Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfahndungsprüfung: Keine Außenprüfung i.S. des § 173 Abs.2 AO 1977, Erfordernis von Prüfungsanordnung und Schlußbesprechung - Änderungssperre auch bei Tatsachen zugunsten des Steuerpflichtigen - Verschulden bei Rechtsirrtum - Nachträgliches Bekanntwerden einer Tatsache - Steuerfestsetzung nach § 14 Abs. 3 UStG
Leitsatz (amtlich)
Eine Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs.1 AO 1977 ist keine Außenprüfung i.S. des § 173 Abs.2 AO 1977. Ein Steuerbescheid, der auf Grund einer Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs.1 AO 1977 ergangen ist, unterliegt deshalb nicht der Änderungssperre des § 173 Abs.2 AO 1977.
Orientierungssatz
1. Eine Steuerfahndungsprüfung fällt dann unter § 173 Abs. 2 AO 1977, wenn die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen eine Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde gemäß § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 durchgeführt haben (vgl. Literatur).
2. Aufgabe der Steuerfahndung ist in erster Linie die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen (§ 208 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) gehört unmittelbar zur Erforschung der Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten und ist deren nicht abtrennbarer Teil; sie ist dem Bereich des Strafverfahrens bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahrens zuzurechnen, für den der Finanzrechtsweg nicht gegeben ist. Dagegen ist die Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO 1977 als Ermittlungsmaßnahme Teil des Besteuerungsverfahrens (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. Eine Prüfungsanordnung für eine Steuerfahndungsprüfung muß nur dann erlassen werden und eine Schlußbesprechung ist nur dann abzuhalten, wenn die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle gemäß § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde mit einer Außenprüfung beauftragt worden ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
4. Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 wirkt auch, wenn nach einer Außenprüfung Tatsachen oder Beweismittel bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen.
5. Einem Steuerpflichtigen ist ein auf mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruhender Rechtsirrtum im allgemeinen nicht anzulasten.
6. Eine Tatsache ist nachträglich bekanntgeworden, wenn sie dem zuständigen Bediensteten des FA beim Abschluß der Willensbildung in bezug auf den zu ändernden Steuerbescheid nicht bekannt war. Unerheblich ist im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977 auch, ob der zuständige Beamte des FA eine Tatsache lediglich hätte kennen können oder kennen müssen.
7. Ein gesonderter Steuerausweis i.S. des § 14 Abs. 3 UStG 1980 liegt nur dann vor und kann die Festsetzung einer Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 rechtfertigen, wenn in einer Rechnung Umsatzsteuer eindeutig, klar und unbedingt ausgewiesen worden ist.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, §§ 193, 195 S. 2, §§ 196, 201 Abs. 1, § 208 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2 Nr. 1; UStG 1980 § 14 Abs. 3
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte wegen eines in einer Rechnung unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrages nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) durch Umsatzsteuerbescheid für 1987 vom 16. Mai 1989 Umsatzsteuer in Höhe von 1 232 DM gegen den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) fest. Der Kläger hatte unter dem Briefkopf einer GmbH für das Zustandekommen eines Software-Lizenzvertrages sowie die Auslieferung eines Gebäudereiniger-Systems
" DM 8 800,00
+ DM 1 232,00
--------------
DM 10 032,00"
in Rechnung gestellt. Die GmbH war --da nicht im Handelsregister eingetragen-- zu keinem Zeitpunkt existent. Der in der Rechnung bezeichnete Leistungsaustausch fand nicht statt.
Auf Grund einer Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 der
Abgabenordnung (AO 1977), für die keine Prüfungsanordnung
ergangen war, erließ das FA am 20. September 1989 einen
Umsatzsteueränderungsbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
1977, in dem es zusätzlich Umsätze in Höhe von 11 000 DM
erfaßte und die Umsatzsteuer für 1987 auf 1 540 DM festsetzte.
Den Einspruch gegen diesen Bescheid wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 2. Januar 1990 zurück.
Die Rechnung lag der zuständigen Veranlagungsstelle bei Erlaß
der Bescheide vom 16. Mai und 20. September 1989 und auch der
Rechtsbehelfsstelle nicht vor.
Mit Schreiben vom 24. April 1990 beantragte der Kläger, den
Umsatzsteueränderungsbescheid vom 20. September 1989 gemäß §
173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 insoweit zu ändern, als darin
Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 festgesetzt worden
sei. Zur Begründung führte er aus, in der entsprechenden
Rechnung sei keine Umsatzsteuer ausgewiesen, wie ihm erst
jetzt bekannt geworden sei, nachdem er vom Rechnungsempfänger
eine Kopie der Rechnung erhalten habe. Diesen Antrag lehnte
das FA ab. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, die
Umsatzsteuer für 1987 auf 308 DM herabzusetzen. Das
Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte zur
Begründung im wesentlichen aus, das FA sei gemäß § 173 Abs. 1
Nr. 2 AO 1977 verpflichtet, die streitige
Umsatzsteuerfestsetzung zu ändern. Die Sperre des § 173 Abs. 2
AO 1977 stehe der Änderung der streitigen Steuerfestsetzung,
die nicht auf einer Außenprüfung durch die Steuerfahndung nach
§ 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977, sondern auf einer Fahndungsprüfung
gemäß § 208 Abs. 1 AO 1977 beruhe, nicht entgegen. Der Senat
folge insoweit nicht der Auffassung des FG Münster im
rechtskräftigen Urteil vom 20. März 1981 VII 1465/79 E
(Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1981, 486).
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 173 Abs. 2 AO
1977. Es ist der Auffassung, der Begriff der Außenprüfung i.S.
dieser Vorschrift umfasse auch eine Fahndungsprüfung.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils
die Klage abzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
1. Steuerbescheide sind nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977 zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen erst nachträglich bekanntwerden. Das FG hat die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall zu Recht bejaht, wie auch mit der Revision nicht in Zweifel gezogen wird.
a) Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ist, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80). Eine derartige Tatsache ist im Streitfall das Fehlen eines "gesonderten Steuerausweises" i.S. des § 14 Abs. 3 UStG 1980. Ein solcher Ausweis liegt nur dann vor und kann die Festsetzung einer Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 rechtfertigen, wenn in einer Rechnung Umsatzsteuer eindeutig, klar und unbedingt ausgewiesen worden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Juli 1988 V B 72/86, BFHE 154, 197, BStBl II 1988, 913; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz. 62, 150).
Daran fehlt es hier. Der in der Rechnung ausgewiesene Betrag von 1 232 DM macht zwar 14 v.H. des Betrages von 8 800 DM aus und entspricht damit dem im Streitjahr gültigen Steuersatz gemäß § 12 Abs. 1 UStG 1980. Der zahlenmäßige Betrag von 1 232 DM ist aber nicht als "Umsatzsteuer", "USt", "Mehrwertsteuer", "MwSt" oder wenigstens "Steuer" bezeichnet worden. Hinzu kommt, daß in der Rechnung zwei Leistungsgegenstände ausgewiesen sind, es also nicht ausgeschlossen ist, daß die in der Rechnung enthaltenen Beträge von 8 800 DM und 1 232 DM durch die beiden Leistungsgegenstände veranlaßt sind.
b) Die mithin zu einer niedrigeren Steuer führende Tatsache des fehlenden Steuerausweises ist dem FA erst i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977 nachträglich bekanntgeworden. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache dem zuständigen Bediensteten des FA beim Abschluß der Willensbildung in bezug auf den zu ändernden Steuerbescheid nicht bekannt war (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1996 IX R 77/95, BFHE 182, 2, BStBl II 1997, 422).
So war es nach den Feststellungen des FG im Streitfall. Die Rechnung lag weder der zuständigen Veranlagungsstelle beim Erlaß der Bescheide vom 16. Mai und 20. September 1989 noch der Rechtsbehelfsstelle bei Erlaß der Einspruchsentscheidung vom 2. Januar 1990 vor. Das Fehlen des Steuerausweises ging auch nicht aus dem vorliegenden Steuerfahndungsbericht hervor. Darauf, daß der Steuerfahndungsbeamte die streitige Rechnung kannte, kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteile vom 16. Januar 1964 V 94/61 U, BFHE 78, 389, BStBl III 1964, 149, und vom 9. November 1984 VI R 157/83, BFHE 142, 402, BStBl II 1985, 191). Unerheblich ist im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977 auch, ob der zuständige Beamte des FA eine Tatsache lediglich hätte kennen können oder kennen müssen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 182, 2, BStBl II 1997, 422).
c) Den Kläger traf kein grobes Verschulden daran, daß das Fehlen des Steuerausweises dem FA verspätet bekanntgeworden ist. Als grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977 hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn er die ihm nach seinen gewöhnlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960, und vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346).
Von diesen Grundsätzen ist das FG bei seiner Entscheidung ausgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, dem Kläger als nicht Rechtskundigem könne in diesem Sinne keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden, wenn er nicht rechtzeitig auf den mangelnden Ausweis der Umsatzsteuer hingewiesen habe, nachdem offensichtlich auch der Prüfungsbeamte der Steuerfahndung diesem Umstand kein Gewicht beigemessen habe. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, wonach einem Steuerpflichtigen ein auf mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruhender Rechtsirrtum im allgemeinen nicht anzulasten ist (vgl. BFH-Urteile vom 10. August 1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131, und in BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960). Die Würdigung des FG mit diesem Ergebnis ist möglich und entspricht den gesetzlichen Auslegungsregeln sowie den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen. Sie ist deshalb für den erkennenden Senat bindend; darauf, ob sie zwingend ist, kommt es nicht an (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118 Rz. 17, m.w.N.).
2. Das FG hat ferner zutreffend entschieden, daß die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 im Streitfall nicht eingreift. Eine Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 --wie hier vorliegend-- ist keine Außenprüfung i.S. des § 173 Abs. 2 AO 1977.
a) Nach § 173 Abs. 2 AO 1977 können abweichend von § 173 Abs. 1 AO 1977 Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ergangen ist.
b) Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 wirkt auch, wenn nach einer Außenprüfung Tatsachen oder Beweismittel bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Die Berichtigung eines nach einer Außenprüfung ergangenen Steuerbescheides ist daher auch zugunsten des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht möglich (vgl. BFH-Urteile vom 29. Januar 1987 IV R 96/85, BFHE 149, 201, BStBl II 1987, 410, und vom 18. August 1988 V R 194/83, BFHE 154, 274, BStBl II 1988, 932).
c) Ob eine Steuerfahndungsprüfung eine Außenprüfung i.S. des § 173 Abs. 2 AO 1977 darstellt, wird in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilt.
Teilweise wird die Frage generell bejaht (vgl. FG Münster in EFG 1981, 486; Szymczak in Koch, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 173 Rz. 31; Günther, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1985, 514; Lohmeyer, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1995, 236). Einschränkend wird zum Teil verlangt, daß es sich um eine den Steuerfall in seiner Gesamtheit betreffende Steuerfahndungsprüfung gehandelt haben muß (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Januar 1988 V B 106/87, BFH/NV 1990, 76; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz. 35; Kühn/ Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 173 AO Bem. 7; v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 173 AO Rz. 134).
Dagegen fällt nach anderer Ansicht eine Steuerfahndungsprüfung nicht unter § 173 Abs. 2 AO 1977 (vgl. Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 173 Rz. 111), es sei denn, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen hätten eine Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde gemäß § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 durchgeführt (so Klein/ Rüsken, Abgabenordnung, 6. Aufl., § 173 Anm. 14, § 208 Anm. 9; Vocke in Schöll, Abgabenordnung, § 173 Rz. 43).
Der Senat tritt der letztgenannten Meinung bei. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:
aa) Nach seinem Wortlaut bezieht sich § 173 Abs. 2 AO 1977 nur auf auf Grund einer "Außenprüfung" ergangene Steuerbescheide. Die AO 1977 unterscheidet aber zwischen der "Außenprüfung" (Vierter Teil, Vierter Abschnitt) und der "Steuerfahndung" (Vierter Teil, Fünfter Abschnitt). Diese Unterscheidung trifft das Gesetz auch in § 171 Abs. 4 AO 1977 einerseits und § 171 Abs. 5 AO 1977 andererseits. Dies spricht gegen eine Gleichstellung einer Außenprüfung gemäß §§ 193 ff. AO 1977 mit einer Steuerfahndungsprüfung gemäß § 208 Abs. 1 AO 1977.
Zwar war der Begriff "Betriebsprüfung" i.S. der Verjährungsvorschrift des § 146a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) funktionell zu verstehen und umfaßte auch eine Steuerfahndungsprüfung (vgl. BFH-Urteile vom 16. Januar 1979 VIII R 149/77, BFHE 127, 128, BStBl II 1979, 453, und vom 13. März 1991 X R 33/89, BFH/NV 1991, 643). Daraus ergibt sich aber entgegen der Auffassung des FG Münster (in EFG 1981, 486) und des FA für die Auslegung des § 173 Abs. 2 AO 1977 schon deshalb nichts, weil --wie der BFH in seinem Urteil in BFHE 127, 128, BStBl II 1979, 453 zutreffend ausgeführt hat-- der mehrfach in der AO vorkommende Begriff "Betriebsprüfung" ohne nähere Abgrenzung jeweils mit verschiedener Zweckrichtung verwendet wird, so daß ein einheitlicher, sämtlichen Vorschriften der AO zugrundeliegender Inhalt des Begriffs nicht festgestellt werden kann.
bb) Aber nicht nur nach dem Wortlaut des § 173 Abs. 2 AO 1977 sind beide Prüfungen zu unterscheiden, vielmehr auch von ihrem Inhalt her. Denn die Aufgabe der Steuerfahndungsprüfung ist eine andere als die der Außenprüfung.
Aufgabe der Steuerfahndung (Zollfahndung) ist nach § 208 Abs. 1 Satz 1
1. die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten,
2. die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in den in Nr. 1 bezeichneten Fällen,
3. die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle.
Gemäß § 208 Abs. 2 AO 1977 sind unabhängig von Absatz 1 die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden und die Zollfahndungsämter zuständig
1. für steuerliche Ermittlungen einschließlich der Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde,
2. für die ihnen sonst im Rahmen der Zuständigkeit der Finanzbehörden übertragenen Aufgaben.
Nach § 208 Abs. 1 AO 1977 ist der Steuerfahndung eine Doppelfunktion zugewiesen: Eine steuerstrafrechtliche (Nr. 1) und eine steuerliche (Nrn. 2 und 3). Das wird bestätigt durch die Ergebnisse der Beratungen des Finanzausschusses (vgl. BTDrucks 7/4292, S. 36). Aus der gesetzlichen Regelung folgt, daß der Steuerfahndung neben der Erforschung von Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten auch die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen --und zwar im Zusammenhang mit Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten-- übertragen worden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Oktober 1986 I B 28/86, BFHE 147, 492, BStBl II 1987, 440). Dabei ist Aufgabe der Steuerfahndung in erster Linie die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (vgl. § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen (vgl. § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) gehört unmittelbar zur Erforschung der Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten und ist deren nicht abtrennbarer Teil; sie ist dem Bereich des Strafverfahrens bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahrens zuzurechnen, für den der Finanzrechtsweg nicht gegeben ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1983 VII R 2/82, BFHE 138, 164, BStBl II 1983, 482; BFH-Beschluß vom 4. September 1989 IV B 54/89, BFH/NV 1990, 151).
Dagegen ist die Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO 1977 als Ermittlungsmaßnahme Teil des Besteuerungsverfahrens (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1987 IV R 77/86, BFHE 152, 24, BStBl II 1988, 322). Primäre Aufgabe des Außenprüfers ist es, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu prüfen, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer maßgebend sind (vgl. § 199 Abs. 1 AO 1977; BFH-Urteil vom 4. November 1987 II R 102/85, BFHE 151, 324, BStBl II 1988, 113).
cc) Auch die Gesetzesmaterialien zur AO 1977 sprechen dagegen, eine Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 als Außenprüfung i.S. des § 173 Abs. 2 AO 1977 anzusehen.
Die Vorschrift über die Steuerfahndung in § 208 AO 1977 war im Gesetzentwurf zur AO 1977 nicht enthalten. Sie geht auf einen Vorschlag des Finanzausschusses zurück (vgl. BTDrucks 7/4292, S. 36). Im Hinblick auf die Aufnahme des § 208 in die AO 1977 hat der Finanzausschuß (ebenfalls) § 171 Abs. 5 AO 1977 eingefügt, um "hinsichtlich der Ablaufhemmung Maßnahmen der Zoll- bzw. Steuerfahndung dem Beginn einer Außenprüfung" gleichzustellen (vgl. BTDrucks 7/4292, S. 35).
Dagegen hat der Finanzausschuß sich bei § 173 Abs. 2 AO 1977 darauf beschränkt, die Worte "die auf" durch die Worte "soweit sie" zu ersetzen, um klarzustellen, daß im Fall der Beschränkung einer Außenprüfung auf einen Teil des Steuerfalles (§ 194 AO 1977) die Änderungssperre nur den geprüften Teil der Besteuerungsgrundlage umfasse. Dies kann nur so verstanden werden, daß im Rahmen des § 173 Abs. 2 AO 1977 --anders als bei § 171 AO 1977-- eine Gleichstellung zwischen Steuerfahndungsprüfung und Außenprüfung gerade nicht erfolgen sollte.
dd) Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Sinn und Zweck des § 173 Abs. 2 AO 1977.
Die Vorschrift "dient dem Rechtsfrieden nach einer Außenprüfung" (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 153). Sie will einem aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Steuerbescheid erhöhte Rechtsbeständigkeit verleihen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 149, 201, BStBl II 1987, 410). Dies erfordert es, eine Änderungssperre davon abhängig zu machen, daß die Prüfungsmaßnahmen auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt sind (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1987 X R 54/82, BFHE 152, 166, BStBl II 1988, 307). Eine Außenprüfung i.S. des § 173 Abs. 2 AO 1977 ist deshalb jede beim Steuerpflichtigen durchgeführte, als solche besonders angeordnete und umfassende Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Besteuerung und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 154, 274, BStBl II 1988, 932).
Eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) ist für eine Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 nicht gesetzlich vorgeschrieben. Sie muß nur dann erlassen werden, wenn die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle gemäß § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde eine Außenprüfung durchführt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 152, 24, BStBl II 1988, 322, und vom 11. Dezember 1991 I R 66/90, BFHE 166, 490, BStBl II 1992, 595). Maßgebend für den Umfang der Sperre nach § 173 Abs. 2 AO 1977 ist aber der Inhalt der Prüfungsanordnung (vgl. BFH-Urteile vom 12. Mai 1992 VIII R 45/90, BFH/NV 1993, 191, und vom 12. Oktober 1994 XI R 75/93, BFHE 176, 208, BStBl II 1995, 289). Dies verkennt der Einwand der Revision, im Gegensatz zur Betriebsprüfung bzw. anderen Außenprüfungen könne eine Prüfung zur Erforschung von Steuerstraftaten naturgemäß nicht von vornherein auf den einer Betriebsprüfung unterliegenden Personenkreis beschränkt werden und sei zu bzw. vor Beginn einer Prüfung auch nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmbar; ungeachtet dessen werde sich regelmäßig im Rahmen der Durchführung der Prüfung, und zwar auch für den Betroffenen erkennbar, herausstellen, gegen wen sich die steuerlichen Ermittlungen richteten.
Zudem wird auf Grund einer Fahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 häufig nicht der gesamte Steuerfall aufgerollt, sondern es werden nur bestimmte Schwerpunkte geprüft, hinsichtlich deren mit einer Steuerstraftat zu rechnen ist. Die Beurteilung, ob nur eine solche punktuelle Prüfung erfolgt ist oder ob der Steuerfall in seiner Gesamtheit geprüft wurde, ist oftmals auch anhand des Prüfungsberichts nicht eindeutig zu entscheiden. Weitere Ermittlungen zu dieser Frage stünden dem von § 173 Abs. 2 AO 1977 bezweckten Rechtsfrieden entgegen.
Schließlich sind die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen nicht verpflichtet, eine Fahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 mit einer --dem Rechtsfrieden dienenden-- Schlußbesprechung nach § 201 Abs. 1 AO 1977 abzuschließen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 208 AO Tz. 19 a). Eine Schlußbesprechung, in der insbesondere strittige Sachverhalte sowie die rechtliche Beurteilung der Prüfungsfeststellungen und ihre steuerlichen Auswirkungen zu erörtern sind (vgl. § 201 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), ist nur dann abzuhalten, wenn die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle nach § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 mit einer Außenprüfung beauftragt worden ist (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 21. November 1980 VI 109/80, EFG 1981, 325), es sei denn, daß sich nach dem Ergebnis der Außenprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt oder daß der Steuerpflichtige auf die Besprechung verzichtet (vgl. § 201 Abs. 2 Satz 1 AO 1977).
ee) Soweit das FA im Anschluß an das Urteil des FG Münster in EFG 1981, 486 darauf verweist, eine unterschiedliche Behandlung von Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 im Rahmen des § 173 Abs. 2 AO 1977 führe zu einer unsachgemäßen Besserstellung von unredlichen Steuerpflichtigen, weil diese durch eine Steuerfahndungsprüfung nicht gehindert seien, auch nach Bestandskraft neue Tatsachen unter den weiteren Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 "nachzuschieben", rechtfertigt dies keine andere Beurteilung.
Denn im umgekehrten Fall --soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977)-- bedeutet die Auslegung des § 173 Abs. 2 AO 1977 durch den Senat, daß (auch) das FA erst nach einer Steuerfahndungsprüfung bekanntgewordene Tatsachen und Beweismittel --hier zu Lasten des Steuerpflichtigen-- berücksichtigen darf. Von einer generellen Besserstellung des Steuerpflichtigen kann deshalb keine Rede sein.
Dementsprechend hat der Gesetzgeber den Gesichtspunkt, der einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit Verdächtigte dürfe steuerlich nicht besser gestellt werden als der redliche Steuerpflichtige, zwar im Rahmen des § 208 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 durch die Anordnung gewisser Mitwirkungspflichten nach § 200 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2, Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO 1977 berücksichtigt (vgl. BTDrucks 7/4292, S. 36), bei § 173 Abs. 2 AO 1977 aber ausweislich der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. oben II. 2. c cc) nicht als ausschlaggebend erachtet.
Fundstellen
Haufe-Index 67020 |
BFH/NV 1998, 1011 |
BStBl II 1998, 367 |
BFHE 185, 98 |
BFHE 1998, 98 |
BB 1998, 1148 |
BB 1998, 1882 |
DB 1998, 1498 |
DB 1998, 1498-1500 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1998, 807 |
DStRE 1998, 457 |
DStRE 1998, 457 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1998, 695 |
DStZ 1998, 695-696 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 621 |
StE 1998, 329 |
UR 1999, 176 |