Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Herstellungskosten; räumliche Beziehung der Arbeiten zum Objekt
Leitsatz (amtlich)
Die Annahme nachträglicher Herstellungskosten i.S. des § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG setzt zumindest eine räumliche Beziehung der nachträglichen Herstellungsarbeiten zu dem Objekt voraus, das sie ergänzen oder vervollständigen sollen.
Normenkette
EStG § 10e Abs. 2, 3 S. 2, Abs. 4 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), die Eheleute sind und zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, erhielten bis 1988 für ihr 1981 erworbenes Einfamilienhaus die Förderung nach § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Jahre 1989 planten sie einen umfassenden Aus- und Umbau dieses Hauses. Nach dem Entwurf eines Architekten sollten die Wohnfläche sowohl im Erdgeschoss wie im Dachgeschoss im Norden und im Süden des Hauses erweitert und die Raumaufteilung verändert werden. Zunächst stellten die Kläger jedoch den Bauantrag nur für den Teil des Umbaus, der im Wesentlichen die Verlegung des Eingangsbereichs und geringe Wohnraumerweiterungen im Süden des Erdgeschosses und des Dachgeschosses betraf. Diese Baumaßnahme, für die der Architekt die Schlussrechnung im Jahre 1991 erteilte, wurde mit einem Aufwand von 102 164 DM durchgeführt. Die Kläger machten dafür ab 1989 jährlich Sonderausgaben nach § 10e Abs. 2 EStG in Höhe von 5 108 DM geltend. Im Jahre 1992 beantragten sie die Genehmigung der Wohnraumerweiterung im nördlichen Erd- und Dachgeschoss. Die dafür erstellte Bauzeichnung entsprach im Wesentlichen ―abgesehen von Details― dem ursprünglichen Plan aus dem Jahr 1989. Die Kosten dieser 1992 durchgeführten Baumaßnahme betrugen ca. 180 000 DM.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1992 und 1993 machten die Kläger Sonderausgaben gemäß § 10e EStG in Höhe von 13 134 DM geltend. Als Bemessungsgrundlage setzten sie die 102 164 DM aus 1989 und 160 516 DM aus 1992 an.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden für 1992 und 1993 als Sonderausgaben nach § 10e EStG jedoch unverändert lediglich 5 108 DM. Es hielt den Klägern Objektverbrauch nach § 10e Abs. 4 Satz 2 EStG entgegen, weil es sich bei den jeweiligen Aus- und Umbauten um zwei getrennte Bauvorhaben gehandelt habe, so dass die Maßnahme aus 1992 ein drittes Objekt i.S. des § 10e EStG darstelle.
Im Einspruchsverfahren führten die Kläger aus, der Um- und Ausbau sei eine in zwei Bauabschnitten durchgeführte einheitliche Baumaßnahme. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung der Klage trugen sie unter Vorlage weiterer Bauzeichnungen vor, die Kosten der zweiten Maßnahme seien nachträgliche Herstellungskosten, weil die Erweiterung 1992 ohne die 1989 vorgenommene Verlegung des Eingangs nicht möglich gewesen sei.
Da mit der Baumaßnahme 1992 auch Erhaltungsaufwendungen getätigt wurden, deren Umfang im Klageverfahren kurzfristig nicht geklärt werden konnte, erließ das Finanzgericht (FG) ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es entschied, dass die von den Klägern im Jahre 1992 getätigten Herstellungskosten gemäß § 10e Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 EStG als nachträgliche Herstellungskosten für den in 1989 durchgeführten Aus- und Erweiterungsbau steuermindernd zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 824.
Mit der dagegen erhobenen Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Es beantragt, das angefochtene Zwischenurteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Der während des Revisionsverfahrens ergangene Einkommensteuerbescheid für 1993 vom 30. Juli 2001 ist gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 68 Rz. 20; für analoge Anwendung des § 68 FGO: Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 123 FGO Tz. 7).
Die statthafte Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung (§ 126 Abs. 3 FGO). Die im Jahre 1992 getätigten Aufwendungen stellen im Gegensatz zur Auffassung des FG keine nach § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG berücksichtigungsfähigen nachträglichen Herstellungskosten des im Jahre 1989 vorgenommenen An- und Umbaus dar. Sie haben vielmehr zu einem selbständig zu beurteilenden Objekt i.S. des § 10e Abs. 2 EStG geführt, das wegen Objektverbrauchs nach § 10e Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG nicht mehr begünstigt ist.
1. Die Kläger, deren Einfamilienhaus bis 1988 nach § 7b EStG gefördert wurde, haben zu Recht ab 1989 einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 2 EStG in Anspruch genommen und erhalten, weil mit den 1989 durchgeführten Maßnahmen das Einfamilienhaus durch einen Anbau erweitert worden ist, mit dem neuer Wohnraum entstanden ist. Diese Erweiterung war 1989 fertig gestellt und ist ein selbständiges Objekt i.S. des § 10e Abs. 1 und 2 EStG.
2. Mit den im Jahre 1992 vorgenommenen Arbeiten erweiterten die Kläger ihr Einfamilienhaus um weiteren, neuen Wohnraum. Das Schaffen neuen Wohnraums kann vom Grundsatz her als Ausbau/Erweiterung nach § 10e Abs. 2 EStG oder als nachträgliche Herstellungskosten nach § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG gefördert werden (vgl. Senatsurteil vom 28. Juli 1999 X R 163/95, BFH/NV 2000, 180 unter II. 3.; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl. 2002, § 10e Rz. 106 a.E.). Der Begünstigung nach § 10e Abs. 2 EStG steht aber der in § 10e Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG geregelte Objektverbrauch entgegen, weil die Kläger durch die Inanspruchnahme der Förderung nach § 7b EStG für ihr Einfamilienhaus und der Förderung nach § 10e Abs. 2 EStG für die 1989 vorgenommene Ausbau-/Erweiterungsmaßnahme an diesem Einfamilienhaus die ihnen zustehende Wohnbaubegünstigung ausgeschöpft haben. Der Tatbestand des § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG ist mangels räumlichen und bautechnischen Zusammenhangs mit der im Jahre 1989 durchgeführten Ausbau-/Erweiterungsmaßnahme nicht erfüllt.
3. Nachträgliche Herstellungsarbeiten (§ 10e Abs. 3 Satz 2 EStG) setzen etwas schon Bestehendes voraus, das ergänzt oder vervollständigt wird. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nur erfüllt, wenn zwischen dem schon Bestehenden und den nachträglichen Herstellungsarbeiten zumindest eine räumliche, wenn nicht sogar eine bautechnische Verbindung besteht und sich insofern die nachträglichen Herstellungsarbeiten auf das schon Bestehende beziehen.
a) Dieser Bezugspunkt kann im Streitfall das Einfamilienhaus schon deshalb nicht sein, weil die fraglichen Aufwendungen erst 1989 nach Ablauf des Abzugszeitraums für das Einfamilienhaus entstanden sind und der Annahme nachträglicher Herstellungskosten die Regelung des § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG entgegenstünde, wonach nachträgliche Herstellungskosten nur begünstigt sind, so lange der Abzugszeitraum noch nicht abgelaufen ist.
b) Somit kommt als das schon Bestehende, dem die 1992 durchgeführten Herstellungsarbeiten zugeordnet werden könnten, nur die 1989 ausgeführte Ausbau-/Erweiterungsmaßnahme in Frage. Weil indes die im Süden des Hauses durchgeführte Baumaßnahme des Jahres 1989 und die den Nordteil des Hauses betreffende des Jahres 1992 keinerlei äußere und erst recht keine bautechnische Verbindung miteinander aufweisen, vielmehr räumlich voneinander getrennt sind, besteht entgegen der Ansicht des FG zwischen diesem schon Bestehenden und den 1992 durchgeführten Herstellungsarbeiten nicht allein deshalb ein räumlicher Zusammenhang, weil mit diesen Arbeiten ebenso wie mit den 1989 durchgeführten das Einfamilienhaus ausgebaut bzw. erweitert wurde. Eine solche Betrachtung übersieht, dass ein Ausbau/eine Erweiterung ein selbständiges Objekt i.S. des § 10e Abs. 2 EStG ist, das der eigenen Förderung zugänglich ist. Sie setzt unzutreffenderweise die ausgebaute/erweiterte Wohnung (hier: das Einfamilienhaus) deren Ausbau/Erweiterung (hier: dem 1989 erstellten Anbau) gleich und verkennt letztlich den Rechtscharakter der 1989 ausgeführten und abgeschlossenen Baumaßnahme als eigenständiges Objekt i.S. des § 10e Abs. 2 EStG. Dessen Eigenständigkeit als zweites Objekt der Kläger, für das sie eine Wohnbauförderung erhalten haben, bewirkt den in § 10e Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG geregelten Objektverbrauch und steht somit einer Förderung der im Jahre 1992 durchgeführten und abgeschlossenen Baumaßnahme entgegen. Die entsprechenden Aufwendungen sind keine nachträglichen Kosten der Herstellung des zweiten Objekts der Kläger und werden es auch nicht dadurch, dass sich nach ihrer Darlegung der volle wirtschaftliche Sinn und Wert der Wohnraumerweiterung erst mit der zweiten Baumaßnahme 1992 eingestellt hat. Genauso wenig vermögen die den beiden Baumaßnahmen zugrunde liegenden gemeinsamen planerischen Vorstellungen und Absichten den fehlenden räumlichen und bautechnischen Zusammenhang zwischen der 1989 abgeschlossenen und der 1992 durchgeführten Maßnahme zu ersetzen.
4. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die folgenden Überlegungen:
Nach herrschender Meinung werden bei der Bestimmung des "Objekts" i.S. des § 10e Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG bzw. des § 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) "mehrere Ausbauten und Erweiterungen" zusammengefasst, wenn sie sich ―trotz fehlenden räumlichen/bautechnischen Zusammenhangs― als "Durchführung einer einheitlichen Maßnahme" darstellen (vgl. FG Köln, Urteil vom 22. März 2000 14 K 5858/99, EFG 2000, 736; zu § 2 Abs. 2 EigZulG Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 10. Februar 1998, BStBl I 1998, 190, Rdnr. 34; Wacker, Eigenheimzulagengesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2001, § 2 Rdnr. 30). Dies als zutreffend unterstellt würde eine Einheitlichkeit jedenfalls voraussetzen, dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den "mehreren Ausbauten und Erweiterungen" besteht. Denn nach § 10e Abs. 2 EStG begünstigt sind nur solche Baumaßnahmen, die in einem gegenüber der Gebäudeerrichtung deutlich getrennten und hinsichtlich ihres Beginns "wie ihrer Fertigstellung abgrenzbaren Bauabschnitt vorgenommen werden" (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4. Dezember 1979 VIII R 188/78, BFHE 129, 365, BStBl II 1980, 203; vom 24. Februar 1999 X R 2/96, BFH/NV 1999, 1083). Dies erfordert unabdingbar einen zeitlichen Zusammenhang der Baumaßnahmen.
Ein solcher Zusammenhang muss im Streitfall verneint werden. Der Umstand, dass im Jahre 1992 der Abzugszeitraum für das im Jahre 1989 geschaffene Objekt (Ausbau/Erweiterung) noch nicht abgelaufen war, kann für sich allein diese Voraussetzung nicht erfüllen (vgl. Wacker, a.a.O., § 2 Rdnr. 30; Hausen/Kohlrust-Schulz, Die Eigenheimzulage, 2. Aufl. 1998, Rdnr. 91).
Hiermit stimmt überein, dass der Senat in seinem Urteil in BFH/NV 1999, 1083 eine "einheitliche Baumaßnahme" für den Fall verneint hat, dass zwei Jahre nach Fertigstellung eines Ausbaus im Dachgeschoss ein Anbau an das Wohnhaus errichtet wurde. Dieses Urteil ist gestützt auf die Erwägungen, dass für Anbau und Ausbau jeweils ein selbständiger Bauantrag in unterschiedlichen Jahren gestellt worden war und auch die Baumaßnahmen in unterschiedlichen Jahren durchgeführt wurden. Ist indes ein "Bauabschnitt" erkennbar fertiggestellt und fehlt es daher an einem zeitlichen Zusammenhang mit einer weiteren Baumaßnahme, kommt einem einheitlichen Bauantrag als eher formalem und gestaltbarem Sachverhaltselement keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
5. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung bereits aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), ohne dass es einer Entscheidung bedarf, ob die vom FA gerügten Verfahrensmängel vorliegen. Dem weiteren Verfahren hat das FG die Rechtsauffassung des Senats zugrunde zu legen.
6. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten (ständige Rechtsprechung: BFH-Entscheidungen vom 27. Juni 1996 IV R 76/95, BFH/NV 1997, 100; vom 14. Mai 1976 III R 22/74, BFHE 119, 25, BStBl II 1976, 545, und vom 25. November 1986 VII R 69/86, BFH/NV 1987, 523).
Fundstellen
Haufe-Index 795418 |
BFH/NV 2002, 1397 |
BStBl II 2003, 461 |
BFHE 199, 446 |
BFHE 2002, 446 |
BB 2002, 2006 |
DB 2002, 2520 |
DStRE 2002, 1236 |
HFR 2002, 1086 |