Leitsatz (amtlich)
Hält ein Facharzt auf einem Facharztkongreß und anschließend auf Fachärztetreffen an verschiedenen Orten im Ausland mehrere Vorträge, so können die Aufwendungen für die Reise auch dann Betriebsausgaben sein, wenn die zwischen den einzelnen Vortragsveranstaltungen liegende Zeit auch für private Unternehmungen genutzt wird.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1968, ob Kosten, die durch die Teilnahme an einem Internationalen Ärztekongreß in Südafrika entstanden sind, als Betriebsausgaben abgezogen werden können.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr Chefarzt an der Urologischen Klinik in X, in der er auch eine freiberufliche Praxis betrieb. In der Zeit zwischen dem 5. September und 5. Oktober 1968 unternahm er zusammen mit seiner Ehefrau eine Reise in die Südafrikanische Republik. Er nahm dort am 7. Südafrikanischen Urologenkongreß teil, hielt eine Reihe von Vorträgen, besichtigte mehrere medizinische Zentren und beteiligte sich an Operationen. Im einzelnen verlief die Reise wie folgt:
5. September bis
8. September Anreise
9. September bis Urologenkongreß in Pretoriuskop (hier leitete der Kläger zum Teil die
12. September Sitzungen des Kongresses und hielt selbst drei Vorträge in englischer Sprache).
13. September bis Einladungen durch südafrikanische Urologen.
14. September
15. September Rückfahrt nach Johannesburg.
16. September Besichtigung eines Rehabilitationsinstituts für körperbehinderte Bantu und
des Hospitals für Farbige in Soweto.
17. September Fahrt nach Pretoria und Teilnahme an einer Chirurgensitzung mit eigenen
Vorträgen. Abends Rückfahrt nach Johannesburg und Vortrag auf einem Urologentreffen in der Universität.
18. September bis Fahrt auf dem Landwege nach Durban.
20. September
21. September bis Aufenthalt in Durban. Am 25. September Besichtigung eines Hospitals.
25. September
25. September bis Fahrt auf dem Schiff von Durban nach Port Elisabeth.
27. September
27. September Teilnahme an einer Tagung; dabei hielt der Kläger drei Vorträge.
28. September und Besuch von Kliniken in Port Elisabeth, Besprechungen mit Urologen und
29. September Untersuchung von Patienten.
30. September und Fahrt auf dem Landwege nach Kapstadt.
1. Oktober
2. Oktober Besprechung mit einem Urologen aus Kapstadt.
3. Oktober Besuch von Kliniken in Kapstadt mit Teilnahme an Operationen und experimentellen Versuchen.
4. Oktober und
5. Oktober Rückreise.
Die Aufwendungen für diese Reise (5 175 DM) machte der Kläger bei der Einkommensteuerveranlagung 1968 als Betriebsausgaben geltend. Die auf die Ehefrau des Klägers entfallenden Kosten hatte der Kläger hierbei ausgeschieden.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) am 30. März 1973 einen (berichtigten) Einkommensteuerbescheid, mit dem er den Abzug dieser Kosten zum größten Teil versagte. Das FA vertrat die Auffassung, daß die Reise des Klägers weder ausschließlich noch weitaus überwiegend durch berufliche Erwägungen veranlaßt gewesen sei. Von den 28 Reisetagen hätten lediglich 15 Tage den beruflichen Interessen des Klägers gedient. Als Betriebsausgaben seien nur die Mehraufwendungen für Verpflegung, die in den 15 betrieblich veranlaßten Reisetagen entstanden seien, anzuerkennen; dieser Aufwand sei mit einem Pauschbetrag in Höhe von 40 DM täglich anzusetzen. Die darüber hinausgehenden Aufwendungen seien dagegen der privaten Lebensführung zuzurechnen.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auf die Klage setzte das Finanzgericht (FG) die Einkommensteuer 1968 unter Änderung des angefochtenen Bescheids und der Einspruchsentscheidung herab. Zur Begründung führte es aus, die Aufwendungen des Klägers für seine Reise seien in vollem Umfang Betriebsausgaben. Reisekosten seien als Betriebsausgaben abziehbar, wenn die Reise nach ihrem Gesamtbild ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend durch berufliche Erwägungen veranlaßt sei. Diesen Voraussetzungen habe die Reise des Klägers entsprochen. Entscheidend sei, daß der Kläger an den von ihm besuchten Veranstaltungen nicht als Zuhörer, sondern als Vortragender teilgenommen habe. Er habe als anerkannter Fachwissenschaftler neun Fachvorträge gehalten, teilweise den Vorsitz auf dem Kongreß geführt und an mehreren Operationen teilgenommen. In einem solchen Fall spreche eine sehr viel stärkere Vermutung dafür, daß die Reise weitaus überwiegend aus beruflichem Anlaß unternommen worden sei und private Erwägungen sehr im Hintergrund stünden. Diese Vermutung werde auch nicht dadurch entkräftet, daß der Kläger während seines Aufenthalts in Südafrika Pausen eingelegt und Beförderungsmittel gewählt habe, die ihm Gelegenheit gegeben hätten, das Reiseland näher kennenzulernen. Abgesehen davon, daß Entspannungsphasen und freie Wochenenden den beruflichen Charakter einer Reise nicht beeinträchtigten (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Mai 1974 I R 212/72, BFHE 113, 274, BStBl II 1975, 70, und vom 4. Dezember 1974 I R 112/73, BFHE 114, 488, BStBl II 1975, 379), sei im Streitfall auch zu berücksichtigen, daß sich der Kläger auf seine Vorträge habe vorbereiten und diese im Hinblick auf die beim Kongreß gewonnenen neuen Erkenntnisse habe überarbeiten müssen. Der Kläger dürfte schließlich keinen allzu starken Einfluß auf den Zeitpunkt der Veranstaltungen gehabt haben; im Zweifel habe er sich den Zeitplanungen seiner Gastgeber anpassen müssen, so daß sich zwangsläufig Pausen in seinem Programm ergeben hätten.
Mit seiner - vom FG zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die Kosten der Reise hätten nur dann als Betriebsausgaben anerkannt werden können, wenn bei der Reise Zwecke der privaten Lebensführung (Erholung, private Interessen) nicht oder nur in einem untergeordneten Umfang eine Rolle gespielt hätten. Im Streitfall könne ein nicht unerhebliches privates Interesse an der Reise nicht ausgeschlossen werden. Für eine private Veranlassung sprächen die Mitnahme der Ehefrau, die zahlreichen, oft mehrtägigen Pausen und die vom Kläger und seiner Ehefrau benutzten Verkehrsmittel. Die Auffassung des FG, die Art der vom Kläger auf dem Kongreß entfalteten Tätigkeit sei ein stärkeres Argument für den beruflichen Charakter der Reise als die nur passive Teilnahme an den Veranstaltungen, sei unzutreffend.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerschuld 1968 "nach Maßgabe der Einspruchsentscheidung" auf ... DM festzusetzen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem FG ist darin beizupflichten, daß die Kosten der Reise in vollem Umfang Betriebsausgaben gewesen sind.
1. Die Abziehbarkeit von Aufwendungen als Betriebsausgaben setzt voraus, daß sie durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Der Begriff der betrieblichen Veranlassung erfordert, daß ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und dem Betrieb besteht (BFH-Urteil vom 1. Juni 1978 IV R 36/73, BFHE 125, 175, BStBl II 1978, 499). Liegen diese Voraussetzungen vor, so können die Aufwendungen bei der Ermittlung des Gewinns grundsätzlich abgezogen werden.
Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die aus betrieblichen Gründen erwachsenen Kosten zugleich Aufwendungen für die Lebensführung des Steuerpflichtigen darstellen. Diese sog. "gemischten" Aufwendungen sind nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht abziehbar. Die Vorschrift des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG verbietet zur Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit die Aufteilung und damit den Abzug von Aufwendungen, die sowohl der Lebensführung dienen als auch den Beruf fördern. Durch dieses Aufteilungs- und Abzugsverbot soll verhindert werden, daß Steuerpflichtige durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewußt herbeigeführte Verbindung zwischen beruflichen und privaten Interessen Aufwendungen für ihre Lebensführung deshalb zum Teil in einen einkommensteuerrechtlich relevanten Bereich verlagern können, weil sie einen Beruf haben, der ihnen das ermöglicht, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus zu versteuernden Einkünften decken müssen.
Das Aufteilungs- und Abzugsverbot wird allerdings nach der Rechtsprechung des BFH in gewisser Hinsicht eingeschränkt. Gemischte Aufwendungen sind dann in vollem Umfang als Betriebsausgaben abziehbar, wenn die betriebliche Veranlassung bei weitem überwiegt und das Hineinspielen der Lebensführung nicht ins Gewicht fällt und von ganz untergeordneter Bedeutung ist (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, und vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213).
2. Für den Abzug der Kosten einer Reise als Betriebsausgaben ist maßgebend, ob die Aufwendungen objektiv durch die besonderen betrieblichen Gegebenheiten veranlaßt sind und die Befriedigung privater Interessen wie z. B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises nach dem Anlaß der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist (BFH-Urteil vom 22. Mai 1974 I R 212/72, BFHE 113, 274, BStBl II 1975, 70; BFH-Beschluß GrS 8/77).
Die Entscheidung, ob betriebsbedingte Aufwendungen vorliegen und die Befriedigung privater Interessen nahezu ausgeschlossen ist, kann nur aufgrund einer Würdigung aller Umstände des einzelnen Falles getroffen werden. Es ist deshalb in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang private Gründe die Reise mitveranlaßt haben. Dabei ist die Reise insgesamt und als Einheit zu beurteilen, weil die einzelnen Teile einer solchen Reise von der Planung und der Durchführung her nur im Zusammenhang gesehen werden können (BFH-Urteile vom 15. Juli 1976 IV R 90/73, BFHE 120, 28, BStBl II 1977, 54 - betreffend die Teilnahme eines Arztes am Krebskongreß in Tokio -; vom 28. Oktober 1976 IV R 35/76, BFHE 121, 35, BStBl II 1977, 238 - betreffend die Teilnahme eines Zahnarztes am Zahnärztekongreß in Mexiko-City -; BFH-Beschluß GrS 8/77).
Für die Beurteilung der Frage, ob für eine Reise in nicht unerheblichem Umfang Gründe der privaten Lebensführung eine Rolle gespielt haben, kommt es auf den Zweck dieser-Reise an. Reisen, denen offensichtlich ein unmittelbarer betrieblicher (beruflicher) Anlaß zugrunde liegt (wie etwa das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes oder das Halten eines Vortrages auf einem Fachkongreß), sind insoweit anders zu werten als Auslandsgruppenreisen, die zu Informationszwecken veranstaltet werden. Zwar ist bei allen Reisen denkbar, daß sie in mehr oder weniger großem Umfang auch zu privaten Unternehmungen genutzt werden. Die Bedeutung dieser privaten Unternehmungen tritt aber in den Hintergrund, wenn offensichtlich ein unmittelbarer betrieblicher Anlaß für die Reise besteht. So kann bei einem Geschäftsmann, der im Ausland Vertragsverhandlungen führt und die Verhandlungspausen zu Ausflügen nützt, der betriebliche Anlaß der Reise nicht wegen dieser Ausflüge in Frage gestellt werden. Denn Anlaß der Reise ist in einem solchen Fall die Durchführung von Vertragsverhandlungen und damit ein eindeutig betrieblicher Vorgang; die Reise wird - jedenfalls in aller Regel - nicht wegen der Möglichkeit unternommen, Ausflüge zu machen. Das gleiche gilt auch für die Reise eines Wissenschaftlers, der im Ausland in geringen zeitlichen Abständen mehrere Fachvorträge hält und die zwischen den einzelnen Vortragsveranstaltungen liegende Zeit teilweise auch für private Unternehmungen nutzt. Die genannten Fälle unterscheiden sich deutlich von den Informationsreisen, denen ein solcher unmittelbarer betrieblicher Anlaß fehlt und bei denen daher mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß sie auch aus Gründen der privaten Lebensführung unternommen werden. Bei den Informationsreisen kann die Gestaltung der Ruhepausen ein erhebliches Indiz für den privaten Anlaß der Reise sein, wie der Große Senat des BFH in seinem Beschluß GrS 8/77 im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung ausgeführt hat. Diese für Auslandsgruppenreisen geltenden Erwägungen lassen sich indessen nicht ohne weiteres auf Reisen übertragen, denen offensichtlich ein unmittelbarer betrieblicher Anlaß zugrunde liegt.
3. Das FG hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise erkannt, daß die Reise des Klägers weitaus überwiegend beruflichen Zwecken diente.
Die Entscheidung dieser Frage beruht im wesentlichen auf der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, die dem FG als Tatsacheninstanz obliegt. An diese Würdigung ist das Revisionsgericht gebunden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); denn sie ist verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt. Die vom FA erhobenen Bedenken gegen die Würdigung durch das FG greifen nicht durch. Die Würdigung ist immerhin möglich; daß sie zwingend ist, wird für die Bindung des BFH nach § 118 Abs. 2 FGO nicht gefordert.
Aus dem Umstand, daß der Kläger während der Vortragspausen Besichtigungsfahrten unternahm, brauchte das FG nicht den Schluß zu ziehen, die Reise habe zu einem nicht nur unwesentlichen Teil privaten Interessen des Klägers gedient. Wie der vom FG festgestellte Reiseverlauf ergibt, bestanden zwischen den einzelnen Vorträgen des Klägers (am 9. bis 12. September, am 17. September sowie am 27. September) und seiner Teilnahme an medizinischen Untersuchungen und Operationen (am 28. und 29. September sowie am 3. Oktober) zeitliche Abstände, die dem Kläger zu anderen beruflich einschlägigen Unternehmungen (Besuch von Kliniken, Besprechungen mit Kollegen), aber auch zu privaten Veranstaltungen Gelegenheit boten. Die zum persönlichen Bereich zählenden Veranstaltungen, die letztlich mit jeder Reise verbunden sind, hätten die ausschließliche oder doch ganz überwiegend betriebliche Veranlassung der Reise nur dann in Frage stellen können, wenn Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, daß die Reise auch wegen dieser privaten Veranstaltungen unternommen wurde. Dies hat das FG aber in nicht zu beanstandender Weise verneint. Es begegnet ferner keinen Bedenken, daß das FG in der Teilnahme der Ehefrau des Klägers kein Indiz für den privaten Charakter der Reise sah. Nach den - insoweit unbeanstandeten - Feststellungen des FG wurde dem körperbehinderten Kläger durch die Anwesenheit der Ehefrau die Reise erleichtert; sie war ihm insbesondere bei der Übersetzung seiner Vorträge behilflich. Es ist unter Berücksichtigung aller dieser Umstände schließlich auch nicht zu beanstanden, daß das FG aus der Wahl der in den Ruhepausen verwendeten Verkehrsmittel für sich allein keine Schlüsse auf den privaten Charakter der Reise zog.
Fundstellen
BStBl II 1979, 513 |
BFHE 1979, 533 |