Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Taschengeld aus Bundesfreiwilligendienst. Freibeträge
Leitsatz (amtlich)
1. Der Bezug von Taschengeld für einen Bundesfreiwilligendienst stellt einen begründeten Fall von § 82 Abs 3 S 3 SGB XII (idF vom 21.3.2013) dar. Denn es bedarf einer Harmonisierung der Grundsicherungssysteme SGB II und SGB XII, um eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu vermeiden.
2. Die Grundsicherungssysteme des SGB II und SGB XII sind nach ihren Grundlagen und Zielrichtungen bezüglich der Anrechnung des Taschengeldes für einen Bundesfreiwilligendienst keiner Unterscheidung zugänglich.
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. November 2015 wird aufgehoben.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 02.10.2014, 06.11.2014, 26.11.2014, 08.12.2014, 21.01.2015, 04.03.2015, 27.03.2015 und 08.05.2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide der Regierung von Schwaben vom 13.05.2015 und vom 14.09.2018 und der Bescheid vom 29.06.2015 werden teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.10.2014 bis 30.04.2015 weitere Leistungen i. H. v. monatlich 134,80 Euro zu zahlen.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Tatbestand
Der 1949 geborene Kläger moldawischer Staatsangehörigkeit ist verheiratet und lebt zusammen mit seiner Ehefrau in einer Wohnung in A-Stadt. Er verfügt über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis.
Am 23.09.2014 beantragte er erstmals Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Zuvor stand der Kläger im Bezug von Leistungen nach dem SGB II beim Jobcenter A-Stadt. Die Wohnung des Klägers und seiner Ehefrau hat eine Wohnfläche von ca. 63 Quadratmetern, die Miete beträgt 309,33 Euro Grundmiete, 115.- Euro Betriebskostenvorauszahlung, 100.- Euro Heizkostenvorauszahlung sowie 13,19 Euro Zuschlag für Modernisierungen, insgesamt somit 537,52 Euro.
Der Kläger leistete einen Bundesfreiwilligendienst bei der "J." im Zeitraum 01.10.2013 bis 31.03.2015. Ausweislich der Vereinbarung über diesen Bundesfreiwilligendienst erhielt der Kläger hierfür ein monatliches Taschengeld von 250.- Euro. Aus den Kontoauszügen für den Zeitraum April 2014 bis September 2014 ergab sich eine monatliche Zahlung des Taschengeldes in Höhe von 200.- Euro.
Mit Bescheid vom 02.10.2014 wurden dem Kläger für den Zeitraum 01.10.2014 bis 30.09.2015 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Höhe von 451,95 Euro monatlich bewilligt. Dabei wurden als Bedarf der Regelbedarf in Höhe von 353.- Euro sowie der hälftige Mietanteil der gesamten Mietkosten als Unterkunftskosten zu Grunde gelegt, als Einkommen wurde Taschengeld in Höhe von 250.- Euro abzüglich 80,20 Euro, somit insgesamt 169,80 Euro monatlich angerechnet.
Hiergegen legte der Kläger am 26.10.2014 Widerspruch ein. Einkünfte aus dem Bundesfreiwilligendienst seien bis zu einer Höhe von 200.- Euro im Monat kein Einkommen nach dem Sozialhilferecht. Er habe im Oktober 2014 200.- Euro für diese Tätigkeit erhalten. Ein entsprechender Kontoauszug war beigefügt.
Die Beklagte erwiderte, dass die Städte vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) angewiesen worden seien, Einkommen aus dem Bundesfreiwilligendienst nicht unter den in § 82 Abs. 3 Satz 4 SGB XII (i. d. F. vom 21.03.2013) aufgeführten Katalog der Vorschriften nach dem Einkommensteuergesetz zu subsumieren und damit als Einkommen anzurechnen.
Mit Änderungsbescheid vom 06.11.2014 wurde für den Monat Oktober 2014 das Einkommen mit 200.- Euro angesetzt. Es wurde mitgeteilt, dass ab 01.11.2014 vorläufig ein fiktives Einkommen in Höhe von 250.- Euro angerechnet werde.
Mit Rentenbescheid vom 17.11.2014 wurde dem Kläger ab 01.01.2015 eine monatliche Regelaltersrente in Höhe von 18,07 Euro bewilligt. Es wurde festgelegt, dass wegen der geringen Höhe die Rente vierteljährlich ausgezahlt werde.
Mit weiterem Änderungsbescheid vom 26.11.2014 wurde der Bezug einer Altersrente in Höhe von 18,07 Euro monatlich berücksichtigt.
Weitere Änderungsbescheide vom 08.12.2014, 21.01.2015, 04.03.2015 und 27.03.2015 berücksichtigten jeweils ein Einkommen aus dem Bundesfreiwilligendienst in Höhe von monatlich 200.- Euro (der Bescheid vom 08.12.2014 berücksichtigt auch die Rentennachzahlung im November 2014 i. H. v. 54,39 Euro) bis April 2015. Mit Änderungsbescheid vom 08.05.2015 wurden die Beiträge der Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.06.2015 berücksichtigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2015 der Regierung von Schwaben wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Einkünfte aus dem Bundesfreiwilligendienst seien entgegen der Rechtsauffassung des Klägers nicht bis zu 200.- Euro anrechnungsfrei. Die Anrechnung des Einkommens unter Abzug eines Betrages von 30 % sei somit rechtmäßig.
Hiergegen hat der Kläger ...