Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsentgelt bei Wiedereingliederung
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 29.1.1992 5 AZR 37/91.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land dem Kläger zu Recht den zwölften Teil der Jahreszuwendung für 1988 gekürzt hat, weil der Kläger für die Zeit seiner Wiedereingliederung in den Betrieb im August 1988 kein Arbeitsentgelt erhielt.
Der Kläger ist seit dem 20. Oktober 1970 als Busfahrer bei dem Beklagten in dessen Verkehrs-Betrieben (BVG) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) sowie die hierzu zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung.
In der Zeit vom 24. August 1987 bis zum 31. August 1988 war der Kläger wegen eines Kreuzbandrisses im linken Knie arbeitsunfähig krank. Seit dem 23. Februar 1988 erhielt er von dem Beklagten keine Krankenbezüge mehr. Die Parteien schlossen am 1. August 1988 einen "Vertrag über eine stufenweise Wiedereingliederung" mit folgendem Wortlaut:
"1.Die Parteien sind darüber einig, daß die stu-
fenweise Wiedereingliederung, die vom 08.08.88
bis 31.08.88 mit 20 Stunden wöchentlich durch-
geführt werden soll, nicht auf arbeitsvertrag-
licher Grundlage beruht. Sie ist eine ärztlich
empfohlene Rehabilitationsmaßnahme.
2. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeits-
verhältnis ist durch die stufenweise Wieder-
eingliederung nicht berührt. (Krankenbezüge
werden deshalb bis zum Ablauf der tariflichen
Fristen weitergezahlt).
3. Für die stufenweise Wiedereingliederung werden
weder ein Entgelt noch Zuwendungen anderer Art
gewährt.
4. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, unverzüg-
lich die Beschäftigungsstelle zu unterrichten,
falls er sich gesundheitlich der Belastung
durch die Tätigkeit während der stufenweisen
Wiedereingliederung nicht gewachsen fühlt.
5. Jede Partei kann die stufenweise Wiederein-
gliederung durch Erklärung gegenüber der ande-
ren Partei sofort beenden.
6. Dieser Vertrag ist in zwei Exemplaren ausge-
fertigt worden. Jede Vertragspartei erhält
eine Ausfertigung."
Der Beklagte setzte den Kläger daraufhin in der vereinbarten Zeit werktäglich für vier Stunden im Busverkehr ein. Er vergütete diese Tätigkeit nicht und kürzte die dem Kläger für das Jahr 1988 gezahlte Zuwendung auf den Monat August bezogen um ein Zwölftel. Das hält der Kläger für nicht gerechtfertigt.
Mit seiner Klage nimmt der Kläger den Beklagten auf Zahlung der anteiligen Zuwendung für den Monat August 1988 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 310,60 DM in Anspruch. Der Kläger hat geltend gemacht, der Beklagte sei verpflichtet, die von ihm geleistete Arbeit zu vergüten. Wenn ein Arbeitgeber einen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer mit den Arbeiten betraue, die er auch sonst zu verrichten habe, müsse er diese Beschäftigung auch auf arbeitsvertraglicher Grundlage abwickeln. Wenn eine unentgeltliche Beschäftigung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer als "Maßnahme der Rehabilitation" vertraglich vereinbar sei, würde dies dem Mißbrauch Tür und Tor öffnen. Abgesehen davon, daß der Arbeitgeber ohne Gegenleistung Dienste erhalte, für die er seinerseits Gelder kassiere, sei nicht auszuschließen, daß sich Arbeitnehmer aufgrund von Drucksituationen gezwungen sähen, derartige Tätigkeiten als "Rehabilitationsmaßnahme" unentgeltlich zu verrichten, weil sie anderenfalls um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses fürchten müßten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 310,60 DM
brutto nebst 4 % Nettozinsen seit Klagezustellung
zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen: Da der Kläger arbeitsunfähig krank gewesen sei, habe er im Rahmen des Arbeitsvertrages nicht beschäftigt werden dürfen. Eine solche Beschäftigung sei auch weder vom Kläger noch von ihm, dem Beklagten, gewollt gewesen. Die Vereinbarung über die Beschäftigung für vier Stunden, die zudem auf Vorschlag der Berufsgenossenschaft erfolgt sei, liege auf sozialversicherungsrechtlichem Gebiet; denn sie habe der Rehabilitation eines von einem Arbeitsunfall betroffenen Arbeitnehmers gedient. Dafür könne aber kein Arbeitsentgelt verlangt werden. Gegen eine arbeitsvertragliche Regelung spreche schließlich auch, daß der Kläger nach Ziffer 5 des Wiedereingliederungsvertrages jederzeit das Recht gehabt habe, seine Tätigkeit einzustellen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger sein Klageziel weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. I.Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, nach § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Arbeiter vermindere sich die Zuwendung um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, für den der Arbeiter keine Bezüge erhalten habe. Der Kläger habe für den Monat August 1988 weder Krankenbezüge (da der Bezugszeitraum hierfür bereits abgelaufen gewesen sei) noch Arbeitsentgelt erhalten. Er habe auch keinen Anspruch auf Bezüge für seine Tätigkeit in der Zeit vom 8. bis zum 31. August 1988 erworben.
Der Kläger habe damals keine aus seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung sich ergebende Arbeit geleistet. Das sei bereits wegen seiner fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht möglich gewesen. Seine vertragliche Verpflichtung zur Arbeitsleistung sei durch die Vereinbarung der Parteien vom 1. August 1988 nicht geändert worden; denn in deren Ziffer 2 sei klargestellt, daß durch die stufenweise Wiedereingliederung das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht berührt werde. Zu Teilleistungen sei der Arbeitnehmer als Schuldner der Arbeitsleistung aber gemäß § 266 BGB nicht berechtigt und der Arbeitgeber daher auch nicht zur Entgegennahme von Teilleistungen verpflichtet mit der Folge, hierfür die Vergütung als Gegenleistung zu schulden.
Auch aus der tatsächlich erbrachten Tätigkeit in der Zeit vom 8. bis zum 31. August 1988 sei dem Kläger kein Anspruch auf das vertragliche Arbeitsentgelt erwachsen. Durch die Vereinbarung vom 1. August 1988 hätten die Parteien keine Verpflichtung des Klägers zur Arbeitsleistung begründet. Dies ergebe sich schon daraus, daß der Kläger nach Ziffer 4 der Vereinbarung jederzeit habe erklären können, daß er sich der Belastung der Tätigkeit nicht gewachsen fühle. Infolgedessen habe der Kläger jederzeit seine Tätigkeit einstellen können, ohne aus irgendeinem Rechtsgrunde zur Weiterarbeit verpflichtet gewesen zu sein. Der Zweck der Vereinbarung vom 1. August 1988 sei ausschließlich darauf gerichtet gewesen, dem Kläger die Möglichkeit zu geben, seine Leistungsfähigkeit für die vertragliche Tätigkeit zu erproben. Auf diese Weise habe man ihm eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß bis zur vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung ermöglichen wollen.
Da die Vereinbarung vom 1. August 1988 keine Arbeitspflicht begründet habe, sei auch kein Anspruch auf Arbeitsentgelt entstanden, so daß der Kläger für den Monat August keinen Anspruch auf Bezüge als Voraussetzung für die Berücksichtigung dieses Monats bei der Zuwendung gehabt habe. Durch einen Verzicht des Klägers auf eine Gegenleistung für seine Tätigkeit seien daher auch keine tariflichen Ansprüche berührt worden.
Ergebnis und Begründung des Berufungsurteils halten der Revision stand. II.1. Der Beklagte hat die Zuwendung des Klägers für 1988 zu Recht um ein Zwölftel gekürzt, weil dem Kläger für den Monat August 1988 weder ein vertraglicher Anspruch auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (Lohn, Krankenbezüge, Urlaubslohn) noch ein Anspruch auf Vergütung für die während der Wiedereingliederung geleistete Arbeit zustand. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Arbeiter vom 12. Oktober 1973 (ZuwendungsTV Arbeiter) vermindert sich die Zuwendung um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, für den der Arbeiter keine Bezüge erhalten hat.
Der Tarifvertrag will einen Anspruch auf die Zuwendung nur dann einräumen, wenn das Arbeitsverhältnis mit seinen Hauptpflichten für das ganze Kalenderjahr aktualisiert war. Ausnahmen sollen lediglich die Zeiten bilden, die mit den Stichworten Grundwehrdienst/Zivildienst, Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz und Erziehungsurlaub angesprochen sind (§ 2 Abs. 2 Satz 2 ZuwendungsTV Arbeiter). Eine Tätigkeit im Rahmen eines Wiedereingliederungsverfahrens zählt nicht zu den genannten Ausnahmen. Der Tarifvertrag erwähnt eine solche Tätigkeit auch in seiner Fassung vom 24. April 1991 nicht. Insoweit liegt auch keine unbewußte Tariflücke vor, bei der anders als bei bewußten Tariflücken eine Ausfüllung durch Urteil grundsätzlich in Betracht kommt (vgl. statt vieler BAGE 47, 61, 67 = AP Nr. 95 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Selbst wenn man dies annehmen wollte, könnten die Gericht eine derartige Lücke nicht schließen, weil es dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt und die Gerichte sich in einem solchen Fall nicht an die Stelle der Tarifvertragsparteien setzen dürfen (vgl. BAGE 36, 218, 225, 226 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten).
2.Die Rechtslage ist vorliegend so zu beurteilen, wie wenn § 74 SGB V auf den Streitfall anzuwenden wäre. Zwar war die genannte Vorschrift in der streitbefangenen Zeit noch nicht in Kraft - Zeitpunkt des Inkrafttretens war vielmehr der 1. Januar 1989 -, gleichwohl ist der - besonders durch den Wiedereingliederungsvertrag der Parteien gekennzeichnete - Sachverhalt so zu beurteilen, wie wenn diese für den Arbeitnehmer günstige sozialrechtliche Bestimmung bereits bestanden hätte. Im einzelnen gilt folgendes, wie der Senat bereits in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 29. Januar 1992 des Parallelverfahrens - 5 AZR 37/91 - näher ausgeführt hat.
III.1. Arbeitsunfähig infolge Krankheit ist der Arbeitnehmer dann, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außerstand setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbar naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern (BAGE 48, 1, 3 = AP Nr. 62 zu § 1 LohnFG, zu I 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen; aus neuerer Zeit: Senatsurteil vom 26. Juli 1989 - 5 AZR 301/88 - AP Nr. 86 zu § 1 LohnFG, zu II 1 der Gründe; ferner BSG Urteil vom 7. August 1991 - 1/3 RK 28/89 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Das Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle kennt den Begriff der teilweisen Arbeitsunfähigkeit nicht. Die Arbeitsunfähigkeit kann nur im Hinblick auf einen bestimmten Arbeitnehmer und die von diesem zu verrichtende Tätigkeit bestimmt werden. Wesentlich ist dabei der Bezug zu der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Arbeitsrechtlich kann das Vorliegen einer Krankheit immer nur im Verhältnis zu den vom Arbeitnehmer vertraglich übernommenen Verpflichtungen beurteilt werden. Die durch Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit wird deshalb nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten anstatt voll nur teilweise zu erbringen vermag. Arbeitsrechtlich bedeutet es keinen Unterschied, ob der Arbeitnehmer durch die Krankheit ganz oder teilweise arbeitsunfähig wird. Auch der vermindert Arbeitsfähige ist arbeitsunfähig krank im Sinne der einschlägigen entgeltfortzahlungsrechtlichen Regelungen, eben weil er seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht voll erfüllen kann (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 1973 - 5 AZR 141/73 - AP Nr. 42 zu § 616 BGB, zu 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen; BAG Urteil vom 25. Juni 1981 - 6 AZR 940/78 - AP Nr. 52 zu § 616 BGB, zu II 4 der Gründe).
2.An diesen Grundsätzen hat sich durch die - mit dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführte - Bestimmung des § 74 SGB V nichts geändert. Hiernach soll der Arzt dann, wenn arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten können und durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden können, auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeit angeben. Die neue Bestimmung steht rechtssystematisch in einer Reihe von Vorschriften, welche die Sicherstellung der kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Versorgung zum Inhalt haben. Schon hieraus geht hervor, daß § 74 SGB V den der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundessozialgerichts zugrunde liegenden Begriff der Arbeitsunfähigkeit nicht anders regeln wollte (zutreffend v. Hoyningen-Huene, NZA 1992, 49, 50; vgl. weiter Wanner, DB 1992, 93, 94).
Charakteristisch für das Wiedereingliederungsverfahren ist nach der klaren Regelung des § 74 SGB V, daß der Arbeitnehmer weiterhin arbeitsunfähig ist (vgl. Regierungsentwurf zu § 74 SGB V, BT-Drucks. 11/2237, S. 192 zu § 82). Schon daraus folgt, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, eine Tätigkeit des Arbeitnehmers im Wiedereingliederungsverfahren als teilweise Arbeitsleistung entgegenzunehmen. In gleicher Weise ist aber auch der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, eine bestimmte Tätigkeit im Wiedereingliederungsverfahren zu übernehmen. Es gibt keinen gesetzlichen Zwang zur Wiedereingliederung eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers (vgl. v. Hoyningen-Huene, aaO, S. 50 f., mit weiteren Nachweisen). Zur Wiedereingliederung bedarf es vielmehr einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (zutreffend v. Hoyningen-Huene, aaO). Dabei sind beide Seiten darin frei, ob sie eine solche Vereinbarung abschließen wollen oder nicht. Ob der Arbeitgeber - vor allem der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes - besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmern, z. B. Schwerbehinderten, aus Gründen der Fürsorgepflicht die Möglichkeit zur Wiedereingliederung eröffnen muß, bedarf hier keiner näheren Untersuchung, da der Beklagte sich ausdrücklich bereitgefunden hat, den Kläger zur Wiedereingliederung zu beschäftigen.
3.Das Wiedereingliederungsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis eigener Art (§ 305 BGB). Gegenstand der Tätigkeit des Arbeitnehmers ist nicht die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, sondern ein aliud (vgl. v. Hoyningen-Huene, aaO, S. 52). Im Vordergrund der Beschäftigung stehen, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, Gesichtspunkte der Rehabilitation des Arbeitnehmers. Arbeitsvertragliche Verpflichtungen des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung im üblichen Sinne werden nicht begründet. Dem Arbeitnehmer wird nur Gelegenheit gegeben zu erproben, ob er auf dem Wege einer im Verhältnis zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung quantitativ oder/und qualitativ verringerten Tätigkeit zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit gelangen kann. Dabei ergibt sich auch aus den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung vom 3. September 1991 (Dt. Ärzteblatt 1991, C-2164), daß die therapeutischen Gründe bei dem Prozeß der Wiedereingliederung die entscheidende Rolle spielen. Denn es sind u.a. die gesundheitlichen Auswirkungen der aufgenommenen Tätigkeit regelmäßig ärztlich zu untersuchen; sind nachteilige Folgen zu erkennen oder zu befürchten, ist eine Anpassung oder ein Abbruch der Wiedereingliederung vorzunehmen (vgl. Nr. 30 der Richtlinien).
Trotz der vorstehend beschriebenen Zielsetzung des Wiedereingliederungsverfahrens bestehen auch in einem nach § 74 SGB V begründeten Rechtsverhältnis Nebenpflichten, die sich als fortwirkende Ausstrahlung des in seinen Hauptpflichten weiter ruhenden Arbeitsverhältnisses ergeben, soweit sie mit dem Zweck der Wiedereingliederungsmaßnahme vereinbar sind (Weisungsrecht und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sowie Treuepflichten des Arbeitnehmers).
Das Wiedereingliederungsverhältnis unterscheidet sich außerdem noch in anderer Weise von anderen möglichen Vertragsgestaltungen. Wenn der Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht in vollem Umfang zu erbringen vermag, können die Parteien einverständlich den ursprünglichen Arbeitsvertrag vorübergehend in einen solchen mit verkürzter Arbeitszeit oder mit verändertem Vertragsgegenstand umwandeln (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 1973 - 5 AZR 141/73 - AP Nr. 42 zu § 616 BGB) oder aber zu dem in seinen Hauptpflichten ruhenden ursprünglichen Arbeitsverhältnis ein weiteres, befristetes Arbeitsverhältnis mit zeitlicher oder inhaltlicher Änderung begründen. Voraussetzung hierfür ist aber, daß die Parteien eine entsprechende Vereinbarung - ausdrücklich oder konkludent - treffen.
IV.1. Da der Arbeitnehmer im Wiedereingliederungsverfahren nicht die geschuldete Arbeitsleistung erbringt und wegen seiner Arbeitsunfähigkeit auch gar nicht erbringen kann, ist ein Anspruch auf Entgelt für die geleistete Tätigkeit zu verneinen (ebenso v. Hoyningen-Huene, aaO, S. 53). Eine besondere gesetzliche Grundlage für einen Entgeltanspruch ist nicht gegeben. § 74 SGB V enthält keine Regelung über eine Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers. Eine entsprechende Pflicht des Arbeitgebers läßt sich auch nicht aus anderen gesetzlichen Bestimmungen ableiten. Es kann nicht davon gesprochen werden, daß die zur Wiedereingliederung aufgenommene Tätigkeit nach den Umständen nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist (§ 612 Abs. 1 BGB). Ein dahingehender Anspruch ergibt sich auch nicht aus bereicherungsrechtlichen Gesichtspunkten (§ 812 BGB). Letztere scheiden als Anspruchsgrundlage bereits deswegen aus, weil das Wiedereingliederungsverhältnis mit seinem Rehabilitationscharakter einen zureichenden rechtlichen Grund für die verrichtete Tätigkeit darstellt.
2.Keine Bedenken bestehen dagegen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich auf eine bestimmte Vergütung für die im Rahmen der Wiedereingliederung erbrachte Tätigkeit einigen. Dazu bedarf es aber einer ausdrücklichen Klarstellung zwischen den Vertragspartnern. Aus dem Wiedereingliederungsverhältnis als solchem folgt eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Reinecke
Dr. Kukies Kähler
Fundstellen
DOK 1993, 793 (L) |
EEK, I/1089 (ST1-4) |
WzS 1993, 283 (L) |
SVFAng Nr 78, 17 (1993) (KT) |