Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung des Arbeitslosengeldes nach einem fiktiven Arbeitsentgelt. Qualifikationsgruppe. Förmlicher Berufsabschluss. Widerruf der Rücknahme einer Berufung. Treu und Glauben. Falscher Hinweis des Gerichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Einstufung in die jeweilige Qualifikationsgruppe bei der fiktiven Bemessung des Arbeitslosengeldes bestimmt sich in erster Linie danach, auf welche Beschäftigung sich die Vermittlungsbemühungen unter Berücksichtigung des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes erstrecken. Maßgeblich ist dabei grundsätzlich der für diese Beschäftigungen erforderliche Berufsabschluss.

2. Eine Fortsetzung des Verfahrens nach Berufungsrücknahme kommt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dann in Betracht, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rücknahme aufgrund eines unzutreffenden, gerichtlichen Hinweises auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels erfolgt ist.

 

Normenkette

SGB III § 152; SGG § 156 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 22.11.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) im Hinblick auf das aufgrund einer fiktiven Einstufung festgelegte Bemessungsentgelt.

Die 1954 geborene Klägerin absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Ab 1973 war sie als Buchhalterin bei der Firma N. beschäftigt und nahm 1978 eine Arbeitsstelle bei Raiffeisenbank S. an. Dort leitete sie die Buchhaltung, bediente und beriet Kunden und vertrat den Zweigstellenleiter. Nach ihrem Wechsel 1993 in die Raiffeisenbank H. oblagen ihr u.a. die eigenständige Kassenführung, die Erledigung von Kundenaufträgen, Service- und Beratungstätigkeiten, der Verkauf von Bank-, Bauspar- und Versicherungsprodukten, standardisierte Beratungen im Investment- und Aktienbereich sowie die Kleinkreditvermittlung. Nach dem Bezug von Krankengeld, Alg und Arbeitslosenhilfe arbeitete sie vom 10.07.2006 bis 31.10.2008 bei der Firma B. als Produktionsmitarbeiterin und später als kaufmännische Angestellte. Im Anschluss daran bezog sie erneut Krankengeld, Überbrückungsgeld, Alg und zuletzt bis 23.08.2012 wiederum Krankengeld.

Auf ihre erneute Arbeitslosmeldung bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 11.07.2012 Alg für die Zeit vom 24.08.2012 bis 07.07.2013 in Höhe von 30,86 € täglich unter Zugrundelegung des Bemessungsentgeltes des vormaligen Alg-Bezuges. Dieses sei höher als ein fiktiv bemessenes Bemessungsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 4. Nachdem die Beklagte feststellte, eine Vermittlung der Klägerin als Fachkraft sei wahrscheinlich und deshalb eine Eingruppierung in Qualifikationsgruppe 3 möglich, änderte sie mit Bescheid vom 19.07.2012 den Leistungsbetrag der Alg-Bewilligung auf 32,13 € täglich ab. Es sei ein Bemessungsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 3 im Rahmen einer fiktiven Bemessung des Alg zugrunde zu legen, da seitens der Klägerin in den letzten 2 Jahren weniger als 150 Tage ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestanden habe. Es komme eine Vermittlung als Bürokauffrau in Betracht. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem sie vortrug, sie sei mehr als nur eine "Bürokauffrau", da sie über ein viel größeres Wissen verfüge, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2012 zurück.

Dagegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Sie sei von der Beklagten auch zur Bewerbung auf eine Stelle als Bankkauffrau aufgefordert worden. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22.11.2012 abgewiesen. Mangels eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt von mindestens 150 Tagen im erweiterten Bemessungszeitraum sei dem Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt aus der Zuordnung der Klägerin zur Qualifikationsgruppe 3 zugrunde zu legen. Maßgeblich sei der für die angestrebte Beschäftigung erforderliche förmliche Berufsabschluss. Mit einem förmlichen Bildungsabschluss als Bürokauffrau sei die Klägerin der Qualifikationsgruppe 3 zuzuordnen. Daran änderten Vermittlungsvorschläge auf Stellen für Bankkaufleute nichts, da auch das Berufsfeld der Bankkaufleute der Qualifikationsgruppe 3 zuzuordnen sei.

Die Klägerin hat dagegen Berufung (L 10 AL 333/12) beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Sie habe Bürokauffrau gelernt, sich jedoch in ihrer Berufszeit ständig weitergebildet. Sämtliche Lehrgänge, Seminare, Fortbildungen und Schulungen habe sie erfolgreich bestanden.

Im Erörterungstermin vom 23.10.2013 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, die Berufung dürfte bereits unzulässig sein, da ein streitgegenständlicher Differenzbetrag zwischen der Bemessung des Alg nach Qualifikationsgruppe 2 und 3 für den streitgegenständlichen Zeitraum unter 750 € liegen könnte. Unabhängig davon sei die Berufung wohl auch in der Sache aussichtslos, da unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 04.07.2012 (B 11 AL 21/11 R) die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden sein dürft...

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