Leitsatz (amtlich)
Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstehen, können als Werbungskosten nur abgezogen werden, wenn sie beruflich veranlaßt sind. Auch bei Steuerpflichtigen, die erst im Zeitpunkt der Eheschließung einen doppelten Haushalt einrichten, kann die Unterhaltung dieses doppelten Haushalts beruflich veranlaßt sein. Eine doppelte Haushaltsführung setzt regelmäßig eine gemeinsame Familienwohnung voraus.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Nr. 5, § 12 Nr. 1; GG Art. 6 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat im Mai 1970 geheiratet. Bereits vor der Eheschließung war er bei einem Arbeitgeber in F beschäftigt und bewohnte dort ein möbliertes Zimmer. Den Arbeitsplatz und das Zimmer behielt er nach der Eheschließung bei. Die Ehefrau des Klägers war vor der Eheschließung ebenfalls berufstätig und wohnte in der Nähe ihrer Arbeitsstelle in R. In dieser Wohnung begründeten die Eheleute ihren gemeinsamen Familienwohnsitz. Die Ehefrau des Klägers gab ihre Berufstätigkeit mit der Geburt eines Kindes im April 1971 auf.
In seiner Einkommensteuererklärung 1971 machte der Kläger u. a. Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung (wöchentliche Familienheimfahrten F-R, Zimmermiete in F, Mehraufwand für Verpflegung) in Höhe von insgesamt 6 810,16 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) berücksichtigte bei der Veranlagung zunächst einen Teil dieser Aufwendungen. Im Einspruchsverfahren lehnte das FA die Anerkennung dieser Werbungskosten jedoch in vollem Umfang ab.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es führte im wesentlichen aus: Die Mehraufwendungen des Klägers seien den Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) zuzurechnen, da sie nur teilweise durch den Beruf veranlaßt seien. Der Kläger sei vor und nach der Eheschließung bei demselben Arbeitgeber in F tätig gewesen. Für die doppelte Haushaltsführung durch Begründung des Familienwohnsitzes in R sei nicht das Arbeitsverhältnis, sondern der der privaten Lebensführung zuzurechnende Grund ausschlaggebend gewesen, daß die Ehefrau des Klägers bereits eine ausreichende Wohnung gehabt habe. Daß für die Wahl des Wohnsitzes auch das Arbeitsverhältnis der Ehefrau mitbestimmend gewesen sei, sei bezüglich der Werbungskosten des Klägers ohne Bedeutung, da Werbungskosten nur bei den Einkünften anerkannt werden könnten, durch deren Erzielung sie veranlaßt worden seien.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG und beantragt, die geltend gemachten Kosten der doppelten Haushaltsführung sowie weitere Aufwendungen in. Höhe von insgesamt 6 810,16 DM als Werbungskosten anzuerkennen. Er trägt vor:
Entscheidend für den Werbungskostencharakter von Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung sei die Tatsache, daß die Aufwendungen für die Fahrten zur Arbeitsstätte und für eine Zweitwohnung am Arbeitsort und damit aus beruflichen Gründen getragen würden. Ein Fall, in dem absolut private Interessen für die doppelte Haushaltsführung maßgeblich seien, liege nicht vor. Nach der Eheschließung hätten er und seine Ehefrau sich aus wirtschaftlichen Gründen dafür entschieden, die günstigere und preiswertere Wohnung der Ehefrau als Familienwohnsitz zu wählen. Da beide Ehegatten ihre bisherigen Arbeitsplätze beibehalten hätten, habe sich notwendigerweise eine Aufsplitterung der gemeinsamen Haushaltsführung auf zwei verschiedene Haushalte ergeben, die nach dem Urteil des BFH vom 21. Januar 1972 VI R 95/71 (BFHE 104, 193, BStBl II 1972, 262) die Anerkennung der Mehraufwendungen als Werbungskosten rechtfertige.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Aufwendungen für Verpflegung und Unterkunft sowie Kosten für Familienheimfahrten gehören regelmäßig zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung. Nur ausnahmsweise können derartige Aufwendungen steuerlich berücksichtigt werden.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach dieser Vorschrift vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Aufwendungen für Fahrten vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstands und zurück (Familienheimfahrten) können jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich als Werbungskosten abgezogen werden. Für die Anwendung dieser Vorschrift genügt es nach der Rechtsprechung des BFH nicht, daß zwei Hausstände vorhanden sind. Da die Mehraufwendungen aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung als "Werbungskosten" abziehbar sind, sind sie - wie alle Werbungskosten - vielmehr nur dann zu berücksichtigen, wenn sie beruflich veranlaßt sind. Deshalb kommt ein Abzug von Mehrkosten als Werbungskosten nicht in Betracht, wenn die Gründung oder die Beibehaltung eines vom Beschäftigungsort entfernt liegenden zweiten Hausstandes auf privaten Erwägungen beruht (BFH-Urteile vom 14. Februar 1975 VI R 125/74, BFHE 115, 322, BStBl II 1975, 607; vom 5. Dezember 1975 VI R 249/74, BFHE 117, 253, BStBl II 1976, 150).
Ob eine doppelte Haushaltsführung beruflich veranlaßt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Insofern besteht ein Beurteilungsspielraum, in dessen Rahmen insbesondere auch die Grundentscheidung des Grundgesetzgebers, Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung zu stellen (Art. 6 Abs. 1 GG), zu beachten ist. Unter Berücksichtigung dieser wertentscheidenden Grundsatznorm (vgl. Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 6 Anm. 6) liegen die Gründe, die den Kläger veranlaßten, außerhalb seines Familienwohnsitzes, den er nach der Eheschließung begründete, an seinem Beschäftigungsort ein weiteres Zimmer beizubehalten, entgegen der Auffassung des FG nicht im privaten Bereich.
Zwar ist eine steuerlich beachtliche doppelte Haushaltsführung in der Regel nur anzuerkennen, wenn ein verheirateter Arbeitnehmer, der mit seiner Familie eine gemeinsame Wohnung hat, bei einer beruflichen Versetzung seine Familie zunächst in der bisherigen Familienwohnung zurückläßt und selbst am neuen Beschäftigungsort im Hotel oder in einem möblierten Zimmer wohnt, bis er eine geeignete und zumutbare Familienwohnung gefunden hat. Es sind aber auch andere Fälle beruflich bedingter doppelter Haushaltsführung denkbar. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Würde die Möglichkeit des Abzugs von Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung auf Arbeitnehmer beschränkt, die bereits vor der Einrichtung des doppelten Haushalts verheiratet waren, so würde § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG nicht in verfassungskonformer Weise ausgelegt. Arbeitnehmer, die erst mit der Begründung der Ehe den doppelten Haushalt einrichten müssen, könnten sonst die Möglichkeit des Werbungskostenabzugs nicht in Anspruch nehmen; sie würden im Verhältnis zu - bei Einrichtung des doppelten Haushalts - bereits Verheirateten benachteiligt.
Auch bei Steuerpflichtigen, die erst im Zeitpunkt der Eheschließung einen doppelten Haushalt einrichten, kann somit - wie es im Streitfall zutrifft - dieser doppelte Haushalt beruflich bedingt sein. Zwar wird der doppelte Haushalt des Klägers mit seiner Ehefrau unmittelbar durch seine Eheschließung ausgelöst. Letztlich beruht aber jeder steuerlich anzuerkennende doppelte Haushalt auf der - privaten - Tatsache der Eheschließung; denn regelmäßig wird steuerlich nur bei Verheirateten ein doppelter Haushalt anerkannt. Entscheidend kommt im vorliegenden Fall zu der Eheschließung hinzu, daß der Kläger an einem anderen Ort als demjenigen, den er zusammen mit seiner Ehefrau als gemeinsamen Familienwohnsitz bestimmte, seinem Beruf weiterhin nachging und daß er deshalb aus beruflichen Gründen zur - weiteren - Anmietung eines möblierten Zimmers in F veranlaßt war.
Im übrigen war der doppelte Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau auch deshalb beruflich bedingt, weil beide Ehegatten an verschiedenen Orten ihrem Beruf bis April 1971 nachgingen. Zwar können, wie das FG zutreffend ausführte, Werbungskosten im Grundsatz nur bei den Einnahmen desjenigen Steuerpflichtigen abgezogen werden, bei dem sie veranlaßt sind. Sind also Aufwendungen bei der Ehefrau beruflich veranlaßt, so können sie nicht bei den Einnahmen des Ehemannes als Werbungskosten berücksichtigt werden. Bei Beachtung des nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Kernbestandes der Ehe und der Familie (vgl. Maunz-Dürig, a. a. O., Anm. 17) kann es aber jedenfalls für die Berücksichtigung von Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung keine entscheidende Rolle spielen, ob die berufliche Veranlassung im Arbeitsverhältnis des einen Ehegatten besteht und der andere Ehegatte deshalb einen doppelten Haushalt begründet.
Aus den vorstehenden Erwägungen darf aber nicht gefolgert werden, daß die Wegverlegung des Familienwohnsitzes vom beibehaltenen Beschäftigungsort ebenfalls als beruflich veranlaßt angesehen werden könnte. Zieht ein Arbeitnehmer vom Beschäftigungsort weg, so wird vielmehr regelmäßig von einer privat veranlaßten doppelten Haushaltsführung auszugehen sein (vgl. Giloy, Deutsche Steuerzeitung, Ausgabe A, 1975 S. 440 [442]). Im Streitfall ist der Kläger aber nicht von seinem Beschäftigungsort weggezogen. Er hat vielmehr erstmals - von seinem Beschäftigungsort entfernt - einen Familienwohnsitz begründet und ist an dem bisherigen Beschäftigungsort von dem beibehaltenen möblierten Zimmer aus weiterhin seinem Beruf nachgegangen.
Allerdings ist ein doppelter Haushalt, auch wenn er, wie hier, erst durch Eheschließung begründet wird, nur dann gegeben, wenn ein gemeinsamer Haushalt in einer Familienwohnung besteht und es aus beruflichen Gründen erforderlich ist, eine zweite Wohnung oder Unterkunft zu beschaffen oder beizubehalten. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn zwei Arbeitnehmer mit jeweils eigenem Hausstand heiraten und jeder Ehegatte nach der Eheschließung wie bisher in seiner Wohnung weiterlebt (vgl. BFH-Urteile vom 18. September 1964 VI 59/64 U, BFHE 81, 86, BStBl III 1965, 29; vom 11. Mai 1966 VI 195/65, BFHE 86, 351, BStBl III 1966, 503). Es müssen vielmehr beide Ehegatten eine der beiden Wohnungen oder Unterkünfte als gemeinsamen Wohnsitz ansehen und behandeln, was insbesondere dadurch augenscheinlich wird, daß beide Ehegatten zu den Kosten des gemeinsamen Haushalts beitragen, daß sie bei dem für den gemeinsamen Wohnsitz zuständigen Einwohnermeldeamt gemeldet sind, daß sie an dem als gemeinsamen Wohnsitz bezeichneten Wohnort auch überwiegend die gemeinsame Freizeit verbringen und daß schließlich die Wohnung den gemeinsamen Wohnbedürfnissen genügt. Nach den tatsächlichen und nicht beanstandeten Feststellungen des FG sind diese Voraussetzungen im vorliegenden Falle erfüllt. Der Kläger und seine Ehefrau haben nach der Vorentscheidung die Wohnung in R als gemeinsamen Familienwohnsitz begründet. Daß sie diese Wohnung auch im Jahre 1971 als gemeinsamen Wohnsitz unterhalten haben, ergibt sich daraus, daß der Kläger nach seinem Vortrag jeweils wöchentlich nach R und nicht seine Ehefrau zu ihm nach F gefahren ist.
Einer doppelten Haushaltsführung kann im Streitfall auch nicht entgegengehalten werden, der Kläger und seine Ehefrau hätten durch die Unterhaltung von zwei Wohnungen keine "Mehraufwendungen" i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG gehabt. Denn der hier gebotene Vergleich zwischen den Aufwendungen des verheirateten Klägers unter Führung eines doppelten Haushalts einerseits und eines verheirateten Arbeitnehmers ohne doppelten Haushalt, also unter Führung lediglich einer gemeinsamen Familienwohnung andererseits, ergibt für den Kläger typische Mehraufwendungen, nämlich Fahrtkosten, Zimmermiete und Mehrverpflegungsaufwand.
Soweit sich aus den BFH-Urteilen VI 59/64 U und VI 195/65, die ohnehin zu einer Rechtslage vor dem Inkrafttreten des nunmehr geltenden § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG ergangen sind, etwas anderes ergeben sollte, hält der Senat daran nicht mehr fest.
Da die Vorentscheidung von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, war sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie ist deshalb an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das FG wird nunmehr zu prüfen haben, ob die im Streitfall grundsätzlich anzuerkennenden Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung in der vom Kläger geltend gemachten Höhe zutreffen. Danach wird es die Einkommensteuer des Klägers unter Berücksichtigung dieser Werbungskosten zu berechnen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 71949 |
BStBl II 1976, 654 |
BFHE 1977, 281 |