Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrufungsauskunft: Bindung, Angabe der Rechtsgrundlage, Erteilung, Einholung durch Arbeitnehmer, Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben - keine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bei Verletzung der Ermittlungspflicht - vom Arbeitgeber übernommene Beiträge zur freiwilligen Angestelltenversicherung als Arbeitslohn
Leitsatz (amtlich)
Die Bindung an eine Auskunft des Betriebsstätten-FA darüber, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind (Anrufungsauskunft), beschränkt sich auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren und erstreckt sich nicht auf den Lohnsteuer-Jahresausgleich oder das Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren (Änderung der Rechtsprechung im Urteil vom 9.März 1979 VI R 185/76, BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451).
Orientierungssatz
1. Für die Annahme einer Anrufungsauskunft ist nicht erforderlich, daß in ihr ausdrücklich auf § 56 LStDV (§ 42e EStG) Bezug genommen wird, auch wenn es im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen wäre, wenn die FÄ bei Erteilung von Anrufungsauskünften auf die Rechtsgrundlage und die begrenzte Verbindlichkeit hinweisen würden.
2. Eine Anrufungsauskunft ist auch dann "im einzelnen Fall" i.S. des § 56 LStDV (§ 42e EStG) erteilt, wenn sie sich nicht auf einen genau bezeichneten Arbeitnehmer, sondern auf einen bestimmten Falltypus oder eine Fallgruppe bezieht.
3. Zu einer Anfrage auf Erteilung einer Auskunft nach § 56 LStDV (§ 42e EStG) ist auch der Arbeitnehmer als Schuldner der Steuer berechtigt (vgl. BFH-Rechtsprechung).
4. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben kann grundsätzlich nur dann zur Verbindlichkeit einer unrichtigen Auskunft führen, wenn sie von der zuständigen Person erteilt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.1989 X R 208/87).
5. Der Grundsatz von Treu und Glauben verbietet es dem FA, unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu erlassen, wenn dem FA die Tatsache vor dem Erlaß des zu ändernden Bescheids infolge Verletzung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht (zunächst) unbekannt geblieben ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
6. Die vom Arbeitgeber übernommenen Beiträge zur freiwilligen Angestelltenversicherung des Arbeitnehmers sind auch dann Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn der Arbeitnehmer nach § 8 Abs. 1 AnVNG von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist und wenn die Leistungen aus der Rentenversicherung später auf die vom Arbeitgeber zugesagten betrieblichen Versorgungszahlungen, die nach beamtenrechtlichen Grundsätzen festzusetzen sind, angerechnet werden sollen (Festhaltung an BFH-Urteil vom 20.5.1983 VI R 39/81).
Normenkette
EStG § 42e; LStDV 1971 § 56; EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis Februar 1976 bei der Stadt M als Stadtbauamtsrat tätig. Seitdem ist er bei der E, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Angestellter beschäftigt. Diese hatte ihm mit Wirkung ab 1.Januar 1977 eine Zusage auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen (Daueranstellung) zugesagt. Als Dauerangestellter ist der Kläger gemäß § 8 Abs.1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23.Februar 1957 --AnVNG-- i.d.F. des Gesetzes vom 27.Juli 1957 (BGBl I 1957, 1074) von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Angestellte befreit. Er hatte sich der E gegenüber zur freiwilligen Weiterversicherung in der Rentenversicherung mit der Maßgabe verpflichtet, daß deren Leistungen auf die Versorgungsleistungen der E anzurechnen waren und diese sowohl die Arbeitgeberanteile als auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung übernahm.
Die E meldete für die übernommenen Beiträge an die Rentenversicherung keine Lohnsteuer an. Sie stützte sich dabei auf ein Schreiben des für sie zuständigen Finanzamts (FA) X vom 27.Oktober 1971, in dem dieses unter dem Betreff "Lohnsteuerrechtliche Behandlung von freiwillig entrichteten Beiträgen zur Rentenversicherung und zur Versicherung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder" auf ein Schreiben der E mitgeteilt hatte: Nach den vorgelegten Unterlagen stellten die Beitragszahlungen zur Rentenversicherung Ausgaben für die Zukunftssicherung der Arbeitnehmer dar, die dazu dienten, dem Arbeitgeber die Mittel zur Leistung der den Arbeitnehmern zugesagten Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu beschaffen. Solche Beiträge für die Rückdeckung des Arbeitgebers gemäß § 2 Abs.3 Nr.2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) gehörten nicht zum Arbeitslohn. Vorbehaltlich anderer Sachverhaltsfeststellungen anläßlich einer späteren Lohnsteuer-Außenprüfung erklärte das FA sein Einverständnis damit, daß diese Zahlungen steuerfrei belassen würden.
Bei einer im Jahre 1986 begonnenen Lohnsteuer-Außenprüfung bei der E stellte der Prüfer fest, daß E die von ihr übernommenen Beiträge zur Rentenversicherung des Klägers nicht als geldwerten Vorteil i.S. des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Lohnsteuer unterworfen hatte. Der Prüfer vertrat die Auffassung, daß es sich bei der Übernahme des Arbeitnehmeranteils durch die E in Höhe von 5 450 DM für das Streitjahr 1983 um Arbeitslohn und nicht um eine Rückdeckung des Arbeitgebers i.S. des § 2 Abs.3 Nr.2 LStDV gehandelt habe. Den Arbeitgeberanteil hielt er gemäß § 3 Nr.62 Satz 2 EStG für steuerfrei. Da eine Haftung der E als Arbeitgeberin aufgrund des Schreibens vom 27.Oktober 1971 wegen Treu und Glauben ausscheide, sei die Nacherhebung beim Arbeitnehmer durchzuführen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erließ aufgrund einer entsprechenden Kontrollmitteilung gegenüber den zusammenveranlagten Klägern einen geänderten, auf § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Einkommensteuerbescheid, in dem er den Bruttolohn um den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung erhöhte.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ab und führte aus: Die Änderungsbefugnis ergebe sich aus § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977, da dem FA erst durch die 1986 begonnene Lohnsteuer-Außenprüfung bekanntgeworden sei, daß die E in vollem Umfang die Beiträge an die Angestelltenversicherung übernommen und nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen habe. Treu und Glauben stünden der Änderung nicht entgegen, da die Steuererklärung schlüssig gewesen sei und deshalb für das FA keine weitere Aufklärungspflicht bestanden habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellten die Beitragsleistungen für die freiwillige Weiterversicherung in der Angestelltenversicherung auch dann für den Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil dar, wenn ihm eine lebenslängliche Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen vom Arbeitgeber zugesagt worden sei und die Leistungen aus der Rentenversicherung später auf die betrieblichen Versorgungszahlungen angerechnet werden sollten (Urteil vom 20.Mai 1983 VI R 39/81, BFHE 138, 555, BStBl II 1983, 712). Die vom FA X mit Schreiben vom 27.Oktober 1971 erteilte Auskunft habe der Änderung nicht entgegengestanden. Es habe sich dabei um eine sog. Anrufungsauskunft gehandelt, die ihre Rechtsgrundlage in § 56 LStDV gehabt habe und nunmehr in § 42e EStG geregelt sei.
Die Kläger machen zur Begründung ihrer vom FG zugelassenen Revision geltend, die Übernahme der Beiträge zur Rentenversicherung sei steuerfrei. Die Steuerfreiheit ergebe sich hilfsweise aus dem Schreiben des FA X vom 27.Oktober 1971. Durch diese Zusage seien auch die Wohnsitz-FÄ, also auch der Beklagte, gebunden. Außerdem sei ein Vorwegabzug zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht in den Beitragszahlungen der E an die Rentenversicherung steuerpflichtigen Arbeitslohn des Klägers i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG gesehen und eine Befugnis des FA zu einer entsprechenden Änderung des Einkommensteuerbescheides für das Streitjahr 1983 angenommen.
1. Die Auskunft des FA X in dem Schreiben vom 27.Oktober 1971 an die E war objektiv unrichtig. Denn der Senat hat mit Urteil in BFHE 138, 555, BStBl II 1983, 712 entschieden, daß die vom Arbeitgeber übernommenen Beiträge zur freiwilligen Angestelltenversicherung des Arbeitnehmers auch dann Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG sind, wenn der Arbeitnehmer nach § 8 Abs.1 AnVNG von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist und wenn die Leistungen aus der Rentenversicherung später auf die vom Arbeitgeber zugesagten betrieblichen Versorgungszahlungen, die nach beamtenrechtlichen Grundsätzen festzusetzen sind, angerechnet werden sollen. Der Senat hält an dieser Entscheidung, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten der Begründung Bezug genommen wird, fest.
Der Annahme von Arbeitslohn widerspricht auch nicht, daß nach § 2 Abs.3 Nr.2 Satz 6 LStDV in der im Streitjahr geltenden Fassung Ausgaben für die Zukunftssicherung, die nur dazu dienen, dem Arbeitgeber die Mittel zur Leistung einer dem Arbeitnehmer zugesagten Versorgung zu verschaffen (Rückdeckung des Arbeitgebers), nicht zum Arbeitslohn gehören. Ebenso wie in dem der Entscheidung des Senats in BFHE 138, 555, BStBl II 1983, 712, 713 zugrunde liegenden Fall begründen die von dem Arbeitgeber des Klägers übernommenen Beitragsleistungen zur Rentenversicherung einen eigenen Anspruch des freiwillig versicherten Klägers gegenüber dem Versicherungsträger. Dies führt zur Annahme von Arbeitslohn.
Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr.62 EStG gilt nicht --wie zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten ist-- für den auf den Arbeitnehmer entfallenden Anteil der Beitragszahlung.
2. Das FG hat zutreffend entschieden, daß das FA (Wohnsitz-FA) den Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 deshalb ändern konnte, weil ihm die Tatsache, daß der Arbeitgeber in vollem Umfang die Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung übernommen hatte, bei der Veranlagung für das Streitjahr 1983 nicht bekannt war. Zwar verbietet es der auch im Steuerrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben dem FA, unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 zu erlassen, wenn dem FA die Tatsache vor dem Erlaß des zu ändernden Bescheids infolge Verletzung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht (zunächst) unbekannt geblieben ist (vgl. BFH- Urteile vom 5.Dezember 1958 VI 296/57 S, BFHE 68, 223, BStBl III 1959, 86; vom 11.November 1987 I R 108/85, BFHE 151, 333, BStBl II 1988, 115, 116 m.w.N.). Der Rechtsansicht der Revision, das FA habe im Streitfall gegen seine Ermittlungspflicht verstoßen, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Steuererklärung der Kläger war hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht deswegen unschlüssig, weil der Kläger solche nicht als Sonderausgaben geltend gemacht hatte. Im Hinblick auf mögliche Befreiungen von der Rentenversicherung verstößt das FA nicht gegen seine Ermittlungspflicht, wenn es der Erklärung des Steuerpflichtigen Glauben schenkt, daß derartige Aufwendungen nicht angefallen sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine weiteren Umstände vorliegen, die zu Zweifeln an der Richtigkeit der Erklärung Anlaß geben. Im Streitfall hat das FG solche Umstände nicht ermittelt und insbesondere auch nicht festgestellt, daß zwischen der Steuererklärung der Kläger und der Lohnsteuerbescheinigung der E auf der Lohnsteuerkarte eine Diskrepanz bestanden hat, die Anlaß zu Ermittlungen hätte geben können.
3. Die Vorentscheidung hat zu Recht in dem Schreiben des FA X vom 27.Oktober 1971 kein Hindernis für die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1983 der Kläger gesehen.
a) Das Schreiben des FA X ist eine Anrufungsauskunft i.S. des § 56 LStDV 1971 (seit 1975: § 42e EStG). Das FG hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß das Schreiben alle Merkmale dieser Vorschrift erfüllt. Für die Annahme einer Anrufungsauskunft ist entgegen der Auffassung der Revision nicht erforderlich, daß in ihr ausdrücklich auf § 56 LStDV 1971 (§ 42e EStG) Bezug genommen wird, auch wenn es im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen wäre, wenn die FÄ bei Erteilung von Anrufungsauskünften auf die Rechtsgrundlage und die begrenzte Verbindlichkeit hinweisen würden. Die Auskunft wurde auch "im einzelnen Fall" erteilt. Es trifft zwar zu, daß die Auskunft nicht auf einen bestimmten Arbeitnehmer oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis Bezug nimmt. Eine Auskunft ist aber auch dann "im einzelnen Fall" i.S. des § 56 LStDV (§ 42e EStG) erteilt, wenn sie sich nicht auf einen genau bezeichneten Arbeitnehmer, sondern auf einen bestimmten Falltypus oder eine Fallgruppe bezieht. Durch die Einschränkung "im einzelnen Fall" sollte nicht die Notwendigkeit der Erheblichkeit der Auskunft in einem einzigen Fall statuiert, sondern lediglich verdeutlicht werden, daß der Anfrage des Arbeitgebers ein konkreter Anlaß zugrunde liegen muß und die Behörde nicht zur Erteilung aller denkbaren theoretischen Auskünfte ohne konkretes Rechtsschutzbedürfnis verpflichtet ist (vgl. Barein in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 42e, Rdnr.2).
b) Das FG hat seine Auffassung, durch die vom Betriebsstätten-FA X erteilte Auskunft in dem Schreiben vom 27.Oktober 1971 sei keine Bindung des Wohnsitz-FA der Kläger für das Veranlagungsverfahren eingetreten, zu Recht aus dem Wesen der Auskunft als einer Anrufungsauskunft i.S. des § 56 LStDV (§ 42e EStG) abgeleitet. Denn der Senat hat entschieden, daß § 56 LStDV (§ 42e EStG) gegenüber der gesetzlich nicht geregelten, ausschließlich aus Treu und Glauben hergeleiteten verbindlichen Zusage lex specialis ist (BFH-Urteil vom 9.März 1979 VI R 185/76, BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451, 453). Dementsprechend richten sich die Wirkung und Reichweite einer Auskunft, die alle Merkmale des § 56 LStDV (§ 42e EStG) erfüllt und --wie im Streitfall-- keine weitergehenden Zusagen enthält, grundsätzlich nach dieser Vorschrift und nicht nach denjenigen Grundsätzen, die für die im Gesetz nicht geregelte, aus Treu und Glauben abgeleitete verbindliche Zusage (Zusicherung) gelten.
c) Die Verbindlichkeit einer Anrufungsauskunft beschränkt sich auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren und erstreckt sich nicht auf das Veranlagungsverfahren. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 56 LStDV 1971 (§ 42e EStG) und der Gesetzessystematik (vgl. auch BFH-Urteile vom 31.Juli 1991 I R 47/90, BFHE 165, 392; vom 28.August 1991 I R 3/89, BFHE 165, 404, BStBl II 1992, 107). Soweit aus den Ausführungen in dem Senatsurteil in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451 etwas anderes folgen könnte, hält der Senat an ihnen nicht mehr fest.
aa) Bei der Auslegung des § 56 LStDV (§ 42e EStG) ist zunächst zu berücksichtigen, daß das Steuerrecht keine generelle Auskunftspflicht der Finanzbehörden kennt. Auch in der AO 1977 ist lediglich die Zusage aufgrund einer Außenprüfung (§§ 204 ff. AO 1977) geregelt worden. Anders als in § 38 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) hat der Gesetzgeber für das Steuerrecht keine allgemeinen Regelungen über Zusicherungen getroffen und auch nicht treffen wollen (vgl. BTDrucks 7/4292, zu §§ 204 bis 207 AO 1977, S.35; BFH-Urteil vom 29.Oktober 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121, 123). Deshalb kommt eine analoge Anwendung des § 38 VwVfG oder des in dieser Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens im Steuerrecht nicht in Betracht. Wegen des Fehlens einer generellen Regelung über die Pflicht zur Auskunftserteilung wurde allerdings für das Lohnsteuer-Abzugsverfahren eine Ausnahme für notwendig erachtet, um für den Arbeitgeber das ihn bedrohende Haftungsrisiko (vgl. § 42d EStG) erträglich zu gestalten (vgl. BFH-Urteil vom 13.November 1959 VI 124/59 U, BFHE 70, 290, BStBl III 1960, 108; Drenseck, Verwaltungsakte im Lohn- und Einkommensteuerverfahren; in Stolterfoht (Hrsg.), Grundfragen des Lohnsteuerrechts, DStJG 1986, S.377, 391 m.w.N.). Zur Milderung der aus der Verpflichtung zur Einbehaltung der Lohnsteuer resultierenden besonders hohen Haftungsrisiken mußte dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt werden, vom FA verbindlich zu erfahren, wie er im Zweifelsfall beim Lohnsteuerabzug verfahren soll. Dieser Zweck wird aber durch die Verbindlichkeit der Auskunft nur für das Lohnsteuer-Abzugsverfahren erfüllt (vgl. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 42e Anm.A 3 und B 15; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl., § 42e Anm.8 c).
bb) Zu einer Anfrage auf Erteilung einer Auskunft nach § 56 LStDV (§ 42e EStG) ist zwar auch der Arbeitnehmer als der Schuldner der Steuer (§ 38 EStG) berechtigt (vgl. BFH in BFHE 70, 290, BStBl III 1960, 108; in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451). Ihm soll es bei Meinungsverschiedenheiten mit seinem Arbeitgeber ermöglicht werden, auf schnellem Wege und ohne arbeitsgerichtliches Verfahren einen evtl. vom Arbeitgeber vorgenommenen zu hohen Lohnsteuerabzug durch eine ihm günstige Auskunft des für seinen Arbeitgeber zuständigen FA zu verringern (vgl. Drenseck, a.a.O., S.392 f.). Dem anzuerkennenden Interesse des Arbeitnehmers an der richtigen Einbehaltung der Lohnsteuer und monatlichen Auszahlung eines höheren Betrages durch den Arbeitgeber ist aber Rechnung getragen mit einer Auskunft, die nur für das Lohnsteuer-Abzugsverfahren verbindlich ist. Das Lohnsteuer-Abzugsverfahren ist für den Arbeitnehmer, der zur Einkommensteuer zu veranlagen ist, ein Vorauszahlungsverfahren. Denn in § 46 Abs.4 EStG ist bestimmt, daß nur für denjenigen Arbeitnehmer, für den eine Veranlagung nicht in Betracht kommt, die Einkommensteuer als abgegolten gilt. Daraus ergibt sich im Umkehrschluß, daß bei zu veranlagenden Arbeitnehmern die einbehaltene Lohnsteuer den Einkommensteuervorauszahlungen (§ 37 EStG) der anderen Steuerpflichtigen entspricht. Diese Vorauszahlungen aber haben lediglich vorläufigen Charakter mit der Folge, daß ein FA an eine im Vorauszahlungsverfahren bei der Ermittlung der Höhe der Vorauszahlungen vertretene Rechtsauffassung im späteren Veranlagungsverfahren grundsätzlich nicht gebunden ist. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Verordnungsgeber (Gesetzgeber) durch § 56 LStDV 1971 (§ 42e EStG) eine Besserstellung der Arbeitnehmer herbeiführen wollte.
cc) Auch der Umstand, daß die Auskunft vom Betriebsstätten-FA zu erteilen ist, spricht für eine Beschränkung der Bindung auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren. Hätte der Verordnungsgeber (Gesetzgeber) eine Bindung der im Lohnsteuer-Abzugsverfahren erteilten Auskunft für die Veranlagung der einzelnen Arbeitnehmer beabsichtigt, hätte es nahegelegen, das für die Arbeitnehmer zuständige Wohnsitz-FA oder die beiden FÄ übergeordnete Behörde in das Auskunftsersuchen einzubeziehen oder aber die Auskunft als Grundlagenbescheid i.S. des § 179 AO 1977 auszugestalten. Dem hätte aber das Interesse des Arbeitgebers, der monatlich seine Lohnsteuer-Anmeldungen abzugeben hat (§ 41a EStG), an einer zeitnahen Auskunft entgegengestanden. Gerade dieses Interesse der Auskunftsberechtigten an einer raschen Auskunft in einem Verfahren, das aus der Sicht des zu veranlagenden Arbeitnehmers seiner Rechtsnatur nach nur ein vorläufiges ist, ist die Rechtfertigung dafür, die Verbindlichkeit dieser Auskunft auf das Verfahren zu begrenzen, für das der Verordnungsgeber (Gesetzgeber) sie bestimmt hat.
dd) Dieses Auslegungsergebnis läßt sich für § 56 LStDV zwar nicht eindeutig aus der Systematik der LStDV erkennen. Denn die Vorschrift ist unter der Überschrift "VI. Übergangs- und Schlußbestimmungen" in der LStDV 1971 angesiedelt. Dafür, daß diese Vorschrift jedoch im dargelegten Sinne zu verstehen ist, spricht, daß sie bei ihrer Übernahme in das Einkommensteuergesetz 1975 in dem Abschnitt "VI. Steuererhebung" unter den Gliederungspunkt "2. Steuerabzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer)" aufgenommen und damit eindeutig den Bestimmungen zugeordnet worden ist, die ausschließlich das Verfahren des Lohnsteuerabzugs regeln.
4. Die von den Klägern erstrebte Bindung des Wohnsitz-FA an die unrichtige Anrufungsauskunft des Betriebsstätten-FA ergäbe sich auch dann nicht, wenn der Senat nicht an seiner Auffassung festhielte, daß die Anrufungsauskunft eine Wissenserklärung (BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451) ist, sondern annähme, daß sie ein Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO 1977 sei (vgl. Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 42e Anm.7). Dies gilt unabhängig davon, ob dieser Verwaltungsakt als ein solcher mit Drittwirkung einzustufen wäre. Denn auf jeden Fall hätte sich durch die Qualifizierung der Anrufungsauskunft als Verwaltungsakt nichts daran geändert, daß sich die Bindung einer Anrufungsauskunft aus den oben dargelegten Gründen grundsätzlich auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren beschränkt. Eine Ausstrahlung der Auskunft auf das Veranlagungsverfahren ließe sich auch dann, wenn sie ein Verwaltungsakt wäre, nur aus Treu und Glauben rechtfertigen. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben kann aber grundsätzlich nur dann zur Verbindlichkeit einer unrichtigen Auskunft führen, wenn sie von der zuständigen Person erteilt worden ist (BFH-Urteil vom 13.Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, 276 m.w.N.). Dies trifft im Streitfall nicht zu.
Fundstellen
Haufe-Index 64261 |
BFH/NV 1993, 2 |
BStBl II 1993, 166 |
BFHE 169, 202 |
BFHE 1993, 202 |
BB 1993, 1201 |
BB 1993, 1201-1203 (LT) |
DB 1993, 73-75 (LT) |
DStR 1992, 1761 (KT) |
DStZ 1993, 57 (KT) |
HFR 1993, 83 (LT) |
StE 1992, 672 (K) |