Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegezulage. Grund- und Behandlungspflege. Auslegung Tarifvertrag
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Begriff “geriatrische Abteilungen oder Stationen” setzt voraus, dass dort Personen untergebracht sind, an denen eine medizinische Heilbehandlung durchgeführt wird.
2. Die Pflegezulage nach Protokollerklärung Nr. 1 I Buchst. c AWKrT erfordert nicht, dass die Pflegekräfte Grund- und Behandlungspflege kumulativ ausüben. Es reicht vielmehr aus, wenn entweder Grund- oder Behandlungspflege arbeitszeitlich überwiegend bei Kranken in geriatrischen Stationen ausgeübt wird. Die Zulage will nicht besondere Erschwernisse ausgleichen, die gerade durch das Zusammentreffen beider Pflegearten entstehen, sondern solche Erschwernisse, die insgesamt bei der Pflege bestimmter Patientengruppen unter bestimmten Umständen entstehen.
Normenkette
AW-KrT Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 1c zu Abschn. B
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. März 2006 – 15 Sa 1558/05 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 20. Mai 2005 – 10 (4) Ca 7344/04 – wird zurückgewiesen.
3. Der Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Pflegezulage, der sogenannten Geriatriezulage.
Seit 1973 ist die Klägerin als Krankenpflegehelferin im Seniorenzentrum H… des Beklagten beschäftigt, der zahlreiche Altenheime unterhält. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 14. Januar/1. Februar 1986 enthält ua. folgende Bestimmungen:
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Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen und Vorschriften des Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt mit den dazu ergangenen und noch ergehenden Zusatzbestimmungen Anwendung.
§ 8
Die Arbeiterwohlfahrt behält sich vor, den Arbeitnehmer mit anderen zumutbaren, im Rahmen der Vergütungsgruppe liegenden Arbeiten zu beschäftigen. Das Recht der Arbeiterwohlfahrt, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zu übertragen, wird auch durch eine lange währende Verwendung auf dem selben Arbeitsplatz nicht beschränkt.
Die Arbeiterwohlfahrt ist ferner berechtigt, den Arbeitnehmer an einen anderen zumutbaren Tätigkeitsort zu versetzen. Dies gilt insbesondere für Urlaubs- und Krankheitsvertretungen.”
Die Klägerin wird derzeit nach der Tarifgruppe IV der bei dem Beklagten geltenden Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst (im Folgenden: AW-KrT) vergütet.
Die Protokollerklärung Nr. 1 dieses Tarifvertrages lautet:
“ (1) Pflegepersonen der Vergütungsgruppen AW-KrT I bis AW-KrT VII, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei
a) an schweren Infektionskrankheiten erkrankten Patienten (z. B. Tuberkulose-Patienten), die wegen der Ansteckungsgefahr in besonderen Infektionsabteilungen oder Infektionsstationen untergebracht sind,
b) Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Open-door-System) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen,
c) Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen,
d) gelähmten oder an multipler Sklerose erkrankten Patienten
ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,- DM.
(2) Pflegepersonen der Vergütungsgruppen AW-KrT IV bis AW-KrT VIII, die als
a) Stationspflegerinnen oder
b) Pflegepersonen in anderen Tätigkeiten mit unterstellten Pflegepersonen
eingesetzt sind, erhalten die Zulage nach Absatz 1 ebenfalls, wenn alle ihnen durch ausdrückliche Anordnung ständig unterstellten Pflegepersonen Anspruch auf eine Zulage nach Absatz 1 haben. Die Zulage steht auch Pflegepersonen zu, die durch ausdrückliche Anordnung als ständige Vertreterinnen einer in Satz 1 genannten Anspruchsberechtigten bestellt sind.”
Bis Oktober 2000 zahlte der Beklagte der Klägerin anteilig entsprechend ihrer wöchentlichen Arbeitszeit eine Geriatriezulage iHv. monatlich 81,81 DM brutto. Danach stellte der Beklagte die Zahlung dieser Zulage ein. Am 2. Februar 2001 machte die Klägerin dem Beklagten gegenüber ihren Anspruch auf weitere Zahlung der Geriatriezulage geltend.
Am 22. Mai 2001 unterzeichnete die Klägerin eine Stellenbeschreibung für Pflegehelfer/-innen. Hierin heißt es:
“7. Ziele der Stelle
Für die hier lebenden Menschen sollen humane Lebensbedingungen geschaffen werden, insbesondere sollen eine individuelle und fachgerechte Betreuung und Pflege durchgeführt werden.
Unterstützung der Pflegefachkräfte bei der Erfüllung der anfallenden Pflege- und Betreuungsaufgaben bzw. eigenständige Ausführung festgelegter Pflegeaufgaben unter Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse der zu versorgenden Menschen. Die ärztlich angeordnete medizinische Behandlungspflege ist ausdrücklich ausgenommen.
8. Aufgaben
– |
Pflegeplanung und -dokumentation unter Berücksichtigung der AEDLs … |
und unter Beteiligung der Bewohner |
– |
die fachgerechte Grundpflege auf der Grundlage der o.g. Pflegeplanung unter Anleitung und Kontrolle der Pflegefachkräfte. |
Ggf. Tätigkeiten im Bereich der Hygiene- und Speisenversorgung |
– |
Mitwirkung bzw. Kooperation mit Ärzten, Krankenhäusern, Angehörigen, Ehrenamtlichen etc. sowie allen Abteilungen des Seniorenzentrums |
– |
Mitwirkung bei der Qualitätsentwicklung und – sicherung, insbesonders durch: |
– |
Teilnahme an Qualitätszirkeln |
– |
Teilnahme an Fortbildungen etc. |
Details und weitere Anforderungen ergeben sich aus dem jeweiligen Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnissen sowie den örtlichen Verfahrensanweisungen im Kontext des Qualitätsmanagements.”
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe die Geriatriezulage weiterhin zu. Es reiche aus, wenn sie ausschließlich Grundpflege ausführe. Im Übrigen aber übe sie auch Behandlungspflege an Kranken aus. Hierzu hat sie behauptet, sie sei während des gesamten streitbefangenen Zeitraums und auch weiterhin im Wohnbereich I in H… eingesetzt worden, der zur Zeit 31 Plätze umfasse, die alle belegt seien. Zwei Bewohner hätten Pflegestufe 3, 16 Bewohner Pflegestufe 2, acht Bewohner Pflegestufe 1 und lediglich fünf Bewohner keine Pflegestufe. Der überwiegende Teil der Bewohner leide unter Demenz und/oder Inkontinenz. Daneben hätten nahezu alle Bewohner weitere Krankheiten gehabt, so zB Herzinsuffizienz, Diabetis mellitus, Zustand nach Krebserkrankungen, Thromboseneigung, Dekubitus, Coxarthrose, Gastritis, Frakturen, Parkinson, Osteoporose, Hypertonie, Niereninsuffizienz sowie benignes Prostataadenom.
Sie habe auch Behandlungspflege im Sinne der Protokollnotiz ausgeübt und übe sie weiter aus. Behandlungspflege sei nicht nur die Umlagerung von Patienten bei bereits bestehendem Dekubitus, sondern auch zur Verhinderung von Dekubitus. In der Vergangenheit als auch aktuell sei die Mehrheit der Bewohner bettlägerig. Die Dekubitusprophylaxe mit den damit in Zusammenhang stehenden Lagerungstätigkeiten gehörte zu den häufigsten von ihr zu erbringenden Behandlungspflegetätigkeiten. Gleiches gelte für die von ihr regelmäßig bei mehreren Bewohnern durchgeführte Intertrigoprophylaxe sowie die Pneumonie- und Thromboseprophylaxe. Des Weiteren habe es zu allen genannten Zeiträumen im Wohnbereich Bewohner mit unausgeglichenem Flüssigkeitshaushalt gegeben. Bei diesen Bewohnern habe sie während ihres Dienstes Flüssigkeitszufuhr und Ausscheidung zu überwachen und auf einem Bilanzierungsblatt zu dokumentieren. Auch die von ihr zu leistende Verabreichung von Sondennahrung gehöre zur Behandlungspflege ebenso wie die Dauerkatheterpflege sowie die Puls- und Blutdruckkontrolle. Während der Zeiträume, für die sie Zahlung der Geriatriezulage beanspruche sowie aktuell nutzten jeweils mehrere Bewohner Dauerkatheter. Sie habe speziell die äußere Katheterpflege vorgenommen. Ferner sei sie in der Vergangenheit und auch jetzt in der Inkontinenzversorgung tätig.
Laut Stellenbeschreibung gehöre auch die Kooperation mit den Ärzten zu ihren Aufgaben. Die Begleitung der Hausärzte sei als Behandlungspflege anzusehen. Schließlich habe sie in dem streitbefangenen Zeitraum Bewohner, in der Regel demente Personen, zu ihrer eigenen Sicherheit fixiert, und zwar jeweils auf richterlichen Beschluss und nach ärztlicher Befürwortung.
Die Klägerin behauptet, sie habe auch Patienten mit bereits entwickeltem Dekubitus behandelt und gelagert. Im Übrigen habe sich der Pflegehelfer S… im Juli 2005 geweigert, eine Dekubituspatientin ohne Anwesenheit einer Pflegefachkraft zu lagern. Er sei deswegen durch die Betriebsleitung Frau Sch ermahnt und angewiesen worden, diese Patientin zu lagern, dies müssten alle Pflegekräfte tun, unabhängig davon, ob sie Fachkräfte oder Hilfskräfte seien. Die Anweisung, dass auch Pflegehilfskräfte Dekubituspatienten zu lagern hätten, habe Frau Sch kurze Zeit später gegenüber den Mitarbeiterinnen B… und E… in einer Dienstbesprechung wiederholt.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an sie eine monatliche Geriatriezulage in Höhe von 41,82 Euro brutto zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.007,37 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Januar 2005 zu zahlen.
Der Beklagte ist der Ansicht, der Klägerin stehe die Geriatriezulage nicht zu.
Die Klägerin habe keinen tariflichen Anspruch auf die Zulage. Sie habe auch in der Vergangenheit nur Grund- und keine Behandlungspflege ausgeübt. Umlagerung zur Erleichterung und Vorbeugung sei Grundpflege und nicht Behandlungspflege. Soweit Umlagerung medizinisch angeordnet worden sei, werde diese verantwortlich von den Pflegefachkräften ausgeführt. Intertrigoprophylaxe und Thromboseprophylaxe seien ebenfalls der Grundpflege zuzuordnen. Bestritten werde, dass die Klägerin Puls- und Blutdruckkontrollen durchführe. Jedenfalls werde sie im Rahmen ärztlicher Verordnungen nicht eingesetzt. Medizinisch verordnete Vitalzeichenkontrolle sei Aufgabe von Pflegefachkräften und nicht Aufgabe der Klägerin. Temperaturmessen sei, soweit medizinisch verordnet, Behandlungspflege. Dabei sei die Klägerin nicht tätig gewesen. Inkontinenzversorgung (Windelnwechseln) sei Grundpflege. Bei ärztlicher Verordnung im Zusammenhang mit Inkontinenz werde die Klägerin nicht eingesetzt.
Zwar könne es vorkommen, dass die Klägerin einen Hausarzt, der eine Patientin besuchen wolle und nicht wisse, wo diese sei, zu deren Zimmer begleite. Die Besprechung mit dem Hausarzt, was im Einzelnen im Rahmen der medizinischen Behandlung zu erledigen sei, sei aber ausschließlich Sache der Pflegefachkräfte. Schließlich werde bestritten, dass Fixierungsmaßnahmen zur Behandlungspflege gehörten und dass die Klägerin solche Arbeiten durchführe. Das Verabreichen von Sondennahrung obliege den Pflegefachkräften.
Zudem sei er, der Beklagte, verpflichtet, in seinen Einrichtungen entsprechend der gemäß § 80 SGB XI getroffenen Vereinbarung vom 21. Oktober 1996 über gemeinsame Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung einschließlich des Verfahrens zur Durchführung von Qualitätsprüfungen in vollstationären Pflegeeinrichtungen vorzugehen. Danach dürften Hilfskräfte und angelernte Kräfte nur unter der fachlichen Anleitung einer Fachkraft tätig werden. Er habe in Erfüllung der Verpflichtung aus § 80 SGB XI das Qualitätsmanagementhandbuch “Stationäre Altenpflege” erstellt. Dieses Handbuch verweise in Ziffer III.3.1.7 auf den Ordner “Pflege- und Betreuungsstandards”. Auch hierin sei geregelt, dass medizinische Behandlungspflege ausschließlich durch eine Pflegefachkraft ausgeführt werde. Dies sei eine verbindliche Arbeitsanweisung, deren Umsetzung durch den sogenannten Einsatzplan sichergestellt werde. Schon aus Haftungsgründen im Verhältnis zu den Bewohnern müsse er darauf achten, dass insoweit fachlich ausgebildete Pflegefachkräfte eingesetzt würden. Überwacht werde dies durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Seit Implementierung des Qualitätsmanagementhandbuchs im Jahre 2001 dürfe die Klägerin keine Behandlungspflege mehr ausüben und habe dies auch nicht mehr getan. Er bestreite auch, dass die Klägerin in der Zeit vor 2001 Behandlungspflege ausgeübt habe. In der von der Klägerin unterzeichneten Stellenbeschreibung heiße es ausdrücklich, dass sie Behandlungspflege nicht ausüben dürfe.
Falls die Klägerin den Nachweis führen könne, dass sie im streitigen Zeitraum gleichwohl Behandlungspflege ausgeübt habe, so habe sie dies entgegen der Arbeitsanweisung gemäß Qualitätsmanagementhandbuch getan. Bestritten werde, dass Einrichtungsleitung und/oder andere Vorgesetzte der Klägerin Arbeitsanweisungen erteilt hätten, die vom Inhalt des Qualitätsmanagementhandbuchs abwichen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war aufzuheben und das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe kein Anspruch auf die Geriatriezulage zu. Aus dem den Arbeitnehmern des Beklagten bekanntgemachten Regelungen des Qualitätsmanagementhandbuchs ergebe sich, dass medizinische Behandlungspflege ausschließlich durch eine Pflegefachkraft ausgeführt werden dürfe. Die Umsetzung dieser Arbeitsanweisung habe der Beklagte nach seinem insoweit unbestrittenen Vortrag durch den sogenannten Einsatzplan sichergestellt. Dies werde auch in der an die Klägerin gerichteten Stellenbeschreibung deutlich. Der Beklagte sei gem. § 8 des Arbeitsvertrages auch befugt, der Klägerin nur noch Tätigkeiten im Bereich der Grundpflege zuzuweisen. Die Protokollerklärung setze voraus, dass die Klägerin zeitlich überwiegend Grund- und Behandlungspflege ausübe. Die Klägerin habe nicht substantiiert dargelegt, dass sie mit Wissen und Wollen ihrer Vorgesetzten Behandlungspflege entgegen der allgemeinen Anweisung ausgeübt habe.
II. Dem folgt der Senat nicht. Zahlungsklage und Feststellungsantrag sind zulässig und begründet.
1. Der Feststellungsantrag ist zulässig als Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO, für die ein besonderes Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO nicht erforderlich ist (BAG 25. Mai 2004 – 3 AZR 123/03 – AP BetrAVG § 1 Überversorgung Nr. 11).
2. Der Anspruch ergibt sich aus der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 1 Buchst. c zu Abschn. B AW-KrT.
a) Der Tarifvertrag ist kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Die Klägerin gehört zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis, da sie in Vergütungsgruppe AW-KrT IV eingruppiert ist.
b) Die tarifliche Bestimmung ist nicht nur auf Beschäftigte in geriatrischen Abteilungen und Stationen in Krankenhäusern anwendbar, sondern auch auf solche in Altenheimen. Dies folgt schon daraus, dass sich die Protokollerklärung im Abschn. B ausdrücklich auf das Pflegepersonal bezieht, das in Anstalten und Heimen beschäftigt ist, die nicht unter Teil A fallen, wenn sie der Betreuung von alten, gebrechlichen oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen dienen (BAG 19. November 2003 – 10 AZR 127/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Arbeiterwohlfahrt Nr. 8).
c) Die Klägerin ist auch in einer geriatrischen Station tätig und pflegt überwiegend Kranke. Die Geriatrie ist die Altersheilkunde, die Lehre von den Erkrankungen des alten Menschen, ein fächerübergreifendes Gebiet der Medizin. Insbesondere werden in der Geriatrie akute Erkrankungen bei multimorbiden Betagten unter Berücksichtung chronisch-degenerativer Krankheiten behandelt. Dabei strebt diese Behandlung eine Rehabilitation des Patienten an, so dass dieser die durch die Krankheit verlorenen Funktionen und Fähigkeiten wieder erlangt bzw., wenn dies nicht möglich ist, neue Ersatzfunktionen erwirbt bzw. mit reduzierten Möglichkeiten sinnvoll leben kann. Deshalb setzt der Begriff “geriatrische Abteilungen oder Stationen” nach medizinischem Sprachgebrauch voraus, dass dort Personen untergebracht sind, an denen eine medizinische Heilbehandlung durchgeführt wird (BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 579/02 – BAGE 106, 225 mwN). Die Klägerin hat vorgetragen, dass der überwiegende Teil der 31 alten Bewohner des Wohnbereichs I, in dem sie tätig sei, unter Demenz und/oder Inkontinenz leide und an weiteren Krankheiten wie Herzinsuffizienz, Diabetis mellitus, Zustand nach Krebserkrankungen, Thromboseneigung, Dekubitus, Coxarthrose, Gastritis, Frakturen, Parkinson, Osteoporose, Hypertonie, Niereninsuffizienz sowie benignem Prostataadenom. Der Beklagte hat dies nicht substantiiert bestritten. Aus der Art der Erkrankungen folgt zwanglos, dass sie sämtlich ärztlich behandlungsbedürftig sind.
d) Die Klägerin übt unstreitig die sog. Grundpflege aus. Grundpflege ist die Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse der zu pflegenden Personen im Hinblick auf Nahrungsaufnahme und Hygiene, also die Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung (BAG 19. November 2003 – 10 AZR 127/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Arbeiterwohlfahrt Nr. 8).
e) Streitig ist, ob die Klägerin zusätzlich auch Behandlungspflege ausübt. Darauf kommt es jedoch nicht an, denn es ist nicht erforderlich, dass Grund- und Behandlungswege kumulativ ausgeübt werden, um den Zulagenanspruch auszulösen. Es reicht vielmehr aus, wenn entweder Grund- oder Behandlungspflege arbeitszeitlich überwiegend bei Kranken in geriatrischen Stationen ausgeübt wird.
In den früheren Entscheidungen zu den Pflegezulagen ist der Senat davon ausgegangen, dass die Tarifvorschriften erforderten, dass neben der Grundpflege auch Behandlungspflege ausgeübt werde. Dabei sei es nicht erforderlich, dass die Behandlungspflege arbeitszeitlich insgesamt oder auch nur im Verhältnis zur Grundpflege überwiege (BAG 19. November 2003 – 10 AZR 127/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Arbeiterwohlfahrt Nr. 8). Es war in diesen Entscheidungen jedoch niemals streitig, dass beide Pflegearten ausgeführt wurden. Im letztgenannten Fall hatte der Arbeitgeber sich darauf bezogen, dass die Behandlungspflege zeitlich im Verhältnis zur Grundpflege überwiegen müsse. Dies hat der Senat im Hinblick auf den Zweck der Zulage als Ausgleich für Erschwernisse verneint. Werden diese Erwägungen konsequent zu Ende geführt, ergibt sich, dass die Ausführung einer der beiden Pflegearten genügt. Dies ergibt die Auslegung der Protokollerklärung.
aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr. zB BAG 19. Januar 2000 – 4 AZR 814/98 – BAGE 93, 229, zu 3a der Gründe).
bb) Wortlaut und Systematik der Vorschriften sprechen für diese Auslegung.
(1) Es sollen eine Zulage erhalten “Pflegepersonen …, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend … ausüben …”. Der bestimmte Artikel nach dem Relativpronomen deutet darauf hin, dass “die Pflege” gemeint ist, die zeitlich überwiegend bei dem sodann näher bestimmten Personenkreis auszuführen ist. Der Zusatz “Grund- und Behandlungs”-pflege beschreibt die Pflege sodann als Gattung näher und zählt die in Frage kommenden Pflegearten auf. Der Relativsatz steht im Plural und beschreibt die Tätigkeit einer Vielzahl von Pflegepersonen, die jedenfalls in ihrer Gesamtheit Grund- und Behandlungspflege verrichten. Die möglicherweise genauere Verwendung von “und” und “oder” verbunden mit einem Schrägstrich wäre umständlich und schwer lesbar.
(2) Die zulagenauslösenden Pflegearten grenzen sich ab von der “Sozialpflege”, wie sie in Vergütungsgruppe AW-KrT III Nr. 3 erwähnt ist, worin Angestellte als “Helfer ohne Ausbildung im sozialpflegerischen Dienst nach vierjähriger Tätigkeit …” eingruppiert sind, also zum Personenkreis gehören, der grundsätzlich zulagenberechtigt wäre. Damit wird auch deutlich, dass andere Tätigkeiten in den danach beschriebenen Abteilungen und Stationen nicht zulagenpflichtig sind, auch wenn sie sich im weiteren Sinne unter die Wortbedeutung von “Pflege” fassen ließen, beispielsweise die Bestands-“pflege” der Pflegehilfsmittel oder die Hygieneeinhaltung bei den Geräten und Hilfsmitteln. Diese Tätigkeiten sind in der Regel von Stationshilfen zu versehen, denen keine Grund- oder Behandlungspflege obliegt. Wenn Pflegekräfte sie ausüben, erhalten sie dafür keine Zulage.
Dass eine Verknüpfung von Tarifmerkmalen mit dem Wort “und” nicht immer kumulativ gemeint ist, zeigen beispielsweise Eingruppierungsvorschriften im Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4. Juli 2002. Wenn dort unter Lohngruppe 2 Nr. 6 als Tätigkeitsbeispiel eines Gleiswerkers genannt ist “Verlegen von Schwellen und Schienen”, so bleibt der Arbeitnehmer ein Gleiswerker, selbst wenn er nur Schwellen oder nur Schienen verlegt.
(3) Weiterhin spricht für dieses Verständnis der Tarifnorm, dass Pflegepersonen der untersten Vergütungsgruppe AW-KrT I, also Pflegehelferinnen und Altenpflegehelferinnen ohne bzw. mit einer geringeren als einer einjährigen Ausbildung und ohne Abschlussprüfung, grundsätzlich eine Zulage erhalten können. Von ihnen ist von vornherein nicht zu erwarten, dass sie Behandlungspflege ausführen.
(4) Auch zeigt eine Gegenüberstellung der Abs. 1 und 2 der Protokollerklärung, dass die Tarifvertragsparteien in Abs. 1 die Pflegepersonen erfassen wollten, die die für sie typische Pflegetätigkeit verrichten, während Abs. 2 die Vorgesetzten erfasst, sofern alle ihnen durch ausdrückliche Anordnung ständig unterstellten Pflegepersonen Anspruch auf eine Zulage nach Abs. 1 haben. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Vorgesetzten bereits dann die Zulage versagen wollen, wenn auch nur eine unterstellte Pflegehelferin ausschließlich mit der Grundpflege betraut wird.
(5) Auch der Beklagte geht davon aus, dass die Zulage jedenfalls geschuldet wird, wenn qualifizierte Pflegepersonen grundsätzlich nur Behandlungspflege ausführen. Möglicherweise erwartet er, dass hierbei typischerweise auch Tätigkeiten der Grundpflege mit anfallen. Er erspart sich jedoch in diesem Zusammenhang nähere Feststellungen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Dies wäre aber um so eher zu erwarten gewesen, wenn er, wie er dies in den letzten Jahren getan hat, immer stärker zwischen den Pflegearten differenziert und durch Arbeitsanweisungen sicherstellt, dass die eine Personengruppe nur Behandlungspflege und die andere nur Grundpflege ausübt.
(6) Ausschlaggebend ist jedoch der Zweck der Zulage, die die besonderen Erschwernisse ausgleichen soll, die bei der Pflege der in der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 1 Buchst. a bis d genannten Personen anfallen. Dies sind an schweren Infektionskrankheiten erkrankte Patienten, die wegen der Ansteckungsgefahr in besonderen Infektionsabteilungen oder Infektionsstationen untergebracht sind. Hier besteht die Erschwernis in der eigenen Ansteckungsgefahr und der Verhinderung der Ansteckung anderer Personen. Diese Erschwernis tritt ein bei Personen, die Grundpflege ausüben genauso wie bei Personen, die Behandlungspflege ausüben. Das gleiche gilt bei Kranken in geschlossenen oder teilgeschlossenen psychiatrischen Abteilungen oder Stationen. Hier liegt die Erschwernis in der Arbeit mit einem in der Freiheit beschränkten Personenkreis an einem Ort, an dem Sicherungsvorschriften zu beachten sind und die Bewegungsfreiheit auch bei den Pflegepersonen eingeschränkt ist. Ebenso trifft die Erschwernis bei der Pflege von gelähmten oder an Multipler Sklerose erkrankten Patienten sowohl auf die Grund- als auch auf die Behandlungspflege zu, da diese Patienten körperlich stark eingeschränkt sind und bei der Pflege nicht oder schlecht aktiv mithelfen können. Bei der Geriatriezulage hat der Senat wesentlich darauf abgestellt, dass sie den Zweck habe, die besonderen Erschwernisse auszugleichen, die bei der Pflege alter und kranker Menschen entstehen. Durch altersbedingte Funktionseinschränkungen kann eine Erkrankung zur akuten Gefährdung führen, es besteht eine Neigung zu Multimorbidität und demzufolge ein besonderer Handlungsbedarf rehabilitativ, somatopsychisch und psychosozial. Die Behandlungsbedürftigkeit von Erkrankungen trifft zusammen mit den besonderen Bedingungen, die diese Erkrankungen bei alten Menschen schaffen. Die Zulage will damit nicht besondere Erschwernisse ausgleichen, die gerade durch das Zusammentreffen beider Pflegearten entstehen, sondern solche Erschwernisse, die insgesamt bei der Pflege bestimmter Patientengruppen unter bestimmten Umständen entstehen.
(7) Soweit in der Pflegewissenschaft und in der Rechtsprechung immer differenziertere Abgrenzungen zwischen Grund- und Behandlungspflege vorgenommen werden, so hat dies einerseits haftungsrechtliche Gründe, da es strafrechtlich als Körperverletzung einzuordnen ist, wenn Eingriffe in die körperliche Integrität von dazu nicht befugten Personen begangen werden, andererseits hauptsächlich den Grund, die Verteilung der Kosten zwischen Pflegeversicherung und Krankenversicherung zu regeln. Dabei ist der Inhalt der Begriffe Grundpflege und Behandlungspflege in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur höchst umstritten. Zumeist wird der Begriff der Behandlungspflege iSd. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erörtert. Dessen Inhalt ist im Gesetz nicht definiert. Seine Grenzen sind, wie das Bundessozialgericht im Hinblick auf die Abgrenzung zu den Leistungen der Pflegeversicherung deutlich gemacht hat, auch in der Pflegewissenschaft umstritten (vgl. BSG 30. März 2000 – B 3 KR 23/99 R – BSGE 86, 101). Teilweise können dieselben Verrichtungen sowohl zur Behandlungspflege als auch zur Grundpflege gehören, wie zB die Harnableitung mittels Einmalkatheter, die einerseits zur Blasenentleerung und damit zur Grundpflege gerechnet werden kann und andererseits zur Behandlungspflege, um eine Blasenlähmung zu behandeln (Roßbruch Anm. zu BSG 10. November 2005 – B 3 Kr 42/04 R – PflR 2006, 274). In einem anderen Fall hat das Bundessozialgericht den Pflegebedürftigen sogar ein Wahlrecht zugebilligt, ob sie die Zuordnung von bestimmten Leistungen zur Grundpflege wünschten oder nicht, wodurch entweder die Krankenkasse oder die Pflegeversicherung die Kosten zu tragen hatte. Dies geschah im Hinblick auf den Zweck der Pflegeversicherung, Nachteile bei der Inanspruchnahme von Sachleistungen zu vermeiden, um Angehörige, Familie und Freunde verstärkt zu Pflegeleistungen zu motivieren und dies zu fördern (BSG 17. März 2005 – B 3 KR 9/04 R – BSGE 94, 192). Alle diese Gesichtspunkte sind für den Zweck der Erschwerniszulage unerheblich.
(8) Diese begrifflichen Abgrenzungsschwierigkeiten und -unsicherheiten machen auch deutlich, dass ein kumulatives Verständnis der Protokollerklärung Nr. 1 zu ständigen Problemen bei der Handhabung der Tarifvorschrift führen würde. Da es sich um eine monatlich zu zahlende Zulage handelt, müsste Monat für Monat festgestellt werden, ob beide Pflegearten kumulativ ausgeübt wurden. Die rechtliche Bewertung der Einzelleistungen würde jeweils immer wieder zu Unsicherheiten und Konflikten führen. Es würde dann auch nicht ausreichen, dass der Arbeitgeber den Pflegehilfskräften einfach die “Behandlungspflege” untersagt, wenn deren Definition so schwierig ist.
III. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Thiel, Schwitzer
Fundstellen