Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Erlaß eines Lohnsteuerhaftungsbescheides gegen den Arbeitgeber kann gegen Recht und Billigkeit verstoßen, wenn das Finanzamt außer Betracht läßt, daß der Arbeitnehmer inzwischen aus dem Betrieb ausgeschieden ist und die Lohnsteuer ebenso schnell und glatt vom Arbeitnehmer eingezogen werden kann wie vom Arbeitgeber.
Wird der gegen den Arbeitgeber erlassene Haftungsbescheid aufgehoben, weil zunächst der Arbeitnehmer herangezogen werden soll, so steht dies einer erneuten Inanspruchnahme des Arbeitgebers nicht ohne weiteres entgegen, wenn die Steuer später beim Arbeitnehmer nicht eingezogen werden kann.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 3; LStDV § 46 Abs. 1; StAnpG § 2 Abs. 2, § 7 Abs. 3
Tatbestand
Die Bfin., eine Versicherungs-AG, beschäftigte bis zum 31. Oktober 1957 den Versicherungsdirektor A. als Vorstandsmitglied. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Vereinbarung gelöst. Am 24. Oktober 1957 vereinbarte die Bfin. mit A., ihm als Entschädigung für die vorzeitige Lösung des Arbeitsverhältnisses 25.000 DM am Tage seines Ausscheidens zu zahlen und ihm den von ihm benutzten Dienstkraftwagen für 1.750 DM zu überlassen; ferner sollte A. die von der Bfin. gemietete und ihm als Dienstwohnung zur Verfügung gestellte Wohnung erhalten, wobei die Bfin. ihre Ansprüche gegen den Eigentümer aus einer geleisteten Mietvorauszahlung auf A. übertrug. Es war vereinbart, daß A. die Zustimmung des Eigentümers zu seinem Eintritt in das Vertragsverhältnis beibringen sollte. Nachdem die Zustimmung des Eigentümers nicht zu erreichen gewesen war, vereinbarte die Bfin. am 28. April 1958 mit A., daß er die ihm aus dem Vertrag vom 24. Oktober 1957 an der Wohnung zustehenden Rechte auf die Bfin. zurückübertrage und die Wohnung bis zum 1. Juli 1958 räume. Für diesen Verzicht wurden ihm 9.500 DM zugesagt. Gleichzeitig bestätigte die Bfin. dem A., daß sie von der Erhebung einer Mietforderung für die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis zum 30. Juni 1958 Abstand nehme.
Die Bfin. behielt für die auf Grund der Vereinbarungen vom 24. Oktober 1957 und 28. April 1958 geleisteten Zahlungen keine Lohnsteuer ein. Das Wohnsitzfinanzamt veranlagte A. für das Jahr 1957 und rechnete dabei die Entschädigungen von 26.750 DM den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit zu. Die Veranlagung beruhte auf der von A. abgegebenen Einkommensteuererklärung. Für das Jahr 1958 wurde A. nicht zur Einkommensteuer veranlagt, nachdem er dem Wohnsitzfinanzamt erklärt hatte, daß sein Einkommen 1958 24.000 DM nicht überstiegen habe.
Nach einer Lohnsteuerprüfung erließ das Finanzamt im Jahre 1960 einen Haftungsbescheid gegen die Bfin. als Arbeitgeberin, in dem es die im Jahre 1958 an A. geleisteten Abfindungen von 9.500 DM und den Verzicht auf acht Monatsmieten im Wert von 2.320 DM zur Lohnsteuer heranzog. In dem Haftungsbescheid erklärte das Finanzamt, daß die Inanspruchnahme des A. nicht in Frage komme, weil die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 LStDV 1959 nicht erfüllt seien.
Der Einspruch und die Berufung blieben erfolglos. Das Finanzgericht lehnte die Auffassung der Bfin. ab, daß die im Jahre 1958 geleistete Entschädigung ein Ersatz für den Verlust der dem A. am 24. Oktober 1957 hinsichtlich des Wohnrechts zugestandenen Rechte sei. Es nahm vielmehr den Zusammenhang der Entschädigung mit dem früheren Arbeitsverhältnis als gegeben an. Der Besteuerung stünde nicht entgegen, daß A. bereits für das Jahr 1957 zur Einkommensteuer veranlagt worden sei; denn bei dieser Veranlagung sei der dem A. aus dem übertragenen Mietverhältnis erwachsene Vorteil nicht erfaßt worden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führte zur Aufhebung der Vorentscheidungen und des Haftungsbescheides.
Der Senat braucht zu den sachlichen Streitfragen nicht abschließend Stellung zu nehmen, da das Finanzgericht nicht ausreichend geprüft hat, ob das Finanzamt nicht die Grenzen seines Ermessens verletzte, als es an Stelle des A. als des eigentlichen Steuerschuldners die Bfin. als Arbeitgeberin mit dem streitigen Haftungsbescheid in Anspruch nahm. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß das Finanzamt und das Finanzgericht in jedem Fall prüfen müssen, ob sie den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer als den eigentlichen Steuerschuldner heranziehen wollen, wenn die Lohnsteuer nicht richtig einbehalten worden ist (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 183/59 S vom 24. November 1961, BStBl 1962 III S. 37/40, Slg. Bd. 74 S. 97; VI 279/61 U vom 26. Juli 1963, BStBl 1963 III S. 470). Beide sind Gesamtschuldner und können deshalb jeder für sich gemäß § 7 Abs. 3 StAnpG vom Finanzamt in Anspruch genommen werden. Die Entscheidung, wen von beiden das Finanzamt heranzieht, ist nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit (§ 2 Abs. 2 StAnpG) zu treffen. Dabei kann vor allem auch der Umstand, daß der Arbeitnehmer bereits beim Arbeitgeber ausgeschieden ist, von Bedeutung sein. Denn wenn der Arbeitnehmer ausgeschieden ist, kann der Arbeitgeber die verauslagte Lohnsteuer nicht mehr ohne weiteres vom künftigen Gehalt kürzen. Er ist in der Regel genötigt, den früheren Arbeitnehmer auf Ersatz der verauslagten Lohnsteuer in einem Prozeß vor dem Arbeitsgericht in Anspruch zu nehmen. Von Bedeutung kann ferner sein, ob der Arbeitgeber auch bei der gebotenen Sorgfalt über die Lohnsteuerpflicht einer Entschädigung Zweifel haben konnte. Von Bedeutung kann es vor allem auch sein, ob der Arbeitnehmer gemäß § 46 Abs. 2 Ziff. 1 EStG durch Veranlagung herangezogen werden kann und das Finanzamt die Lohnsteuer von ihm eben so schnell und glatt hereinbringen kann wie vom Arbeitgeber. Die Heranziehung oder Veranlagung des Arbeitnehmers bedeutet allerdings noch nicht, daß der Steueranspruch gegenüber dem Arbeitgeber als Gesamtschuldner damit erlischt. Das Gesamtschuldverhältnis erlischt erst, wenn die Schuld von einem Gesamtschuldner tatsächlich erfüllt ist. Stellt sich aber heraus, daß die in einem Haftungs- oder Veranlagungsbescheid vom Arbeitnehmer angeforderte Lohnsteuer bei ihm nicht beizutreiben ist, so kann das Finanzamt immer noch an den Arbeitgeber herantreten (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 188/36 vom 19. November 1936, RStBl 1937 S. 18).
Die Vorentscheidung, die diese rechtlichen Gesichtspunkte nicht ausreichend gewürdigt hat, war wegen unrichtiger Anwendung von § 38 Abs. 3 EStG (§ 46 LStDV) und § 7 Abs. 3 StAnpG aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat ist der Auffassung, daß der Haftungsbescheid gegen die Bfin. aus den dargelegten Gründen ersatzlos aufzuheben ist.
Fundstellen
Haufe-Index 411093 |
BStBl III 1964, 213 |
BFHE 1964, 560 |
BFHE 78, 560 |