Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablösende Betriebsvereinbarung. Zustandekommen einer Provisionsabrede. Gleichstellungsabrede. Vertragliche Einheitsregelung. Rückwirkende Betriebsvereinbarung
Leitsatz (redaktionell)
- Erbringt ein Arbeitgeber Leistungen entsprechend einer für andere Arbeitnehmergruppen geltenden Betriebsvereinbarung, kann daraus allenfalls auf eine konkludente Gleichstellungsabrede geschlossen werden, nicht aber auf eine einzelvertragliche Vereinbarung der Leistungen. Bei einer Änderung oder Ablösung der Betriebsvereinbarung besteht kein Anspruch auf die bisherigen Leistungen mehr.
- Eine neue Betriebsvereinbarung über denselben Regelungsgegenstand löst die Regelungen der älteren Betriebsvereinbarung auch dann ab, wenn diese für den Arbeitnehmer günstiger waren. Die ablösende Betriebsvereinbarung ist jedoch unwirksam, wenn sie höherrangiges Recht oder – wenn sie in bereits bestehende Besitzstände eingreift – die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit verletzt.
- Die Durchführung einer vermeintlich wirksamen Betriebsvereinbarung dürfen die Arbeitnehmer nicht dahin verstehen, der Arbeitgeber wolle sich unabhängig von der Wirksamkeit und Fortgeltung rechtsgeschäftlich zur Erbringung der in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Leistungen verpflichten.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 4 S. 1; BGB § 613a Abs. 1 S. 2, § 154
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Provisionszahlungen für die Monate Januar 2002 bis Mai 2002.
Der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum als Frischdienstfahrer für die Beklagte tätig. Das von der Beklagten bis zum 31. Dezember 2001 auf einen Teil der Belegschaft, darunter den Kläger, angewandte Provisionssystem ging zurück auf eine Betriebsvereinbarung vom 20. Oktober 1976. Damals hatte eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, die P… GmbH Brot- und Backwaren, mit dem für ihren Betrieb in der S… in W…-B… gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über umsatzabhängige, übertarifliche Provisionen der Fahrverkäufer (BV 1976) geschlossen. Ende 1987 ging der Betrieb S… auf die Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG über. Diese wandte die BV 1976 weiterhin an; deren Fortgeltung wurde in einer weiteren Betriebsvereinbarung vom 25. September 1989 auch ausdrücklich vereinbart. Am 28. Februar 1990 einigte sich die Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG mit dem Betriebsrat anlässlich einer 5 %igen Preiserhöhung auf eine Absenkung der Provisionssätze. 1992 begann sie, die Verkaufstouren sukzessive in ihren Betrieb B… in Br… zu verlagern und Verkaufsfahrer aus dem Betrieb S… nach Be… zu versetzen. Aus diesem Anlass schloss sie mit dem Betriebsrat am 19. Juni 1992 einen Interessenausgleich und Sozialplan. Dieser sieht zur Abmilderung der mit den Versetzungen verbundenen Nachteile ua. vor, dass alle Betriebsvereinbarungen ihre Gültigkeit behalten, bis sie durch eine neue Betriebsvereinbarung ersetzt werden. Die Verlagerung war erst im Februar 1999 vollständig abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Betrieb in der S… endgültig stillgelegt. Im April 1995 hatte dort nochmals eine Betriebsratswahl stattgefunden. Der damals gewählte Betriebsrat erklärte sich im August 1995 schriftlich mit einer geringfügigen Absenkung der Provisionssätze einverstanden.
Die Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG stellte zusätzlich zu den versetzten Verkaufsfahrern, den sog. “Westfahrern” im Betrieb Be… neue Verkaufsfahrer, die sog. “Ostfahrer” ein. An die “Westfahrer” zahlte sie weiterhin Provisionen entsprechend der mehrfach geänderten BV 1976. Die “Ostfahrer” erhielten auf Grund einer arbeitsvertraglichen Einheitsregelung anders berechnete Provisionen. In Be… gab es neben dem Betrieb der Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG zunächst auch einen Produktionsbetrieb der ebenfalls zur W-Gruppe gehörenden W… Brot B-Br GmbH & Co. KG. Diese und die Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG verschmolzen Ende 1997/Anfang 1998 zur Beklagten, die damals noch als W… Brot N-O GmbH & Co. KG firmierte. Im Zusammenhang damit wurden zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt die beiden Be… Betriebe zusammengelegt. Die Beklagte führte die beiden Provisionssysteme für die “Westfahrer” und die “Ostfahrer” zunächst fort. Mit Schreiben vom 20. September 1999 kündigte sie die BV 1976 und die Betriebsvereinbarung vom 28. Februar 1990 zum 31. Dezember 1999. Zu der zum 1. Januar 2000 beabsichtigten einheitlichen Neuregelung für “West-” und “Ostfahrer” kam es zunächst nicht. Vielmehr folgten langwierige Verhandlungen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat. Die Beklagte zahlte Provisionen auch weiterhin nach den beiden bisherigen Provisionssystemen. Im Juni 2001 firmierte sie zur W… Brot N-O GmbH sowie im Lauf des Rechtsstreits zur K… Brot N-O GmbH um. Am 29. Januar 2002 schloss sie mit dem Betriebsrat mit Wirkung vom 1. Januar 2002 eine Betriebsvereinbarung über die Entlohnung der Frischdienstverkäufer und Fahrer (BV 2002). Die BV 2002 sieht unterschiedslos für “West-” und “Ostfahrer” dasselbe übertarifliche Provisionssystem vor. Die Beklagte wandte das neue Provisionssystem ab dem 1. Januar 2002 an. Dies führte bei den “Westfahrern” zu einer deutlichen Verminderung der Provisionen, bei den “Ostfahrern” jedenfalls überwiegend zu Verbesserungen. Ob auch bei einem Teil der “Ostfahrer” eine Minderung eintrat, ist streitig.
Der Kläger war seit 1984 bei der L…-B… Mühlen- und Backbetriebe GmbH als Verkaufsfahrer beschäftigt gewesen. Deren Betriebe wurden im März 1998 von der WGruppe ”übernommen”. Der Kläger gelangte dabei zur W… Brot B-Br GmbH & Co. KG. Diese bestätigte dem Kläger mit Schreiben vom 2. März 1998, dass er ab dem 1. März 1998 Mitarbeiter des Unternehmens in der Niederlassung Be… werde. Außerdem heißt es in diesem Schreiben: “Ab dem 01.03.1998 gelten für das Arbeitsverhältnis die für unser Unternehmen vereinbarten Entgeltbedingungen. Als Zeichen der Übereinstimmung unterzeichnen Sie bitte die Kopie dieses Schreibens.” Der Kläger verweigerte seine Unterschrift. Er wurde in der Folgezeit wie die “Westfahrer” vergütet. Spätestens auf Grund der Verschmelzung und der Zusammenlegung der beiden Be… Betriebe wurde er Arbeitnehmer der Beklagten.
Der Kläger hat mit der Klage für die Monate Januar 2002 bis Mai 2002 Provisionsdifferenzen in rechnerisch unstreitiger Höhe von 2.792,95 Euro geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die Provision nach der früheren Regelung zu. Die BV 2002 habe seine Ansprüche nicht zu seinem Nachteil reduzieren können.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.792,95 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 815,24 Euro seit dem 4. Mai 2002 und auf 1.977,00 Euro seit dem 15. August 2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die BV 2002 habe die bis dahin geltenden Provisionsregelungen wirksam abgelöst.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat für die Monate Januar 2002 bis Mai 2002 keine Provisionsansprüche mehr. Seine Ansprüche für diese Zeit sind erfüllt. Sie richteten sich nach der BV 2002. Diese hat die früheren Provisionsregelungen wirksam abgelöst.
I. Die Revision ist nicht bereits deshalb erfolglos, weil das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil mangels hinreichender Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen arbeitsgerichtlichen Entscheidung als unzulässig hätte verwerfen müssen. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 9. April 2003 ab. Die vollständig bei der Akte befindliche, den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügende Berufungsbegründungsschrift vom 9. April 2003 ging erst am 10. April 2003 und damit nach Fristablauf beim Landesarbeitsgericht ein. Von dem bereits am 9. April 2003 eingegangenen Telefax befinden sich nur – noch – die Seiten 1 und 15 (nebst Anlagen 1 und 2) bei der Akte. Diese zwei Seiten wären als Berufungsbegründung nicht ausreichend iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Der Senat hat jedoch die Überzeugung gewonnen, dass die am 9. April 2003 beim Landesarbeitsgericht per Telefax eingegangene Berufungsbegründung zunächst vollständig war. Der Umstand, dass mittlerweile die Seiten 2 bis 14 fehlen, beruht offensichtlich auf der – mit Art. 103 Abs. 1 GG und den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Aktenführung kaum zu vereinbarenden – Praxis des Landesarbeitsgerichts, den per Telefax eingegangenen Schriftsätzen durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach einem Abgleich mit dem (vermeintlichen) “Originalschriftsatz” und einem entsprechenden Vermerk alle Seiten mit Ausnahme der ersten und letzten Seite zu entnehmen. Im vorliegenden Verfahren hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle am 10. April 2003 einen entsprechenden Vermerk gefertigt, nach welchem er die ”Übereinstimmung von Fax Bl. 1 bis Bl. 15 mit Original Bl. 1 bis Bl. 15 überprüft und Bl. 2 bis Bl. 14 entnommen” hat.
II. Der Kläger hat für die Monate Januar 2002 bis Mai 2002 keine Provisionsansprüche mehr. Ab dem 1. Januar 2002 ist für die Provisionsansprüche des Klägers die BV 2002 maßgeblich. Die ihm danach zustehenden Ansprüche sind erfüllt.
1. Ein Anspruch des Klägers auf Fortzahlung der Provision auf der bis zum 31. Dezember 2001 von der Beklagten angewandten Berechnungsgrundlage folgt nicht aus einer ausdrücklichen individualvertraglichen Vereinbarung. Der insoweit darlegungsbelastete Kläger hat die Abgabe entsprechender Willenserklärungen der Beklagten oder eines ihrer Rechtsvorgänger nicht dargetan. Nach seinem tatsächlichen Vorbringen kam eine Vereinbarung über die Zahlung einer Provision sowie deren Berechnungsgrundlage gerade nicht zustande. Der Kläger verweigerte im März 1998 die von der W… Brot B-Br GmbH & Co. KG erbetene Unterzeichnung des Schreibens vom 2. März 1998. Danach ist nicht erkennbar, dass die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin dem Kläger ein individualvertragliches Angebot auf Zahlung einer übertariflichen Provision gemacht und der Kläger ein solches Angebot angenommen hätte. Daher kann dahinstehen, ob nicht mangels der von der W… Brot B-Br GmbH & Co. KG zumindest zunächst ersichtlich gewünschten Beurkundung ein Vertrag auch nach § 154 Abs. 2 BGB als nicht zustande gekommen anzusehen wäre oder ob die Anwendung dieser Bestimmung wegen der anschließenden einverständlichen Durchführung der Vereinbarung entfiele (vgl. dazu BGH 27. Januar 1997 – II ZR 213/95 – NJW-RR 1997, 669, zu I 4 der Gründe; BGH 29. September 1999 – XII ZR 313/98 – NJW 2000, 354, zu 2b cc der Gründe).
2. Der Kläger kann die Fortzahlung der Provision auf der bis zum 31. Dezember 2001 von der Beklagten angewandten Berechnungsgrundlage nicht auf Grund einer konkludent zustande gekommenen einzelvertraglichen Vereinbarung verlangen.
a) Der Kläger durfte das Verhalten der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin nicht dahin verstehen, diese wolle sich ihm gegenüber individualrechtlich verpflichten, unabhängig von der (Fort-)Geltung kollektivrechtlicher Regelungen eine übertarifliche Provision auf der Grundlage der vom März 1998 bis Dezember 2001 tatsächlich angewandten Berechnungsgrundlage zu bezahlen. Er konnte den an ihn erbrachten Provisionszahlungen allenfalls die schlüssige Erklärung der Beklagten entnehmen, dass diese bereit sei, an ihn die gleichen Leistungen wie an die “Westfahrer” zu erbringen. Auch wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, er habe dieses Angebot konkludent durch seine Tätigkeit angenommen, folgt hieraus kein individualrechtlicher Anspruch, über den 31. Dezember 2001 hinaus Provision auf der Grundlage der bis dahin auf die “Westfahrer” angewandten BV 1976 zu erhalten. Denn in diesem Fall gehörte zu dieser konkludenten Gleichstellungsabrede auch eine den Regelungen für die “Westfahrer” folgende Abänderbarkeit. Seine Provisionsansprüche unterfielen damit demselben Schicksal wie diejenigen der “Westfahrer”.
b) Die bisherigen Rechtspositionen der “Westfahrer” wurden zum 1. Januar 2002 durch die BV 2002 wirksam abgelöst. Dabei konnte der Senat im Ergebnis dahinstehen lassen, wie lange die BV 1976 normativ fortwirkte und ob die normative Fortwirkung die Verschmelzung der Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG mit der W… Brot B-Br GmbH & Co. KG Ende 1997/Anfang 1998 und die in diesem Zusammenhang erfolgte Zusammenlegung der beiden Be… Betriebe überdauerte oder ob die Ansprüche aus der BV 1976 damals nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in die Arbeitsverhältnisse der “Westfahrer” transformiert wurden.
aa) Die normative Geltung von Betriebsvereinbarungen ist sowohl räumlich als auch zeitlich grundsätzlich auf den Betrieb begrenzt, dessen Belegschaft der die Betriebsvereinbarung abschließende Betriebsrat repräsentiert. Deshalb endet sie regelmäßig, wenn ein Arbeitnehmer in einen anderen Betrieb versetzt wird. Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos. So können – ua. – Regelungen in Sozialplänen in ihrer normativen Wirkung die Betriebszugehörigkeit überdauern (vgl. Kreutz GK-BetrVG 7. Aufl. § 77 Rn. 379; DKK-Berg 9. Aufl. § 77 Rn. 48; Fitting 22. Aufl. § 77 Rn. 163). Bleiben etwa die Belegschaft eines Betriebs oder Teile derselben in den Diensten des bisherigen Arbeitgebers und werden lediglich in einen anderen Betrieb übernommen, verliert der Sozialplan für diese Arbeitnehmer nicht seine normative Wirkung (vgl. BAG 24. März 1981 – 1 AZR 805/78 – BAGE 35, 160, 168, zu II 3 der Gründe; 21. Januar 2003 – 1 ABR 9/02 – AP BetrVG 1972 § 21a Nr. 1 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 3, zu B II 2a der Gründe). Dem stehen die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 1. April 1987 (– 4 AZR 77/86 – BAGE 55, 154, 167 f.) und vom 18. September 2002 (– 1 ABR 54/01 – BAGE 102, 356, 370, zu B III 2b ee der Gründe) nicht entgegen. Sie betrafen Fälle des Betriebsübergangs. Dort liegt es nahe, dass die Betriebsparteien – in Fällen fehlender Betriebsidentität – den neuen Arbeitgeber nicht mit normativer Wirkung binden können.
bb) Hiernach wirkte die BV 1976 idF vom 28. Februar 1990 jedenfalls bis zu der Verschmelzung der Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG mit der W… Brot B-Br GmbH & Co. KG Ende 1997/Anfang 1998 und der in diesem Zusammenhang erfolgten Zusammenlegung der beiden Be… Betriebe normativ für die Arbeitsverhältnisse der “Westfahrer”. Insbesondere behielt sie anlässlich des Betriebsübergangs im Jahr 1987 ihre normative Wirkung. Damals blieb die Betriebsidentität erhalten. Im Übrigen wurde ein zusätzlicher Geltungsgrund durch die Betriebsvereinbarung vom 25. September 1989 geschaffen. Am 28. Februar 1990 wurde die BV 1976 wirksam modifiziert. In dieser modifizierten Fassung wirkte sie auch nach Versetzung der “Westfahrer” vom Betrieb S… in den Betrieb Be… auf deren Arbeitsverhältnisse ein. Dies ergibt sich aus dem Interessenausgleich und Sozialplan vom 19. Juni 1992. Darin ist für Versetzungen aus dem Betrieb S… in das Land Br – und damit auch in den Betrieb Be – ausdrücklich vereinbart, dass die Betriebsvereinbarungen ihre Gültigkeit behalten, “bis sie durch eine andere Betriebsvereinbarung beim neuen Arbeitgeber ersetzt werden”. Hierzu gehört auch die BV 1976. Die Wirksamkeit der Regelung über die Fortgeltung ua. der BV 1976 begegnet keinen Bedenken. Sie diente der Abmilderung der mit der Versetzung andernfalls verbundenen – im Verlust der Ansprüche aus der BV 1976 – liegenden Nachteile. Es handelte sich nicht um eine unzulässige Regelung zu Lasten eines anderen Arbeitgebers. Die sich aus dem Interessenausgleich und Sozialplan vom 19. Juni 1992 ergebenden Verpflichtungen trafen dieselbe Arbeitgeberin. Der normativen Fortwirkung der BV 1976 steht auch nicht etwa die im August 1995 zwischen der Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG und dem für den Betrieb S… im April 1995 neu gewählten Betriebsrat getroffene Vereinbarung entgegen. Diese führte lediglich zu einer geringfügigen Absenkung der Provisionssätze, nicht aber zur Beendigung der Fortwirkung der BV 1976.
c) Ob die BV 1976 auch noch über die Verschmelzung der Großbäckerei W… B… GmbH & Co. KG mit der W… Brot B-Br GmbH & Co. KG Ende 1997/Anfang 1998 und die damit verbundene Zusammenlegung der Be… Betriebe hinaus wegen § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG weiterhin normativ auf die Arbeitsverhältnisse der “Westfahrer” einwirkten oder ob etwa mit der Verschmelzung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. § 324 UmwG eine Transformation der kollektiven Ansprüche in die einzelnen Arbeitsverhältnisse stattfand (vgl. zu der Problematik insbesondere BAG 6. August 2002 – 1 AZR 247/01 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 154 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 1, zu C I der Gründe mwN; 24. Juni 1998 – 4 AZR 208/97 – BAGE 89, 193, 198 ff., zu 2 der Gründe; Kreßel BB 1995, 925, 928 f.; Düwell in Beseler/Düwell/Göttling Arbeitsrechtliche Probleme bei Betriebsübergang, Betriebsänderung, Unternehmensumwandlung 2. Aufl. S. 290 f.), konnte im Streitfall dahinstehen. Jedenfalls wurden die Rechtspositionen der “Westfahrer” durch die BV 2002 wirksam abgelöst.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats löst eine neue Betriebsvereinbarung über denselben Regelungsgegenstand die Regelungen der älteren Betriebsvereinbarung auch dann ab, wenn diese für den Arbeitnehmer günstiger waren (vgl. etwa 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, 192 f., zu I 2a der Gründe mwN). Falls daher weiterhin die BV 1976 iVm. dem Interessenausgleich und Sozialplan vom 19. Juni 1992 die Provisionsansprüche der “Westfahrer” normativ regelte, konnte diese durch die BV 2002 abgelöst werden. Im Übrigen bestimmt im Streitfall der Interessenausgleich und Sozialplan vom 19. Juni 1992 auch ausdrücklich, dass die bisherigen Betriebsvereinbarungen nur so lange ihre Gültigkeit behalten, bis sie durch eine neue Betriebsvereinbarung ersetzt werden.
bb) Falls anlässlich der Verschmelzung und der Zusammenlegung der Be… Betriebe gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eine Transformation der Ansprüche aus der BV 1976 in die Individualarbeitsverhältnisse der “Westfahrer” stattgefunden hat, ergibt sich nichts anderes. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Rechte aus einer Betriebsvereinbarung, die im Zuge eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden, vor einer Ablösung durch eine spätere Betriebsvereinbarung im Erwerberbetrieb nicht in weiterem Umfang geschützt, als wenn sie kollektivrechtlich weitergegolten hätten. Sie sind daher nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB der Neuregelung durch eine ablösende Betriebsvereinbarung zugänglich (vgl. 18. November 2003 – 1 AZR 604/02 – BAGE 108, 299, 304, zu I 2b der Gründe; 14. August 2001 – 1 AZR 619/00 – BAGE 98, 323, 332 f., zu A II 1a der Gründe).
cc) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die BV 2002 wirksam.
(1) Allerdings ist nicht jede ablösende, für die Arbeitnehmer ungünstigere Betriebsvereinbarung zulässig. Sie darf höherrangiges Recht nicht verletzen. Auch muss eine ablösende Betriebsvereinbarung, die in bereits bestehende Besitzstände eingreift, die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit wahren (vgl. BAG 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, 192 f., zu I 2a der Gründe; 24. August 2004 – 1 AZR 419/03 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 77 = EzA KSchG § 2 Nr. 51, zu B II 4a der Gründe).
(2) Hiernach begegnet die BV 2002 keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
(a) Eine Verletzung von höherrangigem Recht, insbesondere von § 75 Abs. 1 BetrVG, ist nicht ersichtlich.
(b) Die BV 2002 verletzt nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Durch sie wurde nicht in bestehende Besitzstände eingegriffen. Soweit sich die Provisionsansprüche der “Westfahrer” aus der normativen Fortgeltung der BV 1976 iVm. dem Interessenausgleich und Sozialplan vom 19. Juni 1992 oder aus deren Transformation in die Einzelarbeitsverhältnisse ergaben, besaßen die Arbeitnehmer keine rechtlich geschützte Position auf die künftige Beibehaltung dieser Ansprüche. Sie hatten diese Ansprüche für die Zukunft nicht bereits teilweise durch ihre Arbeitsleistung erdient oder eine rechtlich geschützte Anwartschaft erworben und konnten berechtigterweise nicht darauf vertrauen, dass eine Reduzierung der Provisionsansprüche für die Zukunft ausgeschlossen ist. Da es sich bei den Provisionen um Leistungen handelt, welche die Beklagte lediglich auf Grund einer freiwilligen Betriebsvereinbarung oder deren Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB schuldete, mussten die Arbeitnehmer mit der Möglichkeit der Reduzierung dieser Leistungen rechnen.
Im Übrigen hielte die BV 2002 entgegen der Auffassung des Klägers auch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung stand. Sie war geeignet, erforderlich und angemessen, um das von den Betriebsparteien angestrebte Ziel einer Vereinheitlichung der Provisionsregelung für alle im Betrieb Be… beschäftigten Frischdienstfahrer zu erreichen oder ihm zumindest nahe zu kommen. Dies gilt auch dann, wenn die durch die arbeitsvertragliche Einheitsregelung geschaffenen Rechtspositionen der “Ostfahrer” nicht betriebsvereinbarungsoffen sein sollten. Sollte im Einzelfall die Provision eines “Ostfahrers” nach der BV 2002 geringer sein als nach der arbeitsvertraglichen Einheitsregelung, wäre dieser “Ostfahrer” nicht auf den Anspruch nach der Betriebsvereinbarung beschränkt; er behielte seinen höheren Anspruch nach der arbeitsvertraglichen Einheitsregelung. Zwar könnte in diesem Fall die von den Betriebsparteien mit der BV 2002 angestrebte Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen der im Betrieb Be… beschäftigten Verkaufsfahrer nicht vollständig werden. Dies führt aber nicht zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Der Umstand, dass einzelne Arbeitnehmer günstigere einzelvertragliche Rechtspositionen besitzen, hindert die Betriebsparteien nicht an einer die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer im Übrigen vereinheitlichenden Regelung.
(c) Die am 29. Januar 2002 geschlossene BV 2002 wirkt auf den 1. Januar 2002 zurück. Das ist zulässig. Die Arbeitnehmer konnten berechtigterweise nicht darauf vertrauen, dass die Provision im Januar 2002 auf jeden Fall noch nach der bisherigen Rechtslage geleistet und für diesen Monat keine Änderung durch Betriebsvereinbarung vorgenommen wird. Nachdem die BV 1976 von der Beklagten bereits am 20. September 1999 zum 31. Dezember 1999 gekündigt worden war und danach Verhandlungen über eine Neuregelung zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat geführt wurden, konnte die Belegschaft berechtigterweise nicht davon ausgehen, dass eine im Laufe eines Monats vor der Fälligkeit und der Auszahlung der monatlichen Provision abgeschlossene Betriebsvereinbarung sich keine Rückwirkung auf den 1. des Monats beimessen werde.
3. Ein Anspruch folgt nicht aus einer vertraglichen Einheitsregelung. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger haben den Arbeitnehmern keine Gesamtzusage erteilt.
a) Allein aus der tatsächlichen Gewährung von Leistungen kann nicht auf den für eine Gesamtzusage erforderlichen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers geschlossen werden, wenn die Leistungen erkennbar erbracht werden, um Verpflichtungen aus einer Betriebsvereinbarung zu erfüllen. Die Durchführung einer vermeintlich wirksamen Betriebsvereinbarung dürfen die Arbeitnehmer nicht dahin verstehen, der Arbeitgeber wolle sich unabhängig von der Wirksamkeit und Fortgeltung rechtsgeschäftlich zur Erbringung der in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Leistungen verpflichten (vgl. BAG 5. März 1997 – 4 AZR 532/95 – BAGE 85, 208, 220, zu II 2c cc der Gründe; vgl. auch 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, 195 f., zu II 2b der Gründe). Für einen entsprechenden Verpflichtungswillen des Arbeitgebers müssen vielmehr besondere Umstände vorliegen (vgl. BAG 23. August 1989 – 5 AZR 391/88 – AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 42 = EzA BGB § 140 Nr. 16).
b) Derartige besondere Umstände, aus denen sich ergeben würde, dass die Beklagte oder ihre Rechtsvorgänger sich unabhängig von der (Fort-)Geltung der BV 1976 zur Zahlung der übertariflichen Provision auf der bisherigen Berechnungsgrundlage verpflichten wollten, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger bezahlten die Provisionen an die “Westfahrer” – auch für den Kläger erkennbar – ersichtlich in der Annahme, hierzu auf Grund der BV 1976 sowie des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 19. Juni 1992 verpflichtet zu sein. Dass die Beklagte von der möglichen Fortwirkung der BV 1976 ausging, zeigt bereits der Umstand, dass sie deren – zumindest vorsorgliche – Kündigung für erforderlich hielt.
4. Ebenso wenig folgt ein Anspruch aus den von der Rechtsprechung zur “betrieblichen Übung” entwickelten Grundsätzen. Wenn Leistungen erkennbar in der Anwendung – vermeintlich wirksamer – Betriebsvereinbarungen erfolgen, ist für die Entstehung einer betrieblichen Übung kein Raum (vgl. etwa BAG 18. November 2003 – 1 AZR 604/02 – BAGE 108, 299, 303, zu I 1b der Gründe mwN).
5. Auch wenn davon ausgegangen würde, zwischen den Parteien sei keinerlei Vereinbarung über eine übertarifliche Provision zustande gekommen, ergäbe sich nichts anderes. In diesem Fall wäre gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Dabei könnte zugunsten des Klägers angenommen werden, dass sich nach den konkreten Umständen die übliche Vergütung nicht in der tariflichen erschöpft, sondern auch die übertariflichen betrieblichen Leistungen umfasst. Dies wären aber die bis zum 31. Dezember 2001 an die “Westfahrer” gezahlten, zum 1. Januar 2002 durch die BV 2002 wirksam auf eine neue Grundlage gestellten Provisionen.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Berg, Metz
Fundstellen