Entscheidungsstichwort (Thema)
Angemessene Ausbildungsvergütung. Verkehrsanschauung. Geltung tariflicher Ausschlussfristen
Leitsatz (amtlich)
1. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG begründet keine Pflicht, die einschlägige tarifliche Ausbildungsvergütung zu vereinbaren.
2. § 17 Abs. 1 BBiG und § 138 BGB verfolgen unterschiedliche Regelungszwecke. Eine Ausbildungsvergütung, die so hoch ist, dass sie noch nicht gegen die guten Sitten verstößt, muss noch nicht angemessen sein.
3. Auch dann, wenn üblicherweise nur zwischen 80 vH und 100 vH der tariflichen Ausbildungsvergütung gezahlt werden, ist eine die Grenze zu 80 vH unterschreitende Ausbildungsvergütung regelmäßig nicht mehr angemessen.
Orientierungssatz
1. Die „angemessene Vergütung” iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt daher nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht.
2. Die in § 17 BBiG geregelte Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen”.
3. Die richterliche Überprüfung der vereinbarten Ausbildungsvergütung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung. Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen Tarifverträge. Dadurch wird keine unmittelbare und zwingende Wirkung von Tarifverträgen herbeigeführt.
4. Eine Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 vH unterschreitet. Wird die Ausbildung jedoch teilweise oder vollständig durch öffentliche Gelder oder Spenden zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert, kann eine Ausbildungsvergütung auch bei deutlichem Unterschreiten dieser Grenze noch angemessen sein.
5. Eine Ausbildungsvergütung, die eine nach Ausbildungsjahren gestaffelte, steigende Vergütung vorsieht, steht im Einklang mit § 17 Abs. 1 Satz 2 BBiG. Es ist dagegen nicht erforderlich, dass die Vergütung darüber hinaus nach dem Lebensalter des Auszubildenden gestaffelt wird.
6. Bei der Geltendmachung der angemessenen Ausbildungsvergütung muss der Auszubildende nicht die Ausschlussfristen des Tarifvertrags wahren, den er zum Beleg der Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung heranzieht.
Normenkette
BBiG § 17 Abs. 1; AEntG §§ 7, 7a; BGB §§ 138, 612 Abs. 2; TVG § 5; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie § 22
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 04.09.2013; Aktenzeichen 7 Sa 374/13) |
ArbG Bamberg (Urteil vom 28.06.2013; Aktenzeichen 3 Ca 970/12) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 4. September 2013 – 7 Sa 374/13 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung des Klägers.
Der nicht tarifgebundene Beklagte ist ein seit April 2005 eingetragener Verein. Nach § 2 seiner Satzung ist sein Zweck die Förderung der qualifizierten Berufsausbildung. Zur Mitgliedschaft ist in § 4 der Satzung ua. Folgendes geregelt:
„2. |
Mitglied kann werden |
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- jedes Unternehmen, das selbst ausbildet oder ausbilden will, insbesondere Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie,
- eine Ausbildungseinrichtung, in die der Verein Auszubildende zur Ausbildung entsenden will, wenn die Ausbildungskapazitäten der VBM-Mitgliedsfirmen vor Ort nicht ausreichen, um zusätzliche Ausbildungsverhältnisse einzurichten,
… |
|
Unternehmen im Sinne von vorstehend lit. a) sind natürliche oder juristische Personen oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit ausüben.” |
Der Beklagte schließt mit Auszubildenden Ausbildungsverträge. Die Ausbildung wird jeweils von einem der Mitgliedsunternehmen des Beklagten durchgeführt. Die Auszubildendengestellung durch den Beklagten und die Ausbildungsübernahme durch die Mitgliedsunternehmen werden durch Ausbildungsübernahmeverträge geregelt. Eines der Mitglieder des Beklagten ist die K SE, die in G und C die betriebliche Ausbildung der beim Beklagten angestellten Auszubildenden anbietet. Die beiden Vorstände dieses Unternehmens bilden den Vorstand des Beklagten. Die K SE stellt auch selbst Auszubildende ein.
Der am 14. September 1990 geborene Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 28. Januar 2008 bei der K SE um einen Ausbildungsplatz zum Maschinen- und Anlagenführer. Er führte in seinem Bewerbungsschreiben ua. aus, im Oktober 2007 eine erste Ausbildung „im Elektronik-Gewerbe” aufgelöst zu haben, weil die Tätigkeit nicht seinen Vorstellungen entsprochen habe. Die K SE vermittelte den Kläger an den Beklagten. Dieser schloss unter dem 11. Juni 2008 mit dem Kläger einen Berufsausbildungsvertrag für die Ausbildung zum Industriemechaniker. Als Ausbildungsort wurde der Betrieb der K SE in C vereinbart. Zur Ausbildungsvergütung ist im Berufsausbildungsvertrag ua. geregelt:
„Der Auszubildende erhält eine angemessene Vergütung. Diese beträgt derzeit im
1. |
Lehrjahr monatlich |
385,– EUR (brutto) |
2. |
Lehrjahr monatlich |
405,– EUR (brutto) |
3. |
Lehrjahr monatlich |
430,– EUR (brutto) |
4. |
Lehrjahr monatlich |
450,– EUR (brutto).” |
Das Ausbildungsverhältnis begann am 1. September 2008 und endete mit dem Bestehen der Abschlussprüfung am 7. Februar 2012. Für diesen Zeitraum erhielt der Kläger vom Beklagten insgesamt eine Ausbildungsvergütung iHv. 23.222,00 Euro brutto. Wäre der Kläger nach den Tarifverträgen für die bayerische Metall- und Elektroindustrie vergütet worden, hätte er eine Ausbildungsvergütung iHv. 44.480,02 Euro brutto erhalten.
Mit Schreiben vom 22. August 2012 forderte der Kläger von dem Beklagten erfolglos die Zahlung weiterer 21.678,02 Euro brutto.
Mit seiner am 14. November 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unangemessenheit der gezahlten Ausbildungsvergütung geltend gemacht. Dazu hat er darauf verwiesen, bei ihm seien weder schulische Schwierigkeiten noch komplizierte familiäre Verhältnisse oder sprachliche Schwierigkeiten vorhanden gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 21.258,02 Euro brutto nebst Zinsen in näher bezeichnetem Umfang zu zahlen.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die gezahlte Ausbildungsvergütung sei angemessen gewesen. Mit ihr habe er einen ausreichenden Beitrag zum Lebensunterhalt des Klägers geleistet. Auf die Tarifverträge der bayerischen Metall- und Elektroindustrie dürfe zur Ermittlung der angemessenen Vergütung nicht zurückgegriffen werden. Dies komme einer Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge gleich, ohne dass die Voraussetzungen des § 5 TVG gegeben gewesen seien. Wenn dennoch auf die Tarifverträge zurückgegriffen werde, müssten jedenfalls auch die tariflichen Ausschlussfristen zur Anwendung kommen, sodass die Ansprüche des Klägers verfallen seien.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Der Beklagte hat keinen revisiblen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts aufgezeigt.
I. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Die Bestimmung ist – wie schon die Vorgängernorm § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (aF) – nur eine Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest (BAG 22. Januar 2008 – 9 AZR 999/06 – Rn. 32, BAGE 125, 285; vgl. auch BT-Drs. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung (BAG 26. März 2013 – 3 AZR 89/11 – Rn. 10; 22. Januar 2008 – 9 AZR 999/06 – Rn. 33 mwN, aaO).
II. Die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Die „angemessene Vergütung” iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar (BAG 17. März 2015 – 9 AZR 732/13 – Rn. 11; vgl. zur Angemessenheit iSd. § 32 UrhG ebenso BVerfG 23. Oktober 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11 – Rn. 84, BVerfGE 134, 204). Bezüglich seiner Anwendung ist revisionsrechtlich lediglich zu überprüfen, ob das Urteil das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen lässt und ob das Landesarbeitsgericht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. zur angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG: BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 69; 22. Januar 2009 – 8 AZR 906/07 – Rn. 80 mwN, BAGE 129, 181).
III. Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand.
1. Die in § 17 BBiG geregelte Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen” (st. Rspr., zuletzt BAG 17. März 2015 – 9 AZR 732/13 – Rn. 13 mwN; 16. Juli 2013 – 9 AZR 784/11 – Rn. 12 mwN, BAGE 145, 371). Entgegen der – unter Bezugnahme auf das in seinem Auftrag erstellte Gutachten – vertretenen Rechtsansicht des Beklagten sind bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung alle drei Funktionen zu berücksichtigen. Die Ausbildungsvergütung ist nicht schon dann angemessen, wenn sie einen erheblichen Beitrag zum Lebensunterhalt des Auszubildenden leistet. Sie hat nach dem im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers im Regelfall weitere Zwecke.
a) Die Funktion der Lehrlingsvergütung war früher umstritten. Die Gewerkschaften sahen die Lehrlingsvergütung ausschließlich als Entgelt für die im Betrieb geleistete Arbeit an. Dagegen bezeichnete das Handwerk sie als reine Erziehungsbeihilfe, die lediglich zur Deckung der Lebensunterhaltskosten der Lehrlinge beitragen sollte (Beicht Langzeitentwicklung der tariflichen Ausbildungsvergütung S. 8). Diese Ansicht setzte sich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten durch. Am 25. Februar 1943 wurde die Anordnung zur Vereinheitlichung der Erziehungsbeihilfen und sonstigen Leistungen an Lehrlinge und Anlernlinge in der privaten Wirtschaft (RArbBl. I S. 164) erlassen, die eine einheitliche Erziehungsbeihilfe für alle Lehrlinge verbindlich vorschrieb (vgl. auch Anordnung über die Belohnung besonders tüchtiger Lehrlinge und Anlernlinge in der privaten Wirtschaft vom 5. August 1944, RArbBl. I S. 289; zu den Anordnungen auch BAG 12. März 1962 – 1 AZR 4/61 – zu A II 5 a der Gründe, BAGE 12, 337).
b) Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und trotz Weitergeltung der Anordnung zur Vereinheitlichung der Erziehungsbeihilfen gelangte das Bundesarbeitsgericht im Jahr 1962 zu der Auffassung, die Lehrlingsvergütung habe in einem gewissen Umfange auch Entgeltcharakter. Denn die Arbeitsleistung des Lehrlings habe für den Lehrherrn, was ernstlich nicht zu bestreiten sei, einen im Laufe der Lehrzeit zunehmenden wirtschaftlichen Wert, was in der Steigerung der Lehrlingsvergütung mit den Lehrjahren seinen Niederschlag finde (BAG 12. März 1962 – 1 AZR 4/61 – zu A II 5 a der Gründe, BAGE 12, 337). Es könne weder der Ansicht gefolgt werden, dass der Lehrlingsvergütung der Entgeltcharakter und damit ein arbeitsrechtliches Element völlig fehle, noch sei die Auffassung zu halten, dass die Lehrlingsvergütung echtes Arbeitsentgelt sei, für das berufsrechtliche Gesichtspunkte ohne Bedeutung seien (BAG 12. März 1962 – 1 AZR 4/61 – zu A II 5 b der Gründe mwN, aaO).
c) Diesen Ansatz hat der Gesetzgeber in das Berufsbildungsgesetz vom 14. August 1969 (aF) übernommen (Beicht aaO S. 9). In § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF, der mit dem heutigen § 17 Abs. 1 Satz 1 wortgleich war, wurde ein Anspruch des Auszubildenden auf „Vergütung” kodifiziert. Im Bericht des Ausschusses für Arbeit des Deutschen Bundestags heißt es dazu ua. (BT-Drs. V/4260 S. 9):
„… Damit soll einmal dem Auszubildenden (bzw. seinen Eltern) zur Durchführung der Berufsausbildung eine finanzielle Hilfe gesichert, zum anderen aber damit zugleich auch die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Facharbeitern und Angestellten gewährleistet werden. Insofern hat die Vergütungspflicht eine ausbildungsrechtliche Begründung. Sie ist außerdem aber auch aus arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten der Entlohnung gerechtfertigt.
Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 stellen außerdem gemäß den einleitenden Ausführungen für die Höhe der Vergütung zwei allgemeine Richtsätze auf: Einmal muss die Vergütung angemessen sein; die Festsetzung im Einzelnen bleibt den Vertragsparteien und den Tarifvertragsparteien überlassen. Zum anderen muss die Bemessung der Vergütung das Lebensalter des Auszubildenden berücksichtigen und mit fortschreitender Ausbildung – mindestens jährlich – ansteigen. Dieser Bemessungsgrundsatz geht davon aus, dass mit fortschreitendem Alter des Auszubildenden sowie mit fortschreitender Ausbildung die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Auszubildenden mit zunehmendem Alter und im Laufe der Ausbildung, insbesondere im Hinblick auf eine Abschlussprüfung, steigen, aber auch die Arbeitsleistungen des Auszubildenden für den Ausbildenden wirtschaftlich wertvoller werden. …”
d) Im Einklang mit diesen Motiven des Gesetzgebers ging die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass die in § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF geregelte Ausbildungsvergütung regelmäßig drei Funktionen habe (vgl. BAG 19. Februar 2008 – 9 AZR 1091/06 – Rn. 18 mwN, BAGE 126, 12). Für die Angemessenheit der Vergütung sei auf die Verkehrsanschauung abzustellen. Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung seien die einschlägigen Tarifverträge (BAG 22. Januar 2008 – 9 AZR 999/06 – Rn. 34 mwN, BAGE 125, 285). Bei der Neufassung des BBiG im Jahre 2005 (BGBl. I S. 931) wurde die Vorschrift des § 10 Abs. 1 BBiG aF in § 17 Abs. 1 BBiG übernommen, ohne im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung zur Auslegung der Norm am Wortlaut Änderungen vorzunehmen.
2. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist an der ständigen Rechtsprechung festzuhalten, nach der wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung die einschlägigen Tarifverträge sind (vgl. aus jüngerer Zeit: BAG 17. März 2015 – 9 AZR 732/13 – Rn. 14 mwN; 16. Juli 2013 – 9 AZR 784/11 – Rn. 13 mwN, BAGE 145, 371). Das Ergebnis von Tarifverhandlungen berücksichtigt hinreichend die Interessen beider Seiten. Es hat die Vermutung der Angemessenheit für sich (BAG 21. Mai 2014 – 4 AZR 50/13 – Rn. 29 mwN). Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen. Eine Ausbildungsvergütung ist demgegenüber in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 vH unterschreitet (BAG 26. März 2013 – 3 AZR 89/11 – Rn. 11 mwN). Entgegen der – unter Bezugnahme auf das in seinem Auftrag erstellte Gutachten – vom Beklagten vertretenen Rechtsansicht handelt es sich bei dieser Rechtsprechung nicht um eine legitimationslose Erstreckung der Tarifgeltung auf Dritte.
a) Die Geltung der Tarifverträge wird durch § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG anders als bei § 5 TVG oder §§ 7, 7a AEntG nicht auf Außenseiter erstreckt. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zeigen, dass das Landesarbeitsgericht nicht von einer Bindung der Parteien an Tarifverträge ausgegangen ist, sondern für die Frage der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung zutreffend auf die Verkehrsanschauung abgestellt hat. Um § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG im Einzelfall anwenden zu können, muss ermittelt werden, welche Vergütung von den beteiligten Kreisen als angemessen angesehen wird. Einschlägige Tarifverträge sind dabei freilich mit der Verkehrsanschauung nicht gleichzusetzen.
Sie stellen für die Ermittlung der Verkehrsanschauung lediglich einen Anhaltspunkt dar, wenn auch regelmäßig den wichtigsten. Dies beruht auf der besonderen Sachnähe der zuständigen Tarifvertragsparteien und auf der von der Rechtsordnung anerkannten Vermutung der Angemessenheit ihrer Verhandlungsergebnisse. Das Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht davor, die Ergebnisse von Koalitionsvereinbarungen als Anknüpfungspunkt für Regelungen und Bewertungen zu nehmen (BAG 22. April 2009 – 5 AZR 436/08 – Rn. 15, BAGE 130, 338 unter Bezugnahme auf BVerfG 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 – Rn. 68, BVerfGE 116, 202).
b) Durch § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG wird auch keine Pflicht begründet, die tarifliche Vergütungshöhe vertraglich zu vereinbaren. Es steht den Parteien des Ausbildungsverhältnisses frei, eine niedrigere oder höhere Vergütung vertraglich zu regeln. Erst wenn die vereinbarte Ausbildungsvergütung die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 vH unterschreitet, ist sie in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Diese Regel gilt allerdings nicht ausnahmslos. Wird die Ausbildung beispielsweise teilweise oder vollständig durch öffentliche Gelder oder Spenden zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert, kann eine Ausbildungsvergütung auch bei deutlichem Unterschreiten dieser Grenze noch angemessen sein. Entscheidend ist der mit der Ausbildung verfolgte Zweck (BAG 19. Februar 2008 – 9 AZR 1091/06 – Rn. 22, 39, BAGE 126, 12). In solchen Fällen ist eine vom konkreten Ausbildungsbetrieb losgelöste Orientierung an den allgemeinen Lebenshaltungskosten vorzunehmen. Hierfür bietet § 12 BAföG einen Anhaltspunkt. Ein Betrag, der höher ist als 2/3 dieses Bedarfs, stellt jedenfalls noch einen erheblichen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten dar (BAG 17. März 2015 – 9 AZR 732/13 – Rn. 20 ff.; 24. Oktober 2002 – 6 AZR 626/00 – zu III 4 der Gründe, BAGE 103, 171). In besonders gelagerten Fällen kommt auch eine Orientierung an den Sätzen des SGB III in Betracht (vgl. BAG 22. Januar 2008 – 9 AZR 999/06 – Rn. 48 ff., BAGE 125, 285). Sofern ein dreiseitiges Ausbildungsverhältnis vorlag, bei dem die Ausbildungsvergütung vertraglich an Leistungen der früheren Bundesanstalt für Arbeit gebunden war und kein sozialrechtlicher Anspruch des Auszubildenden auf Zahlung von Ausbildungsgeld bestand, haben der Sechste und der Fünfte Senat sogar angenommen, dass der völlige Verzicht auf eine Ausbildungsvergütung nicht in Widerspruch zu dem Angemessenheitserfordernis stehe (BAG 16. Januar 2003 – 6 AZR 325/01 – zu II 3 der Gründe; 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – zu IV 3 der Gründe, BAGE 96, 237; bei öffentlicher Finanzierung und Gemeinnützigkeit des Bildungsträgers auch BAG 24. Oktober 2002 – 6 AZR 626/00 – zu III 3 b bb der Gründe, BAGE 103, 171).
c) Soweit sich der Beklagte in der Revisionsbegründung gegen die Grenze von 80 vH wendet und meint, die Grenze könne allenfalls unter Anlehnung an die Rechtsprechung zur Vergütungskontrolle nach § 138 BGB bei 67 vH liegen, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil die von ihm gezahlte Vergütung teilweise weniger als die Hälfte der tariflichen Ausbildungsvergütung betrug, teilweise knapp über 50 vH lag und die Grenze von zwei Dritteln nie erreichte. Im Übrigen verkennt der Beklagte, dass § 17 Abs. 1 BBiG und § 138 BGB unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen und dementsprechend unterschiedliche Maßstäbe anzulegen sind. Eine Ausbildungsvergütung, die so hoch ist, dass sie noch nicht gegen die guten Sitten verstößt, muss noch nicht angemessen sein. § 138 Abs. 1 BGB erklärt Rechtsgeschäfte für nichtig, die gegen die guten Sitten verstoßen; § 138 Abs. 2 BGB greift ein, wenn Vermögensvorteile und Leistung in einem „auffälligen Missverhältnis stehen”. § 17 Abs. 1 BBiG soll dagegen als speziellere Vorschrift eine angemessene Vergütung der Auszubildenden sicherstellen. Der Gesetzgeber kann solche speziellen Schutzmechanismen einführen, die über die bestehenden Generalklauseln hinausgehen (BVerfG 23. Oktober 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11 – Rn. 70, BVerfGE 134, 204).
d) Auch soweit der Beklagte geltend macht, die Berücksichtigung der einschlägigen Tarifverträge bei der Ermittlung der Verkehrsanschauung verletze Art. 3 GG, ist eine Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte meint, durch die Berücksichtigung der Tarifverträge für von ihm so bezeichnete „typische Frauenberufe” würden die dort vereinbarten relativ niedrigen Ausbildungsvergütungen in diskriminierender Weise auf alle Ausbildungsverhältnisse in der Branche erstreckt, macht der Beklagte selbst nicht geltend, dass es sich bei Berufen der Metall- und Elektroindustrie um solche „typischen Frauenberufe” handele. Auch soweit der Beklagte meint, die bestehenden wesentlichen Ungleichheiten zwischen Industrie- und Handwerkstarifverträgen würden zu Unrecht auf alle Ausbildungsverhältnisse erweitert, müsste ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG – wenn er denn tatsächlich vorläge – zu einer Anpassung nach oben, also an die Industrietarifverträge führen. Der Kläger begehrt freilich gerade die Ausbildungsvergütung nach den Entgelttarifen für die bayerische Metall- und Elektroindustrie. Im Übrigen können als Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung nur rechtmäßige Tarifverträge herangezogen werden. Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung – zumindest mittelbar – an Art. 3 GG gebunden (vgl. BAG 27. Mai 2004 – 6 AZR 129/03 – zu B II der Gründe, BAGE 111, 8; JKOS/Krause 2. Aufl. § 1 Rn. 85 ff. mwN). Dass die Tarifvertragsparteien der bayerischen Metall- und Elektroindustrie diese Bindung bei der Festsetzung der Vergütung der Auszubildenden missachtet haben, sodass diese Tarifverträge als Anhaltspunkt nicht geeignet gewesen wären, macht der Beklagte selbst nicht geltend.
e) Eine tariflich geregelte Ausbildungsvergütung, die eine nach Ausbildungsjahren gestaffelte, steigende Vergütung vorsieht, steht im Einklang mit § 17 Abs. 1 Satz 2 BBiG. Nach dieser Vorschrift ist die Ausbildungsvergütung nach dem Lebensalter der Auszubildenden so zu bemessen, dass sie mit fortschreitender Berufsausbildung, mindestens jährlich, ansteigt. Die Norm begründet nur eine Pflicht, die Vergütung mit fortschreitender Berufsausbildung ansteigen zu lassen (vgl. Lakies/Nehls BBiG 3. Aufl. § 17 Rn. 24; Pieper in Wohlgemuth BBiG § 17 Rn. 20; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 17 BBiG Rn. 4). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist es dagegen nicht erforderlich, dass die Vergütung darüber hinaus nach dem Lebensalter des Auszubildenden gestaffelt wird. Die mit der Dauer des Ausbildungsverhältnisses steigende Vergütung berücksichtigt bereits mittelbar das zugleich steigende Lebensalter. Eine nach dem Lebensalter gestaffelte Ausbildungsvergütung würde im Übrigen Bedenken bezüglich des Verbots der Altersdiskriminierung begegnen (vgl. zur Vergütung nach dem Lebensalter im BAT BAG 10. November 2011 – 6 AZR 481/09 – Rn. 16 mwN).
3. Der Auszubildende trägt zwar nach der bisherigen Rechtsprechung als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vereinbarte Ausbildungsvergütung unangemessen ist. Er genügt jedoch seiner Darlegungslast regelmäßig damit, dass er sich auf die einschlägige tarifliche Vergütung stützt und vorbringt, seine Ausbildungsvergütung unterschreite diese um mehr als 20 vH. Der Ausbildende kann sich dann nicht auf den Vortrag beschränken, die von ihm gezahlte Vergütung sei angemessen. Er hat substanziiert zu begründen, weshalb im Einzelfall ein von den genannten Grundsätzen abweichender Maßstab gelten soll (st. Rspr., zuletzt BAG 17. März 2015 – 9 AZR 732/13 – Rn. 17; vgl. auch BAG 19. Februar 2008 – 9 AZR 1091/06 – Rn. 35 mwN, BAGE 126, 12). Diese sekundäre Darlegungslast des Ausbildenden wird entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten nicht erst dann ausgelöst, wenn der Auszubildende dargelegt hat, dass die geltend gemachten Tarifentgelte in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlt werden. Auch insofern besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der Frage der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung und der Frage des Lohnwuchers (vgl. zur Darlegungslast bei Lohnwucher BAG 16. Mai 2012 – 5 AZR 268/11 – Rn. 32 mwN, BAGE 141, 348). Auch dann, wenn üblicherweise nur zwischen 80 vH und 100 vH der tariflichen Ausbildungsvergütung gezahlt werden, ist eine die Grenze zu 80 vH unterschreitende Ausbildungsvergütung regelmäßig nicht mehr angemessen.
4. Die dargestellten Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht bei der Ermittlung der angemessenen Ausbildungsvergütung berücksichtigt. Der Beklagte hat auch keine maßgeblichen Umstände aufgezeigt, die das Landesarbeitsgericht außer Acht gelassen hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass das Landesarbeitsgericht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Es war nicht gehindert, die Tarifverträge der bayerischen Metall- und Elektroindustrie zur Ermittlung der Verkehrsanschauung heranzuziehen.
a) Aufgrund der Umstände des Einzelfalls durfte das Landesarbeitsgericht die Ausbildungsvergütung in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie als die angemessene ansehen, obwohl der Beklagte kein Unternehmen der Metallund Elektroindustrie ist. Zum einen haben die Parteien im Berufsausbildungsvertrag vereinbart, dass die Ausbildung nicht bei dem Beklagten, sondern bei der K SE in C stattfindet, die ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie ist. Zum anderen weist der Beklagte selbst eine besondere Nähe zu diesem Wirtschaftszweig auf. So können nach § 4 der Satzung „insbesondere” ausbildungswillige Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie Mitglied des Beklagten werden. Eine Ausbildungseinrichtung, in die der Verein Auszubildende zur Ausbildung entsenden will, kann Mitglied werden, wenn die Ausbildungskapazitäten der „VBM-Mitgliedsfirmen” vor Ort nicht ausreichen. Hinter der Abkürzung VBM verbirgt sich offenkundig der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie e. V. (vgl. www.baymevbm.de), der die vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Tarifverträge geschlossen hat.
b) Entgegen der Ansicht des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht bei seiner Prüfung berücksichtigt, dass er sich zum Ziel gesetzt hat, mit den Beiträgen seiner Mitglieder zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen und damit insbesondere Jugendliche zu fördern, die auf dem freien Ausbildungsmarkt potenziell Probleme hätten. Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts zu eigen gemacht. Unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Mai 2003 (– 6 AZR 191/02 –) hat das Arbeitsgericht wegen der Gemeinnützigkeit des Beklagten in Betracht gezogen, dass auch eine Ausbildungsvergütung von weniger als 80 vH der tariflichen Vergütung noch den Anforderungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG hätte gerecht werden können. Es hat allerdings keine Besonderheiten des Falls feststellen können, die eine Vergütung nur iHv. etwa 50 vH der tariflichen Vergütung rechtfertigen konnten. Der Beklagte hat auf entsprechenden Vortrag des Klägers weder näher begründet, warum der Kläger ohne die Hilfe des Beklagten voraussichtlich keinen Ausbildungsplatz erhalten hätte, noch, dass der Kläger während der Ausbildung besonderer Unterstützung und Förderung durch den Beklagten bedurft hätte.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler einen Verfall der Ansprüche des Klägers nach § 22 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie ausgeschlossen. Der Manteltarifvertrag galt weder aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend für das Ausbildungsverhältnis, noch wurde seine Anwendbarkeit zwischen den Parteien vereinbart. Die zur Bestimmung des üblichen Entgelts iSv. § 612 Abs. 2 BGB durch einen Mindestentgelttarifvertrag aufgestellten Grundsätze (vgl. BAG 20. April 2011 – 5 AZR 171/10 – Rn. 22, BAGE 137, 375; 27. Juli 2010 – 3 AZR 317/08 – Rn. 33, BAGE 135, 187) lassen sich auf § 17 BBiG und die Ausbildungsvergütung nach den Tarifverträgen der bayerischen Metall- und Elektroindustrie nicht übertragen. Beide Regelungen unterscheiden sich schon im Ansatzpunkt. § 17 Abs. 1 BBiG soll im Hinblick auf die typischerweise zwischen Ausbildenden und Auszubildenden bestehende strukturelle Ungleichgewichtslage eine angemessene Vergütung sicherstellen. Dagegen sieht § 612 Abs. 2 BGB für den Fall des Fehlens einer Vereinbarung über die Höhe der Vergütung eine Fiktion der Vereinbarung der üblichen Vergütung vor.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Brühler, Krasshöfer, Klose, Mehnert, Heilmann
Fundstellen
Haufe-Index 8517421 |
BB 2015, 1203 |
BB 2015, 2548 |
DB 2015, 15 |
DB 2015, 7 |
DStR 2015, 13 |