Entscheidungsstichwort (Thema)
Versetzung. Stationierung einer Flugbegleiterin bei einer Fluggesellschaft
Orientierungssatz
1. Ist in einem Arbeitsvertrag neben dem Ort der Arbeitsleistung bestimmt, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, den Arbeitnehmer im gesamten Unternehmen – auch an anderen Orten – einzusetzen, so ist damit regelmäßig keine vertragliche Festlegung des Arbeitsorts verbunden.
2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den im Bereich der Luftfahrt geltenden Regelungen über Flug-, Dienst- und Ruhezeiten. Die dort enthaltene Verpflichtung des Luftfahrtunternehmers, für jedes Besatzungsmitglied eine Heimatbasis anzugeben, verlangt keine vertragliche Festschreibung des Stationierungsorts. Vielmehr ist es nicht ausgeschlossen, bei entsprechenden vertraglichen Voraussetzungen im Wege des Direktionsrechts diese Heimatbasis durch eine Versetzung zu verändern.
3. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Bei der Abwägung kommt einer nicht missbräuchlichen und willkürfreien unternehmerischen Entscheidung erhebliches Gewicht zu.
Normenkette
ArbZG § 20; BGB § 305 ff., § 315; GewO § 106; KSchG § 2; Zweite Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (2. DV LuftBO) § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 01.03.2011; Aktenzeichen 1 Sa 571/10) |
ArbG Hannover (Urteil vom 24.02.2010; Aktenzeichen 9 Ca 182/09) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 1. März 2011 – 1 Sa 571/10 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung und einer hilfsweise ausgesprochenen Änderungskündigung.
Rz. 2
Die 1972 geborene, ledige Klägerin ist seit dem 25. Oktober 1999 als Flugbegleiterin tätig, zuletzt mit einer Bruttomonatsvergütung von 2.020,00 Euro.
Rz. 3
In einem Schreiben vom 1. April 2000 heißt es auszugsweise:
“Stationierung
Sehr geehrte Frau S…,
wir freuen uns, Ihnen mit Wirkung zum 01.04.2000 eine Stationierung in Hannover anbieten zu können.
Die übrigen Bedingungen Ihres Arbeitsvertrages behalten weiterhin Gültigkeit.
Wir weisen bei dieser Gelegenheit ausdrücklich darauf hin, dass diese Versetzung auf eigenen Wunsch erfolgt und somit keine Umzugskosten erstattet werden können.
Bitte senden Sie die beiliegende Kopie als Zeichen Ihres Einverständnisses bis zum 24.03.2000 unterschrieben an uns zurück.”
Rz. 4
Im Arbeitsvertrag vom 26. November 2001 heißt es auszugsweise:
“1. Beginn, Art und Ort der Beschäftigung
Der Mitarbeiter wird ab 01.12.2001 als Flugbegleiter/in im Teilzeitmodell 3 Y mit einer verkürzten Arbeitszeit in HAJ beschäftigt.
Danach beträgt die jährliche reduzierte Arbeitszeit 75 % der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Mitarbeiters.
…
C… ist berechtigt, aus betrieblichen Gründen mit einer Vorlauffrist von einem Monat zum monatlichen Planungsbeginn, Änderungen des vertraglich vereinbarten Teilzeitmodells vorzunehmen.
Der Mitarbeiter und C… können jederzeit einvernehmliche Änderungen vereinbaren.
…
C… kann den Mitarbeiter vorübergehend oder auf Dauer auf einem anderen Flugzeugmuster, einem anderen Ort sowie befristet auch bei einem anderen Unternehmen einsetzen.
2. Rechte und Pflichten
Die gegenseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Gesetz, den Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen der C… in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie aus den Dienstvorschriften der C… und den Bestimmungen dieses Vertrages.”
Rz. 5
Aus organisatorischen Gründen beginnt und endet der Einsatz der Crews bei der Beklagten nicht durchweg an ihrem Stationierungsort. In den Fällen, in denen der Einsatz von anderen Flughäfen aus erfolgt und auch dort endet, hat die Beklagte nach den anwendbaren tarifvertraglichen Regelungen die erforderlichen Transporte zu gewährleisten und die Transportzeiten als Arbeitszeit zu bezahlen (Dead-Head-Kosten).
Rz. 6
Nach Maßgabe einer Geschäftsführungsvorlage vom 26. September 2008 entschied sich die Beklagte zur Stationsschließung in Hannover zum 31. Dezember 2009. Am Standort Hannover beschäftigte die Beklagte zuletzt ca. 40 Arbeitnehmer. Flugzeuge sind in Hannover nicht mehr stationiert und es beginnen dort keine Flüge mehr mit einer von Hannover aus eingesetzten Crew. Die vorher bestehenden Postfächer und ein Raum für die Mitarbeiter/innen wurden abgeschafft.
Rz. 7
Nachdem die Beklagte ihr Flugprogramm ab Hannover seit Mai 2008 zumindest erheblich reduziert hatte, schloss sie am 7. Juli 2009 mit der nach § 117 Abs. 2 BetrVG eingerichteten Personalvertretung eine “Vereinbarung über die Beendigung der Stationierung von Cockpit – Kabinenpersonal in Hannover”. Die Präambel lautet:
“C… beabsichtigt, am Ende des Kalenderjahres 2009 den Stationierungsort Hannover für das fliegende Personal aufzugeben. Hierdurch fallen an diesem Stationierungsort insgesamt 43 Arbeitsplätze für das fliegende Personal (5 Flugkapitäne, 1 Copilot, 10 Purser, 27 Flug-begleiter) mit einem Vollzeitäquivalent von 33,9 Stellen weg. Dies ist im Hinblick auf die dauerhafte Streichung von regelmäßigen An- und Abflügen ex Hannover unumgänglich.”
Rz. 8
Ein Teil der betroffenen Mitarbeiter/innen bewarb sich auf freie Arbeitsplätze in Frankfurt am Main und Hamburg. Des Weiteren bot die Beklagte die Möglichkeit eines Einsatzes von Hannover aus im Wege der Abordnung zur Tochtergesellschaft C… B… (CiB) an, der allerdings mit schlechteren tariflichen Bedingungen verbunden war. Einzelheiten regelte ein von der Beklagten mit der Personalvertretung abgeschlossener “Teilinteressenausgleich Kabine über die Beendigung der Stationierung von Cockpit- und Kabinenpersonal am Flughafen Hannover” vom 13. März 2009. Die Klägerin war nur bereit, zu unveränderten Arbeitsbedingungen bei der CiB tätig zu werden.
Rz. 9
Nach Beteiligung der Personalvertretung, die sich nicht äußerte, versetzte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2009 mit Wirkung zum 1. Januar 2010 unter Beibehaltung ihrer bisherigen Funktion als Flugbegleiterin von Hannover nach Frankfurt am Main. Hilfsweise kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum nächstmöglichen Termin unter gleichzeitigem Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab dem 1. April 2010 mit der Maßgabe, dass Stationierungsort nunmehr Frankfurt am Main sein solle. Dieses Angebot nahm die Klägerin unter Vorbehalt an.
Rz. 10
Die Klägerin hat die Versetzung für unwirksam gehalten. Als Arbeitsort sei vertraglich Hannover vereinbart. Das Weisungsrecht der Beklagten umfasse nicht die Befugnis, den Arbeitsort einseitig zu ändern. Die Vertragsklausel, auf die sich die Beklagte stütze, sei unwirksam. Sie verstoße gegen § 307 BGB. Die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt. Auch bei vollständiger Schließung des Stationierungsorts Hannover könne die Klägerin von dort aus eingesetzt werden, gegebenenfalls bei der Tochtergesellschaft CiB.
Rz. 11
Die Klägerin hat beantragt
1. festzustellen, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der ordentlichen Änderungskündigung der Beklagten gemäß dem Schreiben vom 17. September 2009 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam sind,
2. festzustellen, dass der Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 17. September 2009 nicht geändert wird,
3. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 26. November 2001 als Flugbegleiterin in Vollzeit vom Stationierungsort Hannover zu beschäftigen.
Rz. 12
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Als “Arbeitsort” sei für die Klägerin vertraglich nicht Hannover festgelegt, die im Jahr 2000 erfolgte Zuordnung der Klägerin zum Flughafen Hannover habe das Direktionsrecht der Beklagten nicht eingeschränkt. Die Stationierung fliegenden Personals in Hannover sei unwirtschaftlich geworden. Während die in Hannover stationierten Mitarbeiter bis Anfang 2008 weit überwiegend auch von Hannover aus eingesetzt wurden, seien im Jahr 2009 90 % der Einsätze nach vorheriger Dead-Head-Anreise erfolgt. Hierdurch seien monatliche Mehrkosten in Höhe von 96.950,00 Euro wegen zusätzlicher Dead-Head-Transporte, Übernachtungskosten und Bezahlung zusätzlicher Einsatztage entstanden.
Rz. 13
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 14
Die zulässige Revision ist unbegründet. Die mit Schreiben vom 17. September 2009 erfolgte Versetzung von Hannover nach Frankfurt am Main ist wirksam. Dies hat auch die Unbegründetheit der gegen die vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung erhobenen Klage zur Folge.
Rz. 15
I. Das vertragliche Weisungsrecht der Beklagten umfasst die Befugnis, der Klägerin nach Maßgabe des § 106 GewO einen anderen Einsatzort als den bisherigen zuzuweisen (vgl. BAG 13. Juni 2012 – 10 AZR 296/11 –).
Rz. 16
1. Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung, die auf Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 305 ff. BGB beruht, ist zunächst durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (im Einzelnen: BAG 25. August 2010 – 10 AZR 275/09 – Rn. 17 ff., BAGE 135, 239). Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein gegebenenfalls vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (BAG 19. Januar 2011 – 10 AZR 738/09 – Rn. 12, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7).
Rz. 17
a) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind dabei nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss (zB BAG 10. Dezember 2008 – 10 AZR 1/08 – Rn. 14, AP BGB § 307 Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 40). Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (BAG 9. Juni 2010 – 5 AZR 332/09 – Rn. 36, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 121 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 18).
Rz. 18
b) Bei der Auslegung der vertraglichen Bestimmungen ist zu beachten, dass die Bestimmung eines Orts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen regelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung verhindert (BAG 19. Januar 2011 – 10 AZR 738/09 – Rn. 15, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7; 13. April 2010 – 9 AZR 36/09 – Rn. 27, AP BGB § 307 Nr. 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47; Preis/Genenger NZA 2008, 969, 970). Es macht keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Versetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen soll.
Rz. 19
c) Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, so unterliegt dies der Ausübungskontrolle gemäß § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB.
Rz. 20
2. Die Auslegung des Arbeitsvertrags der Klägerin ergibt, dass ihr Einsatzort nicht vertraglich festgelegt ist.
Rz. 21
a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien einen Formularvertrag geschlossen, auf den die Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen nach § 305 ff. BGB zur Anwendung kommen. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung (BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – Rn. 15, BAGE 124, 259).
Rz. 22
b) Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 26. November 2001 enthält keine Festlegung des Arbeitsorts. Es heißt dort, die Klägerin werde in HAJ (= Hannover) beschäftigt, der Arbeitgeber könne die Klägerin auch “vorübergehend oder auf Dauer … [an] einem anderen Ort … einsetzen”. Damit ist hinreichend klargestellt, dass die Bestimmung des Einsatzorts im Vertrag lediglich die damalige Ausübung des Weisungsrechts in Bezug auf den Arbeitsort darstellt. Daran konnte für die Beteiligten kein Zweifel bestehen. Auch unter Berücksichtigung der Mitteilung der Beklagten vom 1. April 2000 ergibt sich keine vertragliche Festlegung des Arbeitsorts; abgesehen davon wurde der Vertrag vom 26. November 2001 zeitlich nach dieser Mitteilung geschlossen. Nach dem Schreiben vom 1. April 2000 wurde der Stationierungsort auf Wunsch der Klägerin nach Hannover verlegt. Diese im Schreiben selbst als “Versetzung” bezeichnete Maßnahme hielt sich im Rahmen der durch den Arbeitsvertrag beschriebenen Grenzen des Weisungsrechts. Die Vertragsbedingungen sollten – abgesehen von der Versetzung – ausdrücklich unverändert bleiben. Entgegen der Auffassung der Revision bleibt hier auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB; erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des gefundenen Auslegungsergebnisses bestehen nicht (vgl. dazu BAG 25. August 2010 – 10 AZR 275/09 – Rn. 20, BAGE 135, 239).
Rz. 23
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den im Bereich der Luftfahrt geltenden Regelungen über Flug-, Dienst- und Ruhezeiten. Nach § 20 ArbZG iVm. § 5 Abs. 1 der Zweiten Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (2. DV LuftBO) bzw. nach Art. 1 iVm. Ziff. 3.1 des Anhangs III Abschn. Q OPS 1.1090 der Verordnung (EG) Nr. 859/2008 vom 20. August 2008 (ABl. EU L 254 vom 20. September 2008 S. 1, 223) ist die Beklagte verpflichtet, für jedes Besatzungsmitglied eine Heimatbasis anzugeben. Aus diesen Vorschriften ergibt sich aber nicht die Verpflichtung, die Heimatbasis arbeitsvertraglich so festzuschreiben, dass eine Änderung nur im Wege einer Änderungskündigung erfolgen könnte. Vielmehr schließen auch diese Vorschriften nicht aus, dass der Arbeitgeber im Rahmen der vertraglichen Regelungen im Wege des Direktionsrechts diese Heimatbasis verändert und gegenüber dem Besatzungsmitglied neu benennt. Eine solche Neubenennung ist durch die Versetzung vom 17. September 2009 erfolgt.
Rz. 24
c) Der Arbeitsvertrag hat sich im Hinblick auf den Arbeitsort nicht dadurch auf Hannover konkretisiert, dass die Klägerin seit dem Jahr 2000 dort tätig gewesen ist. Eine den Arbeitsvertrag abändernde Vereinbarung haben die Parteien nicht – insbesondere auch nicht stillschweigend – getroffen.
Rz. 25
aa) Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass Arbeitspflichten sich, ohne dass darüber ausdrückliche Erklärungen ausgetauscht werden, nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren (vgl. BAG 17. August 2011 – 10 AZR 202/10 – Rn. 19 mwN, EzA GewO § 106 Nr. 9). Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schafft aber regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahin gehend, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten Recht in Zukunft keinen Gebrauch mehr machen will. Die Nichtausübung des Direktionsrechts hat keinen Erklärungswert. Nur beim Hinzutreten besonderer Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll, kann es durch konkludentes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts kommen (vgl. BAG 17. August 2011 – 10 AZR 202/10 – aaO).
Rz. 26
bb) Derartige besondere Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen. Dass die Beklagte im Jahr 2000 auf den Wunsch der Klägerin nach Versetzung eingegangen ist und sie in Hannover stationiert hat, konnte für sich genommen keinen Vertrauenstatbestand begründen und keine Konkretisierung der Arbeitspflicht auf diesen Arbeitsort bewirken; im Übrigen ist der Arbeitsvertrag zeitlich nachfolgend einschließlich der Versetzungsklausel neu abgeschlossen worden.
Rz. 27
II. Die Beklagte hat von ihrem Weisungsrecht nach billigem Ermessen (§ 106 GewO, § 315 BGB) Gebrauch gemacht.
Rz. 28
1. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 315 Abs. 3 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat (vgl. BAG 13. Juni 2012 – 10 AZR 296/11 – Rn. 28; BGH 18. Oktober 2007 – III ZR 277/06 – Rn. 20, BGHZ 174, 48).
Rz. 29
2. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit.
Rz. 30
a) In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG 13. April 2010 – 9 AZR 36/09 – Rn. 40, AP BGB § 307 Nr. 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47; 21. Juli 2009 – 9 AZR 404/08 – Rn. 22, EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 18; bereits auch: 28. November 1989 – 3 AZR 118/88 – zu II 1a der Gründe, BAGE 63, 267). Eine soziale Auswahl wie im Falle des § 1 Abs. 3 KSchG findet nicht statt. Soweit es auf die Zumutbarkeit des neu zugewiesenen Arbeitsorts ankommt, kann aus den sozialrechtlichen Regeln über die Zumutbarkeit einer Beschäftigung kein belastbarer Maßstab für die arbeitsrechtliche Beurteilung des Ermessensgebrauchs nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB bei einer Versetzung abgeleitet werden (vgl. BAG 17. August 2011 – 10 AZR 202/10 – Rn. 22, 25, EzA GewO § 106 Nr. 9).
Rz. 31
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe bei ihrer Versetzungsentscheidung billiges Ermessen gewahrt, nicht zu beanstanden.
Rz. 32
Dabei kann dahinstehen, ob die Kontrolle der Ausübung des billigen Ermessens wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (vgl. dazu BAG 14. Juli 2010 – 10 AZR 182/09 – Rn. 92 mwN, BAGE 135, 128). Die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung hält auch einer vollen Überprüfung durch das Revisionsgericht stand.
Rz. 33
Das Landesarbeitsgericht hat alle maßgeblichen Faktoren in seine Erwägungen mit einbezogen. Es hat zugunsten der Beklagten die unternehmerische Entscheidung zur Schließung des Standorts Hannover und die entsprechenden wirtschaftlichen Erwägungen berücksichtigt. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die unternehmerische Entscheidung der Beklagten nicht “nachhaltig” gewesen sei. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob, wie die Klägerin meint, eine unternehmerische Organisationsentscheidung im Rahmen einer Versetzung auf “Nachhaltigkeit” iSd. Rechtsprechung zu betriebsbedingten Kündigungen (BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 141/99 – BAGE 92, 71) zu überprüfen ist (vgl. dazu BAG 26. September 2012 – 10 AZR 412/11 –).
Rz. 34
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat (BAG 14. Juli 2010 – 10 AZR 182/09 – Rn. 89 mwN, BAGE 135, 128). Dies war hier die Entscheidung über die der Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2009 mitgeteilte Versetzung. Es gibt nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass zu diesem Zeitpunkt davon auszugehen war, dass die Beklagte in absehbarer Zeit oder überhaupt wieder einmal Flüge in relevantem Umfang von Hannover beginnen lassen würde. Vielmehr hatte sich die Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Schließung der Station in Hannover entschlossen und hat dies auch entsprechend umgesetzt. Flugzeuge sind nicht mehr in Hannover stationiert und es beginnen dort keine Flüge mehr mit einer von Hannover aus eingesetzten Crew. Mit der zuständigen Personalvertretung sind am 13. März 2009 ein Teilinteressenausgleich und am 7. Juli 2009 eine “Vereinbarung über die Beendigung der Stationierung von Cockpit – Kabinenpersonal in Hannover” geschlossen worden. Die letztgenannte Vereinbarung beinhaltet umfangreiche Regelungen über die daraus folgenden personellen Maßnahmen und über die Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen für die Beschäftigten. Auch die Klägerin hat in den Tatsacheninstanzen weder greifbare Anhaltspunkte dafür benannt, dass es sich nur um eine vorübergehende Maßnahme handelte noch dafür, dass ab Hannover erneut Flüge stattfinden würden und damit die zur Begründung der Versetzung herangezogenen wirtschaftlichen Umstände nur für einen vorübergehenden Zeitraum vorliegen würden. Bei den Ausführungen im Schriftsatz vom 31. August 2012 handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz gemäß § 559 ZPO keine Beachtung mehr finden kann.
Rz. 35
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiter die von der Beklagten mit der Personalvertretung vereinbarten Regelungen zur Abmilderung der für die Arbeitnehmer entstehenden Mehraufwendungen an Freizeit und Fahrtkosten berücksichtigt. Andererseits hat es die für die Klägerin bestehenden Belastungen, die insbesondere in den Kosten für zusätzliche Fahrten und dem erhöhten Freizeitaufwand bestehen, einbezogen. Weitere Umstände, die vom Landesarbeitsgericht fehlerhafterweise nicht berücksichtigt worden wären, benennt auch die Revision nicht. Ihre Angriffe betreffen vielmehr im Wesentlichen die Frage der Nachhaltigkeit der getroffenen unternehmerischen Entscheidung, an der aber aus den oben genannten Gründen keine Zweifel ersichtlich sind.
Rz. 36
III. Die erhobene Änderungsschutzklage ist unbegründet. Hat der Arbeitnehmer – wie hier – das Änderungsangebot des Arbeitgebers unter Vorbehalt angenommen und Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG erhoben, streiten die Parteien nicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit nicht über die Rechtswirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung, sondern nur noch über die Berechtigung des Angebots auf Änderung der Arbeitsbedingungen. Streitgegenstand der Änderungsschutzklage ist nicht die Wirksamkeit der Kündigung, sondern der Inhalt der für das Arbeitsverhältnis geltenden Vertragsbedingungen (BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 25/11 – Rn. 20, NZA 2012, 1038; 26. Januar 2012 – 2 AZR 102/11 – Rn. 13, EzA KSchG § 2 Nr. 84; 26. August 2008 – 1 AZR 353/07 – Rn. 17, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 139 = EzA KSchG § 2 Nr. 72). Vom Arbeitgeber erstrebte Änderungen, die sich schon durch die Ausübung des Weisungsrechts gemäß § 106 Satz 1 GewO durchsetzen lassen, halten sich im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen und sind keine “Änderung der Arbeitsbedingungen” iSv. § 2 Satz 1, § 4 Satz 2 KSchG. Soll der bestehende Vertragsinhalt nicht geändert werden, liegt in Wirklichkeit kein Änderungsangebot vor; die vermeintlich erst herbeizuführenden Vertragsbedingungen gelten bereits. Eine Änderungskündigung ist “überflüssig”. Eine Änderungsschutzklage ist dann unbegründet (BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 25/11 – Rn. 21, aaO; 26. Januar 2012 – 2 AZR 102/11 – Rn. 14, aaO).
Rz. 37
IV. Aus den genannten Gründen besteht auch kein Anspruch auf Beschäftigung vom Stationierungsort Hannover aus.
Rz. 38
V. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Schmitz-Scholemann, W. Reinfelder, Mestwerdt, R. Baschnagel, Stefan Fluri
Fundstellen
Haufe-Index 3506711 |
BB 2012, 3136 |
DB 2013, 350 |