Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage des Verwaltungsrates der BA gegen das BMAS. Untersagung der Vergabe eines Sachverständigengutachtens zur Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages nach § 46 Abs 4 SGB 2 aF. Rechtswidrigkeit der aufsichtsrechtlichen Weisung mangels Darlegung der Ermessensausübung
Leitsatz (amtlich)
Aufsichtsrechtliche Weisung erfordert Ermessensausübung, die aus dem die Weisung erteilenden Verwaltungsakt erkennbar sein muss.
Orientierungssatz
Zur Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit (BA) gegen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung der Vergabe eines Sachverständigengutachtens zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages nach § 46 Abs 4 SGB 2 aF.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.05.2007 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die aufsichtliche Weisung der Beklagten vom 05.12.2006 rechtswidrig war.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Berechtigung einer aufsichtsrechtlichen Weisung der Beklagten gegenüber der Klägerin.
Mit dem Vierten Gesetz zur Modernisierung des Arbeitsmarktes und dem In-Kraft-Treten des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl. I S. 2954) wurde im dortigen § 46 Abs 4 geregelt:
"Die Bundesagentur erstattet dem Bund jeweils zum 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November einen Aussteuerungsbetrag, der dem Zwölffachen der durchschnittlichen monatlichen Aufwendungen für Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Beiträge zur Sozialversicherung im vorangegangenen Kalendervierteljahr für eine Bedarfsgemeinschaft, vervielfältigt mit der Zahl der Personen, die im vorangegangenen Kalendervierteljahr innerhalb von drei Monaten nach dem Bezug von Arbeitslosengeld einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II erworben haben, entspricht."
In einer Sitzung des Verwaltungsrates der Klägerin wurde das Präsidium des Verwaltungsrates damit beauftragt, die Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages mit Experten vorzusondieren und die Frage zu prüfen, ob die Erstellung eines Rechtsgutachtens Erfolg versprechend sein könnte.
Während die Klägerin die Auffassung vertrat, die Aufgabe des Verwaltungsrates, den Vorstand zu überwachen (§ 373 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III) und zu beraten (§ 371 Abs 2 SGB III), rechtfertige, einen externen Sachverständigen mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens (Honorarobergrenze: 50.000,00 €) hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 46 Abs 4 SGB II zu beauftragen (Vermerk vom 23.09.2005), gelangte das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) - die im Oktober 2005 noch zuständige Aufsichtsbehörde der Beklagten - demgegenüber zu der Ansicht, dass unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Gutachtensvergabe zulässig erscheine.
Mit Schreiben vom 13.12.2005 und 06.11.2006 des - zuständig gewordenen - Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wies die Beklagte den Vorstandsvorsitzenden der Klägerin auf die bereits mit Schreiben vom 03.11.2005 mitgeteilte Rechtsauffassung der Beklagten zur Gutachtensvergabe hin und bat darauf hinzuwirken, dass ein entsprechender Beschluss des Verwaltungsrates nicht gefasst werde, denn dieser wäre im Rahmen der Rechtsaufsicht zu beanstanden.
In einer Sitzung am 10.11.2006 beschloss der Verwaltungsrat der Klägerin die Vergabe eines Rechtsgutachtens zur Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages. Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 29.11.2006 auf, das Gutachten nicht zu vergeben. Allein aufgrund dieses Schreibens sah sich der Vorstand der Klägerin außer Stande, den Beschluss des Verwaltungsrates auszusetzen, und bat die Beklagte um Erteilung einer formellen Weisung.
Die Beklagte übersandte daraufhin der Klägerin unter dem 05.12.2006 folgendes Schreiben:
"Sehr geehrter Herr …,
wie Ihnen bereits aufgrund des bisherigen Schriftverkehrs bekannt ist, vertritt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Auffassung, dass die Vergabe eines Rechtsgutachtens zur Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages durch die Bundesagentur für Arbeit nicht zulässig ist. Es gehört gemäß § 368 Drittes Buch Sozialgesetzbuch nicht zu den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit, die Rechtmäßigkeit bestehender Gesetze zu überprüfen.
Aus diesem Grund untersage ich der Bundesagentur gemäß § 393 Drittes Buch Sozialgesetzbuch, ein solches Gutachten in Auftrag zu geben.
Mit freundlichen Grüßen"
Am 27.12.2006 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den rechtsaufsichtlichen Verwaltungsakt der Beklagten vom 05.12.2006 aufzuheben. Die Voraussetzungen für eine rechtsaufsichtliche Weisung seien nicht gegeben, insbesondere könne die Vergabe des Rechtsgut...