Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Abschnitt I des Verkehrsfinanzgesetzes 1955, der die Vorschriften über die änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes enthält, ist am 7. Mai 1955 in Kraft getreten.
Zur Frage der Zulässigkeit von Steuernachforderungen.
Normenkette
VerkFinG; AO § 223
Tatbestand
Das Finanzamt hatte am 7. Mai 1955 für den Anhänger des Beschwerdegegners (Bg.) die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 7. Mai 1955 bis zum 6. August 1955 unter Zugrundelegung des Steuersatzes, der vor dem Inkrafttreten der die Kraftfahrzeugsteuer betreffenden Vorschriften des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 für Anhänger galt, auf 148,60 DM festgesetzt. Am 6. Juli 1955 setzte das Finanzamt die Steuer für diesen Zeitraum anderweitig auf 443,40 DM fest, und zwar unter Zugrundelegung des nach dem Inkrafttreten der die Kraftfahrzeugsteuer betreffenden Vorschriften des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 geltenden Steuersatzes. Der Bg. wandte sich gegen die Steuernachforderung mit der Begründung, er habe beim Finanzamt am 6. Mai 1955 fernmündlich angefragt, ob er die Steuer "noch heute am 6. Mai 1955 einzahlen" solle oder "ob es noch morgen, also am 7. Mai 1955 genüge." Daraufhin sei ihm erklärt worden, daß auch bei Versteuerung erst am 7. Mai 1955 der bisherige Steuersatz noch anwendbar sei. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Auf seine Berufung stellte das Finanzgericht den Bg. von der nachgeforderten Steuer frei. Die im Verkehrsfinanzgesetz 1955 für das Inkrafttreten der kraftfahrzeugsteuerlichen Vorschriften vorgesehene Frist von einem Monat nach der Verkündung des Gesetzes habe erst nach Ablauf des Tages der Verkündung (= 7. April 1955) zu laufen begonnen. Aus Gründen der Rechtssicherheit könne nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber bereits den Verkündungstag als Tag des Beginns der Monatsfrist gewollt habe. Damit seien die in Betracht kommenden Vorschriften erst am 8. Mai 1955 in Kraft getreten. Der Auffassung, daß bereits der 7. Mai 1955 der Tag des Inkrafttretens sei (vgl. Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe A 1955 S. 129, 137 und Deutsche Steuer-Rundschau 1955 S. 217), könne sich das Finanzgericht nicht anschließen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.
Es ist zwar richtig, daß für die Frage des Inkrafttretens einer Vorschrift der Wille des Gesetzgebers entscheidend ist. Es kann aber dem Finanzgericht nicht gefolgt werden, wenn es hinsichtlich des Abschnitts I des am 7. April 1955 verkündeten Verkehrsfinanzgesetzes 1955, der die Vorschriften über die änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes enthält, auf einen Willen des Gesetzgebers dahingehend schließt, daß dieser Abschnitt erst am 8. Mai 1955 und nicht schon am 7. Mai 1955 in Kraft treten sollte. Wenn der Gesetzgeber ein Gesetz "einen Tag nach der Verkündung" in Kraft setzt, dann soll nach dem Willen des Gesetzgebers das Gesetz mit dem Beginn des Tages in Kraft treten, der dem Tage folgt, der als Tag der Ausgabe des Bundesgesetzblattes bezeichnet ist, in dem das Gesetz verkündet wird. Daraus ergibt sich, daß der Gesetzgeber bei Inkrafttreten eines Gesetzes "einen Tag nach der Verkündung" für den Anfang der Frist von einem Tag den Beginn des Ausgabetages des Bundesgesetzblattes maßgebend sein lassen will. Das gleiche muß aber auch gelten, wenn der Gesetzgeber für das Inkrafttreten eines Gesetzes statt der Frist von einem Tag nach der Verkündung eine längere Frist, z. B. wie im Streitfall eine Frist von einem Monat, vorschreibt. Es liegt kein Grund für die Annahme vor, daß der Gesetzgeber bei einer längeren Frist als nur einen Tag nach der Verkündung für den Anfang der Frist nicht den Beginn des Tages, der als Ausgabetag des Bundesgesetzblattes bezeichnet ist, maßgebend sein lassen will. Es ist also in den Fällen, in denen ein Gesetz nach Ablauf einer bestimmten Frist seit der Verkündung in Kraft treten soll, der Verkündungstag mitzurechnen. Die gleiche Auffassung wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum vertreten. Auf das Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig Ss 58/54 vom 10. Juni 1954 (Zeitschrift "Niedersächsische Rechtspflege" 1954 S. 208), das sich mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des am 23. Dezember 1952 verkündeten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 befaßt, und auf den Aufsatz von Mercker "Zur Verkündung und zum Inkrafttreten von Gesetzen" (Der Betriebs-Berater 1952 S. 865) wird Bezug genommen. Wenn das Finanzgericht zum Beweis der Richtigkeit seiner gegenteiligen Ansicht auf die Bestimmung Nr. 24 der am 3. Oktober 1952 erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz hinweist, wonach das am 10. Juli 1952 verkündete Verwaltungszustellungsgesetz, das nach seinem § 21 "drei Monate nach seiner Verkündung" in Kraft treten sollte, am 11. Oktober 1952 in Kraft trete, so sei demgegenüber auf den im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz am 31. Oktober 1952, also später, ergangenen Runderlaß des Bundesministers für Arbeit betreffend das Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes hingewiesen (Bundesarbeitsblatt 1952 S. 644). In diesem - wie bereits gesagt - erst nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz ergangenen Runderlaß ist - wohl in bewußter Abweichung von der sich aus Nr. 24 der Allgemeinen Vorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz ergebenden Berechnungsart - gesagt, daß das am 14. Oktober 1952 verkündete Betriebsverfassungsgesetz, das einen Monat nach seiner Verkündung in Kraft treten sollte, am 14. November 1952 in Kraft treten werde. Bemerkt sei noch, daß das Land Berlin im Artikel III seines Gesetzes zur übernahme des Verwaltungszustellungsgesetzes das Inkrafttreten des Verwaltungszustellungsgesetzes in Berlin mit Wirkung vom 10. Oktober 1952 vorschreibt (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1952 S. 648). Dies läßt den Schluß zu, daß das Land Berlin beim Erlaß seines Gesetzes das Verwaltungszustellungsgesetz in der Bundesrepublik als am 10. Oktober 1952 in Kraft tretend angesehen hat. Hiernach nimmt das Finanzgericht zu Unrecht an, daß Abschnitt I des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 nach dem Willen des Gesetzgebers erst am 8. Mai 1955 und nicht schon am 7. Mai 1955 in Kraft getreten ist. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.
Die Sache ist allerdings noch nicht spruchreif. Der Bg. beruft sich auf eine ihm vom Finanzamt fernmündlich erteilte Auskunft, die ihn veranlaßt habe, erst am 7. Mai 1955 statt bereits am 6. Mai 1955 die Steuerkarte zu lösen. Dieser Einwand ist beachtlich. Zwar sind nach § 223 der Reichsabgabenordnung (AO) Steuernachforderungen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig, wobei die Nachforderung nicht in das Ermessen des Finanzamt gestellt ist, vielmehr das Finanzamt zur Nachforderung grundsätzlich verpflichtet ist und hiervon nicht etwa aus Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitsgründen abgehen kann. Es ist aber bereits vom Reichsfinanzhof anerkannt worden, daß die Nachforderung nicht dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen darf (vgl. z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs V z A 182/35 vom 27. August 1937, Slg. Bd. 42 S. 92, Reichssteuerblatt - RStBl - 1937 S. 1050). Nach Ansicht des Senats, der in dieser Beziehung weiter geht als der Reichsfinanzhof in dem vorbezeichneten Urteil, würde es diesem Grundsatz widersprechen, eine Steuer nachzufordern, deren Entstehung oder Höhe von einem Verhalten des Steuerpflichtigen abhängt, das wiederum auf einer nicht als unverbindlich bezeichneten Auskunft des Finanzamts beruht. In einem solchen Fall könnte der Hinweis auf das Gebot der Gleichmäßigkeit in der Behandlung aller Steuerpflichtigen nicht durchgreifend sein. Es wird bei Auskünften des Finanzamts, die nicht allgemeiner Art sind, zu unterscheiden sein zwischen einer Auskunft, die sich auf einen bei ihrer Erteilung bereits verwirklichten Steuertatbestand bezieht, und einer Auskunft, die sich auf einen künftigen dem Finanzamt lückenlos vorgetragenen bestimmten Steuertatbestand bezieht, dessen Eintreten oder Nichteintreten der Pflichtige von der Auskunft des Finanzamts abhängig macht. Bei einer Auskunft der letztgenannten Art - allerdings aber auch nur dann - ist das Finanzamt im Interesse der Rechtssicherheit, auf die der Steuerpflichtige Anspruch erheben kann, gehalten, die Auskunft ausdrücklich als unverbindliche zu erteilen, wenn es den späteren Einwand des Steuerpflichtigen, die Steuernachforderung verstoße gegen Treu und Glauben, ausschließen will. Selbstverständlich trifft dies nur auf eine Auskunft zu, die von einer zu einer solchen Auskunft amtlich zuständigen Person erteilt worden ist. Das Finanzgericht hat in dieser Beziehung das Vorbringen des Bg., der hierfür beweispflichtig ist (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs I 94/56 U vom 25. September 1956, Slg. Bd. 63 S. 379, Bundessteuerblatt 1956 III S. 341) noch nicht geprüft. Es war daher die noch nicht spruchreife Sache zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 408716 |
BStBl III 1957, 173 |
BFHE 1957, 464 |
BFHE 64, 464 |