Leitsatz (amtlich)
Ein Kind das die Kaufmannslehre vorzeitig abgebrochen und nach einiger Zeit eine Tätigkeit als Außendienstvertreterin im elterlichen Betrieb aufgenommen hat, befindet sich in der Regel in der Zwischenzeit nicht in der Berufsausbildung, wenn es im elterlichen Betrieb lediglich einzelne Kenntnisse für die Vertretertätigkeit vermittelt erhält.
Normenkette
EStG 1965 § 32 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin betreibt einen Großhandel mit Textilien. Ihre am 20. August 1946 geborene Tochter war vom 1. September 1962 bis 6. April 1965 in einem Kaufhaus in der kaufmännischen Lehre. Sie brach diese Ausbildung im April 1965 wegen Krankheit ab. Von September 1965 bis einschließlich Januar 1966 war sie gegen eine monatliche Vergütung von 320 DM und von Februar bis November 1966 gegen eine solche von monatlich 145 DM im Betrieb der Klägerin tätig. Ab Dezember 1966 betrug die Vergütung 450 DM. Ab 1967 war die Tochter als Vertreterin im Außendienst für das Unternehmen der Klägerin tätig.
Bei einer auf Grund einer Betriebsprüfung durchgeführten Berichtigungsveranlagung versagte das FA den ursprünglich gewährten Kinderfreibetrag mit der Begründung, die Tochter habe sich im Streitjahr 1966 nicht in Berufsausbildung befunden.
Die Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das FG aus, die Durchführung einer Berufsausbildung setze voraus, daß das auszubildende Kind ein konkretes Berufsziel habe. Eine allgemeine Ausbildung in Warenkunde und Verkaufswesen, wie sie die Tochter der Klägerin angeblich in ihrem Betrieb erhalten habe, oder auch eine mehr oder weniger umfassende Ausbildung zum Nachfolger der Eltern im elterlichen Geschäft erfülle diese konkrete Zielfunktion eines bestimmten Berufsbildes nicht. Zwar lasse es die technische und wirtschaftliche Entwicklung in praktisch allen Berufszweigen als notwendig erscheinen, daß Fähigkeiten und Kenntnisse erworben würden, die für die angestrebte spätere Betätigung gebraucht werden. Indessen sei diese allgemeine Vermittlung von Kenntnissen für die spätere Betriebsnachfolge nicht eine Berufsausbildung im Sinn des § 32 EStG. Unter Berufsausbildung werde dort ein genau bestimmter Beruf verstanden, zu dessen Ausübung ein mehr oder weniger genau umrissener, aber auf alle Fälle einheitlicher Ausbildungsvorgang, der eine bestimmte Zeit in Anspruch nehme und einen bestimmten Abschluß kenne, hinführe. Die Tochter der Klägerin habe im Streitjahr kein solches konkretes, genau umschriebenes Berufsziel und auch keinen einheitlichen Ausbildungsvorgang gehabt. Jedenfalls könne im Streitfall, wo die Tochter in die Firma ihrer Mutter eingeführt werden und dort die erforderliche Übersicht und Übung erwerben sollte, nicht von einer Berufsausbildung im Sinn des § 32 EStG gesprochen werden. Dem stehe auch nicht entgegen, daß die Klägerin ihrer Tochter ab Februar 1966 kein angemessenes Entgelt für ihre Tätigkeit bezahlt habe. Dafür könnten die damals geringen Kenntnisse und Erfahrungen der Tochter oder andere, ggf. auch familiäre Gründe maßgebend gewesen sein. Die Klägerin habe zwar, weil ihre Tochter kein angemessenes Gehalt gehabt habe, im wesentlichen die Kosten für deren Unterhalt getragen. Sie könne daraus aber keinen Anspruch auf einen Kinderfreibetrag herleiten, weil es an der Ausbildung für einen bestimmten Beruf fehle (vgl. Urteil des BFH VI R 207/66 vom 2. August 1968, BFH 93, 301, BStBl II 1968, 777).
Mit der Revision beantragt die Klägerin weiterhin Gewährung eines Kinderfreibetrages. Zur Begründung führt sie aus, FA und FG hätten insoweit gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstoßen, als sie übereinstimmend verneint hätten, daß die Tochter im Jahre 1966 mindestens vier Monate lang von der Steuerpflichtigen unterhalten und für einen Beruf ausgebildet worden sei. Der Schwerpunkt liege auf der Frage der Ausbildung für einen Beruf. Das FG stelle die Entscheidung darauf ab, daß für die Tochter kein Lehrvertrag, somit auch kein Lehrverhältnis bestanden habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Kinderfreibeträge werden dem Steuerpflichtigen auf Antrag gewährt für Kinder, die im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate das 18., aber nicht das 27. Lebensjahr vollendet hatten und während dieser Zeit überwiegend auf Kosten des Steuerpflichtigen unterhalten und für einen Beruf ausgebildet worden sind (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a, aa EStG 1965). In der Berufsausbildung befindet sich nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber noch ernstlich darauf vorbereitet (Urteil des Senats VI R 230/67 vom 11. Juli 1969, BFH 96, 306, BStBl II 1969, 708, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung). Die Erreichung des Berufszieles wird sich häufig in der Ablegung einer Prüfung zeigen. In der Regel setzt sie also das Durchlaufen eines fest umrissenen Bildungsgangs voraus. Auch Maßnahmen, die nach Durchlaufen eines solchen Bildungsgangs ergriffen werden, können zur Berufsausbildung gerechnet werden. Die Erfüllung der Mindestvoraussetzung für die Ausübung des angestrebten Berufs wird jedoch in aller Regel verlangt werden müssen, um solche zusätzliche Tätigkeiten zur Berufsausbildung rechnen zu können.
Die Würdigung des FG, im Streitjahr habe sich die Tochter nicht in der Berufsausbildung befunden, ist durch das Revisionsvorbringen nicht in Frage gestellt worden. Das Berufsziel des Kaufmanns wird in aller Regel mit der Ablegung der Kaufmannsgehilfenprüfung erreicht. Nach Ablegung dieser Prüfung durchgeführte Maßnahmen zur Erweiterung des dem Beruf dienenden Wissens können nach den vorstehenden Ausführungen u. U. auch zur Berufsausbildung rechnen. Es ist der Klägerin beizupflichten, daß der dargestellte Ausbildungsgang nicht der einzig mögliche zur Erreichung des Berufszieles des Kaufmanns ist. Wird jedoch die vorgeschriebene kaufmännische Ausbildung nicht abgeschlossen, so sprechen starke Gründe gegen die Annahme, andersartige Tätigkeiten dienten der Erreichung des Berufszieles des Kaufmanns. Wie weit solche Tätigkeiten die Merkmale einer Berufsausbildung erfüllen, ist dann eine Frage der tatsächlichen Würdigung, die Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz ist. Der BFH ist an diese Würdigung gebunden, es sei denn, daß in bezug auf die Feststellungen des FG zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 118 Abs. 2 FGO).
Das FG hat die Annahme einer Berufsausbildung bei der Tochter der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, eine allgemeine Ausbildung in Warenkunde und Verkaufswesen oder auch eine mehr oder weniger umfassende Ausbildung zum Nachfolger der Eltern im elterlichen Geschäft erfülle nicht die konkrete Zielfunktion eines bestimmten Berufsbildes. Diese Würdigung steht mit der Lebenserfahrung in Einklang. Von dem Anstreben eines konkreten Berufszieles, wie es der Begriff der Berufsausbildung nach der angeführten Rechtsprechung des BFH verlangt, kann bei der Vermittlung solcher begrenzter Kenntnisse und Fähigkeiten nicht gesprochen werden. Sie stellen im Ergebnis nichts weiter dar als die Vermittlung bestimmter Mindestkenntnisse für die angestrebte Vertretertätigkeit, die aber nicht die Merkmale einer echten Berufsausbildung erfüllen. Die Tochter hat sehr bald ihre Vertretertätigkeit aufgenommen, ohne daß irgendein Abschluß der Ausbildung, sei es in Form einer Prüfung, sei es in anderer Form, angestrebt oder erreicht worden wäre.
Daß die Klägerin ihrer Tochter möglicherweise ab Februar 1966 kein angemessenes Entgelt für ihre Tätigkeit gezahlt hat, kann für sich allein nicht zur Annahme einer Berufsausbildung führen. Das FG hat hierzu ausgeführt, hierfür seien möglicherweise die damals geringen Kenntnisse und Erfahrungen der Tochter oder andere, ggf. auch familiäre Gründe maßgebend gewesen. Das ist eine nicht zu beanstandende Würdigung, gegen die im Revisionsverfahren zudem nichts vorgebracht worden ist. Allein aus einem geringen Entgelt kann jedenfalls nicht auf das Vorliegen einer Berufsausbildung im Sinn des Gesetzes geschlossen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 70273 |
BStBl II 1973, 141 |
BFHE 1973, 454 |