Leitsatz (amtlich)
1. Lehnt das FA die Änderung (Berichtigung) eines Grunderwerbsteuer-Bescheides wegen dessen Unanfechtbarkeit ab, so ist der darin liegende Verwaltungsakt nicht vollziehbar i. S. des § 69 FGO.
2. Eine Aussetzung der Vollziehung gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO ist nicht möglich, wenn der gegen einen Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf wegen Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes unzulässig ist und wenn nach dem im Aussetzungsverfahren erkennbar gewordenen Sachverhalt keine ernstlichen Zweifel daran bestehen, daß die Rechtsbehelfsfrist nicht ohne Verschulden des Steuerpflichtigen versäumt worden ist.
2. Ein Rechtsirrtum über die Frage, ob eine Vergünstigungsvorschrift zugunsten des Steuerpflichtigen und rückwirkend geändert werden wird, kann allein keine Nachsicht begründen.
Normenkette
AO § 86 Abs. 1 S. 1, § 229 Nr. 3; FGO § 69
Gründe
Aus den Gründen:
II.
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde auf Ausführungen, mit denen er die materielle Unrichtigkeit der Grunderwerbsteuer-Nachforderung geltend macht. Auf diese Darlegungen vermag der Senat in diesem Verfahren aus den folgenden Gründen nicht mehr einzugehen.
1. Das FG geht in erster Linie davon aus, daß als angefochtener Verwaltungsakt (§ 69 Abs. 1 FGO) in dem diesem Aussetzungsverfahren zugrunde liegenden Klageverfahren (als Hauptverfahren) der mit dem Einspruch angegriffene Ablehnungsbescheid vom 14. Mai 1970 zu betrachten ist. Durch diesen Bescheid hat der Beschwerdegegner allerdings den Antrag des Beschwerdeführers vom 6. Mai 1970 auf Erlaß eines seinem Begehren entsprechenden Grunderwerbsteuerberichtigungs- bzw. Änderungsbescheids abgelehnt. Hierdurch ist der Beschwerdeführer zwar beschwert, so daß er gegen diesen Bescheid im Sinne des § 229 Nr. 3 AO Einspruch und Klage erheben konnte. Hierbei handelt es sich, da der Antrag des Beschwerdeführers vom 6. Mai 1970 unter Hinweis auf die Unanfechtbarkeit des Grunderwerbsteuerbescheids vom 14. August 1969 ohne sachliche Prüfung der materiellen Grunderwerbsteuerfragen abgelehnt worden ist, im Hauptverfahren um eine sogenannte Verpflichtungsklage im Sinne des § 40 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO, durch die der Antragsgegner zum Erlaß des abgelehnten Verwaltungsaktes verpflichtet werden soll (von Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 5. Aufl., § 40 FGO Tz. 7; vgl. auch - wenn auch im Rahmen der einheitlichen Gewinnfeststellung bzw. des Lohnsteuerjahresausgleichs - Entscheidungen des BFH IV 7/65 vom 12. März 1970, (BFH 99, 172, 174, BStBl II 1970, 625; VI B 2/69 vom 10. Juli 1970, BFH 99, 350, 352, 354, BStBl II 1970, 686). Gegenstand des Hauptverfahrens ist sonach aber kein vollziehbarer Verwaltungsakt, wie § 69 FGO dies voraussetzt; denn der angefochtene Ablehnungsbescheid selbst enthält keine Anordnung oder Feststellung, die durch Vollziehung der Finanzbehörde erzwingbar wäre. Wenn das FA die Änderung (Berichtigung) eines Steuerbescheids ablehnt, so bedarf der darin liegende Verwaltungsakt keiner Vollziehung. Vielmehr trägt die Ablehnung ihre Verwirklichung in sich selbst; vom Steuerpflichtigen wird durch diesen Verwaltungsakt nichts gefordert, was bei Verweigerung vom FA durch Vollziehungsmaßnahmen erzwungen werden könnte oder müßte. § 69 FGO will aber, da durch die Erhebung einer Klage die Vollziehung, insbesondere die Erhebung einer Abgabe (Steuer) grundsätzlich nicht gehemmt wird (§ 69 Abs. 1 FGO), dem Steuerpflichtigen einen vorläufigen Rechtsschutz nur in den Fällen gewähren, in denen wegen zweifelhafter Rechtslage oder aus Härtegründen durch Vollstreckung gerade des angefochtenen Verwaltungsaktes schutzwürdige Interessen des Steuerpflichtigen beeinträchtigt werden könnten. Ist jedoch - wie im Streitfall - der angefochtene Verwaltungsakt selbst nicht vollziehbar, so können während des diesen Verwaltungsakt betreffenden Klageverfahrens derartige Interessen nicht verletzt werden.
2. Das FG hat somit zutreffend erkannt, daß der Ablehnungsbescheid vom 14. Mai 1970 nicht vollziehbar war, sondern nur der Grunderwerbsteuer-Bescheid vom 14. August 1969. Auch wenn man den Antrag vom 6. Mai 1970 zugunsten des Beschwerdeführers als Einspruch gegen den Steuerbescheid vom 14. August 1969 auffaßt und diesen Steuerbescheid selbst als Gegenstand des Hauptverfahrens annimmt, ist die Aussetzung (Aufhebung) der Vollziehung nicht mehr möglich. Das Aussetzungsverfahren ist nur ein Nebenverfahren; nicht auf das Hauptverfahren bezogene Gründe können daher die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO nicht rechtfertigen. Die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, kann nicht mehr aufgeworfen werden, wenn das Gericht in der Hauptsache nicht mehr über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes entscheiden könnte, weil der gegen diesen Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf unzulässig ist (Beschlüsse des BFH II B 3/67 vom 9. Mai 1967, BFH 88, 541, BStBl III 1967, 472; VI B 77/67 vom 12. Januar 1968, BFH 91, 219, BStBl II 1968, 278). Der Steuerbescheid vom 14. August 1969 ist an diesem Tag an den Beschwerdeführer zur Post aufgegeben worden. Er gilt damit, da der 17. August 1969 ein Sonntag war, spätestens am 18. August 1969 als zugestellt (§ 17 des Verwaltungszustellungsgesetzes). Die Einspruchsfrist von einem Monat begann somit bei ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung spätestens mit dem Beginn des 19. August 1969 zu laufen und endete spätestens mit Ablauf des 18. September 1969 (§§ 82, 236, 237 AO; §§ 187, 188 BGB). Der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 6. Mai 1970 ist am 8. Mai 1970 beim FA eingegangen und ist - als Einspruch behandelt - somit verspätet eingelegt. Der Einspruch war also wegen Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids unzulässig (§ 239 AO).
Nachsicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist (§ 86 AO) könnte - unbeschadet des Umstandes, daß über einen Antrag auf Nachsichtgewährung erst im Hauptsacheverfahren endgültig zu entscheiden ist - nach dem bisher in diesem Aussetzungsverfahren erkennbar gewordenen Sachverhalt (Beschluß des BFH II B 17/68 vom 23. Juli 1968, BFH 92, 440, BStBl II 1968, 589) nicht gewährt werden, weil der Beschwerdeführer nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 86 Abs. 1 Satz 1 AO).
Der Beschwerdeführer hat in allen Instanzen insoweit nur geltend gemacht, daß er gegen den Steuerbescheid vom 14. August 1969 nur deswegen keinen Rechtsbehelf eingelegt habe, weil ihm durch die Erklärung seines Steuerberaters bekannt gewesen sei, daß ein Gesetz vorbereitet werde, wonach die Grenze der anrechenbaren Grundfläche aller Wohnräume von 80 v. H. auf 66 2/3 v. H. herabgesetzt werde, und daß er deshalb der Auffassung gewesen sei, daß sich also ein Einspruch erübrige. Der Beschwerdeführer hat somit die Rechtsbehelfsfrist bewußt verstreichen lassen, wenn auch offenbar infolge eines Rechtsirrtums über die materielle Rechtslage, nämlich darüber, daß er - wie er vorträgt - glaubte, dieses - übrigens bereits im Bayerischen GVBl Nr. 9 vom 30. Juni 1969 verkündete - Grunderwerbsteueränderungsgesetz vom 24. Juni 1969 (GVBl, 153) werde auf seinen Erwerbsvorgang rückwirkend anwendbar sein und daß sich deshalb ein Einspruch erübrige. Ein solcher Irrtum rechtfertigt aber eine Nachsichtgewährung nicht. Durch das Institut der Nachsicht soll, wie der Senat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung auch anderer oberster Bundesgerichte z. B. in dem Beschluß II B 3/67 vom 9. Mai 1967 (BFH 88, 541, BStBl III 1967, 472) im einzelnen ausgeführt hat, nur der Unbilligkeit abgeholfen werden, daß der Fristablauf auch gegen den wirkt, der gar nicht in der Lage war, eine Frist einzuhalten. Auf die Gründe, die den Steuerpflichtigen bewogen haben, die ihm bekannte Frist verstreichen zu lassen, kommt es grundsätzlich nicht an. Jedenfalls kann ein Irrtum über das materielle Recht als solcher allein keine Nachsicht begründen. Wenn der Steuerpflichtige - im übrigen im inneren Widerspruch zu dem vorstehend erwähnten Vorbringen - noch geltend macht, er habe es auch wegen seiner allgemeinen Arbeitsbelastung, durch die ihm wenig Zeit zur Verfügung stehe, versäumt, den Einspruch rechtzeitig einzulegen, so muß darauf hingewiesen werden, daß - ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung - auch eine solche allgemeine Arbeitsbelastung grundsätzlich kein entschuldbarer Grund für eine Nachsichtgewährung ist (Beschlüsse des BFH II R 8/68 vom 20. Juni 1968, BFH 93, 30, BStBl II 1968, 659; II R 48/70 vom 4. August 1970, BFH 99, 355, BStBl II 1970, 666). Das Einlegen von Rechtsmitteln gehört als fristgebunden zu den vordringlichen Arbeiten des Betroffenen, hinter denen notfalls andere Arbeiten im Augenblick zurücktreten müssen. Insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige sich mit Sicherheit gegen eine Steuerforderung wehren will, muß ihm das fristgerechte Einlegen wenigstens des kurzen Einspruchs selbst (mit evtl. nachzureichender Begründung: § 236 Abs. 1, § 238 Abs. 1, 3 AO) zugemutet werden. Eine Fristüberschreitung von nahezu acht Monaten läßt sich mit Arbeitsbelastung nicht rechtfertigen.
3. Da aus den vorstehenden Erwägungen schon eine Aussetzung des noch nicht vollzogenen Verwaltungsaktes (§ 69 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht in Betracht kommt, ist bereits aus diesen Gründen ebensowenig eine Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 4 FGO) - etwa in der Form der vorläufigen Verrechnung mit jeweils fällig werdenden Einkommensteuervorauszahlungen des Beschwerdeführers - möglich. Außerdem wäre eine solche Verrechnung erst in dem an das Veranlagungsverfahren anschließenden Erhebungsverfahren (vgl. v. Wallis bei Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., vor § 97 AO Tz. 2, § 124 AO Tz. 18) möglich, und dies auch nur unter der Voraussetzung, daß der Steuerpflichtige gemäß § 124 AO nur mit einem unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Erstattungsanspruch gegen Steuerforderungen desselben Steuergläubigers aufrechnen könnte.
Bei der unter II 1. und 2. dargelegten Rechtslage ist es für den Streitfall entscheidungsunerheblich, ob der Steuernachzahlungsbetrag - wie der Beschwerdeführer geltend macht - durch einen Vollziehungsbeamten des Beschwerdegegners eingezogen oder - wie der Beschwerdegegner behauptet - mittels Scheck entrichtet worden ist.
Zu der Bemerkung des Beschwerdeführers, das FG habe, obwohl er schriftlich auf mündlicher Verhandlung bestanden habe, ohne eine solche entschieden, sei klargestellt, daß diese Anfrage des FG sich auf das Klageverfahren in der Hauptsache beziehen mußte, nicht aber auf dieses Aussetzungsverfahren, in dem das FG auch ohne Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 90 Abs. 1 Satz 2 FGO).
Fundstellen
BStBl II 1971, 110 |
BFHE 1971, 438 |