Leitsatz (amtlich)
1. Sogenannte "Helfer in Gemeindesachen" in Bayern stehen, wenn sie gleichzeitig für mehrere Gemeinden tätig sind, zu diesen Gemeinden in der Regel nicht in einem Anstellungsverhältnis.
2. Die Pauschbeträge des Abschn. 119 Abs. 3 Nr. 3 EStR 1960, die den Mehraufwand für Verpflegung auf Geschäftsreisen abgelten sollen, sind nicht anzuwenden, wenn der Unternehmer Geschäftsreisen mit seinem Kraftwagen nur in Nachbargemeinden macht und nicht ohne weiteres offenbar ist, daß ihm dabei ein Mehraufwand für Verpflegung in Höhe der Pauschbeträge entstehen kann. In solchen Fällen hat der Steuerpflichtige dem FA seinen tatsächlichen Mehraufwand so darzutun, daß das FA den wahrscheinlich tatsächlich entstandenen Mehraufwand schätzen kann.
Normenkette
EStG 1960 § 19; LStDV 1959 § 1 Abs. 3; EStR 1960 Abschn. 119 Abs. 3 Nr. 3
Tatbestand
Der Steuerpflichtige, ein pensionierter Verwaltungsdirektor einer Ortskrankenkasse, war im Streitjahr 1960 für drei kleine Landgemeinden in Bayern als "Helfer in Gemeindesachen" tätig. Er betrachtet diese Tätigkeit als selbständige Tätigkeit im Sinne von § 18 EStG. Bei den Einnahmen aus dieser Tätigkeit von 5 266 DM will er als Betriebsausgaben Mehraufwand für Verpflegung für Berufsreisen zu den auswärtigen Gemeinden mit den Pauschbeträgen des Abschn. 119 Abs. 3 Nr. 3 EStR 1960 abziehen.
Das FA bezeichnete die Tätigkeit als nichtselbständig im Sinne von § 19 EStG und behandelte die Fahrten zu den auswärtigen Gemeinden als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und erkannte für die Fahrten mit dem eigenen Kraftwagen die Sätze des § 26 Abs. 2 Nr. 1 EStDV 1960 als Werbungskosten an.
Die ehrenamtlichen Gemeindebürgermeister, bei denen der Steuerpflichtige tätig war, haben die Tätigkeit des Steuerpflichtigen etwa wie folgt beschrieben: Der Steuerpflichtige habe Schriftstücke entworfen und sei während der Sprechstunden des Bürgermeisters meist zugegen gewesen; ferner habe er die Hebelisten für die Grund- und für die Gewerbesteuern geführt. Er hätte die Arbeiten im Amtszimmer der Gemeinde oder auch zu Hause erledigen können. Beim Ausschreiben der Lohnsteuerkarten habe gelegentlich auch seine Ehefrau geholfen. Der Steuerpflichtige sei nach Stunden bezahlt worden. Für besondere Arbeiten, wie z B. den Entwurf einer neuen Friedhofsordnung oder das Ausschreiben der Lohnsteuerkarten, sei die Vergütung von Fall zu Fall vereinbart worden. Ein Anstellungsvertrag sei nicht geschlossen worden. Die Gemeinden könnten einen festbesoldeten Beamten oder Angestellten nicht bezahlen.
Die Bürgermeister der verschiedenen Gemeinden wußten, daß der Steuerpflichtige gleichzeitig auch bei anderen Gemeinden beschäftigt wurde. In späteren Jahren arbeitete der Steuerpflichtige gleichzeitig für drei, zum Teil andere Gemeinden, einen Wasserzweckverband und ein evangelisches Pfarramt.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus, der Steuerpflichtige sei in den Organismus der Gemeinden eingegliedert gewesen; er habe der Weisungsbefugnis der Bürgermeister bzw. des Gemeinderates unterstanden. Er sei wie ein Gemeindeschreiber beschäftigt und wie ein solcher in die Gemeindeorganisation eingegliedert gewesen. Im übrigen dürfe nach Art. 39 Abs. 2 der Bayerischen Gemeindeordnung (GO) der Bürgermeister Verwaltungsangelegenheiten nur von Gemeindebediensteten bearbeiten lassen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Steuerpflichtigen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Nach § 1 Abs. 3 LStDV 1959 ist Arbeitnehmer, wer einem Dienstherrn seine Arbeitskraft schuldet, in der Betätigung seines geschäftlichen Willens der Leitung des Arbeitgebers untersteht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Die Durchführungsvorschrift des § 1 LStDV enthält eine rechtlich einwandfreie Auslegung des § 19 EStG, wie der Senat in den Urteilen VI 183/59 S vom 24. November 1961 (BFH 74, 97, BStBl III 1962, 37), VI 27/64 U vom 3. Dezember 1965 (BFH 84, 361, BStBl III 1966, 130) und VI 167/63 U vom 3. Dezember 1965 (BFH 84, 426, BStBl III 1966, 153) ausgesprochen hat. Ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 und 3 LStDV erfüllt sind, ist nach der erwähnten Rechtsprechung nach dem Gesamtbild zu beurteilen, indem die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen sind.
Nach der Auffassung des Bayerischen Staatsministers der Finanzen, der gemäß § 122 Abs. 2 FGO dem Verfahren beigetreten ist, war die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Helfer in Gemeindesachen allerdings zwingend eine unselbständige Tätigkeit. Nach der Erklärung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die das Finanzministerium eingeholt hat, bestimmt die Gemeindeordnung nicht abschließend, von wem und auf welche Weise gemeindliche Aufgaben erledigt werden dürfen. Es sei nur bestimmt, daß die Gemeinden Beamte, Angestellte und Arbeiter beschäftigen könnten oder müßten (Art. 42 und 43 GO) und daß Gemeindebürger durch Übernahme von Ehrenämtern an der Verwaltung der Gemeinde teilnähmen (Art. 19 GO). Ob eine Gemeinde ihre Aufgaben auch von Personen erfüllen lassen könne, die nicht in einem dienstrechtlichen Verhältnis zu ihr stünden, sei nicht geregelt. Die Beschäftigung solcher Personen sei aber wohl zulässig, wenn in einer Angelegenheit besondere Sachkenntnisse erfordert würden oder wenn kleine Gemeinden einen Beamten oder Angestellten wegen der geringen Finanzkraft nicht beschäftigen könnten. Es dürften jedoch von solchen Personen nur vorbereitende und helfende Tätigkeiten geleistet werden; denn Tätigkeiten hoheitlicher Art dürften nicht in dieser Weise erledigt werden, weil nach Art. 39 Abs. 2 GO der Bürgermeister einzelne Befugnisse nur einem weiteren Bürgermeister, einem Gemeinderatsmitglied oder einem "Gemeindebediensteten" übertragen dürfe.
Nach dieser Stellungnahme des Staatsministeriums des Innern läßt sich also nicht der Schluß ziehen, weil nach Art. 42 Abs. 2 GO kleinere Gemeinden zur Erledigung der laufenden Geschäfte einen Gemeindebeamten (Gemeindeschreiber) gemeinschaftlich anstellen sollen, und der Steuerpflichtige die Arbeiten eines solchen Gemeindeschreibers erledigt habe, sei er dadurch ohne weiteres Gemeindeangestellter geworden. Den Gemeinden steht vielmehr, wie erwähnt, frei, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sich auch der Hilfe von Personen zu bedienen, die nicht in einem Dienstverhältnis zu ihr stehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob solche Personen, wenn ihnen - entgegen den Vorschriften der Gemeindeordnung - hoheitliche Aufgaben übertragen werden, dadurch ohne weiteres in ein dienstrechtliches Verhältnis zur Gemeinde treten oder ob nicht die Verletzung von Vorschriften der Gemeindeordnung steuerrechtlich ohne Bedeutung ist. Denn der Steuerpflichtige hat jedenfalls keine Tätigkeiten hoheitlicher Art geleistet. Er hat, wie sich aus den Feststellungen des FG ergibt, nur vorbereitende Arbeiten geleistet; die von ihm entworfenen Schriftstücke und Urkunden haben jeweils die Bürgermeister selbst unterzeichnet. Die Art der Arbeit des Steuerpflichtigen bei den Aufgaben der Gemeinden hat, selbst wenn man die Auffassung des Innenministeriums anerkennen wollte, nicht notwendig ein Arbeitsverhältnis begründet.
Beurteilt man die Tätigkeit des Steuerpflichtigen aber nach den allgemeinen Gesichtspunkten, so war sie nach dem Gesamtbild selbständig. Der Steuerpflichtige konnte Ort und Zeit seiner Arbeit weitgehend selbst bestimmen; er durfte sich der Mitarbeit anderer Personen bedienen; er hatte keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder Sozialversicherung. Er war gleichzeitig bei mehreren Stellen tätig. Seine Auftraggeber waren davon unterrichtet und überließen es ihm, seine Arbeitskraft so zu verteilen, wie es ihm richtig erschien. Die Beteiligten wollten eindeutig kein Arbeitsverhältnis mit den entsprechenden arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Folgen begründen. In Grenzfällen kann nach der Rechtsprechung des Senats, z. B. im Urteil VI 55/61 U vom 11. Mai 1962 (BFH 75, 112, BStBl III 1962, 310; ferner Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort Arbeitnehmer, unter 2 b) bei der Prüfung, ob ein Arbeitsverhältnis besteht, auch einem solchen Willen der Beteiligten Bedeutung zukommen.
Das FG hat den Begriff "Arbeitnehmer" anders bestimmt. Seine Entscheidung war deshalb aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird an das FG zurückverwiesen, das nunmehr prüfen muß, in welche Einkunftsart die Einkünfte des Steuerpflichtigen als "Helfer in Gemeindesachen" gehören. Es könnte die Einkunftsart des § 15 EStG (gewerbliche Tätigkeit) in Betracht kommen. Es liegt aber wohl näher, die Tätigkeit in § 18 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 EStG einzuordnen.
Das FG muß weiter prüfen, ob der Steuerpflichtige, weil er selbständig tätig war, ohne weiteres auch Anspruch auf die Pauschbeträge des Abschn. 119 Abs. 3 Nr. 3 EStR 1960 hat, wenn er den Raum seiner Wohngemeinde bei Berufsfahrten verlassen hat. Die Pauschbeträge sind auf Erfahrungen beruhende Schätzungen der Finanzbehörden (§ 217 AO), die der Arbeitserleichterung und der Vereinfachung für alle Beteiligten dienen. Sie sind nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde (BFH-Entscheidung IV 356/60 U vom 24. Mai 1962, BFH 75, 356, BStBl III 1962, 396). Darauf weist auch die Bundesregierung in ihrer Verwaltungsanweisung selbst hin. Die Verwaltungsbehörden nehmen zwar grundsätzlich eine "Geschäftsreise" an, wenn der Steuerpflichtige aus beruflichen Gründen den Raum der politischen Gemeinde, in der er seinen Beruf regelmäßig ausübt, verläßt, um vorübergehend in einer anderen politischen Gemeinde beruflich tätig zu werden. Indessen stehen den Steuerpflichtigen, wenn sie eine "Geschäftsreise" in diesem weiten Sinne machen, nicht ohne weiteres die Mehraufwand-Pauschsätze des Abschn. 119 Abs. 3 Nr. 3 EStR zu. Die Regelung der EStR, die sich an das öffentliche Reisekostenrecht anlehnt, stammt aus der Zeit, in der es die Motorisierung in dem heutigen Umfang noch nicht gab. Wer früher den Raum seiner politischen Gemeinde verließ, konnte die örtlichen öffentlichen Verkehrsmittel in der Regel nicht benutzen, sondern war auf die Benutzung der Eisenbahn mit ihrem beschränkten Verkehr und ihrem starren Fahrplan angewiesen und konnte deshalb, wenn er auswärts tätig war, gewöhnlich nicht zu den regelmäßigen Mahlzeiten wieder zu Hause sein. Durch die Motorisierung haben sich, wie in vielen anderen Fällen (siehe z. B. die Entscheidung des Senats VI 33/65 vom 15. Dezember 1967, BFH 90, 493) auch hier die Verhältnisse grundlegend geändert. Für Kraftfahrer sind bei dem gut ausgebauten Straßennetz die Entfernungen zusammengeschrumpft, vor allem haben für sie die Grenzen der politischen Gemeinden jede Bedeutung verloren. Es wäre sinnlos, z. B. einem Gewerbetreibenden, der mit seinem Kraftwagen von dem einen Ende einer Großstadt mit einem Durchmesser von etwa 30 km zum anderen Ende fährt, um dort tätig zu werden, den Mehraufwand-Pauschsatz zu versagen, einem anderen Gewerbetreibenden aber, der den Raum seiner politischen Gemeinde verläßt, um mit seinem Kraftwagen in die einige Kilometer entfernte Nachbargemeinde zu fahren, ohne weiteres den Pauschsatz zu gewähren. Steuerpflichtigen, die bei ihren Geschäftsreisen einen Kraftwagen benutzen, entsteht in aller Regel ein Mehraufwand für Verpflegung nur, wenn sie längere Zeit unterwegs sind oder in größerer Entfernung von ihrem Wohnort tätig werden. Von diesen Grundsätzen ist die Rechtsprechung des BFH schon bisher bei Landärzten ausgegangen, die regelmäßig Patienten außerhalb ihrer Wohngemeinde aufsuchen, die Mahlzeiten aber gewöhnlich zu Hause einnehmen. In solchen Fällen ist ein Mehraufwand für Verpflegung nur in der Höhe anerkannt worden, wie die Steuerpflichtigen ihn glaubhaft gemacht hatten (vgl. z. B. BFH-Urteile IV 387/58 vom 20. Juni 1962, HFR 1963, 21; IV 158/61 vom 13. März 1964, Der Betrieb 1964 S. 1320).
Der Steuerpflichtige hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, die betreuten Gemeinden lägen von seinem Wohnsitz bis zu etwa 8 km entfernt. Er könne mit seinem PKW hintereinander mehrere Gemeinden aufsuchen. Er fahre in der Regel gegen 9 Uhr morgens weg und sei gewöhnlich gegen 13.30 Uhr wieder zu Hause. Am Nachmittag arbeite er meist zu Hause. Unter diesen Umständen würde es offensichtlich zu einer unrichtigen Besteuerung führen, dem Steuerpflichtigen die Mehraufwand-Pauschsätze zu gewähren, da dem Steuerpflichtigen durch die auswärtige Beschäftigung normalerweise kein Mehraufwand entsteht. Verlangt der Steuerpflichtige weiterhin, ihm Mehraufwand für Verpflegung als Betriebsausgaben anzusetzen, so muß er den Mehraufwand so glaubhaft dartun, daß das FG den wahrscheinlich tatsächlich entstandenen Mehraufwand schätzen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 68002 |
BStBl II 1968, 430 |
BFHE 1968, 565 |