juni 1980, als Schwerbehinderter anerkannt. Mit der am 26. September 1983 erhobenen Klage begehrt er die Gewährung von je sechs Tagen Zusatzurlaub für die Kalenderjahre 1980 und 1981. Das beklagte Land hat die Ansicht vertreten, der Anspruch sei nach § 47 Abs. 7 BAT verfallen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Der Anspruch des Klägers auf zusätzlichen Urlaub nach § 44 SchwbG für die Jahre 1980 und 1981 ist verfallen.
1. Dem Kläger stand für die Urlaubsjahre 1980 und 1981 ein zusätzlicher Urlaub von jeweils sechs Arbeitstagen zu, weil er schwerbehindert war.
Nach § 44 Satz 1 SchwbG haben Schwerbehinderte Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von sechs Arbeitstagen im Jahr. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen), der der erkennende Senat folgt, entsteht der Anspruch auf Zusatzurlaub aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft, d. h. wenn der Arbeitnehmer infolge seiner Behinderung in der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 50 v.H. nicht nur vorübergehend gemindert ist (§ 1 SchwbG). Auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft durch die zuständige Behörde kommt es nicht an. Der Bescheid nach § 3 SchwbG hat nur deklaratorische Bedeutung.
2. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß dieser Zusatzurlaub verfallen ist.
a) Da der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte, abgesehen von dem Merkmal der Schwerbehinderteneigenschaft, hinsichtlich seines Entstehens und Erlöschens dem Anspruch auf Erholungsurlaub folgt (vgl. BAG Urteil vom 18. Oktober 1957 - 1 AZR 437/56 - AP Nr. 2 zu § 33 SchwBeschG), muß er innerhalb des jeweiligen Urlaubsjahrs geltend gemacht werden. Geschieht dies nicht, erlischt er mit Ablauf des Urlaubsjahrs (BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 3 a der Gründe, mit weiteren Nachweisen).
b) Im vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der Kläger den Zusatzurlaub für 1980 bis 30. April 1981 und den für 1981 bis 30. April 1982 hätte antreten müssen. Dies folgt aus § 47 Abs. 7 BAT, wonach Urlaub, der nicht bis zum 30. April des folgenden Urlaubsjahres angetreten ist, verfällt.
c) Diesem Ergebnis kann nicht mit der Kritik entgegengetreten werden, die Gröninger an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - geübt hat (Anm. zu AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG).
Soweit Gröninger meint, der Arbeitnehmer könne wegen der noch ausstehenden behördlichen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seinem Arbeitgeber nicht erklären, er sei Schwerbehinderter und verlange deshalb Zusatzurlaub, verkennt er die Voraussetzungen dieses Urlaubsanspruchs und die rechtlichen Möglichkeiten, die dem Arbeitnehmer schon vor der behördlichen Feststellung zur Verfügung stehen. Da der Anspruch auf Zusatzurlaub schon vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an und nicht erst nach behördlicher Feststellung besteht, muß er auch vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an geltend gemacht werden können. Zutreffend weisen Wilrodt/Neumann (SchwbG, 6. Aufl., § 3 Rz 37) darauf hin, daß ein Arbeitnehmer sich schon vor Feststellung der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen könne, dann aber im Streitfall nachweisen müsse, daß er um wenigstens 50 v.H. erwerbsgemindert sei.
Auch dem Hinweis, der Schwerbehindertenzusatzurlaub sei Teilurlaub im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG und damit nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG auf das nächste Kalenderjahr übertragbar (Gröninger, aaO, zu 5), ist nicht zu folgen. Der Zusatzurlaub tritt zu dem Grundurlaub hinzu und verlängert dadurch den Gesamturlaub des Arbeitnehmers. Er ist nicht Teilurlaub. Das folgt daraus, daß er, wie dargelegt, hinsichtlich seines Entstehens und seines Erlöschens dem Grundurlaub folgt.
II. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht als Schadenersatzanspruch begründet.
1. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 7. November 1985 - 6 AZR 169/84 - zur Veröffentlichung vorgesehen und vom 5. September 1985 - 6 AZR 86/82 - AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treueurlaub) hat für den Fall, daß der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch erfolglos geltend gemacht hatte und dem Arbeitgeber die Erteilung des Urlaubs möglich war, angenommen, der Arbeitgeber habe für die infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit, als welche das Erlöschen des Urlaubsanspruchs anzusehen sei, einzustehen (§ 286 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). An die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs trete in diesem Fall als Schadenersatzanspruch (§ 249 Satz 1 BGB) ein Urlaubsanspruch (Ersatzurlaubsanspruch) in gleicher Höhe. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung.
2. Die Voraussetzungen dieses Anspruchs sind jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das beklagte Land befand sich mit der Gewährung des Urlaubs nicht in Leistungsverzug (§ 284 BGB).
a) Nach § 284 Abs. 1 BGB bedarf es zur Herbeiführung des Verzugs einer Mahnung des Gläubigers, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt. In dem ersten Schreiben des Klägers vom 2. Juni 1981, in dem er vorsorglich den Zusatzurlaub geltend gemacht hat, kann keine Mahnung bezüglich des Zusatzurlaubs für das Jahr 1980 gesehen werden. Denn der Anspruch des Klägers für dieses Urlaubsjahr war bereits mit Ablauf des 30. April 1981 erloschen (§ 47 Abs. 7 BAT).
b) Aber auch bezüglich des Urlaubs für das Jahr 1981 hat der Kläger das beklagte Land nicht in Leistungsverzug gesetzt.
Als Mahnung kommt auch hier nur das Schreiben des Klägers vom 2. Juni 1981 in Betracht. Das zweite Schreiben des Klägers vom 5. November 1982 scheidet bereits deshalb aus, weil in diesem Zeitpunkt auch der Urlaub für 1981 nach § 47 Abs. 7 BAT verfallen war.
Das Schreiben vom 2. Juni 1981 erfüllt die Voraussetzungen einer Mahnung nicht. Eine solche muß bestimmt und eindeutig sein. Sie erfordert zwar keine Fristsetzung oder Androhung bestimmter Folgen, sie muß aber erkennen lassen, daß das Ausbleiben der Leistung Folgen haben wird (vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 284 BGB; Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 284 Anm. 3 b). Die in der Mahnung zum Ausdruck kommende Aufforderung an den Schuldner muß dahin zu verstehen sein, daß die geschuldete Leistung nunmehr unverzüglich zu bewirken ist (vgl. Jauernig/Vollkommer, BGB, 3. Aufl., § 284 Anm. 4). Diese Voraussetzungen erfüllte das Schreiben vom 2. Juni 1981 nicht.
In diesem erklärte der Kläger, er mache vorsorglich den bei Eintritt der Schwerbehinderung für ihn entstehenden Zusatzurlaub geltend. Diese Erklärung stellte nicht das bestimmte Leistungsverlangen an das beklagte Land dar, dieses möge den Urlaub für 1981 nunmehr zeitlich festlegen (§ 7 Abs. 1 BUrlG). Das Schreiben des Klägers konnte von dem beklagten Land vielmehr auch als Mitteilung aufgefaßt werden (§§ 133, 157 BGB), er wolle den Urlaub erst endgültig fordern, nachdem seine Schwerbehinderteneigenschaft behördlich festgestellt sei. Das beklagte Land sah sich keinem Leistungsverlangen gegenüber, durch das es zur alsbaldigen Gewährung des Urlaubs veranlaßt werden sollte. Es geriet somit nicht in Leistungsverzug und hat daher den Untergang des Urlaubsanspruchs für 1981 nicht nach § 287 Satz 2 BGB zu vertreten.
c) Das beklagte Land ist auch nicht wegen Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht (§ 242 BGB) gehalten, dem Kläger Schadenersatz zu leisten. Eine Pflicht des beklagten Landes, den Kläger darauf hinzuweisen, er möge den Urlaub in einer den Schuldnerverzug begründenden Weise geltend machen, bestand nicht. Es obliegt vielmehr dem Arbeitnehmer, seinen Anspruch geltend zu machen und gegebenenfalls durchzusetzen.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Neuroth Dr. Johannsen
Fundstellen
Haufe-Index 441569 |
BAGE 52, 258-262 (LT) |
BAGE, 258 |
DB 1986, 2683-2684 (LT1) |
NJW 1987, 1287 |
NJW 1987, 1287-1287 (LT1) |
AuB 1987, 371-371 (T) |
NZA 1986, 833-834 (LT1) |
RdA 1986, 405 |
AP § 44 SchwbG (LT1), Nr 6 |
AR-Blattei, ES 1440 Nr 86 (LT1) |
AR-Blattei, Schwerbehinderte Entsch 86 (LT1) |
EzA § 44 SchwbG, Nr 6 (LT) |
EzBAT § 49 BAT Geltendmachung, Nr 1 (LT) |
PersV 1991, 189-190 (K) |