OFD Rheinland, Verfügung v. 29.3.2012, S 2338 - 1015 - St 215
Mit drei Urteilen vom 9.6.2011 (Az: VI R 55/10, BStBl 2012 II S. 38; VI R 36/10, BStBl 2012 II S. 36 und VI R 58/09, BStBl 2012 II S. 34) hat der BFH neue Rechtsgrundsätze zur Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte aufgestellt, in den Fällen, dass der Arbeitnehmer eine oder mehrere Einrichtungen des Arbeitgebers innerhalb desselben Dienstverhältnisses aufsucht. Die Regelungen in R 9.4 Abs. 3 LStR 2011 sind demzufolge teilweise überholt (vgl. auch Fußnote zu R 9.4 Abs. 3 LStR im LStH 2012).
Die Finanzverwaltung hat mit BMF-Schreiben vom 15.12.2011 (BStBl 2012 I S. 57) zur Anwendung der genannten Urteile Stellung genommen. Es enthält Vereinfachungsregelungen zur Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte beim Arbeitgeber, lässt aber auch die vollumfängliche Anwendung der neuen Rechtsprechung zu.
Die Bestimmung, ob und ggf. wo der Arbeitnehmer eine regelmäßige Arbeitsstätte hat, hat jeweils zu Beginn des Kalenderjahres bzw. – bei unterjährigem Beschäftigungsbeginn – des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Prognoseentscheidung zu erfolgen. Denn nur bei einer Betrachtung in die Zukunft hätte der Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Wegekosten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte gering zu halten.
Ergänzend zum BMF-Schreiben vom 15.12.2011 (a.a.O.) gilt in allen offenen Fällen Folgendes:
1. Regelmäßige Arbeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers
1.1 Grundsätze der BFH-Urteile vom 9.6.2011 (Az: VI R 55/10, VI R 36/10 und VI R 58/09)
Eine regelmäßige Arbeitsstätte wird in einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers begründet, wenn es sich um den ortsgebundenen Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers handelt. Dies ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Arbeitsleistung schwerpunktmäßig zu erbringen hat. Allein das kurzfristige Aufsuchen der Arbeitgebereinrichtung (z.B. zu Kontrollzwecken) reicht nicht mehr aus, um dort die regelmäßige Arbeitsstätte zu begründen. Die sog. 46-Tage-Regelung ist demnach nicht mehr anzuwenden. Vielmehr muss die regelmäßige Arbeitsstätte eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber anderen Tätigkeitsstätten des Arbeitnehmers haben. Es hat eine Abgrenzung danach zu erfolgen, welche Arbeiten der Arbeitnehmer wo ausführt und welches Gewicht diesen Tätigkeiten zukommt.
Der ortsgebundene Mittelpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen, so dass der Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte innehaben kann.
Beispiel 1:
A ist zunächst vereinbarungsgemäß in einem Möbelgeschäft in Münster tätig. Nachdem der Arbeitgeber in Nordkirchen eine Filiale eröffnet hat, wird – ohne Änderung des Arbeitsvertrages – vereinbart, dass A jeden Montag in der Filiale in Nordkirchen arbeitet.
Die regelmäßige Arbeitsstätte hat A in der Filiale in Münster, da dort der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt.
Beispiel 2:
Der angestellte Bauzeichner A übt seine Tätigkeit in der ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers aus. Nur gelegentlich muss er in Vertretung für den Architekten die Bauausführung überwachen.
Der zeitliche und auch qualitative Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des A liegt in der Arbeitgeber-Einrichtung, die damit auch die regelmäßige Arbeitsstätte darstellt.
Beispiel 3:
Arbeitnehmer B war von Januar bis Juni im Betrieb des Arbeitgebers tätig (Innendienst). Ab Juli hat er einen neuen Tätigkeitsbereich übernommen. Er ist nunmehr im Außendienst tätig und fährt nur noch einmal im Monat zu Besprechungen in den Betrieb des Arbeitgebers.
Da der Tätigkeitsbereich des B sich verändert hat, ist für den Zeitraum Januar bis Juni und den Zeitraum ab Juli jeweils gesondert zu prüfen, ob eine regelmäßige Arbeitsstätte vorliegt. Während B bis Juni im Betrieb des Arbeitgebers eine regelmäßige Arbeitsstätte hat, ist dieses ab Juli nicht mehr der Fall. Der Mittelpunkt der Tätigkeit des B liegt nach Änderung seines Aufgabenbereichs im Außendienst.
Räume, die sich in unmittelbarer Nähe zur Wohnung des Arbeitnehmers befinden, von den übrigen Räumen der Wohnung nicht getrennt sind und keine in sich geschlossene Einheit bilden (z.B. Home-Office, häusliches Arbeitszimmer), gelten nicht als Betriebsstätte des Arbeitgebers. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber diese Räume dem Arbeitnehmer überlässt und der Arbeitnehmer diese beruflich nutzt (VI R 55/10). Folglich können derartige Räume nicht mehr zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte werden.
1.2 Anwendung der neuen Rechtsprechung; BMF-Schreiben vom 15.12.2011
1.2.1 Vereinfachungsregelungen gemäß BMF-Schreiben
Nach dem BMF-Schreiben vom 15.12.2011 ist in der Regel aus Vereinfachungsgründen von einer regelmäßigen Arbeitsstätte auszugehen, wenn der Arbeitnehmer auf Grund der dienstrechtlichen/arbeitsvertraglichen Festlegungen