Leitsatz (amtlich)
Zur objektiven Beweislast und erhöhten Mitwirkungspflicht von in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Gastarbeitern, die Freibeträge nach § 33 a Abs. 1 EStG für die Unterstützung von Angehörigen im Ausland begehren. Gastarbeiter müssen in solchen Fällen die Unterstützungsbedürftigkeit ihrer Angehörigen in der Regel durch detaillierte Angaben in amtlichen Bescheinigungen ihrer Heimatbehörden mit deutscher Übersetzung nachweisen.
Normenkette
EStG 1971 § 33 a Abs. 1; AO § 171 Abs. 3, § 204 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau leben als türkische Gastarbeiter in Berlin (West). Der Kläger begehrte im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1972 eine Steuerermäßigung nach § 33 a EStG 1971, weil er sieben bedürftige Angehörige in der Türkei, nämlich seine Eltern, Schwiegereltern und drei Geschwister mit je 1 200 DM, insgesamt also mit 8 400 DM, unterstützt habe. Er trug vor, die Eltern und Schwiegereltern lebten in landesüblichen Verhältnissen jeweils von ihrer eigenen kleinen Landwirtschaft und die Geschwister gingen zur Schule. Sie seien bei der dortigen allgemeinen Armut auf dem Lande unterstützungsbedürftig. Er legte neben entsprechenden Überweisungsbelegen Bescheinigungen zweier türkischer Ortsvorsteher vor, nach denen er bzw. seine Ehefrau für die allgemeinen Lebenshaltungskosten dieser Angehörigen aufkomme, weil sie unterstützungsbedürftig seien und keine weiteren Angehörigen hätten, die für ihre Unterhaltskosten hätten aufkommen können. Er reichte dem Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) auch drei Bescheinigungen von Schuldirektoren über den Besuch der Schulen durch seine drei Geschwister ein. Das FA lehnte die Steuerermäßigung ab, weil die Unterlagen zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Unterstützungen nicht ausreichten und der Kläger weitere vom FA geforderte Unterlagen und Bescheinigungen nicht beigebracht hatte. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG wies die Klage ab. Es führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 577 (EFG 1974, 577) veröffentlichten Urteil aus:
Unterhaltsaufwendungen könnten steuerlich nach § 33 a EStG nur abgezogen werden, wenn die eigenen Bezüge der unterstützten Personen nachgewiesen seien. Diesen Nachweis habe der Kläger nicht erbracht. Sein allgemeiner Hinweis, die unterstützten Angehörigen seien arme türkische Kleinbauern und deren Kinder, reiche hierfür nicht aus. Ohne Darlegung näherer Einzelheiten müsse angenommen werden, daß die Angehörigen des Klägers auch ohne seine Unterstützung ein normales türkisches Bauernleben führten. Der Kläger habe trotz mehriacher Aufforderung durch das FA und trotz entsprechenden Hinweises durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung keine Einzelheiten dargelegt, die die Annahme des Gegenteils rechtfertigen könnten. Ob die koordinierten Ländererlasse der Finanzminister, nach denen die Bedürftigkeit von Bewohnern der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zu unterstellen sei, wenn ein Steuerpflichtiger im Bundesgebiet Unterhaltsleistungen an sie als außergewöhnliche Belastung geltend mache, dem Gesetz entsprechen und von den Gerichten zu beachten seien, könne dahingestellt bleiben. Denn diese Regelung beruhe auf den Besonderheiten der Teilung Deutschlands.
Die Unterstützungsleistungen eines Steuerpflichtigen wären auch bei nachgewiesener Bedürftigkeit der unterstützten Personen nur insoweit steuerlich anzuerkennen, als der Steuerpflichtige zu diesen Leistungen rechtlich oder moralisch verpflichtet sei. Diese Pflicht werde insbesondere gegenüber Personen, zu deren Unterstützung keine Rechtspflicht bestehe, durch die Höhe der eigenen Einkünfte des Steuerpflichtigen begrenzt. Einem Steuerpflichtigen sei ein finanzielles Opfer ihnen gegenüber im allgemeinen nur bis etwa 25 v. H. seines Nettoeinkommens zuzumuten. Unterhalte er, wie hier, ein eigenes Kind, so ermäßige sich dieser Satz um 5 v. H. Im Streitfall habe die Opfergrenze beim Kläger bei 4 600 DM (20 v. H. von 23 000 DM Nettoeinkommen) gelegen. Der darüber hinausgehende Teil des geltend gemachten Unterstützungsbetrages von 3 800 DM (8 400 DM .I. 4 600 DM) könne daher auch aus diesem Grund steuerlich nicht anerkannt werden.
Der Kläger rügt mit der Revision fehlerhafte Anwendung geltenden Rechts. Er bringt vor, er habe alles getan, um seiner Nachweispflicht zu genügen. Er habe auf Aufforderung des FA jeweils weitere Papiere und Bestätigungen aus der Türkei beschafft, stets aber nur mit der Folge, daß das FA ihm neue Auflagen gesetzt habe. Es sei ihm nicht möglich gewesen, Bescheinigungen türkischer Finanzbehörden über die Einkommensverhältnisse der unterstützten Angehörigen zu erhalten, da dort Familien mit einem Einkommen bis zu 30 000 türkische Lire steuerlich nicht erfaßt würden.
Es sei nicht zulässig, die steuerliche Abziehbarkeit von Unterstützungsleistungen auf eine sogenannte "Opfergrenze" zu beschränken. Wenn ein Steuerpflichtiger aus sittlichen Gründen bereit sei, auf mehr als 20 v. H. seines verfügbaren Einkommens zu verzichten und sich über das zumutbare Maß hinaus einzuschränken, dürfe er nicht dadurch bestraft werden, daß der übersteigende Betrag steuerlich nicht abzugsfähig sei.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Abzugsfähigkeit der Unterstützungsleistungen als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der BdF ist auf Aufforderung des Senats dem Verfahren beigetreten. Er hat sich ausführlich zu den Streitfragen geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 33 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG 1971 kann ein Steuerpflichtiger, dem zwangsläufig Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung von Personen erwachsen, für die er keinen Kinderfreibetrag erhält, auf Antrag einen Betrag von höchstens 1 200 DM im Kalenderjahr für jeden Unterhaltsempfänger von seinem Einkommen abziehen, wenn letzterer kein oder nur geringes Vermögen besitzt. Hat die unterhaltene Person andere Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, so vermindert sich der Betrag von 1 200 DM nach Satz 3 dieser Vorschrift um den Betrag, um den diese Einkünfte oder Bezüge den Betrag von 1 200 DM übersteigen. Wird die Person von mehreren Steuerpflichtigen unterstützt, so wird nach § 33 a Abs. 1 Satz 4 EStG 1971 bei jedem der Teil des sich hiernach ergebenden Betrags abgezogen, der seinem Anteil am Gesamtbetrag der Leistungen entspricht.
Mangels einer besonderen gesetzlichen Regelung für in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) tätige und hier unbeschränkt steuerpflichtige Gastarbeiter sind die genannten Vorschriften auf diese in gleicher Weise anzuwenden wie auf inländische Arbeitnehmer.
Die Freibeträge nach § 33 a Abs. 1 EStG können ebenso wie andere Steuervergünstigungen nur in Anspruch genommen werden, wenn ihre Voraussetzungen im Einzelfall nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden. Die Finanzbehörden und Steuergerichte sind zwar verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 204 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -, § 76 Abs. 1 FGO). Kann ein Sachverhalt, aus dem der Steuerpflichtige einen Vorteil herleiten will, im Prozeß nicht hinreichend aufgeklärt werden, so ist ihm der Nachteil der verbleibenden Ungewißheit anzulasten. Begehrt ein Steuerpflichtiger, wie im Streitfall, eine Steuerermäßigung, so trägt er die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die Tatsachen, die die Steuerermäßigung begründen (vgl. Urteile des BFH vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220, und vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562). Handelt es sich dabei, wie im Streitfall, um Sachverhalte, die sich auf Vorgänge außerhalb der Bundesrepublik beziehen, so muß der Steuerpflichtige sich im Rahmen des Zumutbaren im besonderen Maße um die Aufklärung dieser Umstände und um die Beschaffung geeigneter, u. U. auch zusätzlicher Beweismittel bemühen, um seiner Beweislast zu genügen (vgl. § 171 Abs. 3 AO, s. auch § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -), weil die Verhältnisse im Ausland ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen entweder nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ermittelt werden können. Bei solchen Beziehungen ins Ausland besteht mithin eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 13. Juli 1962 VI 100/61 U, BFHE 75, 443, BStBl III 1962, 428; vom 17. Juli 1968 I 121/64, BFHE 93, 1, BStBl II 1968, 695, und vom 21. Januar 1976 I R 234/73, BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513).
Das FG hat im Streitfall die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht genügt und die Voraussetzungen für die begehrten Freibeträge nach § 33 a Abs. 1 EStG nicht hinreichend nachgewiesen hat.
Um feststellen zu können, ob die oben erwähnten Voraussetzungen zur Gewährung dieser Freibeträge vorliegen, konnten FA und FG den Kläger ohne Ermessensverstoß auffordern, amtliche Bescheinigungen der Heimatbehörden mit detaillierten Angaben zur Unterstützungsbedürftigkeit seiner Eltern, Schwiegereltern und seiner drei Geschwister vorzulegen, und zwar mit Angabe von Name, Alter, Anschrift und Verwandtschaftsverhältnis der unterstützten Person zum Kläger und der Art und dem Umfang der eigenen Einnahmen und des eigenen Vermögens der Unterhaltsempfänger. Ebenso haben FA und FG den Kläger zu Recht um Beantwortung der Frage ersucht, ob noch andere Personen unterhaltspflichtig waren, welche Unterstützungen sie ggf. geleistet haben und ab wann und aus welchen Gründen die Unterstützungsempfänger nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen konnten. Sie konnten darauf bestehen, daß ihnen hierfür grundsätzlich amtliche Bescheinigungen der zuständigen türkischen Behörden mit deutscher Übersetzung vorgelegt werden, da sie selbst die in der Türkei lebenden Angehörigen des Klägers nicht vernehmen konnten.
Die vom Kläger beigebrachten "amtlichen Unterhaltsbedürftigkeitsbescheinigungen" enthalten zu den erbetenen Auskünften nur wenige konkrete Angaben. Der allgemeine Satz, der Kläger habe für den Lebensunterhalt von Eltern, Schwiegereltern und drei Geschwistern aufkommen müssen, weil sie unterstützungsbedürftig seien, läßt gemäß den zutreffenden Ausführungen des FG nicht ersehen, welche Einkünfte die Eltern und Schwiegereltern im Streitjahr 1972 erzielt haben und welchen Wert ihr bäuerliches Vermögen hatte. Die Aufklärung des Sachverhalts war in dieser Hinsicht im Streitfall um so mehr erforderlich, als der Kläger zunächst im Einspruchsschreiben behauptet hatte, Vater und Schwiegervater seien zur Zeit arbeitslos, während er später im Klageverfahren (offensichtlich aufgrund der Angaben in den nachgereichten amtlichen Unterhaltsbedürftigkeitsbescheinigungen, Vater und Schwiegervater seien Bauern) einräumte, Eltern und Schwiegereltern betrieben als türkische Kleinbauern in bescheidenem Umfang eine Landwirtschaft. Mangels geeigneten gegenteiligen Beweismaterials konnte das FG ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, daß die Angehörigen des Klägers auch ohne Unterstützung durch ihn ein normales türkisches Bauernleben führten, so daß eine Unterstützung nicht i. S. des § 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG notwendig und damit nicht zwangsläufig war (vgl. hierzu auch die Ausführungen des Senats in den beiden Urteilen vom 20. Januar 1978 VI R 170/76, BStBl II 1978, 342, und VI R 123/77, BStBl II 1978, 340).
Es mag sein, daß der Inhalt der vorgelegten "Unterhaltsbedürftigkeitsbescheinigungen" den üblichen Gepflogenheiten bei Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1972 entsprach, während für spätere Jahre die örtlich zuständigen Verwaltungsbezirkspräsidenten in der Türkei neue Bescheinigungen mit für deutsche steuerliche Zwecke im allgemeinen ausreichenden Einzelangaben aufgrund von Formularen ausstellten, die die türkische Botschaft nach Abstimmung mit dem Bundesfinanzministerium und den obersten Finanzbehörden der Länder erstellt hat. Der Kläger kann sich jedoch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß derartige Bescheinigungen im Streitjahr noch nicht üblich gewesen seien. Denn er hat im Klageverfahren nicht vorgetragen, er habe sich um die Beibringung amtlicher Bescheinigungen über die vom FA und FG gewünschten Einzelangaben bemüht, sie aber nicht bekommen. Er hat auch keine anderen, ähnlich beweiskräftigen Nachweise erbracht, und sein Bevollmächtigter hat zudem in der mündlichen Verhandlung auf entsprechende Fragen des FG keine konkreten Auskünfte gegeben.
Soweit der Kläger im Revisionsverfahren vorträgt, es sei ihm objektiv unmöglich gewesen, Bescheinigungen von türkischen Finanzbehörden über die Einkommensverhältnisse seiner Angehörigen zu erhalten, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO nicht berücksichtigen kann.
Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger sich nicht auf Verwaltungserlasse berufen könne, nach denen die Bedürftigkeit von Bewohnern der DDR zu unterstellen sei, die von einem Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik unterstützt werden. Es kann dahingestellt bleiben, welche rechtliche Bedeutung diesen Erlassen zukommt. Jedenfalls können sie durch die Gerichte nicht über ihren Inhalt hinaus ausgedehnt werden.
Im Hinblick darauf, daß die Revision schon aus diesem Grunde keinen Erfolg hat, ist es dem Senat verwehrt, auf die zusätzliche Begründung des FG zur sogenannten "Opfergrenze" einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 72729 |
BStBl II 1978, 338 |
BFHE 1978, 508 |