Entscheidungsstichwort (Thema)
Halbwaisenrente. Haushaltsaufnahme. überwiegender Unterhalt. Großmutter
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Haushaltsaufnahme und des überwiegenden Unterhalts iS des § 48 Abs 3 Nr 2 SGB 6 eines Enkelkindes, wenn die verstorbene Versicherte zur Familie des Enkelkindes gezogen ist und zum Zeitpunkt des Zuzugs bereits pflegebedürftig war.
Orientierungssatz
1. Bei dem Tatbestandsmerkmal der Haushaltsaufnahme kommt es auf das Bestehen einer Familiengemeinschaft an, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung) materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstellt. Diese drei Arten von Kriterien stehen in enger Beziehung zueinander und können sich auch teilweise überschneiden; keines davon darf jedoch gänzlich fehlen (vgl BSG vom 15.3.1988 - 4/11a RA 14/87 = BSGE 63, 79 = SozR 2200 § 1267 Nr 35, BSG vom 22.4.1992 - 5 RJ 28/91 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 2 und BSG vom 8.7.1998 - B 13 RJ 97/97 R = SozR 3-2200 § 1267 Nr 6).
2. Es muss sich zumindest um einen Haushalt des Großelternteils gehandelt haben, dh dieser versicherte Großelternteil muss zur "Führung" des Haushalts in der Lage gewesen sein, sei es durch Arbeiten im Haushalt oder durch einen entsprechenden finanziellen Beitrag (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 34/01 R = SozR 3-2600 § 48 Nr 6).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.10.2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Gewährung von Halbwaisenrente aus der Versicherung der verstorbenen Großmutter, Fr. M. A. (= M.A.).
Am 19.09.1995 wurde für den 1976 geborenen Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist, Antrag auf Gewährung von Halbwaisenrente aus der Versicherung der 1930 geborenen und am 11.02.1992 verstorbenen M.A. bei der LVA Rheinprovinz gestellt und dabei auf die bei ihm vorliegende Behinderung hingewiesen. In der Anlage zum Antrag auf Halbwaisenrente wurde sinngemäß angegeben, dass die Versicherte die Kosten für Kleidung, Wohnung, Essen etc. des Klägers getragen habe. Mit Bescheid vom 12.08.1988 war M.A. für die Zeit ab 01.02.1985 eine Auslandsrente gewährt worden, weil sie im Januar 1985 aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrt war. Seit 01.08.1987 hatte M.A. eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 611,67 DM bezogen.
Nachdem die Beklagte von der Schwägerin der Versicherten, A. A. (= A.A.), am 24.08.1996 eine Auskunft eingeholt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 19.11.1996 den Antrag auf Gewährung einer Waisenrente nach § 48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab. Von einer Haushaltsaufnahme im geforderten Sinne könne nicht gesprochen werden, denn der Kläger habe zusammen mit seinen Eltern im Haushalt der Großeltern gewohnt bzw. diese o.g. Personen hätten einen gemeinsamen Haushalt unterhalten. Ein Erziehungs- und Betreuungsverhältnis durch die Großmutter sei zu verneinen, da sich der Kläger noch in der Obhut der leiblichen Mutter befunden habe. Obwohl die Versicherte die finanziellen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Enkelkinder erbracht habe, sei seine Mutter an der Haushaltsführung sowie an der Beaufsichtigung, Erziehung und Pflege des Klägers in vollem Umfang beteiligt gewesen. Von einem überwiegenden Unterhalt durch die Großmutter sei somit nicht auszugehen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 07.04.2000 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 19.11.1996 gemäß § 44 SGB X. Nach Rückfrage unter Hinzuziehung eines Dolmetschers sei ausdrücklich in einem persönlichen Gespräch geklärt worden, dass der Kläger von der Großmutter erzogen und betreut worden sei. Auch habe sie durch den in Deutschland erworbenen Rentenanspruch den Unterhalt überwiegend bestritten. Mit Bescheid vom 26.04.2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 19.11.1996 aus der Versicherung der M.A. nach § 44 SGB X ab. Aufgrund der Einlassungen des Klägers habe die Unrichtigkeit des Bescheides vom 10.11.1996 nicht festgestellt werden können. Den hiergegen am 15.05.2000 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2000 zurück. Die Voraussetzungen einer Haushaltsaufnahme seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt, denn der Kläger habe zusammen mit seinen Eltern und seiner Großmutter in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt. Das Familienband eines Kindes mit den Eltern sei in einem derartigen Fall enger als das mit den Großeltern und daher vorrangig. Zum Zwecke der Begründung einer Haushaltsaufnahme durch die Großmutter wäre dieser Sachverhalt nur dann geeignet, wenn sie neben Gewährung nicht unerheblichen Unterhalts tatsächlich die Wohnungsgewährung und die Zuwendung von Fürsorge im erforderlichen Umfang erbracht hätte. Von einer überwiegenden Unterhaltsleist...