Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Ablehnungsbescheid vor Erhalt des Gutachtenergebnisses des MDK zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion
Leitsatz (amtlich)
1. Der Erlass eines Ablehnungsbescheids vor Erhalt des Gutachtensergebnisses des MDK verstößt gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 20 SGB X) und ist eine rechtswidrige Umgehung des Fristenregimes in § 13 Abs. 3a SGB V.
2. In Fällen, in denen der Ablauf der 5-Wochenfrist bevorsteht und das Gutachten des MDK trotz rechtzeitiger Beauftragung der Kasse noch nicht vorliegt, darf die Kasse, um den Eintritt einer Genehmigungsfiktion zu verhindern, nur nach § 13 Abs.3a S. 4 SGB V vorgehen (begründete schriftliche Mitteilung mit taggenauem Entscheidungsdatum).
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.09.2019 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist die Kostenübernahme für ein Lymphapress 12-Kammer-Kompressionsgerät in Höhe von 2.641,81 € aufgrund Genehmigungsfiktion.
Die 1958 geborene Klägerin ist gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Beklagten. Die Beklagte ist eine regional aufgestellte Betriebskrankenkasse mit ca. ... Versicherten.
1. Die Klägerin leidet an einem Lipödem Stadium II und beantragte am 12.07.2018 befundgestützt und unter Vorlage eines Kostenvoranschlages des Leistungserbringers V. KG die Kostenübernahme für ein Heimgerät zur Kompressionstherapie. Mit Schreiben vom 13.07.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass zur Klärung des Leistungsanspruchs eine sozialmedizinische Stellungnahme erforderlich sei. Über den Antrag habe die Beklagte bis zum 16.08.219 zu entscheiden. Sollte eine Entscheidung bis zu diesem Datum nicht möglich sein, werde die Klägerin unter Angabe der Gründe rechtzeitig informiert.
Mit Bescheid vom 09.08.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die in dem Schreiben vom 13.07.2018 mitgeteilte Entscheidungsfrist nicht eingehalten werden könne. Da ihr bis zum Ablauf dieser Frist noch nicht alle entscheidungsrelevanten Unterlagen vorliegen würden, müsse der Leistungsantrag abgelehnt werden. Nach Eingang der gutachterlichen Stellungnahme des MDK werde der Antrag auf Kostenübernahme erneut beurteilt und die Entscheidung werde der Klägerin ohne weitere Aufforderung unverzüglich mitgeteilt. Dem Schreiben war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Die Klägerin erhob keinen Widerspruch.
Der MDK kam im Gutachten vom 29.08.2018 kam zu dem Ergebnis, die Kostenübernahme für das beantragte Hilfsmittel könne nicht befürwortet werden. Die Durchführung einer regelmäßigen, therapiepausenfreien sowie manuellen Lymphdrainage und Kombination mit Lymphbestrumpfung sei nicht belegt. Daher werde zunächst diese Heilmittel-Behandlung evtl. durch Langfristgenehmigung und lymphologische Mitbetreuung empfohlen. Mit Bescheid vom 04.09.2018 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, da diese vom MDK nicht befürwortet werde. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Beklagte veranlasste im Rahmen des Widerspruchsverfahrens die erneute Begutachtung durch den MDK. Dieser verblieb bei seiner Erstauffassung. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2019 wies die Beklagte den Widerspruch aus medizinischen Gründen als unbegründet zurück.
2. Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und zur Begründung auf die medizinische Notwendigkeit des Hilfsmittels verwiesen.
Das Sozialgericht hat auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion hingewiesen. Die Beklagte hat erwidert, sie sei der Intention des Gesetzgebers, eine zügige Entscheidung über den Antrag der Klägerin herbeizuführen, vorbildlich nachgekommen. Die Zeit für die Erstellung des Gutachtens sei in der Entscheidungsfrist enthalten und verlängere die Entscheidungsfrist der Krankenkasse nicht. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 09.08.2018 rechtzeitig, innerhalb der wegen Einschaltung des MDK geltenden Fünfwochenfrist, über den Antrag der Klägerin entschieden. Die in § 13 Abs. 3 a SGB V geregelten Fristen stellen Höchstfristen dar, die sehr kurz bemessen seien, sodass die Gefahr einer vorschnellen Leistungsablehnung und eine Verlagerung in das Widerspruchsverfahren zu befürchten sei. Die gesetzliche Vorschrift stelle keinerlei Anforderungen an den Inhalt der Begründung des Bescheides vom 09.08.2018 dar. Dies sei auch vom Bundessozialgericht bestätigte Rechtsprechung.
Mit Urteil vom 25.09.2019 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel verurteilt. Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V sei eingetreten. Die 5-Wochen-Frist sei am 16.08.2018 abgelaufen, die Beklagte habe erst am 04.09.2018 entschieden. Das Schreiben vom 09.08.2018 stelle keinen Verwaltungsakt dar, da es keine endgültige Regelung treffen wollte, zudem nicht hinreichend bestimmt und im Übrigen wegen Verstoßes gegen § 13 Abs. 3a SGB V nichtig ...