Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes. Zweckverfehlung. Zweckbestimmung. Förderung der beruflichen Weiterbildung. Lehrgangskosten. Sachaufwand. Auszahlung an Arbeitslosen. Kein Vertrauensschutz bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit. Plausibilitätsprüfung. Ermessensausübung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Zweckverfehlung im Sinne von § 47 Abs 2 S. 1 Nr. 1 SGB X stellt auf einen im Verwaltungsakt bestimmten Zweck ab.

2. Die eindeutige Zweckbestimmung einer Leistung ist mit der Bezeichnung Lehrgangskosten, Ausweisung eines Geldbetrags und Regelung von Zahlungsmodalitäten erfolgt.

3. Ein Sachaufwand als Lehrgangskosten kann an den Arbeitslosen direkt zugewandt werden.

4. Eine Einlassung, wonach es dem Empfänger einer Leistung der Bundesagentur gleichgültig gewesen ist, wie viel Geld er bekommen habe, entlastet ihn nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Ein solches Verhalten ist vielmehr plastischer Ausdruck der Außerachtlassung einfachsten Sorgfaltspflichten.

5. Ein Verhalten ist grob fahrlässig, wenn jemand ungeprüft Leistungen empfängt, ohne wenigstens eine grobe Plausibilitätsprüfung vorzunehmen.

6. Bei § 47 Abs. 2 SGB X Ist ebenso wie bei § 45 Abs. 2 SGB X beim Vorliegen von Bösgläubigkeit des Begünstigten wenig Raum für eine Ermessensentscheidung.

7. Die Ermessensbetätigung verlangt nicht die verbale Wiedergabe der von der Rechtsprechung entwickelten Diktion i.S. von Leerformeln, wenn keine Umstände vorliegen, die dem Versicherungsträger Handlungsalternativen offen stehen lassen.

8. Wenn der Versicherungsträger den Betroffenen bei der Anhörung danach gefragt hat, was aus seiner Sicht gegen einen geplanten Widerruf spricht und insoweit nichts weiter vorgetragen wird, als dass dieser sich keines Verschuldens bewusst sei, kann diesem bei der Ermessensbetätigung nicht der Vorwurf mangelhafter Begründung gemacht werden. Er ist in Abwesenheit nahe liegender Gesichtspunkte nicht gehalten krampfhaft nach weiteren anzuführenden Umständen zu suchen.

9. In der Literatur lassen sich keine Belege dafür finden, dass bei einem Widerruf im Sinne von § 47 SGB X eine Verpflichtung zur Ausübung eines Ermessens gemäß § 330 Abs. 2 SGB III besteht.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. April 2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Im Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Erstattung von an die Klägerin ausbezahlten Lehrgangsgebühren in Höhe von 2.877,24 EUR.

Mit der Klägerin bekanntgegebenem Bescheid vom 05.11.2001 bewilligte die Beklagte Leistungen in Höhe von insgesamt 29.138,49 DM (Lehrgangskosten 19.695,69 DM - zahlbar ab September 2001 in 21 Raten monatlich im Voraus zu 967,89 DM - und Fahrkosten 9.442,80 DM - ebenfalls monatlich einmalig für September 429,22 DM und ab Oktober im Voraus 429,23 DM), nachdem dieser vom Maßnahmeträger (beruflichen Fortbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft R. - bfz) eine Aufnahmebescheinigung für den Lehrgang "Umschulung zur Fachinformatiker-Systemintegration" in der Zeit vom 24.09.2001 bis 27.06.2003 erteilt worden war.

Vorangegangen war ein Kurzantrag der Klägerin auf Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme für Leistungsempfänger. Denn die Klägerin stand zuvor bereits seit dem 01.02.2001 im Leistungsbezug (Arbeitslosengeld über eine Anspruchsdauer von 360 Tagen). Damals erhielt sie Arbeitslosengeld in Höhe von circa 1670 DM monatlich.

Am 24.09.2001 trat die Klägerin die Maßnahme an, brach sie aber am 30.11.2001 aus gesundheitlichen Gründen ab. Nach Anhörung zur Rückforderung von im Zeitraum vom 01.12.2001 bis 31.12.2001 erbrachten Leistungen hob die Beklagte mit Bescheid vom 05.02.2002 die Entscheidung über die Bewilligung "der Leistung" wegen wesentlicher Änderung - Abbruch der Maßnahme - gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) auf und verlangte Erstattung von 219,46 DM, die mit den noch zustehenden Leistungen aufgerechnet werden sollten. Mit Bescheid vom 07.04.2001 verlangte die Beklagte Erstattung von Ausbildungskosten in Höhe von 2.877,24 EUR für die ihr überwiesenen Kosten der beruflichen Weiterbildung, weil diese nicht an den Bildungsträger weitergeleitet worden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2003, diesmal gestützt auf § 47 SGB X, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Fragen zur Leistungshöhe ging das SG in erster Instanz nach. Die Klägerin legte Kontoauszüge vor; die Beklagte ließ sich erläuternd ein. Sie hat dargelegt, dass drei Gutschriften über Lehrgangskosten an die Klägerin überwiesen worden sind, die mit der besonderen Kennziffer 6501 versehen waren (Zahlungsnachweise vom 18. und 19.12.2001 sowie vom 25.01.2002 über Beträge von 1.918,16 Euro, 479,54 Euro und 479,54 Euro. Zwei dieser Zahlungen finden sich auch in den...

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