Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Billigkeitserlaß bei Zinsen auf Steuernachforderungen
Leitsatz (NV)
Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen ist im Geltungsbereich des § 233 a AO 1977 zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, aber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen möglich. Der Umstand allein, daß die Bearbeitung der Steuererklärungen etwas über acht Monate dauerte, rechtfertigt i. d. R. keine Billigkeitsmaßnahme.
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 233a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagenden Kläger und Revisionskläger (Kläger) reichten ihre Steuererklärung für das Streitjahr 1989 am 7. November 1990 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) ein. Der daraufhin am 9. Juli 1991 vom FA erlassene Bescheid über Einkommensteuer 1989 führte zu einer Nachzahlung in Höhe von 21 442 DM, die spätestens zum 12. August 1991 zu erbringen war. Unter Berufung auf § 233 a der Abgabenordnung (AO 1977) setzte das FA zugleich Zinsen in Höhe von 428 DM fest.
Den gegen die Zinsfestsetzung zunächst eingelegten Einspruch haben die Kläger zurückgenommen und statt dessen mit Schreiben vom 11. August 1992 Erlaß der Zinsschuld beantragt, weil bei rascherer Bearbeitung der Steuererklärung durch das FA keine Zinsen angefallen wären. Den Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 23. September 1992 ab. Beschwerde und Klage hatten keinen Erfolg.
Mit der Revision erstreben die Kläger weiterhin Erlaß der Zinsschuld aus sachlichen Billigkeitsgründen. Zur Begründung weisen sie u. a. darauf hin, daß nach der damaligen Verwaltungsmeinung selbst eine vorzeitige Steuerzahlung den Zinslauf nicht hätte beeinflussen können. Gleiches gelte für die Festsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen. Die Zinszahlung sei allein auf die unangemessen lange Bearbeitungszeit der Steuererklärung zurückzuführen.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil sowie die den begehrten Erlaß ablehnenden Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und das FA zum Erlaß der festgesetzten Zinsen zu verpflichten.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist nach wie vor der Meinung, die Bearbeitungsdauer allein rechtfertige den begehrten Billigkeitserlaß nicht. Zu berücksichtigen sei hierbei auch, daß die Kläger die Entstehung der Zinsen teilweise selbst durch verspätete Abgabe der Steuererklärung verursacht hätten. Auch habe es sich -- angesichts der seit nahezu 10 Jahren erklärten Verluste aus Land- und Forstwirtschaft -- um keinen einfach gelagerten Steuerfall gehandelt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil enthält keine Rechtsverletzung.
1. Zu Recht hat das Finanzgericht (FG) sich in der angefochtenen Entscheidung auf eine Ermessensprüfung beschränkt (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).
2. Beizupflichten ist dem FG ferner darin, daß auch Zinsansprüche i. S. des § 233 a AO 1977 als Nebenleistungen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 3 Abs. 3, § 37 Abs. 1 AO 1977) von der Möglichkeit des Erlasses aus Billigkeitsgründen nicht von vornherein ausgeschlossen sind: § 227 AO 1977, demzufolge Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen können, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, gilt grundsätzlich auch für die in § 233 a AO 1977 geregelte Verzinsung von Steuernachforderungen (s. dazu näher das Senatsurteil vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BFHE 180, 240, m. w. N.).
3. Zu Recht haben Finanzverwaltung und FG die Voraussetzungen für den begehrten Billigkeitserlaß aus sachlichen Gründen verneint. Die Erhebung der Nachforderungszinsen im Streitfall entspricht den gesetzlichen Wertungen des § 233 a AO 1977 (vgl. dazu näher das Senatsurteil X R 234/93 und die dortigen Nachweise). Mit einer Bearbeitungszeit der Steuererklärung von knapp über acht Monaten liegt der Fall im Rahmen dessen, was der Gesetzestatbestand des § 233 a AO 1977 typischerweise mit sich bringt (vgl. dazu allgemein Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung u. a., 10. Aufl., § 227 AO 1977 Tz. 141, m. w. N.).
Der Hinweis der Kläger auf § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geht nicht nur wegen der verschiedenartigen Funktion beider Vorschriften fehl, sondern vor allem deshalb, weil die gesetzliche Fristbemessung in § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO als spezielle Rechtsschutzregelung für ein fortgeschrittenes verfahrensrechtliches Stadium der Rechtsverwirklichung gilt, in dem -- anders als hier -- eine im wesentlichen abgeschlossene Sachaufklärung vorausgesetzt werden kann. Auch die Grundsätze von Treu und Glauben (zu deren genereller Bedeutung für die Konkretisierung der sach lichen Unbilligkeit: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 227 AO 1977 Tz. 250 und 270 ff., m. w. N.) führen zu keiner anderen Beurteilung (vgl. Senatsurteile vom 20. September 1995 X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53, und X R 234/93, m. w. N.). Im Streitfall kommt hinzu, daß die Kläger die Entstehung des Zinsanspruchs mit einer rechtzeitigen Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen gemäß § 37 Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes hätten vermeiden können.
Fundstellen
Haufe-Index 421657 |
BFH/NV 1997, 92 |