Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Stundung oder Aussetzung von Lohnsteuer.
Normenkette
AO §§ 127, 251, 242; EStG § 38; LStDV § 30
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Angestellter. Wegen der Ablehnung seines Antrags auf Gewährung von Kinderermäßigung und entsprechender Ergänzung seiner Lohnsteuerkarte 1955 ist es zu einem Rechtsmittelverfahren gekommen. Dieses hat sich in der Berufungsinstanz in der Hauptsache dadurch erledigt, daß das Finanzamt wegen inzwischen eingetretener änderung der Lohnsteuer- Richtlinien (LStR) dem Antrag stattgegeben hat.
Mit der Einlegung des Einspruchs gegen die Ablehnung hatte der Bf. den Antrag verbunden, seine Lohnsteuer in Höhe des Unterschieds zwischen dem Steuerbetrag vor der Ergänzung und dem Steuerbetrag nach der Ergänzung der Lohnsteuerkarte zu stunden. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Berufung hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die Hauptsache wurde, weil der Stundungsantrag durch die dem Bf. günstige Ergänzung der Lohnsteuerkarte gegenstandslos geworden war, für erledigt erklärt. Die Kosten wurden dem Bf. auferlegt. Das Finanzgericht hielt eine Stundung wie auch eine Aussetzung mit dem Lohnsteuerabzugsverfahren für nicht vereinbar.
Mit seiner wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache vom Finanzgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wehrt sich der Bf. gegen die Auferlegung der Kosten. Er trägt vor: Die Lohnsteuerpflichtigen seien nicht Steuerpflichtige minderen Rechts. Wenn das Lohnsteuerabzugsverfahren auch ein Verfahren besonderer Art sei, so habe es doch seinen ursprünglichen Charakter verloren, nachdem die Lohnsteuer durch die Möglichkeit der Erstattung, durch die Anrechnung auf die veranlagte Einkommensteuer und nicht zuletzt durch den Lohnsteuerjahresausgleich weitgehend an die veranlagte Einkommensteuer angeglichen worden sei. Daß der Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer hafte, berühre nicht das zwischen dem Arbeitnehmer und dem Steuergläubiger bestehende Steuerschuldverhältnis. Auch im Lohnsteuerverfahren sei und bleibe der Arbeitnehmer der Schuldner der Steuer. Die Möglichkeit der Stundung sei in der Reichsabgabenordnung (AO) ohne jede Einschränkung und damit für alle Steuern vorgesehen; ebenso die Möglichkeit der Aussetzung. Beide Möglichkeiten könnten daher auch von einem Lohnsteuerpflichtigen in Anspruch genommen werden.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Die Möglichkeit der Stundung (§ 127 AO) und die Möglichkeit der Aussetzung (§ 251 AO) sind zwar - das ist dem Bf. zuzugeben - nicht auf bestimmte Steuern beschränkt. Trotzdem ist die Feststellung des Finanzgerichts, daß eine Stundung oder Aussetzung in dem Streitfall unzulässig sei, frei von Rechtsirrtum.
Eine Stundung nach § 127 AO setzt einen Zahlungsanspruch voraus. Stundung ist zwar, wenn ein Zahlungsanspruch vorliegt, grundsätzlich auch hinsichtlich der Lohnsteuer möglich. Das Finanzamt kann Lohnsteuer stunden, wenn es sich z. B. um die Erfüllung einer gegen den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer geltend gemachten Nachforderung handelt. Hier liegen Zahlungsansprüche vor. Im Streitfall geht es aber nicht um einen Zahlungsanspruch. Denn der Arbeitgeber hat noch keine Lohnsteuer einbehalten, die er an das Finanzamt abführen muß. Es ist auch keine Lohnsteuernachforderung erhoben worden. Es besteht nur die Pflicht des Arbeitgebers, bei der Lohnzahlung die Lohnsteuer einzubehalten (§ 38 des Einkommensteuergesetzes - EStG -, § 30 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -). Der Bf. will im Streitfall eine Anordnung des Finanzamts an den Arbeitgeber erreichen, bei der Lohnzahlung von der Erhebung der Lohnsteuer Abstand zu nehmen. Ein solcher Antrag findet im Gesetz keine Stütze, insbesondere nicht in § 127 AO (vgl. Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort: "Stundung").
Die Aussetzung gemäß § 251 AO ist aus den gleichen Gründen nicht möglich. In dem Rechtsmittelverfahren, das dem Aussetzungsantrag im Streitfall zugrunde liegt, fehlt es zudem an einer den Bf. treffenden Pflicht. Die Einbehaltungspflicht, wie sie in dem hier in Betracht kommenden Stadium zunächst nur gegeben ist, trifft den Arbeitgeber, nicht den Arbeitnehmer, der selbst nur unter bestimmten Voraussetzungen in Anspruch genommen werden kann.
Die vom Bf. erstrebten Maßnahmen widersprechen dem gesetzlichen Aufbau des Lohnsteuerabzugsverfahrens. Das Lohnsteuerabzugsverfahren führt zwangsläufig zu gewissen Besonderheiten gegenüber der veranlagten Einkommensteuer. Die Erfassung an der "Quelle" dient der Vereinfachung, und zwar einer Vereinfachung, die im Interesse aller Beteiligten liegt. Das Finanzamt braucht sich, weil die Einbehaltung und Abführung der Steuer dem Arbeitgeber auferlegt ist, mit der Mehrzahl der Arbeitnehmer nicht zu befassen. Dieses entrichten im Regelfall ihre Steuern, ohne sich um die Mittelbereitstellung kümmern und ohne Steuererklärungen abgeben zu müssen. Ist das Gehalt oder der Lohn vorschriftsmäßig gekürzt, so kann der Arbeitnehmer nicht mehr in Anspruch genommen werden (§ 38 Abs. 3 Satz 3 EStG). Sind auf seiner Lohnsteuerkarte steuerfreie Beträge eingetragen, so braucht er, obwohl die Eintragung zumeist für die Zukunft wirkt, mit Nachforderungen in aller Regel nicht zu rechnen. Das gilt grundsätzlich auch für den Lohnsteuerjahresausgleich, der - im Gegensatz zum Veranlagungsverfahren - nur zugunsten des Arbeitnehmers wirkt (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 69/55 U vom 12. Mai 1955, Slg. Bd. 61 S. 39, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 213).
Das Gesetz schreibt vor, daß die Lohnsteuer bei der Lohnzahlung einbehalten werden muß (§ 38 Abs. 1 EStG, § 30 LStDV). Das Finanzamt kann den Arbeitgeber von dieser Verpflichtung grundsätzlich nicht entbinden. Wollte man dem Finanzamt gestatten, nach Ermessen den Arbeitgeber vom Steuerabzug zu entbinden, so bedürfte es einer gesetzlichen Bestimmung, in welcher Form die Einkommensteuer dann erhoben werden soll. Das geltende Recht bietet keine Möglichkeit, die Steuererhebung bei Arbeitnehmern nach Ermessen des Finanzamts im Wege der Veranlagung (§ 46 EStG) oder der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch Haftungsbescheid (§ 46 LStDV) vorzunehmen.
Man darf auch die Schwierigkeiten nicht außer acht lassen, die bei der vom Bf. erstrebten Maßnahme eintreten würden. Dem Lohnsteuerabzugsverfahren entspricht es, daß das "Finanzamt der Betriebstätte" des Arbeitgebers über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber wacht und entscheidet (vgl. §§ 41, 43, 44, 46 und 50 LStDV). Wollte das für den Arbeitnehmer zuständige Wohnsitzfinanzamt durch Stundung oder Aussetzung in das Steuerabzugsverfahren eingreifen, so würde dies einer Anweisung an den Arbeitgeber gleichkommen, den Gesetzesbefehl des § 38 Abs. 1 EStG nicht zu befolgen, und zwar durch ein Finanzamt, das mit dem Abzugsverfahren, soweit der Arbeitgeber in Betracht kommt, nichts zu tun hat. Der Arbeitgeber müßte über die ihn ohnehin treffende Aufzeichnungspflicht hinaus Aufzeichnungen über Stundungen oder Aussetzungen führen und den Ablauf der Maßnahmen überwachen. Das der Vereinfachung und Sicherung rechtzeitiger Steuerleistung dienende Steuerabzugsverfahren würde dadurch in praktisch nicht mehr tragbarer Weise unübersichtlich und kompliziert werden.
Zu Unrecht bezeichnen das Schrifttum und die Rechtsprechung (vgl. zu letzterer das Urteil des Finanzgerichts Schleswig- Holstein in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1956 Nr. 215), soweit sie die Möglichkeit der Stundung und der Aussetzung auch für die im Steuerabzug einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer aus dem allgemeinen Wortlaut der §§ 127 und 251 AO heraus bejaht wissen wollen, die mit solcher Stundung oder Aussetzung verbundenen Schwierigkeiten als rechtlich belanglos. Bei der Auslegung der Steuergesetze ist im Zweifel auch der Gesichtspunkt der möglichst einfachen Handhabung zu berücksichtigen (vgl. Becker, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., Bem. 9 d zu § 1 S. 17). Die Notwendigkeit solcher Berücksichtigung beruht darauf, daß es sich beim Steuerrecht - anders als im allgemeinen im Zivilrecht - um Fragen handelt, die für eine Vielzahl praktischer Fälle von Bedeutung ist, eine Zahl übrigens, die gerade bei der Lohnsteuer ins Millionenfache geht. Die Grenzen der Zumutbarkeit einer Verfahrensmaßnahme auch für die mit der Erhebung betrauten Stellen - wozu für die Lohnsteuer auch der Arbeitgeber zu rechnen ist - müssen deshalb bei der Auslegung berücksichtigt werden. Eine Auslegung, die das Steuerrecht im wesentlichen unter dem Blickwinkel zivilrechtlicher Streitigkeiten einzelner Personen betrachtet, übersieht jenen dem Steuerrecht immanenten, sehr wichtigen rechtlichen Gesichtspunkt.
Fundstellen
Haufe-Index 424082 |
BStBl III 1957, 329 |
BFHE 1958, 251 |
BFHE 65, 251 |