BMF, Schreiben v. 13.6.2003, IV D 2 - S 0338 - 40/03, BStBl I 2003, 341
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 4.12.2002, 2 BvR 400/98 und 2 BvR 1735/00 (BStBl 2003 II S. …) entschieden, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG (zeitliche Begrenzung des Abzugs von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung) mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, soweit die Vorschrift Fälle der fortlaufend verlängerten Abordnung an denselben Beschäftigungsort („Kettenabordnung”) erfasst, und unvereinbar mit Artikel 3 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 1 GG ist, soweit sie für beiderseits berufstätige Ehegatten Geltung beansprucht. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, rückwirkend eine verfassungskonforme Rechtslage herzustellen.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:
1. Vorläufige Steuerfestsetzung
Falls Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nach bisheriger Rechtslage wegen Überschreitens der Zweijahresfrist gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG bzw. gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6a EStG nicht als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben abgezogen werden können, ist die Einkommensteuer insoweit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufig festzusetzen. Hierbei ist § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG bzw. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6a EStG nicht anzuwenden, wenn ein Fall der fortlaufend verlängerten Abordnung an denselben Beschäftigungsort („Kettenabordnung”) oder ein Fall beiderseits berufstätiger Ehegatten vorliegt.
Der Vorläufigkeitsvermerk ist personell anzuweisen. In den Bescheid ist folgende Erläuterung aufzunehmen:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4.12.2002, 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, und die ausstehende gesetzliche Neuregelung vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO hinsichtlich der Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG bzw. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6a EStG (zeitliche Begrenzung des Abzugs der Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung). Soweit nach der gesetzlichen Neuregelung die Steuerfestsetzung zu ändern ist, wird die Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist insoweit nicht erforderlich.”
Bei Änderungen von Steuerfestsetzungen, die noch nicht vorläufig ergangen sind, ist entsprechend Abschnitt I 2 des BMF-Schreibens vom 12.6.2003 (BStBl I S. …) zu verfahren.
2. Rechtsbehelfsfälle
Richtet sich ein zulässiger Rechtsbehelf (Einspruch, Klage, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) gegen die Versagung des Abzugs der Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung wegen Überschreitens der Zweijahresfrist gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG bzw. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6a EStG, ist nach einem entsprechenden Antrag oder mit Zustimmung des Steuerpflichtigen die Festsetzung der Einkommensteuer entsprechend Nummer 1 für vorläufig zu erklären. Die Zustimmung zur vorläufigen Steuerfestsetzung kann unterstellt werden, wenn sich aus dem Vortrag des Steuerpflichtigen ergibt, dass es Ziel seines Rechtsbehelfs ist, die Veranlagung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung „offen zu halten”. Falls der Steuerpflichtige keine gegenteilige Erklärung abgibt und eine Aussetzung der Vollziehung (Nr. 3) nicht in Betracht kommt, kann davon ausgegangen werden, dass durch die vorläufige Steuerfestsetzung dem Rechtsbehelf insoweit abgeholfen ist.
3. Aussetzung der Vollziehung
Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist bei Anhängigkeit eines zulässigen Rechtsbehelfs Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, wenn ein Fall der „Kettenabordnung” oder der beiderseits berufstätigen Ehegatten vorliegt und nicht nach Nummer 1 Satz 2 dieses Schreibens verfahren wurde.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Normenkette
AO 1977 § 165;
EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6a
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3
Fundstellen
BStBl I, 2003, 341