17.1 Eingeschränkter Prüfungsumfang

Den Parteien soll in der Berufungsinstanz grundsätzlich keine zweite Tatsacheninstanz mehr eröffnet sein. Die Berufungsinstanz soll im Wesentlichen nur als Instrument zur Fehlerkontrolle und -beseitigung zur Verfügung stehen.[1]

Demzufolge kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts auf einer Rechtsverletzung beruht oder dass ausnahmsweise neues Vorbringen eine andere Entscheidung rechtfertigt.[2]

Die Regelungen der ZPO über die Berufung sind auf das arbeitsgerichtliche Verfahren anzuwenden.

Der Begriff der Rechtsverletzung ist im Berufungs- und Revisionsrecht identisch auszulegen. § 513 ZPO verweist auf § 546 ZPO, der den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts bestimmt. Mithin sind die Grundsätze über den eingeschränkten Prüfungsumfang heranzuziehen.

Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Rechtsnorm ist jede materiell-rechtliche oder prozessual-rechtliche gesetzliche Vorschrift, auch die auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Rechtsverordnungen, Satzungen Gebiets- sowie sonstiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten und Verwaltungsvorschriften, Letztere, soweit sie objektives Recht enthalten.

Die Rechtsverletzung kann in einem Interpretationsfehler bestehen. Ein solcher liegt vor, wenn das Gericht die abstrakten Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm nicht richtig erkennt oder nicht richtig auslegt. Eine Rechtsverletzung kann aber auch in einem Subsumtionsfehler liegen. Der ist gegeben, wenn der festgestellte Sachverhalt die abstrakten Tatbestandsmerkmale der angewendeten Norm nicht oder die Merkmale einer nicht angewendeten Norm ausfüllt.

Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Arbeitsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.[3]

[1] BT-Drucks. 14/4722, S. 61.

17.2 Bindung an die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen

Aufgrund der Beschränkung des Berufungsverfahrens auf eine Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung ist das LAG grundsätzlich an die vom Arbeitsgericht festgestellten Tatsachen gebunden und auf die Überprüfung von Verfahrensfehlern beschränkt.[1] Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils besteht allerdings keine Bindungswirkung.[2]

Das LAG ist gemäß § 529 ZPO dann ausnahmsweise nicht an die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen gebunden, wenn

  • konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte oder lückenhafte Feststellung bestehen,
  • hierdurch Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründet werden,
  • deshalb eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht notwendig wird und
  • die zweifelhaften Feststellungen entscheidungserhebliche Tatsachen betreffen.

Konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte oder lückenhafte Tatsachenfeststellung können sich aus der Berufungsbegründung oder aus dem erstinstanzlichen Urteil des Arbeitsgerichts ergeben.

 
Praxis-Beispiel

Verstoß der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze

Diese Anhaltspunkte müssen objektiv geeignet sein, Zweifel zu wecken. Theoretische Bedenken genügen nicht. Die Zweifel des Berufungsgerichts müssen sich auf äußere, erkennbare Tatsachen stützen, die vom Berufungsführer nach § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO in der Berufungsbegründung aufgezeigt werden müssen. Anderenfalls bleiben sie unberücksichtigt.

Notwendige neue Tatsachenfeststellungen werden durch wiederholte oder ergänzende Beweisaufnahme getroffen.

Die Bindungswirkung kann auch nach einem gemäß § 67 ArbGG zulässigen neuen Tatsachenvortrag entfallen.

Die Frage, inwieweit eine Bindung des LAG an die Feststellungen der Vorinstanz besteht, ist eine Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts, die ihm nach allgemeinen Grundsätzen einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der in der Revisionsinstanz nur einer eingeschränkten Nachprüfung zugänglich ist. Im Fall des Überschreitens dieses Beurteilungsspielraumes ist die Nichtbeachtung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eine revisible Rechtsverletzung.[3]

Verfahrensfehler der ersten Instanz werden nur berücksichtigt, wenn sie in der Berufungsbegründung oder Anschlussberufungsbegründung gerügt werden.[4]

Das ist nur dann nicht erforderlich, wenn ein Verfahrensfehler von Amts wegen zu berücksichtigen ist.

Das ist der Fall, wenn eine Prozessvoraussetzung fehlt, die nicht nur auf Rüge zu prüfen ist.

 
Praxis-Beispiel

Prüfung der Zulässigkeit des Einspruches, wenn in der ersten Instanz Versäumnisurteil ergangen ist, da sonst die Rechtskraft des Versäumnisurteils entgegensteht

Das ist aber auch der Fall, wenn das Ersturteil nicht zulässig ist.

 
Praxis-Beispiel

Fehlen des Tatbestands

Die sonstige Rechtsanwendung wird in den Grenzen des § 528 ZPO von Amts wegen und ohne Bindung an die Berufungsbegründung geprüft.

 
Praxis-Beispiel

Anwendung der richtigen Norm auf den zu prüfenden Anspruch

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