Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Anwendung des Progressionsvorbehalts auf ein Mitglied des zivilen Gefolges nach dem Nato-Truppenstatut (NTS)
Leitsatz (NV)
1. Eine an einer von den französischen Streitkräften in der Bundesrepublik unterhaltenen Schule unterrichtende französische Lehrerin, die mit einem Deutschen verheiratet ist und in der Bundesrepublik wohnt, hält sich nicht ,,nur in ihrer Eigenschaft als Mitglied des zivilen Gefolges" im Sinne des Art. X Abs. 1 S. 1 NTS in der Bundesrepublik auf und ist daher unbeschränkt steuerpflichtig.
2. Die Steuerfreiheit ihrer Bezüge ergibt sich nicht aus Art. X Abs. 1 S. 2 NTS, sondern aus Art. 14 DBA-Frankreich. Diese Bezüge unterliegen gemäß Art. 20 DBA-Frankreich dem Progressionsvorbehalt.
Normenkette
Nato-Truppenstatut Art. X Abs. 1 Sätze 1-2; DBA FRA Art. 2 Abs. 1 Nrn. 3, 4a, Art. 20; EStG § 1 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 4, § 32b
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin ist französische Staatsbürgerin und Lehrkraft an einer Schule in B, die von den in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) stationierten französischen Streitkräften unterhalten wird. Ein von den französischen Truppen ausgestellter Personalausweis (Carte d`identité F. F. A.) weist sie als Mitglied des zivilen Gefolges aus. Im Jahre 1964 hat die Klägerin den Kläger geheiratet, der deutscher Staatsangehöriger ist. Die Kläger haben zwei Kinder; sie bewohnen ein ihnen gehörendes Einfamilienhaus in S.
Die Kläger wurden zusammenveranlagt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) ließ die geschätzten Einkünfte der Klägerin aus ihrer Tätigkeit an der französischen Schule steuerfrei, berücksichtigte aber die Einkünfte bei der Höhe des anzuwendenden Steuersatzes (Progressionsvorbehalt).
Der dagegen gerichtete Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen, die Klage hatte Erfolg.
Mit seiner Revision rügt das FA, die Ehefrau unterliege als unbeschränkt Steuerpflichtige nicht dem Art. X des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 - NATO-Truppenstatut - (BGBl II 1961, 1190), sondern dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 i. d. F. des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 - DBA Frankreich - (BGBl II 1961, 398, II 1970, 719, BStBl I 1961, 343, I 1970, 902), in dem der Progressionsvorbehalt vorgesehen sei. Denn sie halte sich nicht ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Mitglied des zivilen Gefolges in der Bundesrepublik auf.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Nach Ansicht der Kläger ist die Feststellung der ausländischen Streitkräfte, daß die Klägerin Mitglied eines zivilen Gefolges ist, verbindlich, so daß Art. X Abs. 1 Sätze 1 und 2 NATO-Truppenstatut nicht anzuwenden sei. Daher gelte kein Progressionsvorbehalt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht - FG - (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FA hat zu Recht im Rahmen der Zusammenveranlagung den Progressionsvorbehalt gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 i. V. m. Art. 14 DBA-Frankreich berücksichtigt. Das FG muß jedoch noch die Höhe der Einkünfte der Klägerin aus ihrem Dienstverhältnis bei den französischen Truppen überprüfen; deshalb war die Sache zurückzuverweisen.
1. Die Kläger wurden zutreffend nach § 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammenveranlagt. Die Klägerin war im Streitjahr unbeschränkt steuerpflichtig. Unbeschränkt steuerpflichtig sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 Abs. 1 EStG). Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), hatte die Klägerin ihren alleinigen Wohnsitz in der Bundesrepublik.
Dieser Wohnsitz ist ungeachtet des Art. X Abs. 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut für die Beurteilung der unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin in der Bundesrepublik maßgebend. Zwar gelten nach dieser Vorschrift Zeiten, in denen sich ein Mitglied des zivilen Gefolges des Entsendestaates nur in dieser Eigenschaft in der Bundesrepublik aufhält, nicht als Zeiten des Wohnsitzes i. S. des § 1 Abs. 1 EStG. Jedoch erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des Art. X Abs. 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut in ihrer Person nicht. Sie hielt sich nicht nur in ihrer Eigenschaft als Mitglied des zivilen Gefolges der französischen NATO-Truppen, sondern vor allem - wie das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat - mit Rücksicht auf ihre Eheschließung mit einem in der Bundesrepublik wohnhaften und dort berufstätigen Ehepartner auf. Der erkennende Senat hat schon im Urteil vom 16. September 1970 I R 2/69 (BFHE 100, 102, BStBl II 1970, 869) zur Rechtslage nach dem sog. Truppenvertrag (BGBl II 1955, 321) und im Urteil vom 19. Mai 1971 I R 55/69 (BFHE 102, 499, BStBl II 1971, 659) zur Rechtslage nach dem NATO-Truppenstatut entsprechend entschieden.
Eine Steuerfreiheit der Bezüge der Klägerin ergibt sich entgegen der Ansicht des FG nicht aus Art. X Abs. 1 Satz 2 NATO-Truppenstatut. Nach dieser Vorschrift sind unter weiteren, im Streitfall nicht interessierenden Voraussetzungen u. a. Mitglieder des zivilen Gefolges in der Bundesrepublik von Steuern auf Bezüge und Einkünfte befreit, die ihnen in ihrer Eigenschaft als ,,derartige Mitglieder" von dem Entsendestaat bezahlt werden. Ob die Klägerin ein Mitglied des zivilen Gefolges i. S. des Art. I Abs. 1 Buchst. b NATO-Truppenstatut ist, kann dahinstehen. Wenn man diesen Status unterstellt, ist sie kein ,,derartiges Mitglied" i. S. des Art. X Abs. 1 Satz 2 NATO-Truppenstatut. Denn diese Vorschrift befreit nicht jedes Mitglied einer Truppe oder ihres zivilen Gefolges von der Besteuerung der Bezüge im Aufnahmestaat, sondern nur diejenigen Mitglieder, die unter Art. X Abs. 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut fallen. Die Klägerin hielt sich aber nicht nur in der Eigenschaft als Mitglied des zivilen Gefolges in der Bundesrepublik auf. Mit dem Begriff ,,derartige Mitglieder" stellt das Abkommen klar, daß Art. X Abs. 1 Sätze 1 und 2 NATO-Truppenstatut eine Einheit bilden mit dem Zweck, die nach Art. X Abs. 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut nach deutschem Steuerrecht beschränkt Steuerpflichtigen von der Besteuerung nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu befreien (vgl. Kutscher / Grewe, Kommentar zum Truppenvertrag und Zusatzabkommen, Anm. IV zu Art. 2 des Steuerabkommens zu Art. 33 des Truppenvertrages).
2. Zwar kommt die Klägerin nicht in den Genuß der Steuerbefreiung gemäß Art. X Abs. 1 Sätze 1 und 2 NATO-Truppenstatut (vgl. BFHE 102, 499, BStBl II 1971, 659). Zu ihren Gunsten wirkt jedoch das DBA-Frankreich.
Die Klägerin ist i. S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 DBA-Frankreich eine natürliche Person. Sie hatte i. S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 a DBA-Frankreich in der Bundesrepublik einen Wohnsitz. Von Frankreich bezog sie Vergütungen i. S. des Art. 14 DBA-Frankreich. Diese Bezüge wurden gemäß Art. 20 Abs. 1 a DBA-Frankreich von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen, aber bei der Festsetzung des Steuersatzes berücksichtigt.
Die Höhe der Bezüge der Klägerin hat das FG ausgehend von seiner Rechtsauffassung, daß ein Progressionsvorbehalt nicht angewendet wird, nicht überprüft. Die Höhe der Bezüge beruht jedoch auf Schätzungen des FA, die mangels Erklärungen der Kläger dem angefochtenen Steuerbescheid zugrundegelegt wurden. Da Streitgegenstand der angefochtene Steuerbescheid ist und dieser die Besteuerungsgrundlagen umfaßt (§ 157 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -; vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, Anm. 28 ff. zu § 65), hat das FG noch die Schätzung der Einkünfte der Klägerin, die dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen sind, der Höhe nach zu überprüfen. Zu diesem Zweck ist die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415635 |
BFH/NV 1988, 632 |